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Geschichte internationaler Radsport



Verbesserungen am Mann

Teil III Kniffe und Schliche unserer Schrittmacher



Lange sannen die Schrittmacher nicht nach. Ein findiger Kopf verlängerte sein Jackett durch Annähen eines 20 cm breiten Lederstreifens so geschickt, dass die Mogelei auf den ersten Blick nicht zu sehen war. Ein zweiter Schrittmacher trennte die Nähte seiner Jacke auf und setzte einen 4-5 cm breiten Streifen ein, wodurch das Jackett weiter und die Fülle der "Unterkleidung" erheblicher wurde. Ein dritter versetzte die Knöpfe, um den gleichen Effekt wie Nummer 2 zu erzielen, und ein vierter imitierte das ganze Jackett, indem er es aus Sackleinen herstellte und mit schwarzem Lack überzog. Die rauhe Oberfläche bot einen guten Windschutz, aber der V.D.R. bemerkte den Schwindel bald und das Jackett wurde kassiert. Die Schrittmacher waren darob aber nicht traurig, denn eingedenk der Erfahrungen mit der rauhen, Luftwirbel bildendenOberfläche der Wollbekleidung nahmen sie eine entsprechende Veränderung mit den Jacken vor. Sie raspelten mit einer groben Holzraspel die Vorderseite des Lederjacketts und die Aermel auf und zogen ausserdem wollene Mützen über die Sturzkappen. Bald wurde auch das Befeilen der Lederjacken verboten, und die List suchte ein neues Operationsfeld.



Bekleidungsvariationen

Jedem Schrittmacher war es gestattet, zwei Trikots unterzuziehen, aber aus diesen bewilligten zwei wurden erst vier, dann fünf, dann sechs Unterkleider und schliesslich befand sich ein vollständiges Kleiderlager unter der Lederjacke. Die Rennbahnbesucher wissen selbst, was alles zum Vorschein kam, denn die "Entkleidungsszenen" gehörten in das Programm jeder einigermassen anständigen Rennbahn. Dass es bei der starken Unterkleidung oft zu "Vorfällen" kam, die mit grösster Ruhe als unbeabsichtigt bezeichnet wurden, sei nur nebenbei erwähnt. So fielen z.B. oft die etwas sehr lang, meist bis zum Knie gehenden Trikots vor, aus den Aermeln lugten lange Wollärmel und aus dem Halskragen drängte sich eine Flut von Trikotgeweben (Abb. 9). Das ging auch nicht lange, die Jacken wurden scharf untersucht und der Jackenangriff vom V.D.R. so ziemlich zurückgeschlagen. Nicht geschlagen war der Erfindunsgeist der Schrittmacher, denn als die obere Schicht ihres Köpers zu scharf beobachtet wurde, wandten sie sich der unteren Schicht zu. Daran hatte der V.D.R. nicht gedacht. Gross war das Erstaunen der Sportwelt, als ein bis dahin ziemlich unbekannter Steher den Schritt in die Extraklasse vollendete. Man sann nach und fand bald, dass der Schlüssel zum Geheimnis in einer überaus weiten Hose des Schrittmachers lag. Der erfinderische junge Mann hatte sich, da es für die Beinkleidung keine scharfen Vorschriften gab, ein kolossal weites Beinkleid anfertigen lasen, und dieser Windschutz gestattete seinem Fahrer Rekordleistungen.

 

Damit war die "Ballonhose" gefunden, und nun begann ihre "Ausbildung". Die weite Hose liess natürlich weiten Spielraum und um eine zusammenhängende Wehr zu bekommen, liess sich ein Schrittmacher die Innenseiten der Hosen mit Drahthaken versehen, wodurch er in der Lage war, die Hosenbeine mit dem oberen Rahmenrohr zu verbinden. So entstand eine Lederwand und die Rundenzeiten fielen um Sekunden. Die Schrittmacher merkten aber bald, dass durch das Verbinden der Hose mit dem Rahmenrohr die Seiten zu sehr dem Luftzug ausgesetzt werden, und nun begann ein neues Erfinden.





Vor allen Dingen durfte mit den neuen "Hosentricks" kein Aufsehen erregt werden, denn weder der Renn-Ausschuss noch die Gegener durften vor dem Rennen etwas merken. Während des Rennens merkten alle etwas, nämlich eine kolossale seitliche Verbreiterung und Erweiterung der Hosenbeine. Und wodurch kam dies? Ein Schrittmacher hatte in die Beine seiner Hosen Holzbrettchen hineinlanciert. Am Start war dies nicht zu sehen, als er aber die Brettchen während der Fahrt im Hosenbein quer stellte, entstand ein vorzüglicher Windschutz (Abb. 10). Ein anderer Schrittmacher verfeinerte den Trick. Er liess sich zwei Ovale aus Klaviersaitendraht anfertigen, nähte sie in zusammengebundenem Zustande in die Hosenbeine ein, und erst wenn das Rennen begonnen hatte, löste er die Verschnürung, so dass die Ovale aufsprangen und die Hosenbeine ausdehnten (Abb. 11, 11a).



Der Luftsaugapparat

Diese Tricks hatten noch kleine Nebenerscheinungen, aber das Höchste auf dem Gebiete der Ballonhosen vollbrachte doch ein im Dienste eines Ausländers stehender deutscher Schrittmacher. Nach einer mit einem gewöhnlichen Trichter vorgenommenen Probe konstruietre er einen Apparat, der als Luftsaugapparat zur internationalen Berühmtheit gelangt ist. Der Apparat besteht aus einem der Brust des Schrittmachers angepassten Blechkasten, an dem sich vorn eine Oeffnung befand. Am hinteren Ende des Kastens waren zwei kurze und zwei lange Röhren angebracht.

 



Die kurzen Röhren gingen in die Jacke und die längeren Röhren in die Hosenbeine. Die Oeffnung wurde am Start ebenso wie der ganze Apparat unter der Jacke verborgen. War das Rennen im Gange, dann legte der Schrittmacher die vordere Oeffnung bloss. Die Luft wirbelte natürlich sogleich hinein, verteilte sich durch den Apparat in die Jacke und in die Hosenbeine und füllte den Anzug des Schrittmachers nach und nach mit Luft, da Aermel, Beinkleid, Kragen und Leibriemen fest verschnürt war. Die einmal gefangene Luft konnte nicht wieder heraus und der Schrittmacher glich bald einem aufgepumpten Gummimann. Der Steher hinter ihm war natürlich der Schnellste und gewann spielend (Abb. 12, 12a).

 

So genial dieser Trick auch war, so wenig Verständnis fand er beim V.D.R., der einen Rennfahrer deswegen kurzerhand distanzierte und von da ab ein wachsames Auge auf die Luftsaugapparate hatte. Hierbei sei jedoch bemerkt, dass der Luftsaugapparat zwei Jahre lang existierte, ehe der V.D.R. dahinter kam und dass die Entdeckung nur der Ungeschicklichkeit eines Schrittmachers zuzuschreiben ist.

 

Der Luftsaugapparat wanderte also den Weg aller bisher vom V.D.R. entdeckten "Erfindungen" schrittmacherlichen Geistes und anderes musste ersonnen werden. Das wurde gefunden, indem man sich die Jacken aufschnitt und in den Löchern den Wind fing. Dies unterband der V.D.R. auch bald, und nun wandten sich die Schrittmacher ihren untersten Extremitäten zu. Jacke und Hose war bereits "erprobt", also waren die Gamaschen das Nächstliegende.

 

Viel liess sich mit den Dingern allerdings nicht anfangen. Man wählte zuerst ganz niedrige Gamaschen, damit die Hose weiter über den Fuss falle, als jedoch der V.D.R. die Höhe vorschrieb, konstruierte man die Klappgamaschen, d.h. Gamaschen, deren Verschlussklappe sehr breit war. Diese Klappen richtete man nach vorn und sobald das Rennen begonnen hatte, wurde eine dünne, kaum sichtbare Schnur gelöst, die den Klappen Spielraum gab. Der Wind drückte die Klappen zurück und an jedem Bein hatte der Schrittmacher einen Flügel. Dieser Trick hielt den Verboten des V.D.R. auch nicht lange Stand, und der Scharfsinn unserer Schrittmacher musste etwas Neues hervorbringen.

 

Und das Neue kam. Allerdings hatte die Fülle der Tricks abgenommen, da man nach und nach alles unterbunden hatte, aber damit war der Erfindungsgeist der Schrittmacher noch nicht erschöpft. Abgesehen von kleinen Variationen im Luftfangen, Gamaschenöffnen etc. gab es nicht viel Erwähnenswertes, nur ein Trick, der dem Luftsaugapparat an Genialität gleichkommt, sei hier erklärt.  



Der Stulpentrick

Auf einer bedeutenden Rennbahn erschien ein Schrittmacher vollkommen vorschriftsmässig bekleidet am Start. Nichts liess auf einen Trick schliessen, aber während der Fahrt glaubte man eine kleine Veränderung zu bemerken, nahm ihn aufs Korn und besah ihn sich, als er von der Maschine gestiegen war. Man fand nichts, soviel und solange man auch an ihm herumtastete. Und doch hatte der Schrittmacher einen ganz geistreichen Trick ausgeführt.





Das unschuldige Wurm hatte sich Reiterstiefel angezogen, deren extra starke Stulpen über das Knie ragten. Oben an den Stulpen befand sich ein dünner Draht, der unter der Hose und der Jacke entlang lief und an der Schulter des Schrittmachers befestigt war. Solange der Fahrer aufrecht stand, war nichts von den Vorbereitungen zu sehen, aber sobald er sich auf seine Maschine setzte, trat die Vorrichtung in Aktion. Die Stulpen stiegen alsdann über das Knie hinaus gerade empor und hoben selbstverständlich die Hose hoch. Die Schnur war so berechnet, dass sie sich straff zog, wodurch Hosenbein und Jackett in die Höhe gehoben wurden und das Ganze einen grossartigen Windschutz darbot (Abb. 13, 13a). Man mag sagen, was man will, die Genialität dieser Tricks kann man nicht bestreiten, und man muss die Erfindungsgabe der Schrittmacher bewundern, so sehr man auch auf eine Beseitigung der Mogeleien auf der Radrennbahn dringen muss.






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