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01/24/03

Das C4F-Schreibprojekt 2003: Gorka bei der Tour down Under

Das C4F-Schreibprojekt befasst sich mit dem (sogar den Fachleuten eher unbekannten) ONCE-Neuprofi "Gorka Jimenez Valverde", der etwa 15 Rennen diese Saison bestreiten darf und dessen Abenteuer jedesmal von einem anderen Cycling4Fans-Mitarbeiter beschrieben werden.

<typohead type=2>1 - Mit dem Kopf nach unten</typohead>

Prolog:

- "... und weiter!!! Immer weiter im Kreis!!! Venga! Venga! Venga!!" hallt es aus dem Megaphon des in der Mitte des Hotelparkplatzes geparkten gelben Kombi.

- " Venga! Venga! Venga!!! Wer schlappmacht holt morgen auf der Etappe während der ersten 45 Kilometer alle Ausreißer alleine zurück!! Wie lang ist die erste Etappe???

...

Joaquin!!!!!"

Joaquin Rodriguez zuckt zusammen! Nach einer Dreiviertelstunde strammen Marschierens, bei Pferden spräche man fast schon von Trab, hatte er sich wohl den Luxus erlaubt das Gehirn auszuschalten.

Bin ich froh, dass es nicht mich erwischt hat! Neben Alberto, der aber nicht hier mitfährt, und dem Australier, bin ich der einzige Neuling im Team. Für Alberto und mich ist es aber das erste Profijahr und in wenigen Stunden stehe ich am Start meines allerersten Profirennens! Hoffentlich wird nicht so hart und schnell gefahren wie es immer heißt! Angeblich ist es sogar zu Beginn der Saison noch schlimmer, da die konditionellen Unterschiede noch größer sind und das Fahren im Feld wieder neu erlernt werden muss - daher gibt es bei dieser Australien-Rundfahrt immer sehr viele Ausreißversuche und das ganze ist angeblich eine ganz unruhige Geschichte!

Es kommt mir vor als sei es gestern gewesen als mich der große Manolo Saiz anrief und mir einen Zwei-Jahresvertrag bei seiner ONCE-Mannschaft angeboten hat. Da war natürlich kein langes Überlegen notwendig, noch am nächsten Tag trafen wir uns in einem Café und ich unterschrieb. Auch die 13000€ im Jahr sind für einen jungen Mann wie mich eine Stange Geld, außerdem bin ich ja fast immer unterwegs und bekomme Hotels, Räder und Essen bezahlt. Das wird eine tolle Zeit.

Irgendwie habe ich es mir aber schon anders vorgestellt - ich bin seit einer Woche in Australien, wo ich mich mit 9 anderen Teamgefährten auf die lange Saison vorbereite, und statt wenigstens von morgens bis nachmittags am Strand zu liegen und zu surfen fahren wir den ganzen Tag auf unseren Fahrrädern hinter Manolos Auto durch die Gegend und haben drei Taktikschulungen und Rennbesprechungen am Tag. Die vier "Berge" der Umgebung von Adelaide, den Manglers Hill, Checker Hill, Macfarlane Hill und Willunga Hill, kenne ich schon aus dem Effeff

- "GORKA!!!"

Ach ja! Wie diese blonden Mädchen uns immer begehrlich hinterhersehen wenn wir auf unseren Rennmaschinen mit 50 Sachen an den Schulen vorbeifahren...

- "GORKA!!! Herr Gorka Antonio Valverde Jimenez! Ich rede mit ihnen!"

Oh je! Jetzt hat mich Manolo am Wickel!!

- "Gorka! Du träumst schon wieder! Jonathan konnte meine Frage nicht beantworten! Wie lang ist die erste Etappe??"

Jetzt zahlt sich die Paukerei aus:

- "Ein Rundkurs von 2 km, der 25 mal gefahren wird - Sprintwertungen am Ende von Runde 10 und am Ende von Runde 20 - Start um 19:30 - Voraussichtliche Zielankunft 20:40!

Ich versuche zusammen mit dem kleinen Italiener (Gian Paolo Caruso), Joaquin (Rodriguez), Alvaro (Glez de Galdeano) und Xavier (Florencio) das Feld zusammenzuhalten, damit Igor (Glez de Galdeano) seine Chancen in der Gesamtwertung wahren und der Australier (Alan Davis) und Angel (Vicioso) in nem Sprint mit vorne dabei sein können! Damit haben wir aber nichts zu tun, das machen dann Igor und der Italiener!" rattere ich herunter.

- "Gut! Wie heißt 'der Australier' mit Nachnamen??"

Mist! Das vergesse ich doch immer wieder!

- "Davis" rate ich.

- "Richtig! Alles klar! Freizeit bis 17:00, danach treffen wir uns in Rennausrüstung in der Lobby!"

...

Wer rüttelt da an mir?!? Joaquin! Hör auf!! Nein! Viertel vor Fünf und die anderen sind schon alle fertig??? Schnell noch die Zähne geputzt und eine Flasche Wasser runtergekippt, dann in die Klamotten gesprungen und ab zum Treffen mit Manolo und den Jungs. Wenigstens hatte ich durch das Verschlafen keine Zeit richtig aufgeregt zu werden!

Eine Sitzgruppe ist der Ort der letzten Besprechung und Manolo verteilt die Kärtchen mit Fahrernummern derjenigen, auf die wir aufpassen müssen, unterteilt nach Sprintern und Leuten für die Gesamtwertung.

Auf meinem Kärtchen stehen die Ziffern 1, 51, 16, 41, 42, 114, daneben 52, 11, 61, 31, 91, 21.

Ein Blick auf die Startliste entlarvt sie als Rogers, Botcharov, Fedrigo, Evans, Wesemann, Vanhout, Kirsipuu, O'Grady, Mc Gee, Mc Ewen, Brown, Sacchi.

Davon sagt mir kaum einer was! Mc Ewen habe ich schonmal gehört, der hat letztes Jahr ziemlich viele Rennen gewonnen. Es sind aber keine Spanier dabei! Da bei uns der härteste Reifen der Welt gefahren wird dürften Igor und Xavier das Podium alleine unter sich ausmachen. Vielleicht kann ich ja sogar in die Top 10 fahren? Oder ich gewinne das Bergtrikot! Dafür ist zwar Xavier vorgesehen, aber es sind ja 6 lange Tage, da kann sich einiges tun.

... und warum sortiert Manolo die Startnummern nicht der Reihe nach?

- "So Freunde! Ihr schnappt euch jetzt eure Maschinen und fahrt vom Hotel aus die Botanic Road runter und bevor ihr zum Krankenhaus kommt fahrt ihr rechts in die East Terrace, von dort aus müsstet ihr schon den Start sehen können. Igor fährst du vor und achtest drauf, dass ihr alle beim Einschreiben ankommt?

Ach noch was! Heute fahrt ihr mal ohne Ohrstöpsel - nur Igor bekommt einen und ihr tut immer das was er euch sagt."

<typohead type=3> </typohead>

Stage 1:

Jetzt fängt es an zu kribbeln! Um 19:30 beginnt das Rennen und wir stehen auf der Bühne wo sich alle Fahrer einschreiben müssen. Der Sprecher stellt uns vor, wobei er natürlich am meisten Worte für Igor und den Australier übrig hat - Die Menge tobt!

Ein Supergefühl! Jetzt weiß ich warum ich unbedingt Radprofi werden wollte.

Und so sieht unsere Aufstellung auf der Einschreibeliste aus:

81 Igor Glez de Galdeano

82 Gian Paolo Caruso

83 Alvaro Glez de Galdeano

84 Gorka Jimenez Valverde

85 Xavier Florencio

86 Joaquin Rodriguez

87 Angel Vicioso

88 Alan Davis

Schnell noch mein Autogramm druntergesetzt...

Wahnsinn - Igor hat wirklich Nerven - der gibt noch ein Interview!

 

Nur noch wenige Augenblicke, dann fahre ich mein erstes professionelles Radrennen - das kann doch gar nicht so viel schlimmer sein als die spanischen U23-Rennen! Dazu kommt noch, dass der Kurs bretteben ist - was soll denn da passieren? Ich lasse mich mal überraschen. Vielleicht kann ich ja sogar direkt mein erstes Rennen gewinnen? Dann findet sich bestimmt eine nette Australierin, die mit mir Essen geht - vielleicht hat ja sogar noch eine Disco auf!

 

Da! Der Startschuss! Ich fliege!!! Joaquin und ich übernehmen direkt die Spitze des Feldes und geben richtig Gas. Erstmal den Kurs kennenlernen. Nach dem Start geht es nach rechts ab, dann kommt eine U-Kurve, dann geht es nach links, nach rechts, dreimal nach links und man ist auf der Zielgeraden! Mann - Bin ich schnell! Die Zuschauer fliegen rechts und links an mir vorbei.

Leider tun dies auch die anderen Fahrer! Wie kann man denn noch schneller fahren als ich gerade??? Aber in der Mitte des Feldes fällt das Fahren wieder leichter. Ich blicke mich mal um und sehe mir die Gegner an. Hässliche Trikots gibt es aber auch! Knalldunkelrosa! Das müssen diese deutschen sein. Von denen habe ich auch zwei Nummern auf meiner Liste! Bestimmt die 41 und noch eine andere. Mal sehen - hier gibt es eine französische Mannschaft die auch ein paar Spanier in ihren Reihen haben soll, einer davon muss noch ganz jung sein. Xavier hat erzählt, dass die bläuliche Trikots haben sollen und dazu einen superstarken Sprinter, der unter den ersten 5 ankommt aber beim kleinsten Hügelchen heim zu Mami fährt.

AAAAAH! Ein Blick auf mein Tacho zeigt mir, dass wir im Schnitt 48 km/h schnell fahren. Und wir sind gerade mal in der dritten Runde!

- "Gorka!"

Nein! Das ist bestimmt Igor, der irgendeine taktische Anweisung für mich hat - ich tue mal so als hätte ich nichts gehört!

Gute Idee, aber plötzlich greift jemand mir seitlich in den Lenker, hält ihn fest und raubt mir die Gewalt über meine Rennmaschine!

-"Gorka! Da sind zwei Australier abgehauen, sie stehen zwar nicht auf deiner Liste, aber Manolo sagt du sollst sie wieder zurückholen. Nimm dir Joaquin mit und in spätestens drei Runden will ich die wieder im Feld haben!"

Bis ich Joaquin gefunden habe und mich am Feld vorbeigekämpft habe, sind wir schon in der 8. Runde und die beiden Australier haben 37 Sekunden Vorsprung. Zusammen mit ihm setze ich mich vor das Feld - glücklicherweise helfen uns ein paar von den blauen Franzosen und ein paar von den Dunkelrosa-Jungs. Ich traue mich gar nicht auf die Geschwindigkeit zu sehen! Der Vorsprung der beiden schmilzt und in der letzten Kurve vor der Zielgeraden rauschen wir an den Ausreißern vorbei!

Aber wofür die ganze Arbeit? Von unserem Sprinter ist weit und breit nichts zu sehen und auch die rosa Fahrer haben umsonst geschuftet. Vorne ist der kleine dicke von den Franzosen gefolgt von einem ganz Roten mit der Nummer 21 und ein Grüner mit der Nummer 11.

Wenigstens kann ich mich ins Feld zurückfallen lassen und etwas verschnaufen. Natürlich kommt es wie es kommen muss und Igor fährt an mich ran und zeigt auf seine Wasserflasche, die er demonstrativ ins Publikum wirft.

Das kann nur eins heißen: zurückfallen lassen, bei Manolo am Wagen 10 Wasserflaschen aufladen und sich wieder nach vorne schuften! Glücklicherweise ist das Tempo nach der Sprintwertung etwas gesunken und ich schaffe es tatsächlich wieder mit meiner Last bei Igor und den Anderen anzukommen - jetzt darf nur keiner einen Defekt haben, ich habe nämlich nicht mehr genug Kraft um noch einmal von hinten an das Feld heranzufahren. Glücklicherweise sind es nur noch 7 Runden!

War doch gar nicht so schlimm!

So kann man sich irren! Diese bekloppten Deutschen ziehen das Tempo so hoch, dass ich mich gerade mal hinten am Feld halten kann. Mit Genugtuung stelle ich aber fest, dass es noch anderen so geht.

Die zweite Sprintwertung zieht nur noch in einem Lichtschweif an mir vorbei - jetzt werden die doch wohl mal das Tempo verschleppen!

Tun sie natürlich nicht! Sternchen tanzen vor meinen Augen! Es können doch nicht mehr mehr als zwei Runden sein...

Ich bin im Ziel! Naja - gewonnen habe ich nicht, aber es waren noch bestimmt 10 Fahrer hinter mir! Ab zur Massage und dann ins Bett!!!

Vom Masseur erfahre ich noch, dass sich das Feld zwei Runden vor Schluss in zwei Teile aufgespalten hat - Igor und Xavier waren vorne, ich natürlich hinten. Die Etappe hat dieser Mc Ewen gewonnen, den sehe ich mir doch morgen mal genauer an! Er fährt ja im gelben Führungstrikot, müsste also gut zu erkennen sein.

Es sind noch alle 96 gestarteten Fahrer im Rennen und ich bin mit 1:13 Rückstand 92. - das hätte auch schlechter laufen können!

Und morgen kommen wir ja zum ersten Berg, da müsste es doch eigentlich besser laufen!

<typohead type=3> </typohead>

Stage 2:

Bevor ich's mich versehe stehe ich schon wieder kurz hinter der Startlinie. Gleich fahre ich mein allererstes Profirennen - gestern das war ja nur ein Kriterium. Das gilt nicht! Ich kann also immer noch mein erstes Rennen gewinnen.

Wie waren nochmal Manolos taktische Anweisungen?

Wenn ich mich recht entsinne sind uns die beiden Sprintwertungen egal - spannend wird es am Mangler's Hill - der Anstieg beginnt nach 100 km und geht innerhalb von 3 Kilometern von 300 auf 500 Meter hoch. Hier soll ich versuchen Igor und Xavier nach vorne zu fahren nach mir kommt dann noch Joaquin, der sich als letzter vor die Beiden spannen soll. Wahrscheinlich brauchen wir ihn gar nicht, ich mache das schon! Die Zielgerade steigt dann auch an! Gar keine schlechte Etappe für mich...

Schade, dass ich wohl nicht mehr Kapitän werde - ich hätte halt gestern nicht etwas über einer Minute verlieren sollen!

Startschuss, départ réel - und ab geht es! Heute stehen 140 Kilometer auf dem Programm, wir sollten also so gegen halb drei im Ziel sein, dann kann ich vielleicht abends noch was unternehmen!

Meine Güte! Das geht ja heute wieder ganz schön zügig los! 45 km/h in den ersten eineinhalb Stunden, noch dazu ist es verdammt heiß, selbst bei uns in Spanien ist es ja da angenehmer! Die spinnen, die Australier! Natürlich ist es immer noch nicht schnell und heiß genug, als dass nicht noch einer von den grünen Franzosen mit einer gewaltigen Adlernase (Oops! Der steht auf meiner Liste - Nummer 16 Fedrigo) und noch ein Australier versuchen auszureißen. Gut, dass wir heute erst später arbeiten sollen!

Die beiden kommen aber nicht so recht weg und fahren immer etwa eine Minute vor dem Feld! Tatsächlich geht es heute schon viel besser als gestern, dieser Berg kann kommen - schließlich bin ich ihn im Training ja schon fünfmal gefahren.

Diese rosa Deutschen spinnen! Die schrauben vor dem Berg das Tempo permanent in die Höhe und am Fuss von Mangler Hill haben wir locker 52 Sachen drauf! Was haben die vor? Und vor allem - Wie soll ich mich da noch vor Igor setzen? Ich bin erstmal froh, wenn ich mich im vorderen Viertel des Feldes halten kann. Vor mir sind noch ein paar rosa Fahrer, ein paar Franzosen, vor allem ein ganz kleiner Dürrer - Ah! Der steht auf meiner Liste - Botcharov mit der Nummer 51. Außerdem sind an meinem Hinterrad Xavier, Igor und Joaquin. Der Führende muss schon Plätze abgeben und er wird rechts von mir nach hinten durchgereicht. Auch drei von den Deutschen können nicht mehr arbeiten und lassen sich zurückfallen.

Ein kurzer Blick nach hinten: Das Feld hat sich geteilt und diesmal bin ich vorne mit dabei! Jetzt verschärfen zwei Deutsche das Tempo und Igor blickt mich an und geht vorbei - den Zug will er wohl nicht verpassen! Joaquin und Xavier bleiben hinter mir.

Vorne gehen etwa 20 Fahrer weg, Igor ist dabei, das ist ja schonmal das Wichtigste! Und der Gipfel kann doch nicht mehr weit sein!

Gefühlte zwanzig Minuten später weiß ich es besser. Ich bin immer noch nicht oben, musste aber noch etwa 30 Fahrer, darunter Joaquin und Xavier, ziehen lassen, befinde mich jetzt in einer Gruppe mit ein paar deutschen Helfern, ein paar grünen Franzosen, aber immer noch vor dem Führenden! Nicht schlecht.

Endlich oben! Jetzt sind es nur noch 37 Kilometer bis zum Ziel, davon sind nur noch die letzten drei Kilometer ansteigend! Keine schlechte Ausgangssituation!

In der Abfahrt taucht auf einmal Manolos Auto neben mir auf und er brüllt mich an ich soll das Tempo in meiner Gruppe machen um eventuell Joaquin und Xavier ziehen zu können - Aber sonst hat er keine Probleme, ich bin froh wenn ich diese rasende Abfahrt überstehe!

Also gut! Augen zu und durch! Nicht schlimm, mir ist eh nur noch schwarz vor Augen! Einfach weitertreten! Weiter! Weiter! Venga!

Ein Blick auf die Marschtabelle zeigt mir, dass der Schlussanstieg jetzt beginnen müsste und die Gruppen vor uns haben wir natürlich nicht erreicht!

Jetzt geht es leicht bergauf! Neben mir rackert ein riesiger Deutscher mit Glatze sich den Berg hinauf! Das Publikum johlt und brüllt! Bestimmt sind die ersten schon im Ziel - Igor rollt mir an der Seite der Strecke entgegen. Ob das ein gutes Zeichen ist?!? Zumindest ist er schon im Ziel angekommen und rollt jetzt etwas aus!

Dieser Deutsche ist echt stark! Zwar am Berg nichtmal halb so gut wie ich, aber an seinem Gesicht kann man sehen, dass er wirklich bis zum Umfallen kämpft.

Da hinten ist ja die Ziellinie - und der Typ ist nicht zu halten, gibt's ja nicht! Warum kann ich nicht sein Hinterrad halten? Venga, Gorka! So weit ist es schon gekommen, Manolo ist weit und breit nicht in Sicht und ich feuere mich schon selber so an?!? Ein Blick auf die mitlaufende Uhr am Ziel verrät mir, dass ich auf den Sieger etwa 2 Minuten verloren habe, das kann sich für einen Helfer sehen lassen.

Auf der Massagebank erfahre ich dann auch die wissenswerten Resultate. Igor ist in einer fünfköpfigen Spitzengruppe angekommen, aber von zwei Australiern (Evans mit der 41 und Rogers, dem Vorjahressieger, niedergesprintet worden. Die beiden anderen in der Gruppe waren Werner mit der 48 und Vanhout mit der 108!

Eins muss man Manolo lassen! Der Mann hat wirklich Ahnung - all diese Fahrer außer der Nummer 48 stehen auf meinem Spickzettel. In genau dieser Reihenfolge reihen sie sich dann auch in der Gesamtwertung auf und ich weiß endlich warum die Deutschen so scharf gefahren sind, Etappensieg und Platz 4 sind wirklich stark.

47 Sekunden nach dieser Gruppe kam eine 40köpfige Gruppe mit Joaquin und Xavier an, dahinter dann schon der Rosa Hühne - er heißt Hundertmarck, den Namen merke ich mir mal - und ich an der Spitze einer kleinen dritten Gruppe.

Noch etwa 5 Minuten nach uns trudeln die letzten etwa 40 Fahrer ein, unter ihnen Mc Ewen, der bisher geführt hatte.

Für mich sieht es eigentlich nicht schlecht aus: Platz 47 mit 3:16 - da niemand aufgegeben hat sind also noch 49 Fahrer hinter mir! Stolze Leistung!

<typohead type=3> </typohead>

Stage 3:

Irgendwie war es dann gestern mit dem Disco-Besuch doch nix mehr! nach der Massage und dem klassischen "Nudeln" habe ich mich nur noch auf's Zimmer geschleppt wo Joaquin schon tief gerunzelt hat, bin ins Bett gefallen und mit einem breit grinsenden "Venga! Venga!" von Alvaro zum Frühstück geweckt worden!

Apropos Alvaro - warum muss der eigentlich nie arbeiten? Weil er schon mal spanischer Meister war oder weil er das große Brüderchen von IGG ist???

Jetzt stehe ich also schon wieder am Start einer Etappe - es ist die dritte und heute könnte ich mal meine ersten UCI-Punkte einfahren, das wird mein Tag heute!!

Noch drei Minuten bis zum offiziellen Start um 11:00 - mal in Gedanken durchgehen was Manolo uns über den heutigen Tag eingebläut hat:

Die ersten 21,8 km sind flach und komplett neutralisiert. Danach geht es bis etwa Kilometer 35 stufenweise von 50 Metern auf etwa 520 Meter hoch, hier gibt es allerdings noch keine Bergwertung - Die folgt dann am Checker Hill bei Kilometer 42,6.

Bei Kilometer 90 und 130 kommt dann nochmal zweimal der gleiche kleine Anstieg bei Hahndorf mit läppischen 120 Höhenmetern.

Meine Aufgabe heute wird es sein direkt im Fuß der Berge nach dem "echten" Start anzugreifen und die Gegner zum Arbeiten zu zwingen! Ich wette danach sehen die mich bis zum Ziel nicht mehr wieder.

... ob ich vielleicht sogar ins Gelbe fahren kann wenn meine Jungs hinten das Tempo verschleppen?

Start!

Die ersten 21 Kilometer sind wirklich öde...

11:44 - Der Anstieg beginnt, ich bin in guter Position direkt hinter dem Zug der rosa Deutschen.

11:45 - Attacke!!!!! Ich fliege links am Feld vorbei und lege schnell gute 20 oder 30 Meter zwischen mich und die anderen. Nach der nächsten Kurve drehe ich mich mal um - keiner zu sehen! Klasse!! Ich bin einfach zu stark heute! Heute morgen war schon abzusehen, dass ich wirklich gute Beine habe.

12:10 - Ein Motorrad fährt an mir vorbei mit einer Tafel, der ich entnehmen kann, dass ich auf eine Verfolgergruppe 55 Sekunden Vorsprung, auf das Feld sogar 2:30 habe! Also noch nen Tritt schneller, dann kriegen die mich nie mehr!

Komisch! In meinen Ohrstöpseln, die ich seit gestern habe höre ich gar kein "Venga!" mehr???

Ah! Manolo zieht mit seinem Auto neben mich und meint ich solle langsamer fahren wenn ich im Ziel ankommen wollte! Der hat ja keine Ahnung! Die Berge sind ja gleich geschafft und dann isses nur noch geradeaus mit dem doppelten Hügelchen als einzigem Hindernis.

Außerdem kann ich mir den Bergpreis schnappen wenn ich als erster am Checker bin und dieser Deutsche, Werner, der gestern am Mangler die Nase vorn hatte keine Punkte macht.

12:15 - Der erste Gipfel ist geschafft! Schade, dass es keine Bergpunkte gibt! Jetzt noch ein Stückchen bergab, dann rase ich noch schnell auf den Checker Hill und fertig!

Merkwürdig! Ich fahre so schnell ich kann und die Gruppe und das Feld holt immer mehr auf!

12:40 - Noch 1,5 km bis zur Bergwertung. Langsam wird es schwer! Das muss die Hitze sein! sonst hätte ich doch hier mit dem lächerlichen Hügel keine Probleme! Autsch! Die Spitzengruppe von etwa 20 Fahrern kommt von hinten an mich ran, es ist aber keiner von unseren Jungs dabei!

12:44 Ich bin doch noch stark!

12:45 Naja - Wenigstens kann ich mich noch in der Gruppe halten! ... und dann noch als einziger unserer Jungs! der Rest müsste doch einfach so flutschen! Jetzt sind wir auch "über'n Berg", wie man in Spanien so schön sagt!

Der Rest des Rennens ist dann zwar zackig aber nicht mehr bösartig und ich kann mich relativ problemlos in der Gruppe halten, zumal ich von Manolo die Anweisung bekomme nicht zu führen, da Joaquin und Xavier versuchen IGG wieder an diese 21-köpfige Gruppe, in der alle 4 Führenden der Geamtwertung sitzen, heranzufahren. Kurz vor dem zweiten Anstieg in Handorf, was auch später das Ziel sein wird, gelingt ihnen das auch und wir sind jetzt etwa 40 Fahrer in dieser Gruppe. Leider sind unsere beiden Sprinter weit und breit nicht zu sehen, aber wenistens bleibt Igor in den Top 5 der Gesamtwertung wenn sich nichts mehr tut!

... Nein! Es tut sich nichts mehr und den Sprint gewinnt der Mann mit der letzten Nummer im Feld. Ein Australier mit der 118, der Aitken heißt! Ich werde 16. - meine beste Platzierung im Profi-Geschäft! Das fängt doch gut an!

Auf der Massagebank erfahre ich wieder mein Ergebnis: Platz 29 mit 3:16 Rückstand.

<typohead type=3> </typohead>

Stage 4:

Auch heute steht wieder ein strammer Anstieg zu Beginn der Etappe auf dem Programm. Auch er gibt keine Punkte für die Bergwertung und dann folgt erst wieder ein kleiner Zacken vor dem Ziel. Sollte also kein Problem darstellen! Vielleicht kann ich ja heute die Etappe gewinnen!

Aaaaaah! Ist das heiß!!!! Ich glaube ich spinne! Schon im Anfangsanstieg kocht mir das Blut in den Adern und ich kann das Tempo des Feldes nicht mitgehen! Das geht auch Anderen so und wir versuchen unser Tempo zu fahren! bestimmt können wir das Feld auf der Ebene wieder einholen! Neben mir rollt der kleine Dicke aus der Franzosenmannschaft - der mit der Monchichifrisur. Selbst das Tempo unserer Gruppe kann er nicht halten und fällt mit drei anderen Fahrern aus seiner Mannschaft langsam zurück!

Glücklicherweise höre ich aus meinen Ohrenstöpseln kein "VENGA, VENGA!!!" und keine taktischen Anweisungen! Lasst mich doch in Ruhe sterben! Ist das heeeeeiß!!! Warum sehe ich nur noch verschwommen? Muss trinken...

Auf der Massagebank wird mir dann erzählt, was alles auf der Etappe passiert ist - Am ersten Berg setzte sich eine 10köpfige Spitzengruppe mit den Top 5 der Gesamtwertung ab und im großen Feld machte dann auch niemand mehr Anstalten, diese Gruppe zurückzuholen, so dass die Nummer 63 - Baden Cooke - die Etappe gewonnen hat. Die Gesamtwertung ist immer noch: Evans - Rogers - IGG - Werner - Van Hout und ich liege auf Platz 60 mit 23:06 Rückstand.

Irgendwie will ich mir gerne einreden, dass ich nur Kräfte gespart habe, um Igor morgen auf der entscheidenden Etappe richtig untewrstützen zu können, aber ich fürchte, da mache ich mir was vor.

<typohead type=3> </typohead>

Stage 5:

Im Verlauf dieser Etappe kommen zwei kleine Zacken bei Willunga und der Schlussanstieg, der Willunga Hill, etwa 20 Kilometer vor dem Ziel. Der geht von 80 auf knapp 400 Meter hoch, ist also nach spanischen Maßstäben eher Kindergeburtstag, dürfte aber für einen Angriff wie geschaffen sein! Das wäre doch gelacht, wenn wir da Igor nicht ordentlich rein gefahren bekämen!

Die Wichtigkeit dieser Etappe zeigt sich darin, dass die ersten100 Kilometer extrem manierlich gefahren werden. Es ist nicht mehr so heiß wie gestern, aber im Schatten sollten es immer noch 30°C sein!

Wir rollen also im geschlossenen Feld, sogar der Dicke kann locker mithalten. Ich halte mich mit Joaquin vorne auf um keine Gruppen wegzulassen. Diese Vorsichtsmaßnahme ist aber unnötig, da anscheinend vor dem Willunga Hill niemand angreifen will. Die "großen 5" fahren dicht beieinander und tun sich im Moment nichts - alle warten auf den Anstieg.

... und der kommt früher als allen lieb ist! Zwar eine dreiviertel Stunde nach der Marschtabelle - also um 14:15 statt um 13:45 - aber für alle Fahrer absolut früh genug! Zack!! Direkt mal um die 10% Steigung! Dreimal dürft ihr raten wer das Tempo des Feldes nicht mehr halten kann! Das kann ich nur sehen, weil ich gerade bei Manolo bin und gerade mit Wasservorräten für ein ganzes Heer auf dem Weg nach vorne bin! Hoffentlich bin ich bei IGG bevor vorne attackiert wird, sonst ist das Gemecker wieder groß! Ich quäle mich also bei ordentlicher Steigung am Feld vorbei und bin gerade bei Igor als einer der beiden rosa Deutschen, die vorne dabei sind attackiert! Es ist aber nicht ihr Kapitän, sondern der andere! Igor sieht mich auffordernd an und norgedrungen gehe ich aus dem Sattel und nehme die Verfolgung, mit Igor direkt am Hinterrad, auf. Prima! Nach nur etwa 50 Metern ist Igor das Tempo zu gering und er geht an mir vorbei, dass es mir vorkommt als würde ich stehen! In seinem Windsschatten sitzen die Nummern 15 (Christophe Moreau), 16 (Fedrigo), 18 (Hervé), die 41 in Gelb (Evans), 51 (Botcharov), 67 (Eisel), 92 (Perez Cuapio) und 111 (Jonker).

TOLLE Sache! Vorne geht die Post ab und mich hat der kurze Antritt so aus dem Rhythmus gebracht, dass gar nichts mehr geht! Immer mehr Fahrer muss ich ziehen lassen und irgendwie wird es nicht weniger steil! Komisch! Im Training sind wir hier dreimal hintereinander hochgefahren und es hat mich kein bisschen angestrengt?!?

Um mich zu beschäftigen zähle ich die Fahrer, die an mir vorbeigehen! Neben den 10, die ohnehin schon weg sind sind es noch 14! Damit liege ich noch auf Position 25 und bin in einer kleinen Gruppe mit noch etwa 10 anderen Fahrern.

So! Wir sind oben! Wer sagt es denn! Das war der letzte Anstieg meiner ersten Rundfahrt und es sieht nicht schlecht aus für mich! In der Abfahrt und auf der kleinen Ebene kurz vor dem Ziel kommen auch einige wieder von vorne zurück! Igor ist glücklicherweise nicht dabei. Dann wird er diese Rundfahrt auch ganz sicher gewinnen.

Für mich persönlich läuft es ganz gut! Vor uns müssten jetzt noch 13 Fahrer sein und in meiner Gruppe sind etwa 40 - das heißt ich habe wieder eine ganze Reihe namhafter Fahrer versenkt! Heute bin ich mal so stark, dass ich mich am Sprint meiner Gruppe beteiligen werde.

Flamme Rouge! Die Sprintvorbereitung in unserer Gruppe läuft! Ich sitze so etwa an fünfter Position als sich in einer Kurve etwas merkwürdig anfühlt! Irgendwie setzt mein Pedal auf einem Fuss der Absperrgitter auf und ich merke nur noch wie ich durch die Luft geschleudert werde und von Absperrgitter abpralle! Hinter mir scheppert es auch wild und irgendetwas fliegt mit voller Wucht auf mich. Besser mal die Augen erstmal zulassen!

Was tut weh? Eigentlich nur der rechte Oberschenkel. Augen auf! Um mich herum ein Schlachtfeld aus Fahrern, Wasserflaschen, Helmen und verbogenem Material. Blick an mir runter! Die Haut an meinem rechten Oberschenkel ist aufgeschürft, es blutet etwas, scheint aber halb so wild zu sein! Aufstehen! Klappt! Arme bewegen! Kein Problem! Ich nehme mir mein verbeultes Fahrrad unter den Arm und gehe langsam zum Ziel. Nur gut, dass es der letzte Kilometer war und ich zeitgleich mit der Gruppe gewertet werde.

Bei der abendlichen Massage erfahre ich dann, dass Igor die Rundfahrt wohl doch noch nicht gewonnen hat. Er war zwar in einer Gruppe mit Moreau und Evans, dem gelben Trikot, die sich auf den letzten Kilometern abgesetzt hatte, konnte dort aber nur den dritten Platz belegen und dieser rosa Evans liegt immer noch vorne! Das wird ganz schön hart ihn da morgen noch wegzubekommen. Die Etappe ging übrigens an diesen Moreau - der war mir aufgefallen, weil er mir im Anstieg, als er mich überholte, die Zunge rausgestreckt hat! Das bekommt er irgendwann wieder.

Ich selber habe mich von den Positionen her verbessert und liege jetzt auf Platz 49 mit 29:32 Rückstand. Gar nicht übel für meine erste Rundfahrt.

<typohead type=3> </typohead>

Stage 6:

Eine Etappe, die mir eigentlich nicht liegen würde, da sie flach ist wie ein Bügelbrett, die mir aber sehr entgegenkommt, da die letzten Tage schon härter waren als ich erwartet hatte! Da tut etwas Ausruhen dringend Not.

Eigentlich könnte man heute bummeln, da es eh nur auf die letzten 2 Kilometer ankommt! Ich habe ja in der Mannschaftsbesprechung vorgeschlagen einen Angriff auf das Gelbe zu starten, aber Manolo hat gesagt wir sollten mit dem zweiten Platz für Igor zufrieden sein und lieber Alan oder Angel die Etappe gewinnen lassen! Ich persönlich habe heute "frei". Ich soll mich nur im Hauptfeld aufhalten und mitrollen.

Zurück zum Bummeln: Da wird natürlich nichts draus! Diese verrückten Deutschen machen von Kilometer 20 an ein Wahnsinnstempo - wahrscheinlich rechnen sie mit einem Angriff von Igor, der immer aufmerksam in der zweiten Reihe fährt. Mein Tacho zeigt permanent 49 km/h und es ist wieder so heiß wie nie! Irgendwann muss denen doch auch mal die Kraft ausgehen! Danke an Manolo, denn selbst das "Mitrollen" ist heute fast schon zu viel für mich.

Immerhin kann ich mich im Feld halten. Gerade als ich beschließe, dass nichts mehr geht, kommen wir an einer Markierung vorbei, die anzeigt, dass es nur noch 5 Kilometer bis zum Ziel sind - die sollte ich doch auch noch schaffen.

Ein Blick nach vorne zeigt mir, dass das Feld der noch 84 Fahrer langgezogen ist und vorne die blauen Franzosen und die rötlichen Belgier das Tempo machen! Ohne auf meine Liste zu sehen weiß ich, dass die für den Dicken und für den australischen Vizeweltmeister das Tempo machen. Angel und Alan scheinen auch mit vorne zu sein - mal sehen was sie erreichen können.

Noch 2 Kilometer: Es wird immer schneller! Mein Gott, was bin ich froh, dass ich heute keine Aufgabe zugewiesen bekommen habe! Ich blicke mich um - hinter mir sind kaum mehr als eine Hand voll Fahrer - alle anderen leigen wohl vor mir! Unglaublich! Vor mir fährt die Nummer 34 (Kevin van Impe) - ich versuche einfach bis zum Zielstrich nicht sein Hinterrad zu verlieren!

Noch 1 Kilometer: Ich habe das Hinterrad noch!!

Massagebank: Ich wurde 76., habe aber keine Zeit verloren und auch meinePlatzierung behalten.

Bei meiner ersten Rundfahrt kann ich also einen guten 49. Gesamtrang bejubeln! Da muss ich direkt mal meine Mama anrufen. Nur der Vollständigkeit halber: Igor konnte seinen zweiten Platz hinter Evans halten und die Etappe ging an Mc Ewen vor dem kleinen Dicken! Der ist übrigens gar kein Franzose sondern ein Este! Keine Ahnung wo das Land liegt! Egal! Sprinten kann er trotzdem und jetzt weiß ich auch, warum der überhaupt hier mitfahren darf obwohl er an jeder Steigung abgeschüttelt wird. Sogar ich kann ihm da auf jedem Kilometer 20 Sekunden abnehmen.

<typohead type=3> </typohead>

Epilog:

So! Wenn jetzt alles glatt läuft werde ich als nächstes in Mallorca am Start sein! Dies ist aber trotz der mir entgegenkommenden Topographie eher eine Rundfahrt für Sprinter, aber mal sehen ob ich da trotzdem glänzen kann...

Ziel sind auf jeden Fall meine ersten Weltranglistenpunkte.

 

von Glgnfz


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