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L`Eroica - die Heldenhafte

Text und Fotos von Michael Faiß, Dezember 2009



der Anfang

Primavera 1997. Frühling war’s, und in einer schnuckeligen Bar im Herzen der Toskana trafen sich Giancarlo Brocci, Mediziner, Buchautor und super Langstrecken-Radrennfahrer, Luciano Barotti, Radsammler aus Livorno und noch ein paar Radsportbegeisterte. Vielleicht nach einem lokalen Radrennen des Parco Ciclistico del Chianti und bei ein paar Gläschen des Selben kamen sie zusammen. Wie es doch früher schön war, als Fausto Coppi oder Gino Bartali in der Toskana gnadenlose Kämpfe ausfochten! Das sind Namen, bei denen jeder Radfahrer hier in Ehrfurcht erstarrt. Und was das doch heute für Weicheier sind. Mit Klickpedalen und Karbonrahmen – nicht mit Stahlpferdchen wie dazumal und überhaupt … „Roberto, Chianti prego!“



Und in dieser feuchtseligen Harmonie musste einfach die Wette entstanden sein. In die Runde geworfen wahrscheinlich von Roberto, dem Wirt: „Ihr bringt bestimmt keine 50 Rennradfahrer zusammen, die hier in der Umgebung von Gaiole in Chianti auf den alten Schotterpisten die heldenhaften Taten von früher aufleben lassen!“

Und dann – der Preis der Wette, der Hauptgewinn? Was wäre das?

 

Vielleicht die Erhaltung der Schotterstraßen, der Strade Bianche (die „weißen Straßen")! Dies sind die nicht asphaltierten Verbindungen zwischen den kleinen Dörfern und Weingütern, die staubigen Kronzeugen jahrtausender langer Kommunikationen der hier lebenden Menschen. Diese netten, an Wanderwege erinnernden Sträßchen, ohne sie wäre die innere Toskana ein Land wie ohne Wein und Olivenbäume. Es gibt tatsächlich Bestrebungen einflussreicher Leute, die lieber die ganzen Strecken geteert sehen möchten. Es könnte ja sein, Silvio Berlusconi kommt eines Tages mit einem Ferrari zu Besuch.



Die „Strada Bianca“

Noch ein paar Chianti mehr, ein gemeinsamer Handschlag auf das Verfügte, dann Schreie:

„ Forza, Forza …“ – und L`Eroica war geboren.

 

So in etwa musste sich das vor 13 Jahren abgespielt haben. Und bei der ersten gemeinsamen Ausfahrt waren doch tatsächlich 101 Fahrer mit historischen Rennrädern am Start!



Ein B.S.A. Renner um 1910


L’Eroica heute

Heute ist alles perfekt organisiert. Die Startbedingungen sind klar definiert. Es müssen alte Rennräder sein. Wenn Schaltungen, dann die Griffe doch mindestens unten am Rahmenrohr. Fußschlaufen um die Pedale und Außenzugbremsen. Dazu ein historisches Wolltrikot, Sturzriemenkappe auf dem Kopf oder eine andere Bedeckung. Ein richtiges Rennen soll es aber nicht sein, es gibt keine Zeitnahme. Die Freude am Fahren mit alten Rennrädern, das gemeinsame Ins-Ziel-Kommen und der unglaubliche Spaß, dabei zu sein. Darum geht’s. Das ist mehr wert als der 164. Platz unter 3000 Teilnehmern. So viele sind mittlerweile zugelassen.



Der Veteran. Auf seinem Rad sieht man ihm nicht an, dass er schon 80 Jahre zählt!

Es gibt vier Streckenlängen zur Auswahl, 38, 75, 135 und 205 Kilometer, davon sind jeweils etwa 70 Prozent auf Schotterpisten zu fahren. Die Höhenunterschiede betragen 1000 bis fast 4000 Meter. Die zwei kürzeren Strecken sind für Fahrer älterer Maschinen gedacht, die längeren sind eigentlich nur mit jüngeren Oldtimern zu bewältigen.

 

Wir drei, Hauke, Falke und ich entschlossen uns für die 75 Kilometer. Obwohl wir sicherlich mehr fahren könnten, bin ich von früheren Veranstaltungen gewarnt. Es ist kein Zuckerschlecken, hier zu fahren. Auch nicht die kürzeste Entfernung von 38 Kilometer. Das Radeln auf Schotter und Sand kostet sehr viel Kraft und Kondition. Vor allem, wenn es runter geht. Schließlich heißt die Veranstaltung "L`Eroica – die Heroische!"



der Autor

Als wir uns im Juni dieses Jahres per Fax angemeldet hatten, konnte es im Herbst endlich losgehen. Nach über 900 Kilometer Autofahrt zogen wir am 1. Oktober abends die würzige Luft des zurückgekehrten Sommers in der Chiantiregion genüsslich ein. Untergebracht waren wir in einem herrlichen gelegenen Weingut, nicht weit von Gaiole entfernt. Dafür einige Meter höher.

 

Die Zimmer waren perfekt und die netten Nachbarn ebenfalls: Rennradfahrer aus England und der Schweiz. Man konnte sich unter seinesgleichen fühlen.

Vor der ersten Probefahrt mussten zuerst die Räder zusammengebaut werden. Hauke hatte seinen wunderschönen Rabeneick-Campagnolo Renner mit 20 Gängen von 1951 mit dabei, Falke sein Pinarello Typ SM (Super Markt) aus den 70-ern, auch mit 20 Gängen, und ich meinen Berliner Talbot-Renner von 1937 mit F&S 3-Gang Kettenschaltung. Alles in einem, Räder prädestiniert für dieses Rennen …



Zwei nette Pärchen. Rabeneick und Pinarello


Die nächsten zwei Tage sollten dem Radfahren gehören.

Wenn Gott diese Gegend erschaffen haben sollte, dann muss er ein Radrennfahrer sein!

Ein viel versprechender Ausblick


Soweit das Auge reicht, nur sanfte Berge oder Täler. Beim Fahren in dieser Region geht es entweder hinauf oder hinunter. Wie auf hoher See. Nur ganz wenige Strecken sind eben. Weinanbaugebiete lösen sich mit Olivenhainen ab. Auf den Hügeln stehen prächtige historische Anwesen, die vom unglaublichen Reichtum in der Vergangenheit zeugen. Kleine, weitverstreute Ortschaften, die mit ihren kleinen Bars zum Verweilen einladen. Überall ist man als Radfahrer willkommen oder erhaschen die alten Drahtesel neugierige Blicke.



Oldtimerausstellung in der Sporthalle

Dann am Samstag in Gaiole der Rad-Flohmarkt, der aber wegen der sehr hohen Preise nicht gerade rühmlich ist. Die Ausstellung der Radoldtimer in der Turnhalle war aber Klasse. Urahnen von Rädern stehen neben Rennern, die vor Jahrzehnten die Tour d`France oder den Giro gewannen. Maschinen, die die Herren Bartali oder Coppie die Berge hinaufgepeitscht haben. An den Wänden hingen Trikots der Radikonen, die teilweise von Motten angeknappert waren. Einfach weltspitze!

 

Die Startkartenausgabe ging problemlos von sich. Man konnte dem kommenden Tag, dem Tag der L` Eroica, zufrieden entgegensehen. Nach über hundert Kilometern Probe fahren und einigen Höhenmetern wussten wir was auf uns zukam.



Das Rennen

Am Start

Der Sonntagmorgen war frisch. Zuerst mussten wir aus der Höhe kommend nach Gaiole einfahren, was uns eine erste Gänsehaut bescherte. Die zweite erwartete uns in Gaiole. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was sich da an in kunterbunten Wolltrikots gekleidete Radfahrern mit ihren historischen Rädern in den engen Gässchen tummelte, war sehenswert. Ein Hubschrauber kreiste im Tiefflug über uns. Polizisten machten den Weg für die Heroischen mit alten Polizia Moto Guzzis und Alfa Romeos mit lauten Hörnern frei: beinahe der Start zu einer Tour-de-France-Etappe. Aus den Bars drangen Hände mit Chianti gefüllten Gläsern zu den Rennern heraus. Schreie: „Benzina, Benzina!“ oder „Forza, Forza!“ Unsere Anspannung stieg ins Unerträgliche. Das Gefühl, kurz vor den Start dabei zu sein beim größten historischen Radrennen der Welt, das ist nicht zu beschreiben!

Und irgendwann mussten wir uns auf unsere Aufgabe konzentrieren. Auf L`Eroica – auf das Rennen! Es ging los. Unter tosenden Beifall waren wir plötzlich auch auf der Piste.



Dieses Bild sagt alles. Hinten geht’s wieder runter

Der erste „Getreideberg“ (laut Hauke) stellte sich nach wenigen Kilometern ein. Hier scheidet sich die Spreu vom Weizen. Und uns wurde mächtig warm beim Bergfahren. Auf den nächsten Kilometern wechselten sich Höhenzüge mit Talfahrten ab. An die gefürchteten Schotterstraßen gewöhnten wir uns rasch. Mir machte es so richtig Spaß, auf den unebenen, weichen Sträßchen zu fahren. Besonders hinunter ließ ich es so richtig laufen. Wulstbereifung und Rücktrittbremse machen es möglich. Und schließlich, wozu war man denn früher Radballspieler gewesen! Auch Hauke hatte mit seinen dünnen Schlauchreifen keine Probleme, eher mit seinen Bremsen. Und Falke erst recht nicht. Der hatte dank massiver Sitzbeschwerden und einem Rad, das diesen Ansprüchen nicht gewachsen ist, auf den Start freiwillig verzichtet. Er wollte heute die L` Eroica in Gaiole so richtig genießen.



Getränkeversorgung auf Italienisch…

Und irgendwann kam eine Bar, die uns einlud. Cappuccino und ein Süßgebäck, das Leben ist doch herrlich. Bei Kaffee & Dolci verspürten wir allerdings Zeitdruck. Bianchis rasten vorüber. Männer mit um den Körper gewundenen Schlauchreifen gestikulierten lauthals. Leder, Stahl und Wolle, das sind die Stoffe, aus denen hier die Träume sind. Wow, wie in den Fifties!

 

Es ging weiter, diesmal auf einen Anstieg, der kein Ende zu nehmen schien. Und plötzlich war der Hauke weg! Er ist unser Bergmeister, das ist bekannt. Normalerweise wartet er auf der Höhe auf mich. Aber da war er nicht. Und zu meinem Erstaunen hing er plötzlich hinter mir. Schnaubend, mit von Anstrengung gerötetem Kopf erklärte er mir, dass er sich verfahren hatte! Fast ganz oben fuhr er statt nach rechts links am Ort vorbei und wieder steil hinunter! Er hatte das wegweisende Schild einfach übersehen! Nach einigen Kilometern (Hauke: „kurz vor Florenz“) bemerkte er seinen Irrtum. Also wie ein Blitz wieder zurück und hinauf. 380 Höhenmeter und 14 Kilometer hatte er nun mehr auf dem Tacho als ich. Eine stramme Leistung.

 

Auf der Anhöhe stand eine Verpflegungsstelle für die Fahrer bereit. Hübsche Italienerinnen in sehr originellen, historischen Kleidern reichten uns Speisen. Die Getränke waren leider ausgegangen. Weder Wasser noch Wein! Nachschub ist bestellt, dauert aber noch ein kleines Weilchen. Und das bei einer sonst so perfekten Organisation. Wir ließen unsere Startkarten hier abstempeln und radelten gleich weiter. Ich wusste vom letzten Jahr, dass es ein Stückchen weiter eine Ortschaft mit einem Brunnen gab. Dort füllten wir unsere Getränkeflaschen und machten uns auf zum letzen, sehr anspruchsvollen Abschnitt dieses „Rennens“.



Hauke und Michael an der Streckenkreuzung. Wir fuhren links

Es ging zuerst sehr steil und lange auf einer Schotterpiste abwärts. Unten angekommen, stank es fürchterlich nach heißem Eisen und gekochten Fett. Meine Bremsnabe rauchte! Also nichts wie weg und gleich wieder steil nach oben. Der Schweiß lief mir brennend in die Augen, ich sah fast nichts mehr.



Hauke überglücklich im Ziel

Und irgendwann fuhren wir zusammen und umringt von Menschenmassen nach Gaiole unter dem Zieleinfahrtsbanner „Traguardo“ ein. Uff! Geschafft und abstempeln!

 

Staubig waren wir von den weißen Strassen und ehrfürchtig von den Fahrern der längeren Strecke. Aber irgendwas stimmte hier nicht. Es war seltsam still. Keine Blasmusik ertönte. Die schier nicht zu bändigende Ausgelassenheit der italienischen Fans war verstummt. Unser Freund Falke, der im Ziel auf uns wartete, klärte uns auf. Ein 44-jähriger Italienischer Rennradfahrer sei ums Leben gekommen. Herzinfarkt und auf ein Auto geprallt. Man konnte ihm nicht mehr helfen. Es gab deshalb keine Siegerehrung, keine stürmischen Lobeshymnen auf die Heroen und nur Trostpreise. Festa basta!

 

Auch wir waren sehr betrübt von dieser Nachricht. Wie in Trance gingen wir zum normalen Tagesgeschäft über und bestellten uns erst einmal drei „Birra Moretti“, der Durst verlangte es. Wir blieben noch ein paar Stunden unter den netten Leuten, liefen nochmals durch den Flohmarkt, besuchten abermals die Radoldtimer und fühlten uns einfach wohl. Und irgendwann, ganz spät am Abend, fiel es uns ein, dass wir ja noch einen Berg zu bewältigen haben...

 

Ciao Bella, ciao Eroica, auf Wiedersehen du schönes Dorf und mille Grazie an die nette Bedienung, die uns mit ihrem verführerischen Lächeln das Bier brachte. Kommst du wieder? Claro, vielleicht das nächste Jahr! Und fast mit einer Träne in den Augen traten wir dann heftig in die Pedale und waren auf und davon. Macht ja nichts, sieht ja eh keiner, ist ja schon lange Nacht.



Rückblick auf eine schöne Eroica 2009

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