Manche Stimmen sprachen davon, dass das Publikum dem Rennen gegenüber eher skeptisch eingestellt blieb. Offenbar fehlte der erfolgversprechende Publikumsliebling Walter Rütt, der in Paris festsaß. Da er seiner Musterungspflicht nicht nachgekommen war, drohte ihm bei der Einreise die Verhaftung. Es traten zwar viele bekannte deutsche Rennfahrer an, doch sie mussten sich den starken Ausländern geschlagen geben. So manche Buhrufe und Pfiffe trafen vor allem die amerikanischen Sportler.
Auch im 'Sport-Album der Radwelt' von 1910 wird das schlechte Abschneiden der Deutschen hervorgehoben. Lag es am Mangel an Erfahrung, am fehlenden Training oder gar daran, dass "sie nicht über die an Fanatismus grenzende zähe Ausdauer und Willenskraft verfügen, die namentlich die beiden Amerikaner auszeichnete"?
Die Sixdays waren jedoch bereits in ihrer ersten Ausführung ein Ereignis, dass nicht allein unter sportlichen Gesichtspunkten bewertet werden musste. "Vor allem konnte man konstatieren, dass das Sechstagerennen eine über alles Erwarten starke Wirkung auf das grosse Publikum ausgeübt und Kreise in seinen Bann gezogen hatte, die den Radrennsport bis dahin kaum dem Namen nach gekannt hatten. Die Logen der Ausstellungshallen waren Tag und Nacht von einem Publikum mit Beschlag belegt, das sich mehr durch Eleganz und Zahlungsfähigkeit, als durch grosses sportliches Verständnis auszeichnete. Besonders zahlreich war die Berliner Lebewelt vertreten, die sonst nach Mitternacht die Bars, Casinos und sonstigen weltstädtischen Rendez-vous-Plätze zu beleben pflegt. Bei den Herren war der Frack das vorherrschende Kleidungsstück und auch der von der Damenwelt entfaltete Toilettenluxus liess nach keiner Richtung hin zu wünschen übrig. Aber auch die wirklich vornehme Welt stand mit ihrem Interesse nicht zurück, und als sogar der deutsche Kronprinz sein Interesse für das Rennen nicht nur durch wiederholte Besuche, sondern auch dadurch bekundete, dass er sich die hervorragendsten Fahrer vorstellen liess und sie durch Geschenke auszeichnete, da konnte kein Zweifel mehr darüber herrschen, dass das Sechstagerennen die Gunst des Publikums und die öffentliche Meinung für sich gewonnen hatte."
Insgesamt gesehen wird von der 'Radwelt' der Verlauf des Geschehens freundlich beurteilt. Danach kann von einem schönen Erfolg gesprochen werden. Zumal die Sechstage den Fahrern während einer zeitlich eher flauen Rennphase zusätzliche Vedienstmöglichkeiten eröffneten.
Einer Wiederholung der Veranstaltung stand nichts im Wege - schon garnicht, als es mit Hilfe des Kronprinzen gelang, Walter Rütt die freie Einreise zu garantieren - unter großem Jubel wurde der Star beim zweiten Berliner Sechstagerennen 1910 seiner Rolle gerecht und gewann.
MachtfragenDas Berliner Sechstagerennen gab noch die Gelegenheit zu einer Entwicklung, die sich längerfristig zugunsten der Rennfahrer auswirkte.
Die Betreiber der Rennbahnen hatten sich im Verband Deutscher Radrennbahnen (V.D.R) zusammengeschlossen und versuchten ihre Bahnen möglichst wirtschaftlich bzw. gewinnbringend zu betreiben. Mit der Zeit hatten sie sich eine große Machtfülle zugelegt. Weltweit arbeiteten die Verbände kartellmäßig zusammen und akzeptierten untereinander die Wettkampfbestimmungen. Das hieß, sie konnten den Fahrern die Bedingungen diktieren und selbst Straf- bzw. Sanktionsmaßnahmen wurden einseitig und ohne Widerspruchsmöglichkeiten seitens der Sportler verhängt. Da diese bereits bei geringsten Verfehlungen ausgesprochen wurden und selbst die Verhängung eines lebenslangen Fahrverbots möglich war, zudem nicht immer unparteiisch vorgegangen wurde, baute sich auf Seiten der Fahrer mit der Zeit eine starke Opposition auf.
Der Fall Willy Bader brachte das Fass zum Überlaufen. Bader war 1908 mit anderen Fahrern wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 300 Mark verurteilt worden. Im Februar 1909 wurde Bader zusätzlich für drei Monate wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber dem Vorsitzenden des V.D.R. Knorr disqualifiziert. Bader war bereits für das Sechtagerennen gemeldet. Durch das dreimonatige Berufsverbot erwuchs ihm mindestens ein Verlust von 3 000 Mark. Die in Berlin versammelten Fahrer taten sich zusammen und drohten mit einem Boykott: Kein Start solange die Disqualifikation Baders nicht aufgehoben sei und er eine Entschädigung erhalten habe.
Die Fahrer hatten Erfolg, der V.D.R. gab nach. Es wurde eine Kommission gebildet, in der beide Seiten gleichberechtigt vertreten waren und der es gelang, den Fahrern für die Zukunft mehr Rechte zu garantieren.
Quelle: Sport-Album der Radwelt, 8. Jahrgang, 1910
ergänzende Informationen: Hans Aschenbrenner: 15. März 1909 »6 Tage sollst du strampeln ...«
von Maki © Cycling4fans April 2005
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