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Udo Alltag's unvergessliche Rheinland-Pfalz-Rundfahrt 2002

 

Mittwoch, 18. September -Jetzt bin ich schon 20 Jahre im Geschäft und schreibe das erste Mal über eines meiner Rennen. Ich muß zugeben ich bin etwas nervös und verunsichert. Wo soll ich beginnen? Beim Start, bei der Einschreibung. Es war toll, meine ganze Familie war da, die Frau, mein Sohn, die Eltern, meine Geschwister, Neffen und Nichten, Cousins und Cousinen. Aus der ganzen Pfalz reisten sie an. Ich bekam von allen Fahrern bei der Vorstellung den größten Applaus, zum ersten Mal in meiner Karriere. Selbst Marcella, mit der ich mich am Vorabend ausgesprochen hatte, rannen ein paar Tränen der Rührung über die Wangen. Es war herrlich. Das Gefühl hielt die ganze Etappe an. Zu Beginn klopften mir so viele Fahrer auf die Schultern, dass ich so viel Schwung bekam und mich plötzlich in einer Spitzengruppe befand, als einziger unseres Teams. Der Zielsprint war dann etwas konfus. Mein Vetter Karl-Heinz, Polizist von Beruf, der uns den Weg mit seinem Motorrad weisen sollte, wurde angesichts meiner Siegchancen so nervös, dass er die letzte Kurve versäumte und falsch abbog. Bis ich den Irrtum merkte, war es zu spät. Schlußendlich kam ich als 4. ins Ziel, bekam aber nach der Zieldurchfahrt den größten Beifall, das erste Mal in meiner 20jährigen Karriere.

 

Donnerstag, 19. September – Heute war ich Gesprächsthema Nummer 1 im Feld, das erste Mal. Alle Fahrer zogen mich auf wegen meinem Vetter, als ob ich was dafür konnte. Die Hänselei war zeitweise so schlimm, dass ich mir wünschte Krank mit seiner Katze wäre hier. Irgendwann reichte es mir, ich bekam so eine Stinkwut, dass ich jeden Anstieg von unten bis oben volle Pulle fuhr. Da mußten die anderen so schnaufen, dass sie keine Luft mehr hatten, mir weiter auf den Geist zu gehen. So nebenbei fuhr ich auch noch ins Bergtrikot, das erste Mal in meiner 20jährigen Karriere.

 

Freitag, 20. September – Das erste Mal in meiner Karriere schlief ich in einem Radtrikot. Es war ein traumhaftes Gefühl, als ich erwachte. Während dem Rennen hatte ich die ganze Zeit eine Gänsehaut auf meinem Rücken. In der Euphorie war es für mich kein Problem mein Trikot zu verteidigen. Ich flog die Anstiege hinauf, mit einer Leichtigkeit, wie ich sie nie zuvor verspürte. Bei der Siegerehrung bekam ich natürlich von allen Geehrten den größten Applaus, das zweite Mal in meiner 20jährigen Karriere!

 

Den 21. September 2002 werde ich nie vergessen! Der erste Sieg in meiner 20jährigen Karriere, ich kann es noch gar nicht richtig glauben, ich könnte heulen vor Glück. Und das alles noch auf der Kalmit Etappe, unser berühmter Pfälzer Anstieg. Schon am Fuß der Steigung attackierte ich und riß schnell ein Loch zu dem Rest. Den Versprung vergrößerte kontinuierlich bis zur Bergwertung und ich war in der Lage ihn bis ins Ziel zu verteidigen. Ich übernahm durch meinen Husarenritt noch sensationell die Führung im Gesamtklassement. Die Stimmung der Fans war wieder genial. Sogar einer mit einem FC Köln T-Shirt feuerte mich an. Unter uns, falls er das liest, er sollte vielleicht ein bißchen mehr essen, so mager wie er aussah. Im Ziel wurde der Trubel mir fast zu viel. Die Siegerehrung für den Etappensieg, für das Trikot des Gesamtführenden, für das Bergtrikot, Interviews, die Schulterklopfer, dabei sind meine Schutern noch von der ersten Etappe ganz blau. Eine richtige Tortur war die anschließende Dopingprobe, es war die erste in meiner 20jährigen Karriere. Ich konnte einfach nicht, ich war so nervös. Egal wieviel ich trank und es waren Unmengen. Nach 3 Stunden hatte ich dann genug Tropfen für die Herrn Kontrolleure heraus gequetscht. Die anschließende ¾stündige Fahrt ins Hotel war dann eine Tortur für Marcella. Sie freute sich zwar, wie das ganze Team über meinen Triumph, aber dass sie alle 10 Minuten kurz anhalten mußte, das nervte sie schon, genauso wie meine Bierfahne.

 

Sonntag, 22. September – Geschafft, mein erster Rundfahrtsieg und das nach 20 Jahren. Ich bin fix und fertig. Selbst Inga reist heute noch an, um mich zu unterstützen. Und meine Teamkollegen, wie sie sich auf der Etappe für mich zerrissen, ich bin den Tränen nahe. Kurz vor dem Start erzählte mir Marcella, dass gestern selbst die Zwillinge freiwillig, zeitig und ohne Begleitung ins Bett gegangen waren, angeblich das erste Mal in diesem Jahr. Es ist so toll. Jetzt ist es wohl an der Zeit für mich, ein paar Leuten zu danken: An erster Stelle muß ich meinen lieben Eltern danken, die mich immer unterstützten, meinen Großeltern, die mir mein erstes Rad schenkten, meiner Frau, ich weiß mein Schatzi, es ist nicht leicht die Frau eines Berufsradfahrers zu sein, meinem Sohn, der nie murrte, wenn ich mal wieder eine Schulaufführung versäumte, bei meinem ersten Trainer, der mein Talent erkannte und mich immer antrieb, ohne ihn stünde ich nicht dort, wo ich jetzt bin, bei Inga Jinx, die mir als einzige dieses Jahr noch einen Vertrag gab, bei Marcella, bei allem Streit, den wir hatten, aber sie ist ein Profi, bei den Mechanikern, Masseuren und Kollegen mit denen ich die schönste Jahre meines Lebens verbrachte. Ich werde euch alle vermissen. Noch ein paar Worte an JJA: Na du charismatischer Medienprofi, wer ist hier zu alt?

 

Zum Schluß möchte ich noch Gott danken, dass ich das alles noch erleben durfte. Einen schöneren Abschluß einer Karriere kann es nicht geben. Zurückzutreten mit einem Sieg in der Heimat, das ist nicht jedem vergönnt, es ist übrigens der erste Mal, dass ich zurücktrete in meiner 20jährigen Karriere .............

 

 

Beitrag von Susan und Werner


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