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Antidoping



Dossier Reform Antidoping





Unabhängigkeit der Organe des Anti-Doping-Systems - Transparenz

Der Ruf nach Reformen des Anti-Doping-Systems beinhaltet meist die Klage über fehlende Unabhängigkeit seiner einzelnen Organe und über die sich daraus ergebenden Interessenskonflikte. Das System ist Teil des internationalen Sportnetzwerkes in dem alle Stränge eng miteinander verwoben sind. Rein formal sieht die Struktur zwar aus, als existiere sie relativ selbstständig neben den Sportverbänden, doch Personalpolitik, Entscheidungsstrukturen und Finanzierungsmodalitäten zeichnen ein anderes Bild.

 

Ganz oben auf der Prioritätenliste der Forderungen nach Unabhängigkeit stehen Änderungen bei der WADA. Sie kommen nicht nur von Beobachtern und externen Kritikern des Sport- und Anti-Doping-Systems, sondern auch aus deren inneren Kreisen. Auf allen Ebenen bis hinein in das IOC werden entsprechende Erklärungen und Analysen verabschiedet, doch oft haben sie lediglich den Charakter von Sonntagsreden. Nicht selten zeigen sich dabei Widersprüche und reine Machtspiele. Sei es, dass selbst die eigenen Strukturen Unabhängigkeit vermissen lassen, sei es, dass die Unabhängigkeit im Zusammenspiel der anderen gefordert wird, dabei der eigene Einfluss jedoch gewährleistet werden muss.

 

Die Rufe nach Unabhängigkeit des Anti-Doping-Systems sind letztlich so alt wie es Dopingstrukturen im Sport gibt. Diese Sportsysteme sind seit jeher weitgehend geschlossene Systeme, denen es immer schwer fällt, Einfluss und Macht abzugeben und sich in die Karten blicken zu lassen.



Änderungen WADA-Code 2021:
Unabhängigkeit und Transparenz:
... Es wurde klargestellt, dass die Verfahren von unabhängigen Gremien durchgeführt werden müssen und Interessenskonflikte in der Anti-Doping Arbeit auszuschließen sind. Die Anforderungen an Regierungen, Internationale und nationale Sportfachverbände, Nationale Anti-Doping Agenturen und Veranstalter wurden vertieft und konkretisiert.
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Häufig wird Abhängigkeit an einzelnen Positionen und Personen festgemacht. Beispiele wären: Craig Reedie: WADA Präsident und Mitglied des IOC Exekutiv-Komitees; Joan Coates: CAS-Präsident und Vorsitzender des Austalischen Nationalen Komitees, IOC-Vize-Präsident; Athlet*innenvertreter gleichzeitig in Sport- und Anti-Doping-Organisationsgremien.

Vermischungen ergeben sich z.B. auch wenn Ermittlungs- und Disziplinarverfahren zusammen unter dem Dach einer NADA angesiedelt sind oder gar im Einflussbereich von Sportverbänden liegen, die selbst möglicherweise kein Interesse daran haben, dass Dopingfälle publik werden. Solche Abhängigkeiten lassen vergleichsweise leicht erkennen, kritisieren und ändern, so man denn will.

 

Schwieriger wird es, wenn Strukturen infrage gestellt werden und die Gründe der Abhängigkeiten analysiert werden müssen. Die dabei zutage tretende Komplexität und Vielfalt entziehen sich einfachen Lösungen, entsprechend seltener werden Problemlösungen angeboten.

 

Voraussetzungen für Reformen der Strukturen ist deren weitgehende Transparenz einschließlich der Entscheidungsabläufe. Dazu gehören insbesondere auch wissenschaftlichen Voraussetzungen der angewandten Test- und Analysestrategien, die regelmäßig überprüft und transparent diskutiert werden sollten. "It is imperative that the prevalence of doping and the likelihood of false-positive doping tests be regularly updated and made available for the wider antidoping research community to explore new approaches that could improve the validity of antidoping tests." (Perikles Simon, Elmo Wi Neuberger, Guan Wang, Yannis P Pitsiladis)

 



Unabhängigkeit und Transparenz - ist das möglich?



Slobodan Tomic, Consultant bei I Trust Sport und University College London (UCL)

Welch Vielschichtigkeit vorliegt, zeigt der Beitrag von Slobodan Tomic. Darin wird deutlich, dass die Diskussion um Unanhängigkeit nicht zu trennen ist von den Forderungen nach Transparenz. Ob Abhängigkeiten bestehen, auf welchen Ebenen auch immer, ob diese womöglich unvermeidlich oder sogar sinnvoll sind, lässt sich letztlich nur beurteilen, wenn Einblicke gewährt sind.

 

Die Komplexität des weltweiten Anti-Doping-Netzwerkes wird durch folgende Auflistung der mitspielenden Stakeholder verdeutlicht:

LSE, 17.1.2017: Table 1: Network of stakeholders in the anti-doping regime

 

Slobodan Tomic spricht von einem polyzentrischen System, in dem die Stakeholder in sehr unterschiedlichen Beziehungen zueinander stehen, die kaum aufgeschlüsselt, koordiniert und legitimiert sind und in dem auf vielen Ebenen um Führungspositionen gekämpft wird. Es mangele an klaren nachvollziehbaren hierarchischen Strukturen, letztlich sei kaum erkennbar, wer für wen, für was, nach welchen Standards handele und welche Effekte sich daraus ergäben.

Should governments, who fund WADA with a 50% contribution, hold the latter to account for the outcomes of anti-doping policy, or should it be the IOC, which initiated the creation of WADA in 1999 and which provides the other 50% of WADA’s budget? Or should this be an ’umbrella’ international organisation such as UNESCO or similar? Should WADA be held accountable at all for those failures that are beyond its powers and control? Regrettably, the legislation defining the institutional design of the anti-doping regime is silent on such issues.



Beispiel für Schlammschlachten:
Der Vorsitzende der Internationalen Vereinigung der Sportverbände (GAISF) Patrick Baumann wirft NADOs Interessenskonflikte vor, sie wurden häufig nicht im Interesse des Sports sondern aus Business-Gründen argumentieren, im Gegensatz zu den Verbänden.
insidethegames.biz, 5.3.2018
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Das Fehlen klarer Vereinbarungen über Zuständigkeiten schafft zwischen den Hauptakteuren Raum für Schlammschlachten über ihre Rollen im System. Deutlich zeigt sich das in den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen IOC und WADA. Auch wenn sich Regierungen eher zurückhaltend in die öffentliche Diskussion einmischen, gibt es etliche Beispiele, in denen Politiker massiv Einfluss ausübten und verlangten (Beispiel Gründung WADA 1999). Tomic betont, dass viele Verantwortlichkeiten, die häufig als gegeben angesehen werden, längst nicht festgeschrieben sind sondern lediglich auf ständig neu ausgehandelten informellen Vereinbarungen beruhen.

 

Wen daher ernsthaft über Reformen des Anti-Doping-Systems diskutiert und verhandelt werden soll, muss dieser Gesamtkomplex betrachtet werden. Die Rollen und Zuständigkeiten der Mitspieler benötigen Verbindlichkeit. Damit wird es auch einfacher, die Machtverhältnisse zu erkennen und zu hinter fragen und Konfliktemanagement wird besser.

The roles and expectations of all stakeholders need to be specified, and appropriate accountability arrangements assigned. This would include defining the role of the state in the transnational anti-doping regime, international organisations’ roles, and scope for action of the other stakeholders such as WADA and the IOC. It would then be possible to match the powers with responsibilities for the overall anti-doping regime (and parts of it).

 

Interdependences, inherent to polycentric regimes, will by no means disappear, but they will become more manageable. Having clearer lines of responsibility and stakeholders’ roles can improve mutual collaboration and reduce the scope for blame-games, dispelling much of the current unease within the anti-doping world.

 



Helmut Digel, Ex-Funktionäre des DLV und des IAAF

Helmut Digel hinterfragt auf seinem Blog ebenfalls die Diskussion um Unabhängigkeit und Transparenz. Seiner Meinung handelt es sich meist um wohlfeile Schlagworte ohne hinterlegte Substanz für sinnvolle Reformen. Populisten stellten populistische Forderungen auf, um deren Umsetzung sie sich nicht bemühten.

In der Debatte über den Anti-Doping-Kampf steht das Wort „Unabhängigkeit“ ganz oben auf der Tagesordnung. Der neu gewählte Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes Coe wiederholt diese Forderung gebetsmühlenhaft in jeder Rede und öffentlichen Stellungnahme. Politiker im Deutschen Bundestag übertreffen sich gegenseitig bei der Wiederholung dieser Forderung und die Redundanz ist kaum zu übertreffen, mit der das Wort Unabhängigkeit in Verbindung mit dem Dopingproblem in der öffentlichen Berichterstattung zum Stereotyp wird. ... Die Frage nach der Unabhängigkeit der WADA wird vor allem im Zusammenhang mit Fehlern gestellt, die ganz offensichtlich von der derzeit existierenden WADA gemacht werden. Dabei wird nicht überprüft, ob diese Fehler beseitigt werden können, wenn die WADA sich unabhängig darstellen würde oder ob die Fehler möglicherweise andere Ursachen aufweisen, die mit der Kompetenz des hauptamtlichen Personals und mit der Ausstattung der WADA, ihrer Definition und ihrem Auftrag zu tun haben. Eine genaue Fehleranalyse würde sehr schnell offenlegen, dass mit einer Forderung nach Unabhängigkeit die Probleme der WADA nicht gelöst wären. ...



Im Anti-Doping-Kampf stellt sich der Sport als geschlossenes System dar. Sollte eine Anti-Doping-Organisation wie die WADA völlig unabhängig von diesem System sein, so stellt sich die Frage nach deren Finanzierung. Es ist eine Binsenweisheit, dass jene, die bezahlen, davon ausgehen, dass sie etwas zu sagen haben. ... Dabei muss nicht nur das IOC als eine problematische Organisation im Anti-Doping-Kampf beobachtet werden, auch die Staaten, die im Verbund die WADA finanzieren, können durchaus als kritische Partei gesehen werden. Von einer völligen Unabhängigkeit kann deshalb bei einer staatlichen Förderung nicht die Rede sein. Bislang gibt es nur ganz selten Vorschläge, wie eine unabhängige Anti-Doping-Organisation finanziert werden müsste, damit zumindest eine relative Unabhängigkeit im Anti-Doping-Kampf erreicht wird. Aber auch die Frage, wie man sich die Entscheidungsgremien einer unabhängigen WADA vorstellt, ist bislang nicht beantwortet. Aus welchen Personenkreisen rekrutieren sich die angeblich unabhängigen Entscheider? Wer beruft sie für wie lange? Mit welcher Kompetenz müssen sie ausgestattet sein? Sollten es ausschließlich hauptamtliche Gremien sein, die allerdings dann ohne Markt agieren oder ist eine ehrenamtlich-hauptamtliche Kombination des Personals erwünscht? Viele weitere schwierige und schwer zu beantwortende Fragen müssen in diesem Zusammenhang noch gestellt werden.



Stimmen aus und zu Teilbereichen des Anti-Doping-Systems



Catherine Ordway, Transparency International

Catherine Ordway formuliert Vorschläge für eine Reform der WADA-Entscheidungsstrukturen. Ihrer Meinung nach sollte Athleten ein bedeutendes Mitspracherecht eingeräumt werden (blog.transparency.org, 9.12.2016):

Composition of WADA’s Decision-Making Bodies

... To strengthen WADA’s governance and remove the conflicts between the different stakeholders, as recommended by the IOC, requires rewriting WADA’s constitutional documents to allow for the appointment of independent decision-makers.

... Most of the policy-makers sitting on WADA’s Executive Committee are also on its decision-making body, the Foundation Board. In order for the Foundation Board to truly play an oversight role, there should not be an overlap of personnel.

 

To have any claim to ‘independence’, WADA must also sever the tie between receipt of funding, and eligibility for a seat at the WADA board table.

...

The separation will help to diminish, but not completely avoid, the issues around funding bodies influencing the way WADA operates. How ‘independence’ is defined and achieved is a challenge that needs to be worked through in consultation with all the major stakeholders. Athletes have the ultimate vested interest in ensuring that sport is played fairly, and that ‘innocent’ athletes are supported and protected (see reference 3 below).

 

The current financial and rights model must be turned on its head to give athletes the ultimate say on how sport is governed and policed. Inverting the power pyramid will open up dialogue around ensuring greater justice and economic benefits for athletes. A more representative WADA would see a broad, inclusive group of skilled people reflecting the demographics of the community, including athlete alliances, anti-doping specialists, scientists, professional team sport employers and sponsors.

 

Opening up the nomination process would also provide the opportunity for other organisations with an interest in supporting ‘clean’ sport, such as the UN Office for Drugs and Crime and the Global Organization of Parliamentarians Against Corruption, to increase their involvement. There is also capacity to expand UNESCO’s role in monitoring the implementation of the anti-doping convention.

 

An independent Foundation Board and Executive Committee will “strengthen [WADA’s] governance structure” by creating an additional internal accountability mechanism. The challenge will be to then develop a fair, inclusive process so the views of athletes can be more comprehensively reflected, replacing the current Athlete Commission model. ...

 



iNADO: WADA Unabhängigkeit

Das Institut der Nationalen Anti-Doping-Organisationen iNADO, in dem zur Zeit 67 Nationale Anti-Doping-Organisationen (NADO) zusammen geschlossen sind, versucht die Zusammenarbeit der NADO zu intensivieren, zu strukturieren und sich untereinander beim Aufbau vergleichbarer Strukturen zu helfen. Im Zuge der Skandale um IAAF und Russland meldeten sich das iNADO mehrfach kritisch zu Wort. Im häufiger wurden Entscheidungen des IOC attackiert. Dabei gerieten die Abhängigkeitsstrukturen desr Anti-Doping-Systems, insbesondere auch der WADA ins Blickfeld. Inwieweit eigene Abhängigkeitsstrukturen bestehen, blieb dabei weitgehend unberücksichtigt.

Am 23. März 2017 verabschiedete die iNADA eine Erklärung in Antwort auf eine IOC-Deklaration vom 16.3.2017, in der das IOC eine größere Unabhängigkeit der WADA einforderte, gleichzeitig aber die Notwendigkeit festschrieb, in den entscheidenden Gremien der WADA vertreten zu sein.

Strengthening WADA Requires Giving It True Independence

• In its Declaration, the IOC Executive Board acknowledges the merits of a stronger and more independent WADA. This aligns with the reforms outlined by NADOs in the Copenhagen Reform Proposals of August 30,2016.

 

•For example, the IOC notes that WADA must be “free” from the influence of sports organisations, and that WADA should have both a “neutral” President and Vice-President who have “no function in any government or governmental organisation or in any sports organisation.” These statements reflect an important agreement among all stakeholders including the IOC that sport can no longer be entrusted to both promote and police itself. The inherent conflict of interest is too great.

 

•Despite this position, the IOC goes on to declare it needs equal representation on the WADA Foundation Board and Executive Committee, and to rationalise why real independence is not possible – essentially arguing for maintaining the current system, which has repeatedly failed to make the rights of clean athletes the primary concern.

 

•The inconsistency of messaging from the IOC on the matter of independence of WADA is confusing. If it is serious about empowering WADA to be free from the influence of sports organisations, the IOC must step back from its efforts to maintain its operational influence.

 

•If the IOC is sincere about meaningful change and independence, the Copenhagen Reform Proposals outline the appropriate role of sport in global anti-doping practices. Most importantly, the reforms have found support in petitions signed by hundreds of athletes, as well as the indorsement of sports organisations, including National Olympic Committees that recognise WADA cannot be fully effective until sport influence is removed from WADA’s governance. Notably, at its recent Annual General Meeting, the 67-Member iNADO reiterated its resolute commitment to the global reforms outlined in the Copenhagen Reform Proposals.

 



Olivier de Pencier, Ex-Vorsitzender der iNADO und Rune Andersen, NADA Norwegen und Leiter der IAAF Taskforce zu Russlandd

Olivier de Pencier und Rune Andersen, beide erfahrene Personen im Anti-Doping-Gefüge, sprechen sich deutlich für die Sprengung von Abhängigkeitsstrukturen aus. Sie sehen Fortschritte aber auch noch viel Arbeit. Ein wichtiger Motor für Änderungen sind Skandale, die ihren Ursprung vor allem durch investigative Arbeit von Journalisten haben. Die darauf folgende breite Diskussion in der Öffentlichkeit erschwert das unter-den-Teppich-Kehren durch interessierter Kreise und kann Verbände zwingen, mehr Unabhängigkeit in ihren Strukturen zu schaffen. Als Beispiele nennen sie die UCI und den IAAF. Andersen gibt aber zu bedenken, dass Unabhängigkeit auch abgewogen sein muss, um Verantwortung zu schaffen. (Dlf-Sportgespräch, 29.10.2017)

Andersen: Und es braucht auch einen Wandel im Kontrollsystem. Es gibt nur zwei Weltsportarten, nämlich den Radsport und die Leichtathletik, die unabhängige Organisationen haben, die sich mit dem Anti-Doping-Kampf auseinandersetzen.

... Erst seit kurzem die Leichtathletik. Und da ist die CADF. Das ist die Agentur, die vor ein paar Jahren von der UCI eingesetzt wurde. Aber das ist die Lösung. Das ist nicht nur die Lösung im Kampf gegen Doping, sondern auch für den Sport selber. Denn Führung und Kontrolle sind elementare Dinge, mit der sich der Sport großflächig beschäftigen muss.

 

Schweizer: Da sprechen sie einen guten Punkt an. Damit kommen wir direkt zur WADA, der Welt-Anti-Doping-Agentur. Sie ist immer noch nicht unabhängig vom Sport. Es gab schon so viele Aufforderungen, die Verbindungen zum IOC zu lösen. Aber wie und wann kann das passieren, Herr de Pencier?

 

De Pencier: Erinnern wir uns daran, dass die WADA bewusst gegründet wurde, um die beiden Akteure, den Sport und die Verbände, zusammenzubringen, um ihre Energie, ihre Möglichkeiten und ihr Engagement zu bündeln, um gemeinsam Doping international zu bekämpfen. Die WADA ist jetzt 17 Jahre alt, also ein Heranwachsender, immer noch ein Teenager. Wir sind jetzt in einer Phase, wo sich die WADA entwickelt hat und als Regulierer angesehen wird. Deswegen braucht sie neue Maßnahmen, um effektiv zu sein.

 

Jetzt ist die Zeit und wir sind wahrscheinlich ein paar Jahre überfällig, eine aktualisierte, moderne und effektive Führungsstruktur für die WADA auf die Beine zu stellen. Egal ob sie es jetzt Revolution oder Evolution nennen. Es ist ein Wandel, der bitter nötig ist und für den es sich lohnt zu kämpfen. Eine stärkere WADA wird uns allen mehr Vertrauen geben. Natürlich haben die Nationalen Anti-Doping-Agenturen (NADOs) gespürt, dass es mehr Unabhängigkeit in der WADA-Stiftung und im WADA-Vorstand braucht.

 

Wenn die WADA einen Ausschuss haben muss, dann dürfen nicht nur die Geldgeber repräsentiert sein, man braucht auch die NADOs an Bord, weil wir die Expertise haben. Man braucht auch die Dopingkontrolllabore, weil sie die Arbeit machen. Man braucht auch mehr unabhängige Athleten, weil sie die wichtigsten Akteure sind. Wenn wir etwas davon in Ordnung bringen, dann statten wir die WADA besser für die aktuellen Herausforderungen und die, die uns in der Zukunft bevorstehen.

 

Andersen: Man muss aber vorsichtig damit sein, was man fordert. Weil jetzt gibt es die gleiche Verteilung von der Sportbewegung und Regierungen im WADA-Ausschuss.

Unter dem Gesichtspunkt spürt die olympische Bewegung eine Verpflichtung, um sich damit zu beschäftigen. Denn wenn man das komplett unabhängig macht, dann überlässt man es jemanden, der kein Vertreter ist, dann sagen die, das ist nicht mehr unser Problem.‘ Jetzt ist es das noch so, weil sie mit am Tisch sitzen. Ich bin mir aber sicher, dass die Führungsstruktur, die jetzt in einer Arbeitsgruppe diskutiert wird, genau diese Sachverhalte bespricht. Was sollte man auf Distanz halten? Wo sollte man unabhängig sein und wo sollte man den Urheber des Problems haben? Und das ist eine Ausgewogenheit, die man hinkriegen muss.

 

Die Abkoppelung Nationaler Anti-Doping-Agenturen von direkten personellen Einflüssen in Zusammenspiel mit verstärkter internationaler Zusammenarbeit und Austausch scheint einen Emanzipationsprozess bei NADOs ausgelöst zu haben. Dabei erwies sich der Gang an die Öffentlichkeit als wichtiges Korrektiv. Wobei dies sicherlich auch einigen starken Persönlichkeiten zu schulden ist.

 

Schweizer: Herr de Pencier, ich wollte noch etwas ansprechen, das sie vorhin erwähnt haben. Es scheint, dass sich seit der Russland-Krise, die NADOs befreit haben und auch eine lautere Stimme bekommen haben.

 

De Pencier: Ich denke, dass wir mehr Gehör bekommen haben. Unsere Gemeinschaft war immer schon stark und wir haben uns schon seit Beginn der WADA verpflichtet gefühlt. Die meisten WADA-Mitarbeiter sind von den NADOs gekommen. Aber in den letzten Jahren haben wir gemerkt, dass wir unsere Stimme erheben müssen. Wie Andrea Grotzmann (Anm. d. Red. Vorstandsvorsitzende der NADA) heute gesagt hat: Die NADOs haben keinen Sitz im WADA-Kontrollausschuss. Also müssen wir andere Wege finden, um die politische Entscheidungen und Debatten zu beeinflussen. Und das können wir nur, wenn wir das Wort greifen. Hoffentlich stark, aber auch konstruktiv. Wir haben das schon getan und unsere Äußerungen haben sich schon geändert. Sie hatten durchaus Einfluss, auf den Lauf der Dinge.

Diese Woche hat der russische Minister ein Interview gegeben, und dass er mehrere Minuten über die iNADO (Institut der Nationalen Anti-Doping Organisationen) und die NADO-Gemeinschaft gesprochen hat, und gesagt hat, was wir zu tun und zu lassen hätten, zeigt das wir Einfluss haben.

 

Andersen:Genauer hat er sogar gesagt, dass wir nicht das tun sollen, was wir aktuell machen. Denn das sei nicht unser Mandat. Dabei weiß er gar nicht, was unser Auftrag ist. Weil wir kein Servicedienstleister sind. Wir sind unabhängige Organisationen, die über eine Struktur verfügen, wie sie sein sollte. Nämlich getrennt vom Sport und den Regierungen.

 

Schweizer:Es scheint fast so, seit dem sie ihre Ansichten offen verteidigt haben und sich dafür ausgesprochen haben, dass Russland von den nächsten Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang ausgeschlossen werden sollte, dass die Verbindungen zwischen den NADOs und der WADA nicht mehr sonderlich stark sind. ... Er hat die NADOs für ihren Aufruf kritisiert, Russland von Olympia 2018 auszuschließen. Im Gegensatz dazu, hat er auch noch den erreichten Fortschritt der Russen gelobt.

 

De Pencier: Ich glaube das Craig unsere Aussage einfach auch nicht genau genug gelesen hat. Wir waren peinlich genau darauf bedacht, dass wir die WADA unterstützen, dass wir den Weg zur Wiedereingliederung der RUSADA unterstützen. Sie haben da wirklich exzellente Arbeit gemacht. Es war bitternötige Arbeit. Die Frage, ob das russische Olympische Komitee für die Vergangenheit zur Rechenschaft gezogen werden sollte, ist nach meiner Meinung eine gänzliche andere Frage. Wir haben uns sehr darum bemüht, die zwei Themen auseinander zu halten. Es ist sehr unglücklich, dass Sir Craig und Olivier Niggli (beide WADA), sie vermischt haben. Wir waren sehr unterstützend für die WADA, man hätte es sicher so interpretieren können, aber unsere größte Sorge liegt sicher beim IOC und den Entscheidungen, dass es treffen muss.

 



Max Hartung und Silke Kassner, Athletenvertreter und Gründer des Vereins 'Athleten Deutschland'

Max Hartung und Silke Kassner fassten ihre Kritik am gegenwärtigen Sportsystem, das Sportler*innen kaum Raum für eigene Interessenvertretung eingeräumt, in einem kurzen Text zusammen, in dem sie auch für transparente und unabhängige Strukturen eintreten (sportspitze.de, 8.2.2018):

Um der Krise Herr zu werden und dem Sport seine Glaubwürdigkeit zurück zu geben, muss das internationale Dopingkontrollsystem für die Zukunft vollkommen neu aufgestellt werden – eine von den Sportorganisationen personell dominierte Anti-Doping Authority ist keine Lösung. Der Sport kann sich nicht selber kontrollieren. Das Foundation Board der WADA ist zu 50% mit Vertretern des Sports besetzt, die anderen 50% sind mit wenig handlungsfähigen Regierungsvertretern besetzt. Wir unterstützen daher die Initiative von der norwegischen Ministerin Helleland, die Politik stärker für den Anti-Doping-Kampf zu vereinen und zu aktivieren.

Die Athleten fordern eine Neustrukturierung der Welt-Anti-Doping Agentur und des internationalen Anti-Doping-Managements:

Dabei muss die WADA finanziell so ausgestattet werden, dass sie unabhängig vom Sport agieren und das weltweite Dopingkontrollystem beraten und monitoren kann. Die Nationalen Anti-Doping Agenturen übernehmen – wie heute schon – die Durchführung der Kontrollen.

 



Stephan Netzle, Jurist und ehemaliger Richter am CAS

Stephan Netzle, ehemaliger Richter am Internationalen Sportgerichtshof CAS/TAS, verwehrt sich scharf gegen den Versuch des IOC-Vorsitzenden Bach, das Sportgericht zu diskreditieren. Bach hatte dem Gericht die Kompetenz abgesprochen, nachdem es nicht im Sinne des IOC/Bachs geurteilt hatte (NZZ, 9.2.2018):

Der Internationale Sportgerichtshof (TAS ) müsse seine Struktur ändern, um die Qualität seiner Urteile zu gewährleisten, forderte der Präsident des Intenationalen Olympischen Komitees (IOK). Thomas Bach, nachdem der TAS vor einer Woche die Einsprüche von 28 russischen Athleten gegen die vom IOK verhängte lebenslängliche Olympiasperre ganz, und von 11 weiteren teilweise gutgeheissen hatte. Das TAS-Urteil bereite ihm hinsichtlich seiner Qualität Sorge. Er habe dem TAS·Präsidenlen Reformvorschläge zukommen lassen.

 

Sorge bereiten muss einem nicht der Richterspruch, dessen Begründung noch gar nicht publiziert wurde, sondern der Umstand, dass der IOK-Präsident den Eindruck vermittelt, unter dem Vorwand einer Strukturreform Einfluss darauf nehmen zu wollen, wie der TAS zu urteilen hat. Das kennt man sonst nur von totalitären Herrschern. Die Unabhängigkeit des TAS als höchstes Sportgericht ist von zentraler Bedeutung für den internationalen Sport und muss vor jeder Einflussnahme geschützt werden - gerade vor derjenigen des IOK! Das weiss Thomas Bach als früherer Vorsitzender der TAS-Kammer für Berufungsverfahren natürlich. Umso erstaunlicher tönen seine Forderungen.

 

Der TAS ist ein privates Schiedsgericht. Er wurde 1984 auf Anregung des IOK gegründet, ist aber kein Organ des IOK. Seine Urteile haben dieselben Rechtswirkungen und sind durchsetzbar wie diejenigen staatlicher Gerichte. Voraussetzung dafür ist jedoch die Unabhängigkeit des TAS als Institution und die Unabhängigkeit der urteilenden Schiedsrichter. Das Bundesgericht hat die Unabhängigkeit des TAS wiederholt bestätigt, gerade auch was dessen Nähe zum IOK angeht. Diese Unabhängigkeit ist eine wertvolle Errungenschaft und sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Andernfalls wird der TAS von staatlihen Gerichten nicht mehr als gleichwertige lnstanz respektiert. Das würde dann dazu führen, dass über sportrechtliche Auseinandersetzungen von unzähligen staatlichen Gerichten mit unterschiedlichen Ergebnissen entschieden würde. Genau das soll mit dem internationalen TAS als oberste Sportgerichtsinstanz verhindert werdn. Vor diesem Hintergrund erscheinen Bachs Forderungen als grandioses Eigentor.

 

 

Anzumerken ist, dass der Präsident des CAS John D. Coates gleichzeitig Präsident des Australischen Olympischen Komitees und Vize-Präsident des IOC ist.

 



Helmut Pabst, ehemaliger Doping-Kontrolleur

Helmut Pabst dürfte einiges erlebt haben während seiner Berufstätigkeit als Leiter eines Doping-Kontrollunternehmens. Er beschreibt die enge personelle Vernetzung auf allen Ebenen zwischen Sport und Anti-Doping. Für ihn ist es ein absolutes Muss, dass Untersuchungskommissionen streng unabhängig sind (BR, 18.5.2017):

Matthias Dänzer-Vanotti: Warum muss die Kommission unabhängig sein?

Helmut Pabst: Sie haben es vorher selber gesagt, da gibt es im Sport ja so große Verknüpfungen und diese Verknüpfungen halten natürlich prima. Ein Netzwerk, ob das im IOC ist, oder in der Leichtathletik oder im Fußball: Wo Sie hinschauen, gibt es Netzwerke und die wollen nicht unbedingt, dass man in ein solches Netzwerk einbricht. Was man aber tut, wenn man einen rausholt, der ein Topstar ist und gedopt ist. Das schadet ja eigentlich dem ganzen Sport. Ob das nun der Radsport ist, der fast daran kaputt gegangen ist, oder ob das jetzt auch die Leichtathleten sind, die große Schwierigkeiten mit Russland haben. Wir brauchen da eine Kommission die in der Lage ist, auch finanziell, solche Whistleblower zu schützen und zu unterstützen.

 

Matthias Dänzer-Vanotti: Das was Sie sagen, klingt so ein bisschen, als ob die Weltdopingagentur mit dem Sport und seinen Dopingpraktiken unter einer Decke stecken würde!

Helmut Pabst: So brutal will ich das jetzt nicht mehr ausdrücken. Aber es gibt Verknüpfungen. Also wenn dann plötzlich der Präsident der WADA auch gleichzeitig Vizepräsident im IOC ist, dann will ich das eigentlich nicht. Das sind so Verknüpfungen, die bei uns politisch nicht ganz korrekt sind. Im Sport ist das gang und gebe, hätte ich beinahe gesagt. Da hat man einfach mehrere Posten, weil man einfach froh ist, dass es einer überhaupt einer macht. Also ich will nicht Präsident einer Weltantidopingagentur sein, um Gottes Willen, aber es gibt Leute, die wollen das. Und da ist man manchmal froh, wenn man jemanden hat.

 

Matthias Dänzer-Vanotti: Warum bekommt man diese Verknüpfungen nicht los? Nur deswegen, weil es nicht genug Leute gibt, oder weil es da auch ganz starke Interessen gibt?

Helmut Pabst: Da stecken kommerzielle, aber auch nationale Interessen dahinter. Ruhm und Ehre, die dazugehören im Sport. Mit jeder Medaille, mit jedem Sieg steigt das Ansehen des Sportlers, des Funktionärs, des Staates und da will man nicht unbedingt massiv Einbruch erleiden, weil eine ganze Mannschaft oder einzelne Spitzenleute als gedopt auffliegen.



Perikles Simon, Sportmediziner Universität Mainz

Perikles Simon spricht die politische Entscheidungssituation in Deutschland an. Das Bundesinnenminsterium bestimmt über die Förderung des Spitzensports und arbeitet dafür mit Kriterien wie Erfolge und Medaillenerwartung. Die damit verbundenen Qualifikationshürden können wesentlich dazu beitragen, dass die betroffenen Athlet*innen mit ihrem Umfeld zum Doping greifen. Gleichzeitig ist das BMI zuständig für die Finanzierung des Anti-Doping-Systems. Von diesem Widerspruch könnte da Ausmaß der Unterstützung der Anti-Doping-Maßnahmen durchaus negativ beeinflusst sein (dw.com, 30.8.2017:

Man muss sich überlegen, welche Alternativen wir haben, wie in der Prävention geeignet gearbeitet werden kann und wer das eigentlich alles macht: Macht das sozusagen das Innenministerium in Personalunion? Die sind letztendlich hauptverantwortlich für alle wesentlichen Belange des Spitzensports: Vorrangig Maßnahmen zur Förderung der Medaillenausbeute und dann nachrangig sportmedizinische Untersuchung und Betreuung, Gesundheitsuntersuchung, NADA, Anti-Doping, Doping-Prävention. Ist das wirklich menschenmöglich und vor allem sinnvoll, wenn man derart Bock und Gärtner zugleich sein muss?

 







 

Monika, März 2018, spätere Ergänzungen


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