Das Jahrzehnte alte Anti-Doping-System verlangt von den Sportverbänden und Anti-Doping-Organisationen, dass sie den Sportler*innen nachweisen, ob sie gedopt haben oder nicht, diese müssen dann selbst dafür sorgen, den Nachweis für ihre Unschuld vorzulegen (strict liability). Damit wurde weltweit eine große Anti-Doping-Industrie aufgebaut, die hohe Kosten verursacht, ein Eigenleben entwickelt und anfällig ist für Korruption. Es entstehen leicht Abhängigkeiten zwischen den Kontrollorganen, den Sportorganisationen und politischen Strukturen, wie es die Causa Russland wieder einmal drastisch aufzeigte.
Vor allem aber ist die Rate der überführten Doper verschwindend gering. Meist weniger als 2% der Tests zeigen Dopingvergehen, die zu Sanktionen führen können. Demgegenüber sprechen weltweite Studien von Dopingraten zwischen 5 und 60%.
Sportrechtler Marius Breucker schlägt vor, die den Sportverbänden und Antidoping-Organisationen auferlegte Beweisführung aufzuheben und Verbänden und Sportler*innen zu verpflichten, ihre Unschuld mittels eines Führungszeugnisses selbst nachzuweisen (Stichwort Beweislastumkehr). Damit könnte die Privatsphäre der Betroffenen stärker geschützt werden, als es zur Zeit mit dem ADAMS-System der Fall ist, zudem hätte das Verfahren einen präventiven Effekt. Es dürften allerdings noch höhere Kosten als bisher entstehen und der bürokratische Aufwand würde steigen.
Kritisch anzumerken ist daher, dass insbesondere angesichts der bestehenden finanziellen Engpässe, mit denen Anti-Doping-Organisationen weltweit zu kämpfen haben, Breuckers Vorschlag wenig praktikabel erscheint. Insbesondere viele Länder, die noch im Aufbau ihrer Anti-Doping-Strukturen sind, dürften von diesem Vorschlag überfordert sein. Ob damit Korruption und Betrug bekämpft werden können, bleibt offen.
Marius Breucker, Sportrecchtler, Richter am Deutschen Sportschiedsgericht
Für Breucker gibt es keine Zweifel, dass das aktuelle schwerfällige Anti-Doping-System kaum zu reformieren ist, zumindest nicht in überschaubarer Zeit. Damit bleibt es weiterhin dabei, dass nur ein verschwindend geringer Teil der dopenden Elitesport*innen überführt werden.
Er empfiehlt daher die Beweislastumkehr.
Wir beobachten Resignation angesichts der wiederkehrenden Dopingfälle und insbesondere der Schwerfälligkeit der Strukturen im internationalen Sport. Man sollte den Anti-Dopingkampf auch nicht mit der Illusion betreiben, dass er im Sinne einer Ausrottung des Dopings zu ,gewinnen' ist. Wie in der übrigen Kriminalität darf dies aber nicht zur Folge haben, dass man Doping einfach hinnimmt oder gar freigibt.
Doping müsse "so schwer und unattraktiv wie möglich" gemacht werden, das ginge indem man den Verbänden und Sportlern vor Wettkämpfen die Pflicht auferlege, ihre Sauberkeit selbst nachzuweisen.
"Die Teilnahme an einem offiziellen Wettbewerb müsste von einem Negativ-Attest der Wada [...] abhängig sein", sagt Breucker. "Die Wada könnte mit Hilfe von Experten Kriterien definieren, die jeder Sportverband und jeder Athlet nachzuweisen haben. Zum Beispiel könnte der Athlet verpflichtet werden, regelmäßig Blutwerte zu testen und deren Ergebnisse beweissicher zu dokumentieren." Parallel müsse man die Sportverbände dazu verpflichten, "das Qualitätsmanagement eines solchen Systems sicherzustellen und nachzuweisen". Ein solches Verfahren könnte die Athleten, so hofft Breucker, zumindest teilweise davon befreien, wie bislang im so genannten Adams-System detailliert Auskunft darüber zu geben, wann sie sich wo wie lange aufhalten, um für einen unangekündigten Dopingtest verfügbar zu sein. Viele Sportler empfinden das als einen nur schwer zu akzeptierenden Eingriff in die Privatsphäre.
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Deutschlands Nationale Anti-Doping-Agentur, die Nada mit Sitz in Bonn, kann Breuckers Ansatz durchaus einiges abgewinnen. "Der Ansatz der Umkehr von Dopingnachweis hin zu einer Art ,sportlichem Führungszeugnis' als Nachweis der Dopingfreiheit für Sportler ist gut und könnte dazu beitragen, dass saubere Sportler gestärkt werden", sagt Vorstand Lars Mortsiefer. Allerdings müssten Verbände auch heute schon den Nachweis eines angemessenen Anti-Doping-Programms erbringen, um überhaupt staatliche Fördergelder zu erhalten.
Ob mit solch einem Athletenpass allerdings Kosten eingespart werden können bleibt fraglich. Im Gegenteil, der Verwaltungstungsaufwand und die Kosten könnten, auch nach Breucker, wachsen.