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Radlerprosa



etc. PP - Posers Prosa

Ernstes, Lustiges, Skurriles von Radsportfan Manfred Poser - <a href="http://manipogo.de/">manipogo</a>



Wong und Wäng - Elf Tage in der Languedoc



November; da denkt man gern an die sommerlichen Radtouren zurück. Bei mir war’s leider nur eine. An einem Montag Mitte September, als für die ganze Woche Regen angesagt war, nahm ich einen Zug nach Nîmes, um dann mit dem Rad die Languedoc hinunterzufahren – das ist der Landstrich von Montpellier bis zur spanischen Grenze.

 

Ruhig war’s im Zug, zwei jüngere Beerdigungsunternehmer plauderten über ihr Metier, und dann stieg ein alter Mann mit weißem Bart zu. Er hatte ein Rad mit zwei Packtaschen, auf denen „Paris-Pékin“ stand. Er erzählte, wie er mit 100 anderen Radlern 2008 nach Peking gefahren sei, wo die Olympischen Sommerspiele damals stattfanden. Das hat vier Monate gedauert.

 

Tief hängende Wolken bis hinter Lyon, die sich jedoch auflösten. Sonne in Nîmes! Ein junger Mann, der mit dem Rad aus der Arbeit kommt, lotst mich zum Campingplatz. Beim Essen plaudere ich mit zwei Lastwagenfahrern, und dann mit Wein auf einer Rasenfläche, Blick auf den vollen Mond.

 

Dann über verlassene Wege in die Camargue hinein und über Aigues-Mortes und Grau-du-Roi nach Palavas-les-Flots.

Weißes Pferdchen in der Camargue



Palavas-les-Flots
In einer alten Kirche in Maguelonne

Der nächste Campingplatz ist teuer: 25 Euro. Pech. Er hatte fünf Sterne, das hatte ich übersehen. Drei Sterne bedeutet 15 Euro, vier 20, und 5 Sterne eben 25. Unfreundlich war die Dame am Empfang auch noch. Doch der Platz im Sand vor einem Gitter direkt am Meer war genial. Nachts der Vollmond über dem Wasser. Leider heftiger Wind, der am Zelt zieht und zerrt. Da lernte ich auch Pete kennen, einen pensionierten englischen Fotografielehrer.



Mit Pete und Steve und Dodie

Gemeinsam fahren wir nach Maguelonne und am Canal du Midi entlang fast bis Sète.

Am Canal du Midi


Dann eines dieser wunderbaren Treffen: Ich winke Pete auf die Straße, er kommt, und gegenüber empfängt uns ein kanadisches Paar mit Rädern. Steve und Dodie Miller sind schon vier Monate unterwegs und suchen verzweifelt den Weg nach Sète. Wir fahren also zu viert nach Frontignan, ich spanne mich vor und geleite die Gruppe gut durch Sète hindurch, denn das ist ein Wirrwarr aus Straßen und Brücken. Endlich der lange Radweg direkt am Meer entlang. Wir verabschieden uns (Ich bin zu schnell oder: Sie sind zu langsam.).

Pete und Dodie
Pete, Dodie, Steve
… dann noch ich


Hinter Agde lande ich in Vias-Plage mit 30 Campingplätzen. Viele sind schick und teuer mit einer tollen Rezeption, andere sind gar nicht auf Zelte eingerichtet … überall stehen diese „Mobile Homes“ herum, diese Holzbauten, einer neben dem anderen wie in einem Lager. Wo ist ein normaler Campingplatz? „Le Navarre.“ Jean-Luc ist der Chef und verspricht ein gemeinsames Abendessen mit 60 Leuten, 15 Euro kostet das Menü. Das war dann nett, ich war der Ehrengast und saß neben Michelle und Michel, meist waren es ältere Franzosen, die gern trinken und ratschen. Auch getanzt wurde. Ich mochte Michelle, die 73 war und supernett.

 

Am nächsten Tag den Canal du Midi entlang. Da holpert man dahin. Da hätten die Franzosen wunderbare Radwege bauen und den Tourismus fördern können, aber das Rad spielt in Frankreich eben eine Nebenrolle. Man trifft freilich viele Fernradler, Holländer und Deutsche, Engländer und auch Franzosen.

Nebenrolle: Kinder machen eine Ausfahrt
französische Schwestern auf Radtour


Am Meer

Ich schaute mir Béziers an. Heftiger Wind. Ich musste über einen Hügel und verpasste eine Abzweigung.

Ansicht von Béziers


Erkundigte mich bei einer Weinhandlung und nahm für den Abend einen herrlichen Sauvignon blanc für 4,50 Euro mit. Da kann ich auch die etwas seltsame Überschrift erläutern, denn den Einfall dazu hatte ich beim Weinkaufen. Denn Wein wird in der harten südfranzösischen Mundart wie „Wäng“ ausgesprochen, und bei der Hinfahrt hatte mir der alte Radler (mit zwei künstlichen Kniegelenken) etwas über Nîmes verraten, was ich freilich schon wusste: „Beaucoup vent.“ Viel Wind. Und er sprach „vent“ wie „Wong“ aus. Also Wong und Wäng, von beidem gab es viel. Dann St. Pierre de Mer. Ein gespenstischer Campingplatz.

 

Ich ging aus dem Campingplatz hinaus in Richtung Meer, und da verschlug es mir die Sprache: eine Wüste. Ich war allein. Die Sonne ging unter und warf schräge Schatten über den glatten Sand. Der Wind pfiff. Wunderbare Einsamkeit. Kilometerlanger Strand ohne einen Menschen.





Starker Wind. Er schlief ein, dann holte er wieder Atem und rüttelte an meinem Zelt; ich fand keinen Schlaf. Vorher hatte der Campingplatzchef gesagt, ich müsse morgen verschwinden, wo mein Zelt stünde, das sei eine Art Park. Am nächsten Tag war er aber riesig nett und schickte mich nach Narbonne-Plage zum öffentlichen Campingplatz, wo mich ein kaum motivierter Rastamann empfing. Vom Platz geht man zehn Minuten zum Meer. Man kann durch wildes Gebiet nach Narbonne fahren, wo ich dann die Kathedrale besuchte und eine unterirdische Grotte, die früher einmal eine römische Kaufhalle war.

 

Der Wind hatte sich gelegt. Aber ich wollte wieder zurück und nahm fast denselben Weg, nur machte ich dieses Mal in Marseillan-Plage Station. Den Campingplatz kannte ich von 2012. Er heißt „La Plage“ und ist der letzte einer Reihe von Plätzen an der „Budenstraße“ vom Zentrum weg. Zugang zum Meer hat er wie die anderen auch. Der Chef, Mr Migeot, ist ein sehr Netter. Er hat eine Kiste mit Büchern vor dem Empfang aufgestellt, aus dem sich Gäste bedienen können. Leider verschwinden viele Bücher. Also habe ich ihm meinen Roman geschickt. „Wir haben Ihre Buch gut empfangen und probieren es mal zu lesen“, schrieb Migeot in gutem Deutsch. Seine Frau berechnete weniger, als ich abfuhr und erwähnte: „Wir machen immer eine Geste für die Radfahrer.“ Unbedingt zum Camping La Plage, Marseillan-Plage!



Les Saintes-Maries

In einem Tag wieder zurück und dann natürlich nach Les Saintes-Maries-de-la-Mer. Mag ich. Die Kirche mit den Reliquien der heiligen Marien, die bekanntlich aus dem Heiligen Land hierher gekommen waren – und mit dem Raum für die schwarze Sara, ihre Dienerin, der Schutzpatronin der Zigeuner.

Das Katharer-Kreuz
Die heilige Sara


Dann war wie vor zwei Jahren wieder der Stierkampf in der Arena. So wiederholt sich das Leben; es war genau derselbe Tag. Aber man hat zwei Jahre gelebt und sich verändert. Plötzlich fand ich das Getue albern und es doof, dass da 13 Männer diesen einen armen Stier reizen. Jede Minute verkündet der Sprecher, dass eine Firma den Preis um einen Euro erhöht hat, und irgendwann büxte ich aus und legte mich unterhalb der Arena in den Sand.



Dann wollte ich heim. Fuhr stramm die 80 Kilometer bis Avignon. Der Zug nach Mülhausen sollte um 14 Uhr abgehen, ich war eine Stunde vorher da. Ich hatte schon ein schlechtes Gefühl, und: Der Zug war voll. Es fand sich eine Lösung über Dijon (drei Stunden warten). Wieder (wie vor zwei Jahren) lief die Rückfahrt nicht optimal, weil der Bahnmitarbeiter herumklickte und mich nicht richtig fragte. Lyon war dann voller Menschen, auch in Dijon liefen alle hektisch durcheinander, als müssten sie vor etwas fliehen, und um zehn Uhr abends war ich in Mülhausen. Dann noch zwei Stunden heim durch den finsteren Wald. Voilà.

 

Mein Rad


 

&copy Text und Fotos Manfred Poser, November 2013


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