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Antidoping



Dossier Reform Antidoping





Schwächen des Dopingkontrollsystems

Über Mängel des internationalen Dopingkontrollsystems wird mittlerweile viel diskutiert und einige werden auch nur noch selten weg diskutiert.

 

Mängel sind vor allem:

zu geringe Kontrolldichte insgesamt; zu unterschiedliche Kontrolldichte im Vergleich der Sportarten und im Vergleich der Nationen; mangelhafte Qualität der Kontrollauswahl; hoher finanzieller Aufwand bei unterfinanzierten Organisationen; die Dopinganalytik hinkt der Dopingpraxis hinterher; uneindeutige Ergebnisse und damit Gefahr falscher Beurteilungen wie z.B. falsch positive Ergebnisse. Im Ergebnis akzeptieren die meisten Anti-Doping-Experten die Erkenntnisse, wonach die Zahlen der überführten Sportler*innen verschwindend gering sind gegenüber Zahlen, die die Dopingforschung schon seit Jahren bereit hält, somit die Ergebnisse des Anti-Doping-Kampfes nicht die Realität abdecken.



Philipp de Pencier, iNADO 29.10.2018
zum Wandel der Aufgaben:
:... immer mehr NADOs stellen Ermittler ein, die Arbeitsgruppen mit Analysten aufbauen. Sie stellen die Rahmenbedingungen auf, damit Athleten und Andere sich äußern und ihre Verdächtigungen kundtun können. Sie nutzen diese Informationen, um ihr Testverfahren zu verbessern. Ich kenne mittlerweile ein halbes Dutzend NADOs, die von einem ehemaligen Polizeibeamten geleitet werden. Das ist kein Zufall, sondern die Erkenntnis, dass wir die Fähigkeiten dieser Menschen brauchen, um unsere Programme effektiver zu machen. Und das ist ein Bereich, wo sich die NADOs von den internationalen Verbänden unterscheiden. Die Programme von den internationalen Verbänden haben generell keine investigativen Kapazitäten. Sie können keine investigativen Kapazitäten zur Verfügung stellen, die über 200 Länder auf der Welt abdecken und eine Unzahl von Sprachen und Kulturen. Hier sind die NADOs die klaren Vorreiter in dieser Entwicklung.
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Die Ursachen dieser ungenügenden Zustände gemessen am propagierten Anspruch des Sportsystems sind komplex, strukturell bedingt und ziehen sich durch alle Ebenen. Dazu gehören Widerstände aus Sportverbänden, der Politik und auch von Seiten der Sponsoren, fehlende oder mangelhafte nationale Kontrollstrukturen, fehlendes Problembewusstsein, sowie intelligente Vermeidungsstrategien auf Seiten der Dopingwilligen. Insbesondere im finanziell gut ausgestatteten Kreisen lassen neue Dopingsubstanzen und -methoden die Kontrollinstanzen weit hinter sich.

Als Beispiel dafür, dass das Kontrollsystem komplett versagte, kann der Russland-Skandal gelten: Seit vielen Jahren wurde systematisch gedopt, doch selbst die Manipulationen an den Urinflaschen in Sotschi wurden nicht entdeckt. Es waren die Whistleblower, die mit Hilfe von Journalisten aufdeckten. Andere Dopingnetzwerke flogen durch polizeiliche Ermittlungen auf.

 

Zugespitzt formuliert besteht die reale Gefahr, dass das gegenwärtige Kontrollsystem Dopingverhalten eher unterstützt als verhindert.

Kord Greve: Bei allem guten Willen und allen ehrlichen Anstrengungen, die Athletinnen zu schützen, bekämpfen sie mitnichten die Ursachen. Sie befördern ausschließlich hyperkonfonnes Verhalten. Wenn man so will, ist es, wie sich in einem ,g, der in die falsche Richtung fährt, über die Farbe der Polster zu ereifern. Keine Farbe, selbst nicht die schillerndste, wird an der Fahrtrichtung des Zuges etwas ändern. Sie lenkt nur die Fahrgäste ab. Deshalb sollte sich die Dopingdiskussion nicht mit der Oberfläche des Phänomens Doping und der Kontrollen begnügen, sondern sich ernsthafte Gedanken über die gewünschte Fahrtrichtung machen. Sie sollte nicht nur die Details einer technischen Anpassung und deren Überwachung reflektieren, sondern die Anpassung selbst hinterfragen.

Und dies ist - im besten Sinne des Wortes - eine sportliche Aufgabe für die Zukunft. (Kord Greve in "Anti-Doping: Ist Kontrolle wirklich besser?")

 

 

Um etwas ändern zu können, muss umfassend angesetzt werden. Daher betrifft die Diskussion um das Dopingkontrollsystem Themen wie Transparenz, Unabhängigkeit, Demokratisierung, Korruptionsbekämpfung bis hin zur Entschlackung der Doping-Verbotsliste und radikal verändertem Kontroll-Management. Aber auch die Rechte der Sportler*innen sind betroffen, denn nur wenn deren Einverständnis und Mitarbeit vorhanden ist, stimmen die Voraussetzungen.

 

Eine Reihe dieser Themen werden in diesem Dossier angerissen.



WADA-Studie 2012

Die WADA selbst legte die Defizite des Kontrollsystems offen. Eine Expertengruppe unter Richard McLaren veröffentlichte 2012 eine Analyse vorliegender Dopingkontrollstatistiken. Ihre Erkenntnisse waren ernüchternd. Das Kontrollprogramm habe versagt und damit alle Beteiligten Gruppen und Organisationen.

The primary reason for the apparent lack of success of the testing programs does not lie with the science involved. While there may well be some drugs or combinations of drugs and methods of which the anti-doping community is unaware, the science now available is both robust and reliable. The real problems are the human and political factors. There is no general appetite to undertake the effort and expense of a successful effort to deliver doping-free sport. This applies (with varying degrees) at the level of athletes, international sport organizations, national Olympic committees, NADOs and governments. It is reflected in low standards of compliance measurement (often postponed), unwillingness to undertake critical analysis of the necessary requirements, unwillingness to follow-up on suspicions and information, unwillingness to share available information and unwillingness to commit the necessary informed intelligence, effective actions and other resources to the fight against doping in sport.

Empfehlungen gehen folgerichtig an die WADA, die Internationalen Sportorganisationen, die Nationalen Anti-Doping-Agenturen, die Regierungen, die Athleten und deren Umfeld. Empfehlungen werden auch zu den Doping-Tests ausgesprochen und richten sich an die Laboratorien und die Sportevent-Veranstalter.

WADA: REPORT TO WADA EXECUTIVE COMMITTEE on LACK OF EFFECTIVENESS OF TESTING PROGRAMS

 



Olivier de Hon, Niederländische Anti-Doping-Agentur

 

Olivier de Hon von der Niederländischen Anti-Doping-Agentur fasste in einer Power-Point-Präsentation das Missverhältnis zwischen den Ergebnissen der offiziell durchgeführten Dopingkontrollen und den Ergebnissen zur Doping-Wahrscheinlichkeit aus Studien zusammen.

 

Die Durchschnittsrate der offiziellen Nachweise liegt seit 1987 zwischen 1 und 2,5%, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Kontrollen und Mittel in dieser Zeit starken Änderungen unterlagen.

Studien, die zwischen 2007 und 2017 durchgeführt wurden, zeigen meist wesentlich höhere Dopingwahrscheinlichkeit, teils über 50 %.

Olivier de Hon: 29.11.2017, Olivier de Hon, 2016

 

Ein Beispiel hierfür ist die Studie, die 2013 von der WADA zum Doping unter Hochleistungs-Leichtathleten zum Zeitpunkt der Leichtathletik WM 2011 in Daegu und den 12. Pan-Arab Games in Doha in Auftrag gegeben wurde. Auf Betreiben der IAAF wurde sie zurück gehalten. Die Studie erbrachte eine mögliche Dopingrate von 29%+ in Daegu bis 45 % in Doha. Erst hartnäckige Berichte von Journalisten und eine Untersuchung durch das Culture, Media and Sport Committee des Britischen Parlaments führten 2017 schließlich dazu, dass die Studie vollständig veröffentlicht wurde:

Universität Tübingen: Dopingstudie: Hohe Dunkelziffer im Spitzensport, 29.8.2017

 



Hajo Seppelt, Journalist

Zitat aus Hajo Seppelts Buch, Feinde des Sports, 2019, S. 269/270:

Bei Dopingkontrollen im Sport wird grundsätzlich nicht nach jeder verbotenen Substanz gesucht. Als Zuschauer mag man einen anderen Eindruck vermittelt bekommen, doch es gibt ein Papier, das den schönen Schein entlarvt. Es hat den etwas sperrigen Namen "Technisches Dokument für sportspezifische Analysen" und arbeitet den Widerspruch heraus zwischen der Wirklichkeit und dem, was Lobbyisten des organisierten Sports suggerieren, wenn sie zu Unrecht von umfassenden Dopingtests sprechen.

Wer das Dokument liest, erkennt schnell, das Lücken im System normal sind und es im Regelfall noch deutlich weniger Kontrollen auf bestimmte Substanzen gibt als bei der Fußball-WM 2018. In etlichen dopinganfälligen Sportarten wird in der Regel nur jede zehnte auf Substanzen wie etwa Wachstumshormon getestet, die wirkungsstark und zugleich schwer nachweisbar sind. Solche Mittel zählen deshalb zu den Klassikern der Betrugsbranche. Manche dieser Pharmaka sind längstens achtundvierzig Stunden nach ihrer Verabreichung aufzuspüren.

TDSSA - Technical Document for Sport Specific Analysis, TDSSA-Dokumente 2015 - 2020



Empfehlungen

Zu den häufigsten Forderungen hinsichtlich einer Erneuerung des Doping-Kontrollsystems gehört die Forderung nach der Unabhängigkeit der Kontrollinstanzen wie NADO, Labore, Kontrollunternehmen aber auch der WADA selbst. Zwei Beispiele der Forderungen:

Um glaubwürdig und effektiv zu sein, muss die Anti-Doping Arbeit völlig unabhängig vom Sportestablishment organisiert werden. Echte Gewaltenteilung in der Organisation der internationalen Anti-Doping Arbeit beinhaltet die Einrichtung eines „Internationalen Anti-Doping-Service“ (IADS) als fehlendes Glied neben der World Anti-Doping Agency (WADA) und dem Court of Arbitration for Sport (CAS). Die WADA muss gestärkt werden, um Organisationen und Länder, die gegen die Regeln verstoßen, zu sanktionieren, basierend auf Akkreditierungs- und Reviewprozessen, Benchmarking und Qualitätskontrollen. (David Müller, How to protect the clean athletes? 2017)

 

Hajo Seppelt: In Dopingkontrollen, die es in vielen Ländern nicht oder kaum gibt. In eine internationale Einheit von Ermittlern, die nicht ins Dopingkontrollsystem involviert ist – das ist ein möglicher Schlüssel zum Erfolg. Und, auch wenn es keine Sache des Sports ist, sondern der weltweiten Medienunternehmen: Der investigative Journalismus im Sport muss gestärkt werden. (link www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.spitzensport-neue-ideen-fuer-den-kampf-gegen-doping-page4.91186bbd-ac17-4fba-a457-eab537d7d2da.html>Stuttgarter Nachrichten, 17.7.2017)

 

 

Weitere Beispiele entsprechender Forderungen werden an anderer Stelle mit Zitaten noch belegt werden.

 

Im Folgende verweise ich auf einige praxisnähere Vorschläge.

 



WADA-REPORT port (s.o.)

In dem Bericht werden Empfehlungen an die WADA, Internationalen Sportorganisationen, Nationalen Antidoping-Agenturen, Regierungen, Athleten und deren sportliches Umfeld, Laboratorien, Veranstalter und das Internationale Sportschiedsgericht ausgesprochen.

WADA: REPORT TO WADA EXECUTIVE COMMITTEE on LACK OF EFFECTIVENESS OF TESTING PROGRAMS

 

Der Bericht beschäftigt sich auch der Testpraxis. Die rauf bezogenen Mängel werden auf den Seite 6/15ff dargestellt. Daraus wurden folgende sehr konkreten Empfehlungen entwickelt:

63. Full menu testing shall be required unless WADA specifically agrees otherwise.

64. Required testing shall forthwith include EPO.

65. Retroactive TUEs should be permitted only for gluco-corticosteroids and asthma medications and may be reported as negative only with the written approval of WADA.

66. No advance notice of or contact with respect to any OOC test shall be permitted.

67. Front-loading of tests (ie. more testing before competition rather than after competition) connected with major events should become a more regular feature of effective testing programs.

68. No communication shall occur between any laboratory and the ADO before the sample analysis has been completely concluded and documented.

69. Application of random testing should be limited to in-competition testing.

70. CIR (IRMS) testing for artificial testosterone should be increased forthwith for samples provided by male athletes.

71. RTP whereabouts requirements shall be enforced in all countries and sports.

72. “Watering down” of the RTP provisions should not be permitted, especially for team sports.

73. The entire RTP concept and related whereabouts obligations should be reassessed in the context of improving the fight against doping in sport. (It is not credible that in some team sports there are fewer than 10 athletes in their entire international RTP.)

74. For in-competition testing, pre-emptive target testing should be allowed in team sports, in addition to random tests.

75. ADOs should accelerate the use of intelligence-based testing.

76. Because of micro dosages, rules should be established to permit testing during the periods when detection is possible.

77. NADOs should be reminded that testing of persons not in the RTPs is important for purposes of aximizing the fight against doping in sport.

 



Richard Pound, Ex-WADA Direktor 2022

Richard Pound sieht die Notwendigkeit von Änderungen im Umgang mit Trainingskontrollen. Wenn Athlet*innen nicht angetroffen werden müsste es möglich sein kurzfristig 3 Versuche in Folge  durchzuführen. Werden die Personen nicht angetroffen sollte dies als Verstoß mit der Möglichkeit von Sanktionen gewertet werden. (insidethegames.biz, 25.12.2022)

An example of a possible useful adjustment: There is a game being played with respect to missed tests. The whereabouts requirement is a necessary element for any robust out-of-competition testing program. When a test is missed, there is currently an elaborate process of notification that takes far too much time. 

Quite often, an athlete may well be where he/she promised to be, but may not wish to be tested (presumably out of concern that a sample provided on that occasion might well be positive) and deliberately does not answer the door. The WADA director general (or some other designated official) should be able to - where such conduct may reasonably be suspected as deliberate (for example the Doping Control Officer may know perfectly well that the athlete is there, but is not responding) - authorise short-circuiting the process.  

If, on Day 1, it is suspected that such conduct is deliberate, the official should be able to obtain permission to test on Day 2 and if that test is missed, to test on Day 3. Three missed tests are deemed to be the equivalent of a positive test. Appeals to CAS are, of course, available.



Perikles Simon, Sportwissenschaftler und Mediziner, Universität Mainz

Olivier de Hon:
STRIKING THE RIGHT BALANCE:

The exact amount of the costs of the anti-doping framework is difficult to quantify. The costs of testing and analysing alone can be estimated to total at least 125 million euros per year (based on a minimum of 250,000 annual global doping controls which cost approximately 500 euros each to perform and analyse). An estimate of 300-400 million American dollars per year has been put forward in the past (Møller et al. 2015) and the president of the IOC, Thomas Bach, has mentioned an estimate of $500 million (Maennig 2014). This is obviously a large amount of money, but at the same time it is just a fraction of the global sports economy, which is estimated to be $150,000 million to $620,000 million by two different consultancy firms (Collignon et al. 2011, PwC 2011). Apparently, anti-doping should not cost more than 0.33% of the total amount of sport-related revenues and may in fact cost a much lower percentage of available funds. No matter what the exact figures are, this also brings the limits of anti-doping policies into the limelight: no matter what the exact costs are, the total budget will always be limited which calls for an optimal efficiency in spending the budget.
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Perikles Simon engagierte sich viele Jahre im Anti-Doping-Kampf insbesondere nahm er an verschiedenen Forschungsprojekten teil. 2017 stieg er aus und wandte sich desillusioniert ab. Es waren letztlich die strukturellen kaum zu überwindenden Hindernisse und das damit verbundene Falschspiel, die zu seinem Entschluss führten.

Die Jahre zuvor analysierte er immer wieder die Schwächen des Kontrollsystems und legte Verbesserungsvorschläge vor. Unter anderem betonte er die finanziellen Restriktionen, die eine optimale Dopinganalytik und ein effektive weltweites Kontrollmanagement verhindern. Auch wenn die Dopinganalytik weitgehend unabhängig agieren könnte wäre es nicht möglich, die vorhandenen Techniken anzuwenden. So stünden der Medizin Diagnoseverfahren zur Verfügung, die auch im Anti-Doping-Kampf anwendbar wären aber den finanziellen Rahmen der Anti-Doping-Organisationen sprengten. (3sat, 17.6.2016)

 

Perikles Simon vertrat jahrelang die Ansicht, mit der Weiterentwicklung der Dopinganalytik könnten Erfolge erzielt werden (Perikles Simon, 10.11.2010). Wenig später hat er resigniert und sieht im Ausbau und der Weiterentwicklung der Kontrolltätigkeiten keine Lösung mehr. Siehe hierzu auch seinen Diskussionsbeitrag anlässlich der Verleihung der Heidi-Krieger-Medaille 2014 an Werner Franke.

Perikles Simon, der Spiegel 15.12.2018:

SPIEGEL: Weltweit werden jährlich gut 350 Millionen Dollar ausgegeben, um Athleten auf Doping zu testen. Alles umsonst?

 

Simon: Viele Jahre dachte ich, das Testsystem sei eigentlich ganz in Ordnung. Dann ergab unsere Studie, wie viele Athleten dopen; erwischt wird davon nur ein Bruchteil. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel für die Schwäche des Systems: Die Trainingskontrollen sind angeblich das schärfste Schwert des Anti-Doping-Kampfs. Doch zuletzt wurden damit viel weniger Sportler überführt als durch Wettkampfkontrollen. Da läuft doch irgendetwas massiv falsch. Statt diesem Aspekt ernsthaft nachzugehen, schönt man jetzt indirekt die Daten, indem man die genauen Vergleiche der beiden Kontrollarten nicht mehr veröffentlicht.

... Die Athleten werden durch die Trainingskontrollen extrem in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt, weil sie zum Beispiel im Vorhinein ihre Aufenthaltsorte angeben und umfangreich für Kontrollen zur Verfügung stehen müssen. Wenn bei diesem gigantischen Aufwand unverhältnismäßig wenige überführt werden können und keine Sorgfalt im Umgang mit den Daten der Athleten besteht, gibt es nur eine Konsequenz: Die Trainingskontrollen gehören bis auf Weiteres abgeschafft.

 

SPIEGEL: Anti-Doping-Kämpfer rufen bisher eher nach immer mehr und immer feineren Kontrollen.

Simon: Ich habe mich auch viele Jahre damit beruhigt: Wir können alles nachweisen. Aber Laboranalysen allein sind sinnlos, obwohl dort das meiste Geld hinwandert. Ich komme damit zum Beispiel nicht an die Hintermänner heran und schon gar nicht an die korrupten Funktionäre. Alle Kontrollen gehören auf den Prüfstand ... Ein Großteil des Geldes sollte lieber für präventive Maßnahmen unter jungen Sportlern verwendet werden. Aus Studien haben wir Anzeichen dafür, dass die Dopingquote unter Jugendlichen sinkt, wenn es klare pädagogische Konzepte gibt. ... Ich denke, die Nationale Anti-Doping-Agentur hat durch die Bereitstellung von Informationsmaterial zur Dopingprävention für ein paar Hunderttausend Euro mehr erreicht als die Anti-Doping-Forschung und die Kontrollen.

 

Perikles Simon, FAZ 24.11.2018:

Simon hofft, dass weitere Kontrolleure dem Beispiel Laforces folgten und von ihren Erfahrungen berichteten. Die Aussagen deckten sich mit dem, was ihm ehemalige Athleten erklärt hätten. „Wenn weitere Kontrolleure auspacken“, sagt Simon, „wäre dies der Durchbruch, auf den ich so lange gewartet habe.“ Dem Bundesinnenministerium wirft der Wissenschaftler vor, die Nada mit Millionenbeträgen zu fördern, aber keine Erklärung für deren Wirkungslosigkeit einzufordern oder Abhilfe zu schaffen. Man müsse fragen, warum es nie den Wunsch gegeben habe, die Daten zu erklären, schreibt Simon. Man müsse fragen, wie „wir es in Deutschland jahrzehntelang geschafft haben, die niedrigsten Doping-Quoten weltweit zu fabrizieren“. Er schreibt: „Das Problem der lediglich drangsalierenden, aber komplett ineffektiven Trainingskontrollen geht recht sicher von der Nada selbst aus. Das merke nicht nur ich bei Betrachtung der Daten, sondern das merken auch Athleten, die sich mit Kontrolleuren unterhalten.“



Sven Laforce, ehemaliger Dopingkontrolleur

Am 21.11.2018 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung ein Interview mit dem langjährigen Dopingkontrolleur Sven Laforce, der nach 21 Jahren frustriert diesen Nebenjob aufgab. Zuletzt arbeitete er für das Dopingkontrollunternehmen IDTM aus Schweden. Diese Unternehmen erhalten ihre Aufträge von Sportverbänden und Nationalen Antidopingagenturen und organisieren die Kontrollen vor Ort. Laforce war bei vielen internationalen Veranstaltungen im Einsatz, u.a. bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City und 2006 in Turin, bei den Sommerspielen 2000 in Sydney, 2004 in Athen, 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro und auch bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland.

Auszüg aus dem Interview sind hier nachzulesen:

>>> c4f: Interview mit Dopingkontrolleur Sven Laforce

 

Seine Schilderungen offenbaren zahlreiche Schwachstellen in der Organisation und im praktischen Ablauf von Dopingkontrollen auch der deutschen NADA. Er gibt zahlreiche Hinweise darauf, warum die Kontrollen, insbesondere Trainingskontrollen so wenige positive Dopingnachweise erbringen.

 

Mein Appell ist, dass Kontrollen professioneller werden und nicht beim bedeutendsten Wettkampf der Welt, den Olympischen Spielen, ehrenamtliche Kontrolleure den wichtigsten Sportjob machen.

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Welches ist das aktuelle Muster?

Missed Tests (verpasste Kontrollen/d. Red.) sind ein Schwachpunkt. Wer drei Kontrollen (aus eigenem Verschulden/d.Red.) verpasst, muss nach den Regeln gesperrt werden. Aber die Athleten merken natürlich, wenn das nicht umgesetzt wird. Man hat die Zeit, in der maximal zwei Missed Tests erlaubt sind, von achtzehn auf zwölf Monate heruntergesetzt. Damit sind schon mal mehr Abwesenheiten möglich, ohne dass etwas passiert.

 

Haben Sie häufig Athleten nicht angetroffen?

Wir haben viele Athleten nicht angetroffen. Einige von ihnen drei Mal. Sie hätten sofort gesperrt werden müssen, aber wir haben dann im Fernsehen gesehen oder in der Zeitung gelesen, dass sie trotzdem gestartet sind. Heute ist es anders. Wenn jemand zwei Missed Tests hatte, wurden wir nicht mehr zu einer dritten Kontrolle geschickt. Ich nehme an, es war jemand anders mit der Kontrolle beauftragt worden.

 

Oder niemand?

Das weiß ich nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass man uns rausgenommen hat, damit wir nicht hochrechnen können: Aha, der oder die müssen jetzt gesperrt werden. Ich spreche nicht von Boule oder Moto-Ball, sondern von Top-Athleten.

 

Werden Athleten vor Kontrollen und Sperren geschützt?

Der Verband und der Athlet kennen das Muster, nach dem die Nada kontrolliert. Das heißt, die Kontrollen sind erwartbar und damit nutzlos. Die Spitze des Eisberges sind Trainingslager. Dort sind ganz viele Kontrollen möglich, und die Nada kann mit hohen Zahlen glänzen. Aber wenn Sie da zwanzig gleichzeitig testen, dann steckt nicht Intelligenz dahinter, sondern Sparsamkeit. Ich kann mir vorstellen, dass die Bundestrainer sich kaputtgelacht haben, wenn wir mal wieder in einem Trainingslager waren, und alle haben gesagt: Die Ahnungslosen waren wieder da.



Eine weitere Schwachstelle offenbarte die Dopingaffaire "Operation Aderlass", die Fahrt aufnahm durch das öffentliche Geständnis des österreichischen Skilangläufers Johannes Dürr. Mit im Zentrum steht der Erfurter Arzt Mark Schmidt, dessen Spezialität Bluttransfusionen waren. Diese wurden gerne direkt vor Wettkämpfen durchgeführt.
Die deutsche NADA erklärte nach diesen Aussagen:
Die deutsche Anti-Doping-Agentur Nada zieht erste Konsequenzen aus dem Dopingskandal in Seefeld. „Wir werden künftig auch unmittelbar vor dem Rennen Blutproben nehmen“, kündigte Nada-Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann im Gespräch mit der „Presse“ an. Bisher habe man eine Störung des Athleten am Wettkampftag als „unverhältnismäßig“ empfunden. „Aber das ist jetzt verhältnismäßig“. Man müsse die Instrumente immer wieder schärfen, sagte Nada-Chefin Gotzmann zur „Presse“. (Die Presse, 7.3.2019
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Wie würden Sie kontrollieren?

Als allererstes würde ich die Kontrollplaner austauschen, die nur die Daten von Meisterschaften und Trainingslagern im Kopf haben. Ich würde sie durch Sportmediziner und Trainingswissenschaftler ersetzen, die wissen, wann Doping in welchen Sportarten sinnvoll ist und wann nicht.

... man brauchte hauptamtliche Kontrolleure, die Blut und Urin abnehmen können. Oder man führt ein Verfahren ein, für das ein Blutstropfen ausreicht. Dann könnte man ganze Felder testen und andererseits mühelos Zielkontrollen vornehmen.

 

Der Mediziner Perikles Simon behauptet aufgrund von anonymen Umfragen, dreißig bis vierzig Prozent der Athleten seien gedopt. Teilen Sie seine Auffassung?

Ich glaube ihm. Er selbst hat uns gesagt, dass er mit modernen Mitteln aus der Krebstherapie jeden Athleten dopen könnte, ohne dass dieser bei den üblichen Tests auffiele.

 

Das impliziert: Es wird längst praktiziert.

Genau das vermute ich. Und das macht mich wütend, weil es von Wada und Nada nicht kommuniziert wird. Man hält die Öffentlichkeit hin und kassiert weiter Fördergelder der öffentlichen Hand.

 

Die Doping-Fahnder suchen nicht nach den richtigen Substanzen?

Den Laboren halte ich zugute, dass sie mit modernster Ausrüstung und auf dem Stand der Technik arbeiten. Aber ich habe auf meinen Proben meist ankreuzen müssen, dass sie im Standardverfahren [Anabolika und Stimulanzien] analysiert werden und eben nicht auf Epo oder Blutdoping oder Wachstumsfaktoren oder Insulinpräparate.

...

 









Monika, Februar 2018, spätere Ergänzungen


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