Die Hölle begann seit 1968 so recht, mit Ausnahme der Jahre 1973-1983 und 2005, im Wald von Arenberg ca. 100 km vor Roubaix oder besser gesagt bereits davor, wenn die Fahrer darum kämpften an vorderster Position den Waldweg angehen zu können. Auch 2006 führte dieser Sektor, obwohl mit viel Geld im Jahr zuvor entschärft und saniert, zur entscheidenden Selektion des Feldes. Bis 1968 fürchteten die Fahrer vor allem die Abschnitte von Doullens, Arras, Carvin und der Kehre von Wattignies Doullens. Legendär, berüchtigt oder gefürchtet sind heute die beiden Sektoren Mons-en-Pèvéle und le Carrefour de l'Arbre, 15 km vor dem Ziel. ( >>> Fotos)
die DarstellerDie Fahrer selbst, die sich auf die Strecke begeben, scheinen zwischen Liebe und Hass zu schwanken. Andere versuchen es erst garnicht und könnten es vielleicht auch nicht, denn um den 'Katzenköpfen' gewachsen zu sein, bedarf es einer speziellen Fahrtechnik, Zähigkeit, Taktik und eines eisenharten Willens gepaart mit viel 'Gottvertrauen'. Pannen und Stürze gehören dazu, eine zweite Haut in Form von Schlamm oder Staub muss akzeptiert sein. Es verwundert nicht, dass Jahrzehnte lang Franzosen und Belgier den Ton angaben. Das hatte la Pascale gemeinsam mit den anderen großen Rennen wie Flandern-Rundfahrt und Lüttich-Bastogne-Lüttich. Erst nach dem zweiten Weltkrieg kamen die Italiener und konnten sich sofort mit Serge und Fausto Coppi sowie Antonio Bevilaqua in die Siegerlisten einschreiben. Die Dominanz der Belgier wurde aber bis heute 2005 nicht gebrochen: 51 belgische Siege stehen 30 französischen, 10 italienischen, 5 niederländischen, 2 irländischen, 2 schweizer und je einem deutschen, luxemburger, moldawischen und schwedischen Erfolg gegenüber. Es sind durchgängig große Namen, die in den Palmarès von Paris-Roubaix auftauchen: Eddy Merckx, Rik van Looy, Rik Van Steenbergen, Francesco Moser, Jean Kelly, Fausto Coppi, Felice Gimondi um nur wenige zu nennen. Besonders Roger de Vlaeminck ist hervorzuheben: 14 mal trat er an, triumphierte in den Jahren 1972, 1974, 1975, 1977, so oft wie niemand anderes bislang und weitere 5 mal stand er auf dem Treppchen: "Am Sonntag vor dem Rennen fuhr ich die Flandern-Rundfahrt alles gebend. Dann, am Mittwoch, Gent-Wevelgem, 265 km. Direkt danach fügte ich noch 120 km hinzu. Donnerstag: Ruhe, Massage. Freitag: nochmals 180 km mit 50 km/h, hinter einem Auto. Ruhe. Und am Abend vor P-R begnügte ich mich mit 50 km. Ich habe diese Methode einem Franzosen geraten, er wurde zweiter!" "Ich kam vom Cross-Fahren, so liebte ich den Matsch. Ich hatte einen andern Trick: Ich fuhr die ersten 30 Kilometer mit einem herkömmlichen Fahrrad, dann reichte mir ein Teamkollege seines ab den ersten Pavées. Ich montierte eine 53 - 13 Übersetzung, und ich versuchte die letzten 30 Kilometer vorn zu bleiben." (le Monde, 12.4.2002) Roger de Vlaeminck ist 'Monsieur Paris-Roubaix'. Als Team des Rennens der letzten Jahre könnte man Mapei bezeichnen. 1996, 1998 und 1999 waren auf dem Podium nur dessen Farben zu sehen, da konnte der Sieger schon mal von der Konzernspitze bestimmt werden. Auch 2000 trug der Gewinner Johan Museeuw dieses italienische Firmentrikot. Dahinter stand Team-Chef Patrick Lefevere, der seine Paris-Roubaix Erfolgsserie mit den Teams Lotto-Domo und Qick Step fortsetzte: 2001, 2002, 2005.
Heute scheint Museeuws Ruf zumindest angekratzt, nachdem er nach seinem Rücktritt 2004 in eine Dopingaffaire verwickelt wurde, in der er sich gegenwärtig als Angeklagter vor Gericht wiederfindet. Doch der nächste belgische Superstar steht bereits an, Tom Boonen, Dritter 2002, siegte 2005 und ist ganz gewiss nicht satt, auch wenn er 2006 Cancellara deutlich vorlassen musste - und ob er zweiter geworden wäre ohne die geschlossene Bahnschranke, kann auch bezweifelt werden.
deutsche ErfolgeWo blieben die Deutschen? Josef Fischer strahlt über allen, aber wer kennt ihn noch? 1932 stand Herbert Sieronski auf dem Treppchen und 1963 hätte es ebenfalls fast mit einem weiteren deutschen Sieg geklappt. Kurz vor dem Vélodrome war Rolf Wolfshohl mit seinem Teamgefährten Noél Foré in Front, beide gaben alles, als Foré eine Panne hatte und Wolfshohl angeblich von seinem sportlichen Leiter Brik Schotte ein beruhigender Vorsprung von einer Minute signalisiert wurde. Der Deutsche nahm etwas Geschwindigkeit raus und wurde prompt von einer 10-Gruppe eingeholt. Andererseits, wenn der endschnelle Mann Foré zuvor nicht auf Wolfshohl hätte warten müssen oder wenn er keine Panne gehabt hätte oder wenn.... jedenfalls jubelte Emile Daems, Rolf Wolfshohl wurde elfter. Rudi Altig (1967, 3.), Dietrich Thurau (1980, 3.), Gregor Braun (1982, 3.), Olaf Ludwig (1992, 2.) und Steffen Wesemann (2002, 2.) überquerten die Ziellinie zwar nicht als erste, aber sie standen auf dem Podium. Olaf Ludwig: "20 Kilometer vor Roubaix fuhr ich nur noch eine Minute hinter Duclos-Lassalle. Mein Teamchef trommelte gegen die Autotür wie Tarzan gegen die Brust. "Du holst ihn!" Dann waren es nur noch 45 Sekunden, schließlich 28. Post schrie heißer wie ein Jazzsänger: "Schneller! Gleich hast du ihn!" Sieben Kilometer vor dem Ziel war ich bis auf 18 Sekunden an den Franzosen heran und mein Teamchef dem Herzinfarkt nahe. Da spürte ich plötzlich, dass mein Tank leer war. Nichts ging mehr. Der Traum vom Sieg war ausgeträumt. Die Hölle verlangte ihren Wegzoll. (...) Ich hatte verloren, weil ich mir zu spät etwas zugetraut hatte." Dem Herzinfarkt nahe dürften 2001 und während der 100. Ausgabe des Rennens 2002, auch viele deutsche Fans vor dem Fernsehgerät gewesen sein. Starker Regen hatte die Wege in beiden Jahren unter Schlamm gesetzt, die Königin der Klassiker wurde ihrem Ruf bestens gerecht, doch die Schuhplatten Wesemanns waren diesen Belastungen nicht gewachsen. Stark, kämpferisch und siegeswillig zeigte er, dass dieses obskure Rennen für ihn maßgeschneidet war, doch gewinnen konnte er nicht. So musste er 2002, gerade als Museeuw attackierte, die Schuhe wechseln und war gezwungen, den Löwen von Flandern ziehen zu lassen.
ShowdownNicht wenige Radsportverrückte sehen in der etwas jüngeren Flandern-Rundfahrt die wahre Königin der Klassiker. Sie gilt sportlich als anspruchsvoller und hat einige giftig ansteigende, ebenfalls uralte Kopfsteinpflaster (Kasseien)-Passagen aufzuweisen, die regelmäßig zu dramatischen, spektakulären Szenen führen und Entscheidungen herbeiführen. (Portrait Flandern-RF)
Wie dem auch sei, Paris-Roubaix hat eine besondere Aura. Das Rennen hat etwas Elementares, Klares, Einfaches. Auf der einen Seite das Wetter im Bündnis mit den Wegen, auf der anderen der Mensch mit seinem Material. Es ist brutal, dramatisch, verrückt - es ist unverwechselbar.
Wird dieses Monument des Radsports noch lange überleben? Es sieht gegenwärtig so aus. Alle spielen mit, doch die Spezialisierung schreitet fort und es könnten sich immer weniger bereit finden, die Tortur auf sich zu nehmen und Stürze zu riskieren, für ein Rennen, das vor allem der Tradition verpflichtet ist und einen hohen Showcharakter hat - aber vielleicht ist die Show gerade die Chance.
interessante Links
Quellen
Le Cyclisme, Paris 1912 A Century of Paris-Roubaix, London 1997 R. Gölz, Mythos Klassiker, Bielefeld 2003 Les Woodland, Das Velodrom der Narren O. Ludwig, Höllenritt auf der Himmelsleiter, 1997 Fotos: * capture-the-peloton, ** Mani Wollner, Archiv cycling4fans (*)
© cycling4fans.de Maki, März 2006, letztes Update April 2008
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