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Historische Rennberichte



Das erste Berliner Sechstagerennen 1909

 

Fredy Budzinski: Das erste Berliner Sechstagerennen. Ein Originalbericht:

>>> Vor und hinter den Kulissen

>>> Fotos vom 1. Berliner Sechstagerennen

>>> Portrait Fredy Budzinski



Hintergrund

Die Berichte aus den USA über die Sechstagerennen konnten entsetzen, sie handelten von unmenschlichen Anstrengungen, die Fahrern Tobsuchtanfälle bescherten oder sie in den Wahnsinn trieben. Selbst Todesfälle gab es zu vermelden. Die öffentliche Meinung in Deutschland stand fest, es handelte sich um reine Menschenschinderei ohne jeglichen sportlichen Wert.

Nur solche Schilderungen machten natürlich auch neugierig, regten die Phantasie und die Lust nach Sensationen an. Und dann hatte auch noch ein bekannter und beliebter deutscher Sprinter die mörderischen sieben Tage im Jahre 1907 erfolgreich beendet. Walter Rütt, der mangels lohnender Renn-Gelegenheiten in Deutschland seine Renneinsätze im Ausland suchen musste, ließ mit seinem Sieg den Wunsch nach einem deutschen Sechstagerennen stetig anwachsen.

 

Am Abend des 15. März 1909 war es dann, für viele überraschend, soweit: In den Ausstellungshallen des Berliner Zoologischen Gartens starteten 15 Mannschaften zum ersten Sechstagerennen auf europäischem Boden.

 



Maurice Brocco vor seiner Kabine beim 1. Berliner Sechstagerennen 1909


Publikumsgunst

"Der Sieger des ersten Berliner Sechstagerennens
A. Mac Farland, mit seinen 1,92 m Körpergröße überall "der lange Mac" genannt, wurde 1915 in San José/Californien im Streit mit einem Schraubenzieher erstochen."

(W. Gronen/W. Lemke)

Manche Stimmen sprachen davon, dass das Publikum dem Rennen gegenüber eher skeptisch eingestellt blieb. Offenbar fehlte der erfolgversprechende Publikumsliebling Walter Rütt, der in Paris festsaß. Da er seiner Musterungspflicht nicht nachgekommen war, drohte ihm bei der Einreise die Verhaftung. Es traten zwar viele bekannte deutsche Rennfahrer an, doch sie mussten sich den starken Ausländern geschlagen geben. So manche Buhrufe und Pfiffe trafen vor allem die amerikanischen Sportler.

 

Auch im 'Sport-Album der Radwelt' von 1910 wird das schlechte Abschneiden der Deutschen hervorgehoben. Lag es am Mangel an Erfahrung, am fehlenden Training oder gar daran, dass "sie nicht über die an Fanatismus grenzende zähe Ausdauer und Willenskraft verfügen, die namentlich die beiden Amerikaner auszeichnete"?

 

Die Sixdays waren jedoch bereits in ihrer ersten Ausführung ein Ereignis, dass nicht allein unter sportlichen Gesichtspunkten bewertet werden musste. "Vor allem konnte man konstatieren, dass das Sechstagerennen eine über alles Erwarten starke Wirkung auf das grosse Publikum ausgeübt und Kreise in seinen Bann  gezogen hatte, die den Radrennsport bis dahin kaum dem Namen nach gekannt hatten. Die Logen der Ausstellungshallen waren Tag und Nacht von einem Publikum mit Beschlag belegt, das sich mehr durch Eleganz und Zahlungsfähigkeit, als durch grosses sportliches Verständnis auszeichnete. Besonders zahlreich war die Berliner Lebewelt vertreten, die sonst nach Mitternacht die Bars, Casinos und sonstigen weltstädtischen Rendez-vous-Plätze zu beleben pflegt.  Bei den Herren war der Frack das vorherrschende Kleidungsstück und auch der von der Damenwelt entfaltete Toilettenluxus liess nach keiner Richtung hin zu wünschen übrig. Aber auch die wirklich vornehme Welt stand mit ihrem Interesse nicht zurück, und als sogar der deutsche Kronprinz sein Interesse für das Rennen nicht nur durch wiederholte Besuche, sondern auch dadurch bekundete, dass er sich die hervorragendsten Fahrer vorstellen liess und sie durch Geschenke auszeichnete, da konnte kein Zweifel mehr darüber herrschen, dass das Sechstagerennen die Gunst des Publikums und die öffentliche Meinung für sich gewonnen hatte."

 

Insgesamt gesehen wird von der 'Radwelt' der Verlauf des Geschehens freundlich beurteilt. Danach kann von einem schönen Erfolg gesprochen werden. Zumal die Sechstage den Fahrern während einer zeitlich eher flauen Rennphase zusätzliche Vedienstmöglichkeiten eröffneten. 

 

Einer Wiederholung der Veranstaltung stand nichts im Wege - schon garnicht, als es mit Hilfe des Kronprinzen gelang, Walter Rütt  die freie Einreise zu garantieren - unter großem Jubel wurde der Star beim zweiten Berliner Sechstagerennen 1910 seiner Rolle gerecht und gewann.

 



Machtfragen

Das Berliner Sechstagerennen gab noch die Gelegenheit zu einer Entwicklung, die sich längerfristig zugunsten der Rennfahrer auswirkte.

 

Die Betreiber der Rennbahnen hatten sich im Verband Deutscher Radrennbahnen (V.D.R) zusammengeschlossen und versuchten ihre Bahnen möglichst wirtschaftlich bzw. gewinnbringend zu betreiben. Mit der Zeit hatten sie sich eine große Machtfülle zugelegt. Weltweit arbeiteten die Verbände kartellmäßig zusammen und akzeptierten untereinander die Wettkampfbestimmungen. Das hieß, sie konnten den Fahrern die Bedingungen diktieren und selbst Straf- bzw. Sanktionsmaßnahmen wurden einseitig und ohne Widerspruchsmöglichkeiten seitens der Sportler verhängt. Da diese bereits bei geringsten Verfehlungen ausgesprochen wurden und selbst die Verhängung eines lebenslangen Fahrverbots möglich war, zudem nicht immer unparteiisch vorgegangen wurde, baute sich auf Seiten der Fahrer mit der Zeit eine starke Opposition auf. 

 

Der Fall Willy Bader brachte das Fass zum Überlaufen. Bader war 1908 mit anderen Fahrern wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 300 Mark verurteilt worden. Im Februar 1909 wurde Bader zusätzlich für drei Monate wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber dem Vorsitzenden des V.D.R. Knorr disqualifiziert. Bader war bereits für das Sechtagerennen gemeldet. Durch das dreimonatige Berufsverbot erwuchs ihm mindestens ein Verlust von 3 000 Mark. Die in Berlin versammelten Fahrer taten sich zusammen und drohten mit einem Boykott: Kein Start solange die Disqualifikation Baders nicht aufgehoben sei und er eine Entschädigung erhalten habe.

 

Die Fahrer hatten Erfolg, der V.D.R. gab nach. Es wurde eine Kommission gebildet, in der beide Seiten gleichberechtigt vertreten waren und der es gelang, den Fahrern für die Zukunft mehr Rechte zu garantieren.

Robl (1) - Dir. Knorr - Demke - Darragon - Butler
Grosser Preis von Europa, 30. September 1906


 

 

Quelle: Sport-Album der Radwelt, 8. Jahrgang, 1910

 

ergänzende Informationen:

Hans Aschenbrenner: 15. März 1909 »6 Tage sollst du strampeln ...«

 

von Maki

&copy Cycling4fans

April 2005


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