25 Stundenrennen am 2. und 3. Dezember 1911
Berliner Sportpalast
Ihre Bitte, Ihnen das schönste Rennen meiner Laufbahn zu schildern, hat mich etwas in Verlegenheit gebracht. Ich habe mein sechzehntes Rennjahr hinter mir und bin nach dem Tode meines unvergeßlichen Kameraden Peter Günther der älteste deutsche Dauerfahrer, so daß mein Schatz an Erinnerungen sehr reich ist, aber ich habe alle Berichte über die von mir bestrittenen Rennen fein säuberlich in Büchern aufbewahrt und beim Wühlen in diesem Erinnerungsreichtum bin ich mir über mein schönstes Rennen schlüssig geworden. Unter 468 Rennen - Dauerrennen, Fliegerrennen, Sechstage-Rennen - mit 212 ersten, 115 zweiten und 75 dritten Preisen habe ich das im Berliner Sportpalast ausgefahrene '25 Stundenrennen am 2. und 3. Dezember 1911' als das schönste Rennen meines Lebens herausgefunden.
Für das 25 Stunden-Rennen hatte man mir den Holländer Stol als Partner versprochen. Man kann sich denken, dass mich dieses Versprechen sehr siegesbewusst machte, aber ich wurde in meinen Hoffnungen betrogen, da Stol sich weigerte, mit mir eine Mannschaft zu bilden. Welche Gründe der Holländer für seine Weigerung hatte, weiß ich nicht, aber man wird meinen Zorn über die Verweigerung meiner Partnerschaft und mein leise aufsteigendes Rachegefühl begreifen. Stol verband sich mit seinem Landsmann Schilling und ich musste den für das Rennen in letzter Minute verpflichteten Miquel zum Kampfgenossen nehmen. Stol-Schilling erhielten die Nummer 13 und wir mussten unter Nummer 7 fahren.
Bei riesigem Besuch begann das Rennen unter Leitung Rütts. In den ersten Stunden gab es Prämienjagden und Überrundungsversuche, denen indessen nur die schwächeren Mannschaften zum Opfer fielen. In der 15. Stunde lagen Stol-Schilling, Hoffmann-Sonntag, Stabe-Pawke, Charron-Rousseau, und Stellbrink-Miquel an der Spitze. Diese Spitzengruppe gelangte bis zur 20. Stunde, in der Packebusch eine wilde Jagd entfesselte. Stol ging dem Ausreißer nach und von dem auf eine Entscheidung zugunsten Stol-Schillings hoffenden Rütt angefeuert, ging der Holländer nach Einholen Packebuschs zum Angriff über. Das Feld war gesprengt. Rütt schien nur Augen für seinen alten Sechstage-Partner zu haben und in immer hellerer Aufregung spornte er ihn an. Schnell wurde Schilling ins Rennen geschickt und von Rütt beständig angefeuert, als Miquel mit seiner erstaunlichen Schnelligkeit den Holländer erreichte. Über diese hervorragende Haltung meines Kampfgenossen war ich umsomehr erfreut, als wir von Anfang an unser Augenmerk auf Stol-Schilling gerichtet hatten und Miquel wohl wusste, dass er in diesem Augenblick auf mich rechnen und sich ausgeben konnte. Ich nahm meinem Partner die Last des Kampfes ab und immer geringer wurde der Abstand, der mich von Schilling trennte. Als Stol wieder ins Rennen ging, lag ich zehn Meter hinter ihm. Miquel trat wieder ins Rennen und der wie ein besessener fahrende Stol schoß an Stabe-Pawke, Hoffmann-Sonntag und Finn-Ehlert vorbei, ohne die Lage indessen zu seinen Gunsten gestalten zu können. Als ich den Angriff auf die holländische Festung wieder in Miquels Hand legte, hatten wir gewonnenes Spiel, und in der 18. Runde der Jagd erfüllte sich das Schicksal der Mannschaft Stol-Schilling. Noch einmal flackerte der Kampf auf, als Schilling ins Rennen kam und mich ermattet glaubte, aber es war nicht mehr zu ändern, denn zähe hielt ich das Errungene fest. Was ich in diesem Augenblick empfand, kann ich nicht schildern, aber ich weiß, dass es für mich der Höhepunkt des Rennfahrerglücks gewesen ist und dass ich dieses Rennen als das schönste meines Lebens bezeichnen darf.
Nach dem Kampf, der für mich den schönsten Erfolg, für Stol wohl die bitterste Niederlage bedeutete, war Stol so niedergeschlagen, dass er die Bahn verließ und nicht wieder erschien. Wir gewannen das Rennen mit 708.800 km gegen Stabe-Pawke, Finn-Ehlert, Techmer-Tadewald, Schallwig-v.Natzmer und Marx-Packebusch und ich war über den Erfolg besonders erfreut, als ich mit dem Rennen das erste Rennen als Ehemann, acht Tage nach meiner Hochzeit, gewinnen konnte.
Das war mein schönstes Rennen im Kampf gegen Fahrer von Ruf, aber für jeden Rennfahrer gibt es ein Rennen, das er als das schönste seines Lebens bezeichnen müsste, und zwar das Rennen, in dem er den ersten Erfolg erzielt hat. Für mich war dieses Rennen ein Vorgabefahren als Herrenfahrer auf der Treptower Bahn am 12. April 1903. Ich belegte in diesem Rennen mit 100 m Vorgabe den dritten Platz hinter Hufe (40) und Voigt (40) und erhielt im Rennbüro einen Gutschein über 10 Mark auf ein Juweliergeschäft. Ich weiß, dass ich damals über meinen ersten Erfolg eine Freude hatte, die ich später bei großen Erfolgen nicht im gleichen Maße empfunden habe.
Arthur Stellbrink
>>> siehe auch das Portrait Arthur Stellbrink
Quelle: Sport-Album der Rad-Welt, 17. Jahrgang, 1919
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