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Geschichte internationaler Radsport



von Rollen, Schläuchen, Krieg und Fortschritt

Teil IV Kniffe und Schliche unserer Schrittmacher



Ein fruchtbares Feld für ihre Erfindungen fanden die Schrittmacher im französischen Reglement. Die 20 cm-Rolle erschwerte die Fahrt, und man sah in ihr daher einen natürlichen Feind, der, wenn auch nicht beseitigt, so doch mit geheimen Mitteln bekämpft werden musste.

 

Es währte nicht lange, bis ein französischer Schrittmacher eine verstellbare oder verschiebbare Rolle konstruierte. Diese Rolle war am Start vorschriftsmässig, aber sobald der Steher einmal dagegen gefahren war, gab sie ihren 20 cm-Standpunkt auf und schmiegte sich an das Hinterrrad. (Anm.: Eine quer hinter dem Hinterrad der Schrittmachermaschine angebrachte auf Kugeln gelagerte Stange, die das Hineinfahren verhindern sollte.)

 

Mit dem über dem Hinterrade angeordneten Sattel hatte es auch bald ein eigenes Bewenden. Ein Schrittmacher konstruierte eine gleitende Sattelstütze, und sobald das Rennen begonnen hatte, verliess er seinen ersten Sitzpunkt und rutschte mit seinem Sattel ein Stück zurück, so dass der Dauerfahrer näher an seinen Rücken heranfahren konnte. – Dass es mit der Bekleidung beim französischen Reglement auch nicht immer ganz reell zuging, sei nur nebenbei erwähnt.



Und nun mag es interessant sein, einen Blick auf die "Ereignisse" früherer Jahre zu werfen.

 

Im Hamburger Wintervelodrom erschien für einen bekannten Dauerfahrer eins der ersten Motortandems, das dicht hinter dem Hinterrade eine Holzrolle von ziemlich grossem Durchmesser hatte. Diese Rolle wurde durch das Hinterrad der Führungsmaschine gedreht und diente dazu, einen Kontakt zwischem dem Hinterrrad der Führungsmaschine und dem Vorderrad der Rennmaschine des Fahrers herzustellen. Der Versuch war ganz befriedigend, denn der Fahrer wurde, solange er an der Rolle lag, mitgerissen, aber leider auch sein Vorderradreifen, und da die Rolle überdies einen Heidenlärm machte, verschwand sie bald wieder.

 



Sich Ziehenlassen

Das "Ziehenlassen" ist ein alter Trick. Er erfolgte auf verschieden Art. Der raffinierteste war das Befestigen einer Schnur am Trikot des Schrittmachers, deren Ende der Fahrer zwischen die Zähne nahm. Lange Zeit führte ein amerikanischer Fahrer diesen Kniff aus, ohne entdeckt zu werden.

 

Ein Schrittmacher konstuierte einen Magnetapparat, der eine Verbindung des schrittmacherlichen Rückens mit dem rennfahrerlichen Kopfe, resp. der Sturzkappe herstellen sollte. An der Sturzkappe des Fahrers und am Jackett des Fahrers befand sich eine kleine viereckige Stahlplatte, die am Rücken des Schrittmachers befindliche Platte war mit einem Magnetapparat verbunden und die Anziehungskraft setzte ein, sobald der Schrittmacher den Fuss auf den Fusshaken setzte. Nahm er ihn fort, war der Strom unterbrochen. Im Rennen kam diese gewiss geistreiche Erfindung nie zur Anwendung. Wie es heißt, beeinflusst der magnetische Strom die Kopfnerven des Rennfahrers.

 

Ein anderer, bei langen Rennen angewendeter raffinierter Trick wurde mit Hilfe einer Saugflasche ausgeführt. Ein Schrittmacher steckte eine Gummiflasche in die Tasche und reichte seinem Fahrer das am Ende des Schlauches befindliche Mundstück. Der Fahrer sog angeblich durch den Gummischlauch, der in einem Bogen schlaff herabhing, so dass von einem Mitziehen mit Hilfe des Schlauches anscheinend nicht die Rede sein konnte. Und doch war ein Betrug dabei. In dem Schlauch befand sich ein starker gebogener Draht, an dem sich der Fahrer mit den Zähnen festhalten konnte, ohne dass irgend jemand etwas von dem Betrug merkte (Abb. 14).



Gut oder schlecht?

Der vorliegende Artikel hat mancherlei Enthüllungen gebracht, über die man vom sportlichen Standpunkt entrüstet sein kann; aber menschlich begreiflich sind die Tricks der Schrittmacher, handelt es sich doch beim Radrennen um einen Krieg im Kleinen, und damit rückt auch die Kriegslist in greifbare Nähe. So verwerflich nun auch die Mogeleien sind, so muss man sie doch bewundern, da viel Genie in ihnen steckt und man aus ihnen ersieht, wie weit das Studium einer Sache die Menschen bringen kann. Wer wusste vor zehn Jahren etwas von der raffinierten Ausnutzung der Schrittmachermaschine als Luftzerteiler? Wer wusste, wann der Wind gebrochen werden muss, um dem Fahrer am dienlichsten zu sein? Erst im Laufe der Jahre sind die Schrittmacher und Dauerfahrer dahin gekommen, die Stellen, an denen sie im Kampfe mit dem Winde sterblich sind, herauszufinden. Sie haben dabei zu Miteln gegriffen, die sich nicht immer rechtfertigen lassen, und wenn die Enthüllungen über die raffinierten Tricks im vorstehenden erfolgt sind, so soll das sportliche Publikum darauf aufmerksam gemacht und eine weitere Ausführung vereitelt werden.  

 

Aber ehe man die Teufelskerle verurteilt, die mit allerhand Kniffen das Glück im Rennen und die Leistungsfähigkeit des Fahrers zu korrigieren suchten, soll man in Erwägung ziehen, dass sie mit der durch die Tricks bewirkten Erhöhung der Schnelligkeit die Gefahr für ihr Leben vergrösserten und damit einen Beweis ihrer Selbstlosigkeit gaben. Sie fürchteten nichts, wenn es das Interesse des Fahrers erforderte, und riskierten alles, sogar das Gelynchtwerden von seiten des empörten Publikums.







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