Weiter ausgegrenzt blieben die Frauen durch die Entwicklung des Hochrades, auf das sich in Europa nur wenige Artistinnen wagten. In den USA dagegen sollen Frauen Rennen gegeneinander, gegen Männer und gegen Pferde ausgetragen haben. Als den Sitten der Zeit angepasste, ‚elegantere’ Lösung erwies sich das Dreirad. Selbst Queen Victoria soll sich damit auf den Gartenwegen des Buckingham Palastes vergnügt haben.
Da das Hochrad auch für Männer vielfältige Nachteile barg, ging die Weiterentwicklung in Richtung des Fahrradtyps, den wir heute noch kennen. Manche Männer allerdings ahnten schnell wohin das führen könne und so forderte ein Vereinsfunktionär, der die „Männlichkeit in den Grazer Radsportvereinen“ akut gefährdet sah: „Das Niederrad für die Frauen und die ‚Alten’, das Hochrad für die Jugend sollte der Wahlspruch jedes wahrhaft sportlichen Radsport-Vereines sein!“ Gerechterweise muss gesagt werden, die wahre Sportlichkeit war auch gefährdet durch junge mutlose Männer, auf die man gut verzichten könne. (Hochmuth)
Der Siegeszug des Niederrades war nicht mehr aufzuhalten, begünstigt durch die von John Boyd Dunlop entwickelten Gummischläuche, den Pneumatics, die 1888 eingeführt wurden, obwohl harte Männer abschätzig vom ‚Puddingrad’ sprachen. Die schnell entwickelten Damenradversionen genügten den meisten Anforderungen. Noch heute prägen sie unsere Fahrradmodelle.
die neue FreiheitMädchen, die toben, laufen, hüpfen, springen? Nicht in den feinen bürgerlichen Kreisen. Sie hatten im Hause zu bleiben und sich Handarbeiten, dem Klavierspiel bzw. den schönen Künsten zu widmen, Beschäftigungen, die auch für ihr Erwachsenenleben taugten. Eigenständiges Leben und Entscheiden wurde ihnen weitgehend verwehrt. Kein Wunder, dass Frauen kränkelten, ihr Gesundheitszustand häufig schlecht war. ‚Bleichsucht’ (Blutarmut), ‚Neurasthenie’ (Nervosität) verbunden mit Kopfschmerz, Schlaflosigkeit und diversen allgemeinen Befindlichkeitsstörungen gehörten zum ‚Wesen der Frau’, gehörten sogar zum ‚weiblichen Ideal’. Der als fortschrittlich beschriebene Arzt Fressel brachte es auf den Punkt. Ihm zufolge waren 90% dieser Leiden „funktionelle Störungen hervorgerufen durch Langeweile und Mangel an Gelegenheit und geeigneten Mitteln für die Frau, ihren Überfluss an Muskel-, Nerven- und organischer Kraft zu verarbeiten.“(Bleckmann).
Viele bürgerliche Frauen waren mit dieser Situation unzufrieden. Da verwundert es nicht, dass das Fahrradfahren von diesen mit Freude aufgegriffen wurde. Sie waren damit nicht mehr an das Haus gebunden, konnten aus der Stadt heraus fahren und Gegenden erkunden, die ihnen zuvor trotz gelegentlicher Kutschausfahrten unbekannt geblieben waren. Das Fahrrad war wendig und schnell. Sie erlebten Bewegung, Geschwindigkeit und Freiheit. Die Selbstwahrnehmung änderte sich entscheidend. Geistesgegenwart, Mut und Ausdauer wurden erfahren, ‚Selbstständigkeit in Bewegung und Handeln’ eröffneten völlig neue Perspektiven.
Klar, dass solch ein Gebaren bei vielen Zeitgenossen auf heftigen Widerstand und Skepsis stieß. Etliche Ärzte sprachen Warnungen aus. Was nach herrschender Ansicht wider die Natur war, konnte nicht plötzlich gesund und empfehlenswert sein. Der anstrengende Aufenthalt im Freien und die ungewohnten Bewegungsabläufe gaben Anlass zu schlimmsten Befürchtungen. War schon bei den Männern Vorsicht geboten, welche entsetzlichen Auswirkungen mussten erst bei den Frauen angenommen werden. Wobei man ruhig unterstellen kann, dass die Warnungen mehr auf das gängige Verständnis von statthafter Weiblichkeit und Ästhetik zurückgingen als auf tatsächliches medizinisches Wissen. Die Vorteile des leichten, Überanstrengung meidenden Radfahrens wurden jedoch bald von der Mehrheit der Mediziner anerkannt. Der positive Einfluss auf Wohlbefinden, Lebenslust, Zuversicht und Gesundheit war offensichtlich. Im Detail entbrannte allerdings mehr Streit. Die richtige Haltung z. B. bedurfte der Diskussion. Sowohl Herren als auch Damen liefen Gefahr sich einen „Krummrücken“ oder „Katzenbuckel“ einzuhandeln. Einem Dr. Steinhoff zufolge hatte bei den Herren der mit 'Sorgen beladene Hauptkörperteil, der Kopf' die Tendenz den Oberkörper nach unten zu ziehen. Bei den Damen hingegen hatte eine aufrechte Körperhaltung auf dem Rad ein absolutes Muss zu sein, da ihr ‚Lebenszweck’ „mehr in den unteren Teil des Körpers als in den Kopf verlegt ist“, und ihr Körperschwerpunkt ohnehin tiefer liege. (Bleckmann)
Manche Ärzte warnten vor Knochendeformationen, welche die Fortpflanzungsfähigkeit der Damen auf das Schlimmste behindern könnten, Unfruchtbarkeit drohte. Es gab auch Stimmen, die genau das Gegenteil vermuteten.
Phantasien lebten auf, schon das Rittlings-Sitzen der Damen auf einem Sattel regte viele Zeitgenossen zu heftigen Überlegungen an. Die herrschende Prüderie, die dem Manne zwar gelegentliche sexuelle Freiheiten zugestand aber die Frau als tugendhaftes asexuelles Wesen zu betrachten beliebte, begünstigte Ansichten, wonach das Fahrradfahren einen verderblichen Einfluss auf die Keuschheit der Frau nahm.
Die Diskussionen um das Für und Wider des Radfahrens hinsichtlich seiner Auswirkungen auf das leibliche und geistige Wohl der Frauen offenbarte viel über Moral- und Herrschaftstrukturen, männliche Obsessionen und Ängste. Heftig wurde theoretisiert, die Frauen allerdings wurden kaum gefragt. Kein Wunder, dass bei einigen von ihnen der Eindruck entstand, dass Frauen „wie Fabeltiere behandelt werden, über die man sich Ammenmärchen erzählt.“ (Rosa Mayreder). Und ob diese Diskussion überhaupt von vielen radelnden Frauen verfolgt wurde, bleibt zumindest fraglich. die KleidungDie wichtigere Frage für die Frauen war die nach der angemessenen Kleidung auf dem Rad. Neben dem Korsett bestand die Alltagskleidung der bürgerlichen Damen „aus bodenlangem Rock über zwei Unterröcken sowie ‚Unterbeinkleidern’. Letztere waren weite, bis unter die Knie reichende Hosen, mitunter in Kniebundform. Zusammen mit der Bekleidung des Oberkörpers und den diversen modischen Accesoires wie Hüten und Handschuhen ergab sich ein Gewicht von 12 bis 15 Pfund.“(Bleckmann) Damit ließ sich kaum auf dem Rad vorwärtskommen.
Befanden einige Ärzte das Korsett wegen seiner stützenden Wirkung für die Frau, die solches immer gewohnt war, unbedingt für nötig, setzte sich allgemein die Meinung durch, dass leichtere Gebilde oder Ersatzmittel wie Büstenhalter oder ‚andere Konstruktionen’ dem Radeln zuträglicher waren. Die betroffenen Frauen meinten dies ohnehin, auch wenn es nach A. Rother, streitbare Berliner Radlerin, in Frankreich etwas länger dauerte, bis die Damen sich vom Korsett trennten.
Die langen, schweren Röcke stellten ein größeres Problem dar. Alternativen zu finden war nicht einfach. Des Gewichtes wegen musste auf die Unterröcke verzichtet werden, damit konnte der Rock jedoch hoch wehen und die Beine freigeben. Die Unterbeinkleider hatten somit dunkel zu sein und schnell stand der Vorschlag im Raum, den Rocksaum ‚mit flachen Bleiplättchen oder Schrotkörnern’ zu beschweren.
Es kam wie es kommen musste, die Hose für Radlerinnen war im Gespräch. Die Bloomers, weite Pluderhosen, erlebten ihre Renaissance. Sie wurden bereits 1851 von der Amerikanern Amelia Bloomer, einer bekannten Frauenrechtlerin vorgeschlagen. Ihr Bloomerkostüm, gedacht für Frauen, die sich im Alltag freier bewegen wollten, bestand aus zugeknöpften Hosen, über die ein Rock bis knapp unter das Knie getragen wurde. Das Kostüm galt damals als so anstößig, dass der Papst es 1868 auf den Index setzten ließ. Solche Pumphosen wurden nun neu angeboten, auch ohne Überrock, aber teilweise waren sie so lang und weit, dass sie sich kaum mehr von einem Rock unterschieden.
Der ‘geteilte Beinkleidrock’ erwies sich da als schicklicher. Das war ein weiter Hosenrock unter dem eine Pumphose getragen wurde, der, sollte es ganz korrekt sein, ein einknöpfbares Vorderteil aufwies. Die gewohnte Silhouette der Dame blieb erhalten. Der Stoff verteilte sich gleichmäßig auf beide Seiten des Rades aber leider unterschied sich die Gesamtstofffülle kaum noch vom herkömmlichen Kleid.
Es wurden auch Konstruktionen ersonnen bei denen kraft eines Zugseils der hintere Rockteil so weit hochgerafft werden konnte, dass ein leichteres Aufsteigen möglich wurde ohne dass das allgemeine Erscheinungsbild großen Schaden nahm. Diesem Bedürfnis kam auch ein ‚Kleiderraffer ringsherum’ entgegen.
Für engagierte Radlerinnen war klar, dass die Hose gegenüber dem Rock vor allem unter sportlichen Gesichtspunkten, auf langen Ausfahrten oder gar Touren, nur Vorteile hatte. Amelie Rother über ihre Erfahrungen am Berganstieg: „Will man also nicht absitzen und beiseite treten oder im Leichenwagentempo dem voranbummelnden Kutscher folgen und dessen Staub schlucken, so muss man auf der Seite des Abgrundes bei ihm vorbei. Hakt hier das Pedal ins Kleid, so kostet es den Hals oder mindestens einige Knochen und die Maschine. Denn entweder stürzt man in den Abgrund oder in den Wagen hinein. Man stirbt ja dann allerdings in dem stolzen Bewusstsein, dem Kleide Treue bis zum Tode bewahrt zu haben und das mag auch etwas wert sein. Ich bin leider nicht so romantisch veranlagt und lobe mir auf der Tour die Hose.“
Durchsetzen konnte die Pumphose sich langfristig nicht. Die Entwicklung der Hose zur für Damen üblichen Alltagskleidung lag noch in weiter Ferne. Der Rock blieb selbst auf dem Rad das meistgetragene Kleidungsstück. Dem widersprachen im Allgemeinen die Damen, zumindest in Deutschland, nicht, die Französinnen sollen da etwas unbefangener gewesen sein, eine ‚ligue du costume rationel’ unterstützte sie in diesem Verhalten und in Oxford /England hielten in Kniebundhosen dinierende Frauen gar einen (später so genannten) ‚Hosenkonkreß’ ab.
Vielleicht erinnerte das Hosenkostüm zu sehr an das Bild einer Frau, die zuhause ‚die Hose anhatte’. Mochte das im privaten Bereich gelegentlich nicht vermeidbar sein, auf der Straße galt es einen entsprechenden Eindruck unbedingt zu vermeiden. Das Gespenst der selbstständigen, selbstbewussten Frau ging um, Unterschiede liefen Gefahr aufgehoben zu werden, die Zivilisation schien gar in Gefahr.
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