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Radlerprosa



etc. PP - Posers Prosa

Ernstes, Lustiges, Skurriles von Radsportfan Manfred Poser



Fahrspass auf dem Freipass – Klausen ohne Autos!

Der fast 2000 Meter hohe Klausenpass verbindet die Schweizer Kantone Uri und Glarus und wird von vielen Rennradfahrern geliebt. Die Auffahrt von Osten, von Glarus, ist schöner als die westliche von Altdort und führt an 2900 Meter hohen Bergen vorüber. Der Klausen hat außerdem den Vorteil, gut erreichbar zu sein: Mit dem Zug von Zürich ist man nach eineinhalb Stunden ganz nah an seinen Rampen. Auf dem Gipfel steht eine >>> Webcam

 



Klausen gesperrt, nanu? Liegt etwa Schnee?

Am 24. September 2011, einem Samstag, war der Klausen autofrei. Ich hätte das nie erfahren, hätte mir es nicht Peter Schnyder am Telefon gesagt. Im Blog Velo (www.velofahrer.ch) hatte ein gewisser Dominik schon am 1. September geschrieben: „’Freipass’ hat es bekanntlich nach manchem Hoselupf gegen die Urner Stiernackigkeit geschafft, den Klausenpass am Samstag, 24. September, autofrei zu kriegen – für (kümmerliche) sechs Stunden immerhin.“ Der Kanton Uri trägt den Stier mit Nasenring im Wappen (daher die Anspielung); er ist einer der drei Urkantone (neben Schwyz und Unterwalden), die 1291 die Eidgenossenschaft zustande brachten. Heute wäre Wilhelm Tell bei Freipass dabei. Die Überschrift des Artikels hieß „Autofrei über den Klausen: Nichts wie hin!“ – Klar.

 

Ich nahm kurz vor acht den Zug von Zürich Flughafen nach Ziegelbrücke, der das ganze Südufer des Sees streift und im Glarnerland, den kleinen Kanton Glarus endet. Ich hatte mit Dutzenden Gleichgesinnten gerechnet – aber ich war alleine und musste mich noch dazu von einem jüngeren Mann bequatschen lassen, der die Nacht in Zürich verbracht hatte und noch von LSD angetörnt war. Als wir ankamen, setzte sich gerade die Sonne durch. Der See hatte unter Nebel gelegen, aber nun: blauer Himmel.



Anfahrt und Anstieg

Durchfahrt durch Glarus.

Es geht durch Näfels, Netstal, die Kantons-Kapitale Glarus und durch Schwanden. Die Nationalstraße 17 ist viel befahren, wann kommt denn endlich autofrei? Allmählich werden es mehr Rennradler. Eine Gruppe biegt vor mir ein, deren Hosen hinten mit dem Wort Burgenstürmer verziert sind. Von hinten dann stramm und schnell überholt der Klub aus Regensdorf bei Zürich. Und dann zeigt sich auch noch der VCM aus Urdorf. Sie tragen das Bild eines schwarzen Stiers auf dem Trikot. Aber Vorsicht: Urdorf liegt im Bezirk Dietikon, Kanton Zürich und hat auch einen Stier im Wappen, aber schwarz und ohne Nasenring wie der berühmte „Stier von Uri“.



Glückhafte Rückkehr vom Berg.
Der Radfahrer
und die Kuh.

Unglaublich, dann war auch noch Almabtrieb! Das ist meist Ende September, die Kühe beenden die Sommersaison auf den Bergen und kehren zurück. Geschmückte Kühe, begleitet von weißgewandeten Hirten und Hirtinnen, näherten sich glockenläutend, und es kam zu Begegnungen von Radfahrern und Vierbeinern.



Die Anfahrt zum Berg.
Schon in
den Serpentinen.

Es geht gemächlich höher, und dann ist Linthal erreicht. Der Klausenpass ist von dort bis hinüber nach Unterschächen UR (Kanton Uri) für Autos verboten; und da ist auch die Sperre, zwei Dutzend Radler bereiten sich vor, die Blockade für Autos gilt von 10 Uhr bis 16 Uhr, und jetzt ist es viertel vor elf.

 

Da vorne dann die ersten Serpentinen. Und jetzt kommt das Adrenalin, und es fängt an, Spaß zu machen ... denn wer immer nur im Schwarzwald alleine bergauf und bergab fährt wie ich, möchte manchmal auch gern andere überholen. Und dazu gab es reichlich Gelegenheit, das gibt dir den Kick! Ich fing an, die Radler zu zählen, die ich überholte sowie diejenigen, die mich überholten. Oben auf dem Pass hatte ich 221 hinter mir gelassen – nicht gezählt die Kandidaten, die bereits jetzt in Cafés saßen oder die stehengeblieben waren – und war meinerseits von 72 überholt worden.



Unter den von mir Überholten waren freilich auch viele Radler mit Gepäck und viele Mountainbiker, ein oder zwei Liegeradler, und unter denen, die mich hinter sich ließen, waren viele junge Rennradler, ein Ehepaar auf dem Elektrobike und kurz vor dem Pass noch ein alter Haudegen mit beachtlichen gebräunten Waden, der über siebzig sein musste. Aber es ist großartig. Sonst fährt man ja gemütlich seinen Stiefel, aber wenn es Konkurrenten gibt – und so viele noch dazu! –, merkt man, dass man zwischendurch am Berg beschleunigen kann, und wenn eine kleine Gruppe hinter einem fährt und man das Tempo leicht erhöht und sich hinter einem Luft auftut, dann ist das das Höchste! Eine Frau mit einem orangefarbenen Trikot von einer Reise durch Thailand (Siam Tours) fuhr ungefähr mein Tempo, wir unterhielten uns und überholten eine Gruppe nach der anderen, dann ließ ich sie ziehen ...

Ein Liegeradler und zwei Männer, die leere Schubkarren schoben. Ein Hauch von Anarchie ...


Immer höher schrauben wir uns, es geht durch Wälder, wieder ins Freie, und ganz weit unten liegen die grünen Matten; es ist berauschend, unter diesem blauen Himmel an den Flanken der Berge immer höher zu fahren, was für ein Tag!

Blick zurück ins Flachland.


Und dann denkt man immer: Die Passhöhe kann nicht weit sein. Doch vorn geht es ums Eck und da oben noch einmal höher und wieder höher, kleine Figuren mühen sich da hoch, und wie gut, dass ich zwischendurch angehalten und meine zweite Banane ausgepackt hatte. Leichte Formkrise auf dem letzten Kilometer. Doch die Tränke da rechts kenne ich, nur noch eine Biegung hoch zum Gipfel, und dann fahre ich auf eine Versammlung von gewiss zweihundert Radlern zu und rolle am Schild vorbei: 1952 Meter.



Der Gipfel – und Abfahrt

Fröhliche Versammlung auf dem Gipfel.
Blick ostwärts Richtung Glarus.

Oben warten Stände mit Honig und Käse und anderen lokalen Produkten. Dominik hatte in seinem Blog geschrieben: „Der Anlass hat nur Chancen auf Akzeptanz und Wiederholung, wenn die lokale Gastronomie/Hotellerie einen befriedigenden Umsatz erzielt.“ Er empfahl, einzukehren statt zu picknicken. Ich holte mir Spaghetti Napoli und ein kleines Bier und fühlte mich wohl. Selten ist man von so vielen anderen Rennradlern umgeben. Dreihundert während meiner Fahrt, dann all die anderen: tausend Rennradfahrer werden es schon gewesen sein, denn viele kaman auch später noch von Altdorf hochgefahren. Viele waren allerdings mit dem Auto angereist und packten unten auf den Parkplätzen ihre Räder aus. Ich hatte mir das auch überlegt, es aber verworfen. Ich hätte die 44 Franken der Bahnfahrt sparen können, aber man muss ja immer zu seinem Fahrzeug zurückkehren.



Statue für Wilhelm Tell in Altdorf.
In Altdorf. Links oben der Stier mit dem Nasenring, das Wahrezeichen des Kantons Uri.

Nach einer dreiviertel Stunde schlüpfte ich in meine Windjacke und fuhr hinunter. Zur Linken geht es steil hinab, vermutlich tausend Meter in das dunkle Tal. Die 30 Kilometer nach Altdorf sind schnell zurückgelegt, da gibt es das Tell-Museum und die Tell-Statue mit der Armbrust. Friedrich Schiller war nie in der Schweiz, aber sein Drama Wilhelm Tell über den Freiheitshelden, der dem Tyrannen Paroli bietet, war ein Treffer. Noch heute kann man schön aus ihm zitieren, und auf uns Rennradfahrer passt etwa der Spruch: „Wär ich besonnen, hieß ich nicht der Tell.“ Frei jagen wir die Berge hinunter, und was sagt Tell? „Doch herrenlos ist auch der Freiste nicht.“



Aber wir gehören alle zusammen: „Wisset, Rennradfahrer! Ob uns der See, ob uns die Berge scheiden, und jedes Volk sich für sich selbst regiert, so sind wir eines Stammes doch und Bluts, und eine Heimat ists, aus der wir zogen.“ Natürlich sagt der Tell bei Schiller Wisset, Eidgenossen, doch da wollen wir nicht kleinlich sein.

Der höchste Punkt, unerreichbar für Räder.
Abfahrt,
Blick ins Tal.


Rückkehr

An solch einem Tag durch die Schweiz fahren zu dürfen! Ich musste ja nach Zürich zurück und gedachte, am See – etwa in Wädenswil – einen Zug zu nehmen. Aber davor liegen noch 50 Kilometer! Erst muss man unangenehme zehn nach Brunnen hinter sich bringen. Zwar breitet sich links smaragdgrün der Vierwaldstätter See aus, doch der Radfahrer muss durch einige Tunnels, zwar auf eigener Spur, doch lärmen viele Autos dicht an ihm vorbei. Von Brunnen fährt man auf einer Ebene auf die Stadt Schwyz zu, hinter der mächtig der Berg Mythen aufragt. An ihm führt die Nationalstraße 8 links vorbei und auf eine Hochfläche bis Rothenturm. Der Rest ist eine schöne Abfahrt, bis sich bei Schindellegi plötzlich der See in seiner ganzen Breite öffnet, und nichts hält uns ab: hinab!

Die Stadt Schwyz mit dem Berg Mythen.
Der See öffnet sich in seiner ganzen Breite.


Richterswil, dann Wädenswil (am Südufer und oben im Norden, also im Zürcher Oberland und im Kanton St. Gallen enden die Ortsnamen gern mit –wil; im Zürcher Unterland – die Stadt und der Westen – dagegen mit –kon), es ist nach fünf Uhr, die Luft mild, und rechts lockt der See. Noch 25 Kilometer bis Zürich. Die schafft man auch noch, eine hübsche Slowakin mit hellen Augen verkauft mir eine Sprite, danach Hände auf den Lenker und los! Mit dem weiß-blauen Trikot der Zurich-Versicherung am See entlang, über die Bahnhofstraße, die Limmat längs, und um sieben Uhr, zwölf Stunden nach dem Frühstück, war ich wieder angekommen in Opfikon am Flughafen – und zwei liebe Menschen (Mutter und Ex-Partnerin), die Dusche, ein gutes Abendessen und ein phänomenaler Sonnenuntergang erwarteten mich. Über den Berg gefahren, durch die Schweizer Urkantone, 130 Kilometer und 1800 Höhenmeter in neun Stunden Fahrt an einem herrlichen Tag – was will man mehr vom Leben?

Sonnenuntergang
in Opfikon


 

&copy Text und Fotos Manfred Poser, Oktober 2011


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