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Geschichte internationaler Radsport



Stiefelzwecken

Teil II, Artikel 'Kniffe der Straßenfahrer'

 

Mit der Hebung der Fahrradindustrie durch die Straßenrennreklame hob sich auch ein von dieser Industrie weit entfernter Industriezweig. Der Verbrauch von Stiefelzwecken steigerte sich zur Verwunderung der Eisenwarenhändler an verschiedenen Orten ganz beträchtlich, und mancher Verkäufer zerbrach sich den Kopf über den Verbleib so grosser Mengen langstieliger breitköpfiger Stiefelnägel. Die Strassenfahrer konnten es ihnen bald sagen, wo die Nägel geblieben waren, denn in verschiedenen Rennen fanden sie die unerbetenen Gäste in ihren Reifen wieder und aus vielen Schlachten brachten die Rennfahrer Hunderte von Nägeln mit nach Hause.

 

Die grosse Zahl der Nägel liess den Verdacht aufkommen, dass die Nägel von böswilliger Hand zum Schaden aller Fahrer gestreut worden waren und dass die Schadenfreude und die Zerstörungswut in den Folgen dieser Saat ihre Befriedigung gefunden hatten. Man eröffnete den Krieg gegen einen unbekannten Feind und liess die Strecken durch Geheimkontrollen bewachen, aber es wollte nicht gelingen, den oder die Uebeltäter zu fassen. Die „Rad-Welt“ richtete durch ihre Berichterstatter und durch hilfsbereite Leser einen weitverzweigten Kontrolldienst ein, und nach langen Mühen kam man endlich dahinter, dass die Nägelstreuer nicht allein unter den Gesinnungsgenossen einiger Rennfahrer, sondern unter diesen selbst zu suchen waren.

 

Als die “Rad-Welt“ diese Gewissheit erlangt hatte, erschien in ihren Spalten ein Artikel unter dem Titel: “Der Schuft aller Schufte“, in dem zarte Andeutungen über die vermeindlichen Täter gemacht wurden und in dem der juristische Mitarbeiter die Folgen klarlegte, die ein bei seinem „Handwerk“ abgefasster Nägelstreuer zu erwarten hätte. Die Wirkung dieses Artikels war überraschend. Von der Stunde seines Erscheinens ab gab es keine Nägel mehr auf der Strasse, und wenn ab und zu auf einer Strecke einmal Nägel gefunden wurden, durfte man der Ueberzeugung sein, dass sie nicht von den Rennfahrern, sondern von irgend einem „Verehrer“ des Strassenrennsports aus Lust am Zerstören auf die Strasse geworfen worden waren.

 

Der überraschende Erfolg des Artikels „Der Schuft aller Schufte“ liess die „Rad-Welt“ aber nicht ruhen. Sie liess die Untersuchung weiter gehen und kam zu Ergebnissen, die sie in diesem  Artikel zum ersten Male preisgeben will, obwohl die „Helden“ des Nageldramas den Schauplatz ihrer reifenmordenden Tätigkeit verlassen haben und das Material gegen die Verdächtigen leider nicht ausreicht, um ihnen mit Hilfe des schwarzen Mannes mit dem Samtbarett beikommen zu können.

 



Bei der Nagelsache war klar, dass die Blechstreifen mit den auf den Kopf gestellten Nägeln nicht von den Rennfahrern über die schmalen Seitenwege an der Landstrasse gespannt werden sein konnten, aber es war aufgefallen, dass verschiedene Fahrer diese Nagelstellen genau kannten und um die verderbenbringenden Nagelspitzen herumkamen. Neben den Nägeln, die oft durch den Reifen in die Felge eindrangen, erhielt die „Rad-Welt“ sie sinnreich hergestellten Blechstreifen zugesandt, aber diese boten ihr weniger Anhaltspunkte, als die Nägel selbst.

 

Eines Tages erhielt die Redaktion einen Brief, in dem ihr leider anonym mitgeteilt wurde, dass an einer bestimmten Stelle, unter Moos versteckt, zwei Pack Stiefelnägel verborgen worden seien, die von zwei Fahrern ausgestreut werden würden. Telegraphisch wurde ein Posten zu der bezeichneten Stelle beordert, und dieser fand tatsächlich die besagten Zwei Pakete Nägel. Seinem Auftrage gemäss blieb der Posten gut verborgen an der Stelle stehen, um die Missetäter in flagranti abzufassen, aber das Rennen schien sich anders gestaltet zu haben, als die Nagelhelden erwartet hatten, denn niemand näherte sich dem Versteck.

 



Der Fehlschlag hielt die Untersuchung nicht auf und mit Hilfe einiger von Gewissensbissen geplagten Fahrer gelang es, den Aufenthaltsort der Nägel zu ergründen, nachdem die Untersuchung der Fahrer am Start nicht einen Nagle zu Tage gefördert hatte. Eine harmlos aussehende Trinkflasche aus Blech barg das Geheimnis, denn auf ihrem Grunde lagerten die spitzen Feinde der Reifen und warteten auf den Augenblick, wo sie die Freiheit erlangen würden. Diese Freiheit erhielten sie auf sehr einfache Weise. Sobald der Fahrer allein oder als letzter Mann in der Spitzengruppe lag, nahm er einen herzhaften Schluck aus der Flasche  und wenn nichts mehr von dem rostigen Kaffee darin war, dann schwenkte er die letzten „Tropfen“ heraus. Das tat jeder Fahrer und niemand ahnte, dass mit den letzten Tropfen eine Anzahl von Nägeln die Flasche verlassen hatte. Durch die Untersuchung am Start war kein Nagel zu Tage gefördert worden und als die von den Nägeln betroffenen Fahrer Einspruch erhoben, wurde ihnen achselzuckend gesagt, dass böswillige Zuschauer die Nägel gestreut haben müssten. In einem zweiten Falle hatte die Untersuchung am Start auch keinen Erfolg und doch waren Nägel auf der Strecke. Auch dieses Geheimnis wurde gelüftet, und zwar stellte es sich heraus, dass ein Fahrer die Nägel in seiner Lenkstange verstaut gehabt und durch Abziehen des Griffes in Freiheit gesetzt hatte.

 

Weit schlimmer als in Deutschland walteten in Frankreich die Nägelstreuer ihres Amtes. Viele grosse Rennen wurden durch die Nägel zu  falschen Ergebnissen geführt und in die Tausende gehende Werte an Reifen wurden vernichtet. Der Kampf gegen die Nägelritter wurde auch jenseits der Vogesen mit allem Nachdruck geführt, aber länger als in Deutschland hielten sich die Nagelhelden auf der Höhe und erst in jüngster Zeit hat das Nägelstreuen nachgelassen.

 

„Der Schuft aller Schufte“ ist aus dem deutschen Strassenrennen hinausgeekelt worden, aber mit ihm wurden nicht alle unlauteren Elemente beseitigt, da es stets Fahrer gab, die durch List und Verschlagenheit zu dem Erfolge gelangen wollten, den ihnen ihre Beine versagten.

 

Erst in der letzten Rundfahrt durch Frankreich wurde einem Fahrer der Rahmen seiner Maschine zersägt, um ihm am Siege zu verhindern, und die Fälle, in denen aussichtsreichen Fahrern die Reifen zerstochen oder die Ersatzreifen entwendet wurden, waren nicht selten.

 

>>> Fortsetzung


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