"Bitte hinten noch etwas kürzer!" Hach, ich kann mich ja nicht beschweren, ich bin schon ein hübscher Kerl. In 3 Tagen ist der Weltcupauftakt mit Mailand-San Remo und zugleich mein allererstes Weltcuprennen! Da muss ich natürlich eine gute Figur machen, auch äußerlich. Deshalb bin ich noch mal schnell zum Friseur, um mir eine Frisur "wie Cipollini, bitte!" verpassen zu lassen. Zwar weiß ich gar nicht genau wie er aussieht, aber ich hab gehört, die Mädels laufen ihm scharenweise nach, und das will ich natürlich auch!!
Nun sitze ich hier im Stuhl und denke nach. Ist schon eine ganz schöne Weile her seit unserem Triumph in Valencia. Wie Mikel seine Gegner mit meiner Hilfe am Berg stehen gelassen hat, das war einfach erste Sahne. Wir sind schon ein Spitzenteam, wir beide! Wegen meiner tollen Leistungen in Valencia hat mich Manolo dann doch auch glatt für die Trofeo Luis Puig nominiert! Hier sollte ich vor allem unseren Sprinter im Team, Allan Davis, den blöden Aussie, zum Sieg geleiten. Leider kam es anders. Am Tag vor dem Rennen wurde bei mir ein zu hoher Koffein-Wert gemessen und so wurde ich quasi in letzter Sekunde aus dem Kader gestrichen. Meine Güte, was hat Manolo mich zusammengefaltet, als er von dem überhöhten Wert erfahren hatte!
"Gorka Antonio Jimenez Valverde!! Wie bitteschön erklärst Du mir diesen Wert? Wie oft habe ich Dir eingetrichtert, Du sollst keine Dinge nehmen mit denen Du Dich nicht auskennst! Wie kommst Du eigentlich an das Zeug? Meine Güte, wie naiv kann man sein! Stell Dir vor, die Kontrolleure hätten Dich erwischt. Eine positive Dopingprobe zerstört das Image unserer Mannschaft!! Ich hätte Dich sofort entlassen müssen!"
Da musste ich erstmal schlucken, schließlich war ich mir keiner Schuld bewusst! Ich war lediglich mit Kumpels nach unserem Triumph in Valencia in einer Bar... gut, 5 Cappuccino und 3 Cola werde es wohl gewesen sein... ok, ich hatte auch noch ein paar Bier... aber das wird Manolo wohl hoffentlich nicht auch noch merken!
"Aber Manolo, ich kann doch nicht... ich hab doch nicht... ich hab doch lediglich zuviel Cappuccino getrunken." Ich schaute Manolo verlegen an und sah, wie er den Kopf schüttelte. "Ich weiß nicht, ob ich Dir das glauben soll, aber ich will es mal tun. Aber sieh mal zu, dass Du etwas profihafter lebst! Du bist jetzt nicht mehr bei den Amateuren, Gorka. Du fährst jetzt in einer der besten Mannschaften der Welt." Mir standen schon die Tränen in den Augen, ich wollte doch nur unseren Sieg feiern. "Ja, Manolo."
Ich schlich zur Tür hinaus, hätte aber auch unter der geschlossenen Tür hindurchgehen können. "Ach und Gorka, wenn Dein Wert in einem Monat in Ordnung ist, wirst Du Mailand-San Remo fahren."
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3 Tage später, 9:00 Uhr. Fühlt sich schon noch etwas komisch an! Ich stehe auf der Via della Chiesa Rossa und fahre mir durch die klebrigen Haare. Und darauf stehen die Frauen? Aber es scheint zu wirken, rechts und links werden mir Mützen, Trikots und Startlisten zum unterschreiben hingehalten. Stolz will ich zum Stift greifen, aber er wird weggezogen. Ich drehe mich um und sehe die Startnummer 1 hinter mir stehen, um dessen Autogramm sich alle reißen. Ich bin etwas ratlos und muss erstmal auf meinen kleinen Zettel von Manolo gucken. Ach, das ist dieser Cipollini! Auf den sollen wir heute besonders aufpassen und besonders am letzten Berg Tempo machen, damit er und die ganzen anderen Sprinter hinten aus dem Peloton herausfallen! Dann - so die Taktik - wird einer von uns einen Angriff versuchen. Sollte dieser fehlschlagen, haben wir immer noch unseren Sprinter Allan Davis, den doofen Aussie, der - hoffentlich dann in Abwesenheit der anderen Sprinter - versuchen soll, aufs Podium zu kommen. Das schafft der nie, aber auf mich hört ja niemand. Da ich noch jung und unerfahren bin, wie Manolo gesagt hat, beschränkt sich meine Arbeit auf die erste Hälfte des Rennens. Da soll ich eventuelle Ausreißergruppen zurück holen, Flaschen nach vorne transportieren und unseren Kapitänen Windschatten bieten. Wenn ich dann am Ende platt bin könnte ich ruhig nach 2/3 des Rennens aussteigen, habe ich aber noch Reserven soll ich ruhig versuchen, das Rennen zu Ende zu fahren. Kein Problem für mich, das mach ich doch mit links!
Da kommen auch schon meine Teamkollegen und zusammen fahren wir zum Einschreiben.
Wir starten mit:
151 René Andrle (Cze)
152 Gianpaolo Caruso (Ita)
153 Allan Davis (Aus)
154 Rafael Diaz Justo (Spa)
155 Xavier Florencio Cabre (Spa)
156 Isidro Nozal Vega (Spa)
157 Gorka Antonio Jimenez Valverde (Spa)
158 Angel Vicioso (Spa)
Wenigstens einer will heute meine Unterschrift... Aber egal, wenn ich heute eine tolle Leistung abliefere und mich ständig vorne präsent zeige komme ich ja auch ins Fernsehen! Und beim nächsten Rennen kennt mich dann bestimmt jeder und alle schlagen sich um meine Autogramme! Jawoll!
"Peng!" Wie, geht's schon los? Ich setze mir meinen Helm auf, klicke meine Schuhe in die Pedalen und auf geht's!
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Nach ein paar Kilometern folgt dann auch der départ réel und schon können
4 Jungs das Wasser nicht halten. Die Nummern 52, 62, 82 und 165 springen aus dem Feld, ein Blick auf die Startliste entpuppt sie als Stéphan Auge, Jacky Durand, Bert Grabsch und Graziano Gasparre. Wie gerne wäre ich mitgesprungen, Hintern aus dem Sattel und weg... Aber ich habe meine Lektion gelernt und bleibe brav beim doofen Aussie.
"Gorka!" tönt es krächzend durch meinen Funk. "Die Gruppe ist nicht gefährlich, die lassen wir erstmal ziehen. Komm mal nach hinten, die erste Runde Trinkflaschen verteilen." Sofort lasse ich mich zurückfallen, nehme 8 Trinkflaschen entgegen und fahre nach vorne. Das Tempo ist nicht schnell und so habe ich keine Probleme, zügig meine Mannschaftskollegen zu erreichen.
Die Kilometer vergehen wie im Flug, ich habe mir einen Platz im vorderen Drittel des Feldes gesichert und komme mir vor wie auf einer Trainingsfahrt, mein Tacho zeigt gerade mal einen 39er Schnitt.
Meine Beine fühlen sich gut an, die Sonne lacht bei 23°C vom Himmel und irgendwie macht mir mein Beruf seit langem mal wieder Spaß. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, das Leben kann so schön sein!
"Rrrrummmmmssss!" Ein Ruck geht durchs Feld und ehe ich mich versehe finde ich mich auf dem Asphalt wieder, die Nummer 182 über mir liegend. So ein Mist, ein Massensturz! Ich sehe mich um, es sind etwa 15 Fahrer betroffen, doch es scheint nicht viel passiert zu sein, die meisten steigen schon wieder grummelnd aufs Rad und fahren weiter. Was ich auch gerne tun würde, aber diese 182 ist immer noch da! "Hey Du A****, beweg Dich mal, ich wollte hier nicht übernachten!" Ich ernte einen bösen Blick. "Für wen hältst Du Dich eigentlich? Ich hab Dich noch nie gesehen, werde erstmal erwachsen, bevor Du hier die Klappe so weit aufreißt!!" Die Nummer 182 schnappt sich sein Rad, sammelt seine Trinkflasche wieder auf und setzt das Rennen fort. Auch ich berappel mich langsam wieder, doch gerade, als ich aufsteigen will merke ich, dass mein Vorderrad eine acht zeigt und außerdem die Kette gerissen ist. Wütend stehe ich am Straßenrand und stöpsel mir den Funk wieder ins Ohr. "Manolo!! Ich hab einen Defekt am Rad! Diese blöde Nummer 182 ist mir hinten reingefahren und hat mein Rad zerschrottet." "GORKA!!" tönt es zurück. "Nun mach mal halblang! Diese Nummer 182 ist Oscar Freire und hat mit Sicherheit etwas mehr Erfahrung als Du. Maße Dir nicht an, ihn zu beleidigen, sonst verlierst Du ganz schnell den Respekt im Feld." Da hält auch schon das Teamfahrzeug neben mir, und unser Mechaniker gibt mir ein neues Rad. Nun endlich kann auch ich wieder aufsteigen und weiterfahren. Und ich habe mir vorgenommen heute eine bessere Platzierung zu erreichen als diese 182. Ich schaue auf meinen Zettel. Oh mist, den hat Manolo als einen der Favoriten eingestuft! ... Na gut ... dann soll er halt wenigstens nicht gewinnen.
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So radeln wir weiter in Richtung San Remo und nach 143 Kilometern folgt der erste Berg des Tages, der Passo del Turchino mit einer Höhe von 532 Metern.
Ich platziere mich vorne im Feld, der doofe Aussie an meinem Hinterrad, um den Berg in einer der vordersten Positionen zu überqueren. Meine Beine fühlen sich noch sehr gut an und ich habe keine Probleme bei diesem kleinen Hügelchen! Die Ausreißer haben mittlerweile einen Vorsprung von über 12 Minuten und es sind noch 151 Kilometer zu fahren. Langsam wird Manolo unruhig. "Gorka! Reih Dich mal vorne mit ein und mach etwas Tempo, damit der Vorsprung schmilzt!" Da ich gelernt habe, Manolo nicht zu widersprechen gebe ich widerwillig nach und reihe mich zwischen den rosaroten und den Zebras vorne mit ein. Man, was sehen die tuckig aus in ihren Trikots! Ich fahre hinter dem 2 Meter-Typ mit dem Bauernhof, der gibt mir wenigstens ordentlich Windschatten! Aber hier vorne ist doch schon ein ganz anderes Tempo als im Feld, es weht uns ein heftiger Wind um die Nase und ich merke, wie meine Beine langsam schwerer werden. Waaaaaah, ein Blick auf den Tacho entlarvt einen 50er Schnitt und noch 147 Kilometer zu fahren. Der Spaß von vorhin ist verschwunden und ich will nur noch nach Hause. Oder wenigstens auf die Massagebank und von 3 hübschen Spanierinnen massiert werden!
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Nach weiteren 25 Kilometern fühlen sich meine Beine an wie Pudding. Der Vorsprung ist zwar tatsächlich auf 8:30 min. geschrumpft aber ich bin platt. Wenn ich dieses Rennen noch zu Ende fahren soll, muss ich jetzt unbedingt raus aus der Führung und irgendwo am Ende des Feldes rumlutschen.
"Mannnnnolo..."
"Was ist Gorka?"
"Ich... ich kann nicht mehr!! Ich will hier weg!!"
"Ok Gorka, gute Arbeit bis jetzt. Gianpaolo wird Dich jetzt ablösen."
Wie, gute Arbeit BIS JETZT?? Aber ich bin erstmal froh die Beine etwas hochzunehmen... ich lasse ein paar Tritte aus um mich in der Mitte des Feldes einzureihen... doch schon finde ich mich ganz hinten im Feld wieder. Ich keuche und trete wie ein Wahnsinniger, um den Anschluss halten zu können. Und dann kommt sie: Die Nummer 182. Grinsend fährt sie an mir vorbei, schaut in meine knallrote Birne und klopft mir auf den Rücken. "Gut gemacht Kleiner. Wie heißt Du?"
"Gorkrrnpffffff... Gor...Gorka."
"Gorka, soso. Dann wünsch ich Dir noch einen schönen Tag."
Und scheinbar leichtfüßig wie eine Elfe schwebt die Nummer 182 an mir vorbei. Ich keuche und puste immer noch, schaffe es aber, als Vorletzter den Anschluss am langgezogenen Feld zu halten. Vorne treten die Deutschen und die Italiener wie die Blöden, um die Ausreißer einzuholen.
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Die nächsten Kilometer rauschen an mir vorbei wie in Trance, Manolo muss wohl gemerkt haben wie es mir geht und verzichtet darauf, mich zum Flaschenholen abzukommandieren. Wahrscheinlich weiß er, dass sie eh nie ankommen würden.
Aufgrund der Streckenänderung fahren wir in diesem Jahr über eine gut ausgebaute Autobahn, die zwar gut zu befahren ist, aber irgendwie stetig leicht berauf geht. Ich kann mich nur an den Gedanken klammern, dass es ja logischerweise auch irgendwann bergab gehen müsste...
Plötzlich merke ich, wie meine bleiernen Beine noch schwerer werden. Das kann nur eins bedeuten, ich ahne das Schlimmste. Und ja, ein Blick auf das Profil zeigt die niederschmetternde Wahrheit: Wir erklimmen den Capo Cervo, den ersten von 4 kleinen Bergen vor dem Ziel in San Remo. Eigentlich mehr ein kleiner Sandhaufen als ein Berg, aber für mich ist dieser Hügel so unbezwingbar wie die Eiger Nordwand. Zum Glück wurde der Capo Mele dieses Jahr gestrichen, sonst wären es 5 Berge gewesen!!
Über Funk höre ich, dass wir gut im Rennen liegen, die Ausreißer haben nur noch 2 Minuten Vorsprung und es sind noch knapp 46 Kilometer zu fahren. 46! In Worten: SECHSUNDVIERZIG! Oh mein Gott, ich will nicht mehr. Während vorne die Post abgeht falle ich natürlich sofort aus dem Hauptfeld zurück. Und ich bin tatsächlich nicht der Einzige, schätzungsweise 20 weitere Fahrer machen es mir nach. Ich bin kurz davor, den Fuß vom Pedal zu nehmen, auf den Mannschaftswagen zu warten, einzusteigen und mir den Zieleinlauf auf der Massagepritsche anzuschauen. Aber das ist doch mein erstes Weltcuprennen und ich hatte mir so fest vorgenommen, es auch zu Ende zu fahren. Also weiter. Inzwischen fühlen sich meine Beine nicht mehr an wie Blei, sondern wie Feuer, ich kann ihnen kaum noch befehlen zu treten. Doch wo ein Berg ist, ist endlich auch eine Abfahrt. Der erste Hügel ist geschafft und ich lasse einfach rollen, mache nebenbei ein paar Dehnübungen, um die Muskeln zu lockern. Doch nach 7 Kilometern spüre ich es wieder brennen... NEIN, der nächste Hügel, die Capo Berta, ca. 130 m hoch. Über Funk höre ich, dass die Ausreißer gestellt sind, doch sogleich die nächsten angegriffen haben. Die sind doch alle verrückt! Meine Devise heißt nicht angreifen, sondern ankommen. Egal wie, hauptsache im Zeitlimit.
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Mittlerweile hat sich schon so eine Art Grupetto gebildet und ich merke, wie das Tempo deutlich runtergeht. Statt vorhin mit 25 km/h erklimmen wir diesen Hügel "nur" noch mit 20 km/h. Auch dieser Anstieg ist nicht lang und dann folgt die nächste Abfahrt, eine Wohltat für meine Beine! "Gorka!!" NEIN, nicht Manolo! Nicht jetzt, ich kann nicht mehr, Manolo, lass mich in Ruhe, bitte bitte! Ich will auch nie mehr meckern und immer tun was Du mir sagst, aber nicht jetzt und hier, bitte bitte! Ich stöhne nur noch ein "Ja??" in den Funk und erwarte den Befehl. "Willst Du aussteigen?" Hab ich mich verhört? War das der Manolo, der immer "Venga Venga" schreiend beim Zeitfahren hinter mir herfährt und mich anbrüllt, wenn ich statt 10 Flaschen nur 9 in mein Trikot gestopft bekomme? "D...darf ich?"
"Von mir aus, warte auf den Mannschaftswagen und steig ein, das Feld wirst Du heute eh nicht mehr sehen." Mein Mund öffnet sich, bereit, den Jubelschrei auszustoßen, aber er bleibt mir im Halse stecken. Etwas meldet sich bei mir, mein Gewissen. "Gorka, es sind doch nur noch 34 Kilometer, Du willst doch jetzt nicht aufgeben? Du willst doch Dir, Manolo und erst recht der 182 beweisen, was in Dir steckt!"
"Nein Manolo, ich will das zu Ende fahren."
Stille, dann ein zögerndes "Na wie Du meinst. Wir sehen uns nachher."
Während ich den nächsten Berg runtersause, sind die vorne schon an der Cipressa, dem vorletzten Berg des Tages. Weitere Angriffe bleiben aus, klar, ich bin ja schließlich auch nicht dabei!
Das Feld befindet sich schon auf der Abfahrt, während sich wie eine Rampe vor mir die Cipressa auftut. Und ich dachte immer, es gibt nur eine Eiger Nordwand??
Über Funk höre ich, dass der Aussie einen Defekt hat. Haha! Manolo wird hektisch und beordert sofort René Andrle ab, ihm sein Rad zu geben, damit Allan den Anschluss wiederfindet. Auch Gianpaolo lässt sich zurückfallen, um Allan wieder heranzuführen.
Vorne reihen sich jetzt auch die Holländer mit ein, um für diesen Spanier Tempo zu machen. Mit Tempo 53 rast das Feld auf den Poggio zu. Vorne forcieren noch einmal die Deutschen das Tempo, wir halten uns etwas zurück, damit der Aussie den Anschluss wieder findet. Hihi, jetzt ist der Schuld, wenn wir nicht gewinnen!
Während ich mich nach vorne lehne, um auf der Abfahrt der Cipressa möglichst windschnittig zu sein höre ich, dass wir schon 7 Minuten Rückstand auf das Feld haben. Die Deutschen und die Holländer rasen den Poggio hoch, als ginge es um ihr Leben und nicht nur darum, Cipollini abzuschütteln.
Und nun folgen auch die ersten ernstgemeinten Attacken, über Funk meine ich die Nummern 71, 95, 171 und 236 zu verstehen, das wären Bettini, Rebellin, Bartoli und Vinokourov. Aber ich kann mich auch irren, ich habe genug damit zu tun meine Beine zu bewegen, da reicht die Kraft kaum noch zum Hören!!
Manolo schreit immer noch in den Funk, aber zum Glück meint er damit ausnahmsweise mal nicht mich! "Allan, Gianpaolo, vengavengavengavenga!! Ihr müsst das Feld wieder erreichen!! Vorne geht die Post ab und ihr dümpelt da hinten herum!"
Die 4 Ausreißer haben schon 30 Sekunden Vorsprung, die Deutschen haben aufgehört zu führen, jetzt sind die Holländer dran! Die Zebras halten sich vornehmlich zurück, da Cipo sich langsam in Richtung Ende des Feldes verabschiedet. Was für eine Lusche! Das haben die Holländer natürlich sofort spitz bekommen und erhöhen nochmals das Tempo. Und tatsächlich, Cipo, Petacchi und weitere Fahrer können den Anschluss nicht mehr halten und verlieren ca. 30 Meter an Boden. Doch das werde sie in der Abfahrt locker wieder aufholen können!
Die Spitzengruppe hat derweilen den Kulminationspunkt erreicht und saust die scharfen Serpentinen herunter, 25 Sekunden später folgt das rauschende Feld.
Mittlerweile habe ich mich durch das moderate Tempo etwas gefangen und höre dem Funk zu. Nur noch einen Berg, noch cirka 8 Kilometer ins Ziel und ich hab's geschafft! Das gibt mir die letzte Energie die ich brauche, heute durchzuhalten und die Ziellinie erhobenen Hauptes zu überqueren!
Die 4 Ausreißer versuchen alles, aber sie haben Pech, denn die Nummer 236 fährt nicht mit und zerstört den Rhythmus der Gruppe gewaltig. Aber es wird spannend, nur noch 2 Kilometer und noch immer 20 Sekunden!
Manolo ist sehr still geworden, denn der Aussie und sein Leutnant haben den Anschluss immer noch nicht geschafft... und selbst wenn sie noch herankommen sollten, sie würden wohl kaum noch Kraft für einen Sprint royal haben. "Leute... das war's, macht euch locker und fahrt einfach ins Ziel, das Rennen ist gelaufen. So eine verdammte SCH*****! 30 Mann starkes Peloton und keiner von uns dabei!!" Manolo flucht und ab jetzt ist der Funk ruhig.
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Mittlerweile habe auch ich den Poggio erreicht, die letzte Rampe des Tages. Doch ich habe keine Angst mehr. "Ha Du Berg, Du bezwingst mich nicht!" Haben wir vorhin noch mit 20 km/h die Hügelchen überquert sind es jetzt nur noch 17 km/h. Alle in meiner Gruppe sind platt. Ich schaue mich um und gucke, ob ich irgendwen kenne. Aber Fehlanzeige, scheinen wohl auch alles Helfer oder Jungprofis zu sein die das selbe Schicksal haben wie ich. Wir schleichen den Poggio hoch als gäbe es etwas für denjenigen zu gewinnen, der am langsamsten fährt.
Da wir keinen in der Gruppe vorne haben und Manolo verstummt ist, fehlen mir natürlich auch jegliche Informationen über den Ausgang des Rennens. Wir haben mittlerweile den höchsten Punkt erreicht und eigentlich dürften die Fahrer vorne schon im Ziel sein. Ich entdecke ein Zebra neben mir und frage einfach mal nach:
"He, weißt Du, wer gewonnen hat?"
"Scusi?"
Ach herrje, ein Spaghettifresser! Ich krame in meinem Hinterkopf und suche etwas, das sich Englisch nennt.
"Äääh, do you know the winner?"
"Oh I don't know."
Danke, sehr auskunftsfreudig. Na ja, dann muss ich halt bis ins Ziel warten.
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20 Minuten später erreichen wir die Via Roma. Ich ziehe den Reißverschluss zu, um ein gutes Bild für die Photographen abzugeben. Aber irgendwie herrscht hier gedrückte Stimmung. "Aha!" denke ich mir. "Wird wohl kein Italiener gewonnen haben!"
Mein Reifen überquert die Ziellinie und ich fühle mich wie ein Sieger. Ich habe es geschafft, ich habe mein erstes Weltcuprennen der Saison mit Bravour bestanden!
Ich schaue nach rechts und erblicke das Siegerpodest. Ganz oben steht jemand mit einer Bürstenfrisur, links daneben die Nummer 1 von heute morgen und rechts ein langer Lulatsch mit einer großen Nase.
Im Ziel erblicke ich unseren Masseur und frage, wer gewonnen hat.
"Na, Zabel hat gewonnen, mit einer Reifenbreite vor Cipollini und Guidi. Was für ein Rennen! Bis 200 Meter vor dem Ziel sah es so aus, als würde Bettini gewinnen, der aus der Ausreißergruppe 1 Kilometer vor dem Ziel attackiert hat. Aber Fagnini und Lombardi haben das Feld wieder herangeführt und es kam zum Massensprint. Erst sah es nach einem überlegenen Sieg von Cipollini aus, aber er hat doch glatt die Arme zu früh hochgerissen und so konnte Zabel sein Rad noch davor schieben. Oh, Mann, was hat Cipollini sich geärgert!! Hab gehört, dass sei ihm vor ein paar Tagen schon einmal passiert.. Tja, manche lernen's halt nie! Freire dagegen kam gar nicht zum Sprinten, er wurde eingeklemmt, als sich Lombardi hat zurückfallen lassen."
Hmm, die Hälfte der Fahrer, die er gerade aufgezählt hat kenne ich zwar nicht, aber egal. Ich bin zufrieden, denn die Nummer 182 hat nicht gewonnen...
Die Stimmung am Abend im Hotel ist gedrückt, der beste von uns war Rafael Diaz Justo als 41. mit einem Rückstand von 1:48 min. Ich selber bin zwar nur 173. und damit drittletzter geworden, aber wen stört das schon, schließlich bin ich zum ersten Mal in meiner Karriere nahezu an die 300 km gefahren!
Auch Manolo ist mit meinen Leistungen zufrieden und teilte mir mit, dass ich keine lange Pause bekomme, soll ich doch in 2 Tagen schon wieder bei der Setmana Catalana starten. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht, schließlich bin ich noch ziemlich platt, und das soll sich in 2 Tagen so schnell bessern? Aber egal, ich werde versuchen, mein bestes zu geben und mich voll in den Dienst der Mannschaft und von Manolo zu stellen. Und wer weiß? Vielleicht kann ich ja auch selber mal was probieren? Schließlich hat der Chef gesagt, dass ich auch eines Tages meinen Freifahrtschein bekommen werde. Und warum nicht schon übermorgen? Bis dahin, hasta mañana!
Euer Gorka
von Azzurra