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Radlerprosa



etc. PP - Posers Prosa

Ernstes, Lustiges, Skurriles von Radsportfan Manfred Poser



Das Fahrrad im Winter

 

Mein Bekannter Gerald mottet mit preußischer Disziplin (obwohl er Steiermärker ist) am 31. Oktober jedes Jahres sein Rennrad ein. Am 31. März packt er es wieder aus. Für ihn kein großer Verlust: Er joggt, geht Langlaufen, macht Abfahrt, und wer weiß, was er sonst noch macht.

Unfreiwillig eingemottete Fahrräder
in Landsberg am Lech, 2007


Doch was mache ich, der ich monogam bin, dem Fahrrad treu ergeben? Ich fahre immer. Und der November war wunderschön. Von 15. November bis 7. Dezember saß ich jeden Tag im Sattel und fuhr sogar die Appenzeller Berge ab.



Hohe Konzentration ist gefragt

Am 18. Dezember musste ich im Nachbarort schnell etwas abholen und dachte: Ich nehme das Rad. Der Weg war etwas glatt, ich fuhr hochkonzentriert, doch auf dem Rückweg war die Kälte unglaublich. Ich dachte, ich schaffe es nicht und meine Finger fallen gleich ab. Was war mit diesen Handschuhen los? Wieder zu Hause angelangt, brachte ich mit gefühllosen Fingern kaum den Schlüssel ins Schloss. Die Hand klebte fast am Lenker fest. Später sagte meine Nachbarin, sie habe auf ihrem Balkon minus 18 Grad gemessen. Und noch viel später erzählte eine Bekannte von minus 40 Grad in Michigan, die sie einmal erlebt habe. Da bräuchte man ein vollverkleidetes Rad und trotzdem viele Paar Socken.

 

Minus fünf ist sonst die Temperatur, bei der ich nicht mehr fahre. Doch minus vier (früher hatte ich einen Tacho mit Thermometer) stören kaum, wenn man sich bei blauem Himmel an tief verschneiten Tannen vorbei einem Ort oberhalb des Bodensees nähert; es ist einfach schön. Null Grad bei trübem Himmel empfindet man fast als kälter. Leider hat man immer mindestens ein Paar Socken zuwenig an, wenn nicht zwei. Hände und Füße sind immer das Problem. Mitte Dezember fing eine Radtour von Orte (Latium) hinein nach Umbrien bis nach Orvieto schön an, doch dann schlug das Wetter um, meine Füße wurden gefühllos, und prompt erkältete ich mich.



Radfahrer in den Abruzzen, 2003
(Foto: Klaus Werner)

Kürzlich las ich „Das Wüten der ganzen Welt“ des niederländischen Romanciers Marteen T’Hart (er hat auch „Gott fährt Fahrrad“ geschrieben). Da erinnert er sich, wie er als kleiner Junge bei minus fünfzehn mit dem Rad zur Schule fuhr und Plastiktüten zwischen Socken und Schuh geschoben hatte (mache ich auch zuweilen; Zeitungspapier habe ich auch schon probiert); als die Lehrer bei ihm Erfrierungserscheinungen bemerkten, kauften ihm seine Eltern eine Monatskarte.

 

Aber bei wenigen Minusgraden kann man immer fahren, wenn die Straße trocken ist. Man fährt halt langsam, mit dem Tourenrad, mit warmen Stiefeln und freut sich auf ein eiskaltes Bier. Nur nachts sollte man bei Brücken und in Kurven vorsichtig sein, denn da kann es schnell in die Horizontale gehen, und ich denke da immer an Homer, der schreibt, wenn in seiner „Ilias“ die Krieger fallen: „Der Stoß warf ihn nieder, und über ihm ertönte scheppernd die Rüstung.“ Diesen Winter hielt ich mich stets aufrecht.

 

Gerade komme ich von meinem Tag in Freiburg zurück. Der Radweg von Heitersheim nach Bad Krozingen war schneebedeckt, die Straße frei. Seltsam. (Und in Freiburg hatten sie ganz einfach den Schnee beiseite geräumt, auf den Fahrradstreifen, und wenn man da nicht herumholpern wollte, wurde man angehupt.)



Radweg im Schnee, Autostraße frei


Doch wenn man langsam fährt, passiert nichts. Da erzählt mir wieder eine andere Bekannte von einer Service-Sendung im Fernsehen. Man solle das Rad gut einölen, war zu hören, und etwas Luft aus den Reifen lassen, damit diese auf Schnee besser greifen. Diese Freundin schaut gern Privatfernsehen. Wer schaut Privatfernsehen? Sicher keine Leute, die mit dem Rad auf Schnee fahren. Es werden Leute sein mit Autos, die sich irgendwie irrtümlich plötzlich auf einem Fahrrad wiederfinden, das lange im Keller stand. Ihnen sollte man eher raten, vor der Fahrt überhaupt die Reifen erst einmal aufzupumpen und vor allem selten zu bremsen, vor allem keinesfalls, wenn die Straße gefährlich schillert; Lenker festhalten, beten und durch!

 

Wir haben uns (Klaus Werner und ich) schon einmal März in den Abruzzen durch Schneefelder gepflügt, und Romano Puglisi musste sogar im Juni an einer schneeverwehten Straße in den Bergen aufgeben.

Hier endete Romanos Tour (Foto: Romano Puglisi)


Nicht einmal die Tour de France war vor Wetterkapriolen gefeit. Und die Fahrt von Meran nach Bondone beim Giro 1956 ging als „Eisetappe“ in die Geschichte ein.



Das Wetter schlug um, und die Temperatur sank innerhalb von einer Stunde um 30 Grad - auf minus zehn. Der Schneesturm machte es den meisten Fahrern unmöglich, hochzufahren. Andere zeigten Symptome von Erfrierungen. „Dantesk” haben Italiener diese Etappe genannt. Doch der Luxemburger Charly Gaul ist bekannt für seine Härte bei schlechtem Wetter. Sein Sportlicher Leiter Learco Guerra - er war 25 Jahre zuvor erster Rosa-Träger - ließ Gaul vor den Bergen manchmal in einen Bottich mit heißem Wasser tauchen, damit er die Anstiege besser bewältigt. Von den letzten Kilometern erinnerte sich der Luxemburger an nichts mehr. Man musste ihn im Ziel fast gewaltsam vom Fahrrad trennen, an das er nahezu angefroren war, und das steife Trikot musste man aufschneiden. (Diese Stelle habe ich natürlich aus meinem „Radsport kurios“, 2006, kopiert.)

 

Was machen andere? Sie trainieren im Keller. Mein Freund Hans aus Fürstenfeldbruck bei München hat sich eine Trainingsrolle gekauft. Er entschied sich auf Anraten von Hermann, einem Anästhesisten, der schon um die bayerischen Meisterschaften gefahren ist, für ein Gerät, bei dem die Vorderradgabel nicht in einer Halterung ruht. Das Hinterrad steht auf zwei Rollen, das Vorderrad auf einer. Das Fahrrad steht völlig frei!

 

Erst sitzt er auf, dann bringt er das Rad mit einem Fuß auf Touren, und wenn die Geschwindigkeit hoch genug ist, zieht er das zweite Bein hoch, klickt den Schuh ein und fährt. Doch ist er nun dazu verdammt, ein gewisses Tempo beizubehalten und die Hände nicht vom Lenker zu nehmen. Hans sagt, er könne sich weder den Schweiß abwischen noch sich am Hals kratzen, denn dann liege er unweigerlich auf der Nase. (Ich habe seine zerschundenen Schienbeine gesehen.)

 

Viele nutzen im Winter das Stehfahrrad. Erst kürzlich tauchte bei Winnie, dem Radmonteur meines Vertrauens in Badenweiler, der alte Sizilianer Tino auf und ließ seine Rolle wieder instandsetzen. Auch Christoph, ein ehemaliger Klassenkamerad, fährt im Winter drinnen und schaut dazu Videos (Tino möchte natürlich Sex-Videos). Er will im Februar eine Woche nach Zypern. Das kann man natürlich auch tun, wenn man Geld und Zeit hat: auf Mallorca, in Südspanien oder auf Zypern radeln. Bald wird es wieder Frühling, und da deutet sich schon eine interessante Gruppe an: Christoph, der Kardiologe, fährt mit Hermann, dem Anästhesisten, mit einem Neurologen und dem Krankenhausgeistlichen. Ich sagte zu Hans: Da fährst du mit, da kann dir nichts passieren!

 

Ich selber fahre nie drinnen auf irgendwelchen Rollen. Draußen – oder nicht.



Draußen sein

Aber ich finde es auch nicht so schlimm, wenn sich andere im Keller Kondition antrainieren für den Frühling. Jeder darf mich überholen; ich fahre in meiner eigenen Klasse. Ich bin meine eigene Liga. Wie ich heute bei Winnie hörte, ist der Boom von Elektrorädern nicht zu bremsen, und es werden wohl bald rüstige Rentner an mir (auf dem Rennrad) am Berg freundlich grüßend vorbeiziehen. Das darf man überhaupt nicht beachten, auch wenn’s schwer fällt. „Kein Ich und keinen Gegner haben“, sagte im 17. Jahrhundert der japanische Schwertkämpfer Chissai Chozan; du kämpfst nicht gegen dich, du kämpfst nicht gegen andere, du bist auf deinem Weg, der immer der deine ist.



 

Text und Fotos Manfred Poser, Januar 2010


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