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Das C4F-Schreibprojekt 2003: Ein Baske in Belgien: Gorka beim Flèche Wallone

Piep...piep...piep...mein Funkwecker reißt mich aus dem Schlaf. Schnell versuche ich ihn auszumachen denn dieses Piepsen wird immer schriller je länger er läutet. Langsam quäle ich mich aus dem Bett und tapse Richtung Badezimmer.

Um 11.00 Uhr ist der Start, um halb neun gibt es Frühstück. Jetzt ist es kurz nach acht, da kann ich mir also ein bisschen Zeit lassen – sehr schön, ich mag es nicht, wenn man morgens so hetzen muss, die Hetze auf dem Rad reicht vollkommen.

Flèche Wallone, Belgien also. Mein erstes Rennen in diesem Land, das so große Radsportler hervorgebracht hat, wie diesen Eddy Merckx. Fünfmal hat der die Tour de France gewonnen, so was schaffen wirklich nur die ganz Großen.

Ich habe gehört, die fahren hier Rennen über Kopfsteinpflaster, wie kann man so was nur freiwillig tun?

Hoffentlich ist das Wetter gut, ich habe schon böse Geschichten über die Radrennen hier im Norden gehört, für die Fans muss es regnen, sonst sind das keine wahren Radrennen. Nein, das versteh ich nicht, so richtig gut ist es doch nur bei spanischer Sonne und spanischer Hitze, auf guten spanischen Straßen. Na ja, ich wart einfach mal ab, was da so auf mich zukommt.

Igor hat mir erzählt, dieses Rennen wäre ein Halbklassiker. Wieso nur ein halber? Da muss ich mich noch mal genau erkundigen!

Unser Hotel ist ganz in der Nähe vom Start, deshalb müssen wir nicht so früh los.

Es ist halb zehn und Manolo hat in einem unserer Hotelzimmer die letzte Mannschaftsbesprechung angesetzt. Letztes Jahr war José hier fünfter und Jörg war vor zwei Jahren dritter. Dazu ist Angel noch gut in Form, damit stehen uns einige Optionen offen.

Dieser rothaarige Deutsche ist auch dabei, ich habe gehört, er hat letztes Jahr einige dumme Sachen gemacht und dann war er lange verletzt, aber jetzt soll er wieder gut in Form sein.

Unsere Fahrer für das heutige Rennen sind:

51 José Azevedo

52 Joaquin Rodriguez

53 Giampaolo Caruso

54 Igor Gonzalez de Galdeano

55 Koldo Gil

56 Jörg Jaksche

57 Angel Vicioso

58 Gorka Antonio Jimenez Valverde

Auf meinem Zettelchen stehen folgende Namen

1 Mario Aerts

23 Unai Etxebarria

64 Axel Merckx

94 Francesco Casagrande

101 Davide Rebellin

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Inzwischen ist es kurz vor elf und wir sind im Startbereich. Ich habe selten so viele Menschen bei einem Radrennen gesehen, die Leute hier mögen den Radsport offenbar wirklich sehr. Das Wetter ist sehr schön, meine schlimmsten Befürchtungen sind also nicht Wahrheit geworden. Es ist richtig heiß und die Sonne scheint von einem strahlendblauen Himmel...fast wie daheim in Spanien.

Plötzlich reißt mich eine laute Stimme aus meinen Träumereien: „Gorka, was hab ich euch vorhin über die Strecke erzählt, wiederhol das bitte noch mal!“ Es ist Manolo und ich bin froh, das ich heute morgen gut zugehört habe: „Die Strecke ist 199,5 km lang, führt von Charleroi nach Huy und wird in drei Schleifen ausgefahren, die ersten 65 km sind relativ flach, dann wird die Mur de Huy das erste Mal passiert, nach 102 km das zweite Mal und danach kommen bis zum Ziel noch sechs Steigungen, das Ziel liegt ebenfalls wieder an der Mur de Huy. Die Zielankunft ist zwischen 16.07 und 16.39 Uhr vorgesehen.“

Bevor ich mich recht versehe, ertönt der Startschuss und ich fahre meinen ersten Frühjahrsklassiker. Ich rolle in der Mitte des Feldes und schaue nach den Fahrern, die auf meinem Zettel stehen: Aerts mit der Nummer 1, der Vorjahressieger. Jetzt fährt er für dieses Knalldunkelrosa-Team, dazu noch noch Etxebarria, ein Baske wie ich, der muss ja gut sein, auf den muss ich aufpassen! Schließlich noch Axel Merckx, ist der auch so gut wie sein Vater? Casagrande, der sagt mir nichts und dann noch Rebellin, schon wieder dieser Kleine in Dunkelblau aus diesem deutschen Team, die machen für Wasser Werbung, somit dürften die nie Durst haben im Rennen.

Nach eindreiviertel Stunden wird die Mur de Huy das erste Mal passiert, danach ist die erste Verpflegung. Die erste Rennstunde verläuft noch recht ruhig, einmal zitiert mich Manolo nach hinten zum Mannschaftswagen, um für Angel und José neue Trinkflaschen zu holen. Das Tempo ist noch immer recht langsam, offenbar will keiner der Favoriten mit verfrühten Attacken Körner vergeuden. Es ist jetzt kurz vor eins und in wenigen Kilometern steht die erste Passage der Mur de Huy an. Die maximale Steigung beträgt 20 %, mal sehen wie ich da drüber komme. Ich fahre jetzt recht weit vorn im Feld und komme die ersten Meter gut mit. „Wäre doch gelacht, wenn ich dieses kleine Hügelchen nicht mit links bezwingen würde, diese kleinen Dinger bezeichnen die hier als Berge, hah, die waren noch nie in meinem Baskenland, da würden sie mal sehen, was Berge sind!“ Plötzlich werden mir die Beine schwer und ich merke, wie ein Fahrer nach dem anderen an mir vorbeizieht. Die Steigung nimmt und nimmt kein Ende. Ich habe die Mur offenbar deutlich unterschätzt. Als ich oben bin, sind die anderen Fahrer schon längst weg, nur noch ein kleines Grüppchen ist bei mir. Nun heißt es Tempo machen, den in gut 30 Kilometern steht schon der nächste dieser giftigen belgischen Berge an. Und es ist warm, sehr warm und ich habe nicht mehr viel zu trinken. Ich fange an, dieses Rennen nicht zu mögen. Gerade rechtzeitig für mich gibt es die erste Verpflegung. Endlich frische Trinkflaschen. Jetzt geht es mir besser.

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Auch hier an der Strecke sind sehr sehr viele Zuschauer und sie feuern uns lautstark an. Unsere Gruppe arbeitet gut und wir kommen tatsächlich wieder an das Hauptfeld heran. Kaum haben wir das geschafft steht auch schon die nächste Steigung an. Diesmal bin ich vorgewarnt und teile mir meine Kräfte besser ein und komme auch besser rüber. 82 km haben wir jetzt hinter uns gebracht, das heißt es stehen noch 117,5 km auf dem heutigen Menüplan. Es geht immer rauf und runter, nach 20 km schon der nächste Berg, zum zweiten Mal über diese schreckliche Mur. Warum machen die so was mit uns Profis? Wollen die uns ärgern? Das ist doch Absicht so was! Ich nehme mir vor, dieses Rennen nie mehr zu fahren, ich komme nie mehr hier her!

Wenn José oder Angel heute Hilfe brauchen, wenn jemand Tempo machen soll, dann muss das jemand anderes machen, ich kann heut nicht, ich will nur noch irgendwie ins Ziel kommen. Nach der Mur gibt es die zweite Verpflegungskontrolle und obwohl es wichtig ist, zu essen und zu trinken bringe ich kaum was runter, das Rennen ist so anstrengend.

Es geht Schlag auf Schlag, ein Berg nach dem anderen. Ich werde nie mehr was negatives über die belgischen Berge sagen, ich weiß jetzt wie schwer die zu fahren sind. Jetzt kommt fast alle 10 km so ein Anstieg. Ich falle im Feld immer weiter zurück, auf die Fahrer die Manolo mir auf den Zettel geschrieben hat, schau ich schon lange nicht mehr, ich hab genug mit mir zu tun. Neben mir fährt ein kleiner Dicker mit einem hellblauen Trikot, der ist auch schwer am Leiden und Schnaufen. Manolo sagt mir über Funk, das ich drei Minuten Rückstand auf das Hauptfeld habe. Es gibt eine kleine Spitzengruppe mit fünf Fahrern, die eine Minute vor dem Feld liegen, im Feld machen die Rosanen und ein Team aus Belgien das Tempo.

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Es ist inzwischen halb vier Uhr, wir haben sechs Anstiege hinter uns und noch 44 km zu fahren. Mir tut alles weh und ich will nur noch ins Ziel, mir ist alles egal. Ich quäle mich, ich leide bei der Vorstellung, das ich zum Schluß noch mal auf diese Mur hinauf muss. Ich fahre wie in Trance, höre und sehe nicht mehr, was um mich herum vorgeht.

Ich sehe ein Schild, auf dem steht, das es noch 2 km bis ins Ziel sind, inzwischen ist mein Rückstand auf fünf Minuten angewachsen. Dieses Rennen hat mich ganz schön auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Zum kompletten Rennfahrer fehlt mir offenbar doch noch einiges...meine gute Laune vom Start ist mittlerweile total verflogen. Wie kann man solche Rennen nur mögen? Wir sind in Huy, noch zwei km und dann hab ich’s geschafft, noch einmal auf die Mur, nur noch einmal...ich habe einen Hungerast, ich habe zuwenig gegessen und getrunken, meine Flaschen sind noch fast voll. Aber ich hatte einfach keinen Hunger, ich war so fertig!

Ich fahre Schlangenlinien, ich falle fast vom Rad. Endlich im Ziel. Ein Pfleger kommt mir entgegen und gibt mir was zu trinken.

Jetzt erfahre ich auch, wie das Rennen ausgegangen ist: Dario Frigo hat gewonnen, zweiter ist Aerts geworden, knapp dahinter ist Jörg Dritter. Also ein erfreuliches Ergebnis für unser Team.

Im Hotel gehe ich sofort unter die Dusche, auf der Massagebank schlafe ich gleich ein. Nach dem Essen schleppe ich mich ins Bett, mir tut alles weh – nein, ein Klassikerfahrer werde i c h nie!!!

 

von Yeti


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