Ein Motiv aus vorangegangenen Geschichten soll hier aufgenommen werden: das Fahrrad als Kunstobjekt. Der Mailänder Bildhauer Pietro Coletta hatte ja vom Fahrrad als von „Strukturen des Raumes“ gesprochen, die er wie Statuen betrachte; und der Engländer Lionel Ferris baute mir eine aus seinem Hochrad bestehende Skulptur vor den Neuenburger See. Auf meinen Fahrten lichte ich oft Fahrräder ab, die als künstlerische Objekte in Städten und Dörfern stehen, mit Blumen versehen, bemalt und einfach schön. Darum wird dieser Beitrag eine hübsche Bildergalerie.
Eine Einführung muss jedoch sein. Der Franzose Marcel Duchamp soll bei einem einsamen Aufenthalt 1912 in München sich ideell vom herrschenden Kunstbetrieb gelöst haben. Er wollte etwas Anderes und machte sich an die Arbeit. Solche Ideen liegen in der Luft. Von 1910 bis 1912 hatten Georges Braque (1882–1963) und Pablo Picasso (1881–1973) wie wild gemalt und sich gegenseitig angestachelt. Es waren „kubistische“ Gemälde (Braque hatte zuvor „fauvistisch“ gemalt mit schrillen Farben), die wie zerbrochen und neu zusammengesetzt wirken: bestes Beispiel ist Picassos „Gitarrespieler“. Braque und Picasso zertrümmerten die „alten“ Kunstrichtungen, und Duchamp machte mit. Lustig sollte es sein.
Duchamp entwickelte das erste „Ready-made“, nach seinen Worten „kein vom Künstler geschaffenes, sondern von ihm ohne jedes ästhetische Vorurteil ausgesuchtes Alltagsobjekt“. Damit es zu Kunst wird, muss es besonders platziert (hervorgehoben) und vom Künstler signiert werden. Der Künstler erklärt etwas zu Kunst; was er schafft, wird automatisch zu Kunst. Das allererste Ready-made (das leider verschollen und nur noch als Replik existiert) war 1913 das „Fahrrad-Rad“ (roue de biciclette), ein Laufrad, in einer Gabel befestigt, die auf einen Hocker montiert war. Dadurch bekam das Fahrrad seinen Platz in der Kunstgeschichte.
Marcel Duchamp ist der Urvater aller künstlich aufgestellten Fahrräder. Räder stehen ja überall, jedes gehört einem Menschen – doch es genügt, ein Rad anzupinseln und mit Blumen zu überschütten, damit der Eindruck entsteht: Kunst. Das Rad hat dann keine Funktion außer der, dazusein, die Welt zu verschönern und für Aufmerksamkeit zu sorgen.