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Ich bin ein spätberufener Radwanderer. Erst nach meinem 50. Geburtstag brach ich zu einer echt großen Reise auf: von St. Gallen nach Rom.
Es war der Mai 2007. Vier Wochen zuvor war ich von Genf nach Port-Bou an der spanischen Grenze gefahren in vier Tagen, doch ich bekam Probleme an der Achillessehne, hatte es vermutlich übertrieben, und dann fand ich es auf die Dauer zu teuer, in Hotels zu nächtigen. Also professionell gehandelt: neue Schuhe fürs Klickpedal gekauft, dazu kleines Zelt, guten Schlafsack und Isomatte. Bis Ende 2004 hatte ich in Rom gelebt, fünf Jahre lang, und die Ewige Stadt zog mich an, außerdem wollte ich die alten Freunde wiedersehen.
Splügen - das Zelt steht! |
10. Mai, Donnerstag. – Rad aufgepackt und am Morgen in St. Gallen los. Über die Appenzeller Berge, hinab ins Rheintal, und dann geht es auf dem Uferdamm neben dem glitzernden Rhein stetig dahin, 90 Kilometer bis Chur. Dann weiter südlich Thusis, und schon kämpft man sich bergauf, tief unten schäumen die Wasser des Altrheins über gigantische Steinbrocken in der „Via Mala“, und wenn man endlich in Splügen eingetroffen ist, hat man schon 1400 Höhenmeter gemacht. Die spürte ich auch in den Beinen, und doch träumte ich vage davon, gleich noch den Pass zu packen; es war abends um sechs Uhr, im Supermarkt des Ortes fragte ich nach dem Weg, und der Inhaber, mit einer netten Thailänderin an seiner Seite, riet mir, es gut sein zu lassen; da vorne gebe es einen Campingplatz. Ob ich ein Brot wolle? Er wolle mir ein Brot schenken. Nahm ich gern.
Auf Radtouren soll man seine Kräfte einteilen und nicht sklavisch einem Programm folgen. Höre auf deinen Körper! Er sagte mir, dass er keine Lust mehr habe. Ich buchte eine Nacht auf dem Campingplatz, war neben dem Besitzer zweier Appenzeller Sennenhunde der einzige Gast und stand nun mit dem Stangen des Zeltes da. Es wollte zum ersten Mal aufgebaut werden; das heißt: Es wollte eigentlich nicht. Es handelte sich nur um ein logisches Problem, da eine Stange durch eine Lasche zu führen war, aber lange Minuten stand ich überlegend da und probierte es zehn Mal aus – und dann war es endlich parat, das grüne Häuschen. Ich war stolz. Ging zu Fuß zu einer Pizzeria, die von einem jungen belgischen Ehepaar verwaltet wurde, das mich nach der Mahlzeit an einem Seitentisch auch noch rauchen ließ. Und dann die erste Nacht im Zelt, die erste Zeltnacht seit zwanzig Jahren, umgeben von den Habseligkeiten, seltsam geschützt und ungeschützt gleichzeitig, doch ... man ist müde. Und morgens um fünf pfeifen die Vögelein. Weiterschlafen.
11. Mai, Freitag. – Gar schauerlich erhebt sich die erste Rampe des Splügenpasses, doch da gilt kein Zögern. Bananen gekauft, Kette auf das kleine Blatt vorn gelegt und hoch. Man wiegt sich in einen Rhythmus und fährt. An den letzten Kehren des Passes höre ich plötzlich ein Pfeifen – und halte an. Tatsächlich lugt da aus einem Rohr links von der Straße der Kopf eines Murmeltiers. Ich halte vorsichtig an, hole den Fotoapparat heraus – das Murmeltier lässt es zu. Ich fotografiere es. Ist schon mal ein gutes Omen. Oben natürlich ziemlich kalt, zwei junge italienische Zollbeamte tun da Dienst, das muss wohl jemand machen; man braucht nun tatsächlich Handschuhe und eine Jacke für die Abfahrt, dann geht’s hinab durch haarsträubende Kurven, man weiß, auf Chiavenna zu, 30 Grad sind angesagt, es kann nur noch wärmer werden, und nicht mehr weit bis zum Comer See. Ich nehme die Abzweigung nach Gravedona, denn ich will links am See hinunterfahren, mein Ziel ist Madonna di Ghisallo und das Fahrradmuseum; liegt auf der Strecke. Geht ja richtig gut, von einem Ort zum nächsten, wunderschöne Villen zwischen Straße und See, es kommt Menaggio und das Symbol der Fähre, denn vor mir verzweigt sich der See, ich will eigentlich geradeaus drüber, muss also zwei Stiche mit der Fähre absolvieren.
Das Murmeltier am Splügenpass |
Das Wasser glitzert, es ist eine Lust, hinüber nach Varenna und dann nach Bellagio, allerdings hätte ich das einfacher haben können: weiterfahrend nach Cadenabbio (wo weiland Adenauer seine Rosen züchtete) mit einem kleinen Satz über das Wasser. Bellagio. Man will was essen, eine Schulklasse tobt herum, ich führe mir zwei Sandwiches zu und trinke ein Bier, und dann gleich wieder hoch. Brutal steil. Das müssen über 12 Prozent sein, vielleicht 14, spielt keine Rolle, man erreicht immer das Stadium, in dem der Körper nickt und sagt: ‚Wenn du willst, geb ich dir alles; fahren wir, du hast es so gewollt.’ Unten links liegt der See, wir sind nun schon ganz weit oben, und: Madonna di Ghisallo. Natürlich schon halb sechs, das Museum ist seit eineinhalb Stunden geschlossen, und ich kann nur noch durch die Scheiben hineinsehen. Immerhin hat die Kapelle noch auf, und da liegen Trikots von Miguel Indurain und Pantani, Gedenktafeln für verunglückte Radler „auf der Suche nach Ruhm“, Namen und Medaillons. Ein französisches Ehepaar ist zu einem Gespräch aufgelegt, ein Italiener hält an und verrät, er trainiere für eine Radtour hoch zur Arktis und zurück, im August, viel Spaß, und dann rausche ich hinunter, denn da soll es ja einen Campingplatz geben, am Lago di Annone, genauer bei Oggiono. Das erklärt mir näher ein Herr in einem Dorf, und wie gut, dass man Italienisch spricht.
Der See direkt am Platz, ich baue mein Zelt am Ufer auf, und daneben residiert ein junges österreichischen Paar, unterwegs nach Santiago de Compostela, das dauert noch eine Weile, und ich schaue noch beim Verwalterpaar rein. Die Dame ist leicht angetrunken und von mir begeistert; nach meiner Pizza zweihundert Meter weiter bringt sie mich zur Kommunikationszentrale des Campingplatzes, wir trinken, sie nennt mich schon ihren Freund, eine schlanke junge Frau kommt dazu, sie sagen, man solle über den Platz eine Seifenoper schreiben, alles so lustig hier, ob ich nicht ... Ja, bin ja Autor, aber das sollen sie machen, ach, nette Leute, einfache Leute; zwei Tage unterwegs und schon zu Hause, und dann buona notte, a domani.
12. Mai, Samstag. – Der Plan für heute: Quer hinüber, in östliche Richtung zum Gardasee. Abschied von dem Verwalterehepaar, dann gleich einen leichten Anstieg hoch, hatte ich da nicht Stimmen gehört, Rufe? Vielleicht aber auch nicht. Fünf Kilometer klärte sich das auf. Die Verwalterin stand am Straßenrand und wedelte mit den Armen. Ich hatte vergessen, meinen Personalausweis mitzunehmen. (Warum musste man ihn auch abgeben, lächerlich, woanders kopieren sie ihn nur.) Sie scherzte, das koste aber was, und ich gab ihr 10 Euro, ciao, lass mich jetzt in Ruhe, ich habe an diesem Tag noch was vor. Irgendwie kam ich an Bergamo vorbei, streifte, weil mir das schön erschien, die Unterkante des Lago d’Iseo, aber anstatt südlich Brescia anzusteuern, nahm ich den direkten Weg zum Gardasee – über den „Passo Tre Termini“ und Lumezzane. Das sei, stand in einem Führer, Zentrum einer Waffenproduktion, na ja, das will man ja nicht gerade, hingegen geriet das rasch in Vergessenheit, führte die Straße durch die Dörfer doch stetig nach oben, immer weiter, das gibt es, nach der nächsten Kurve nochmal eine Steigung, um die Kurve und wieder, die reine Nerverei, man hat noch ein paar Kekse und die Wasserflasche nur noch halb voll, und weiter hoch, schön ist es, aber mammamia, kann nicht mal Schluss sein? Pause am höchsten Punkt. Hundert Kilometer am ersten Tag, 120 am zweiten, jetzt sind wir schon bei 130, als nächster Ort Vobarno, noch zehn Kilometer bis zum See, sieben Uhr abends, und plötzlich links ziemlich einladend ein kleines Hotel. Vorbei; nein, es reicht, Finale, gönnen wir uns das Hotel „Eureka“. Ein dunkler Typ, vielleicht in meinem Alter, nennt den Preis, 35 Euro, und da sagt man nicht nein.
Man speist auch gut hier, nachdem man all den Krempel im Hotelzimmer ausgebreitet hat. Auf solchen Touren muss man zunächst den Geist zusammen halten, der wiederum die Materie verwaltet; man muss wissen, wie was zu verstauen ist, wo was (Geld, Pass, Fotoapparat, Zahnbürste, Schloss) zu finden ist, und auf Anhieb; darum sollte man möglichst von Sorgen unbelastet losfahren und die Reise als Arbeit betrachten. Es ist viel zu tun. Der Hotelbesitzer gab mir noch eine Einweihung. Hier, sagte er, habe man einstmals zu Venedig gehört, man betrachte sich eigentlich nicht als Italiener, sondern als Savoyer, ich solle einmal die Geschichte nachlesen (was ich später auch tat), das seien alles eigenständige Gebiete gewesen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, gehörend zu Herzogin Marialuisa aus Österreich oder zu Venedig oder zu sonstwem. Er sagte dann noch seltsame Dinge über die Juden, die man besser für sich behält und gab mir ein Büchlein mit über Brescia, das ich später verloren habe. Gute Nachtruhe.
Die Schädel Gefallener in Solferino |
13. Mai, Sonntag. – Natürlich fand ich die Abkürzung hinunter nach Salò nicht, die der Hotelbesitzer mir ans Herz gelegt hatte. Musste ich also durch zehn Unterführungen, aber es war Sonntag, wenig Verkehr, und gegen Mittag fuhr ich in Salò ein. Touristen, und lässige Stimmung. Da hatte vor hundert Jahren der berühmte Poet Gabriele D’Annunzio seine Villa, die man besichtigen kann: Il Vittoriale. Hunderte Besucher. Eine charmante Aufpasserin verstand, dass ich mein Fahrrad mit Gepäck nicht irgendwo draußen stehenlassen wollte und brachte es in einer Nische unter, so dass ich den Vittoriale unbelastet heimsuchen konnte. Eine schwülstige Villa mit schweren dunklen Objekten ohne viel Tageslicht. D’Annunzio hat sich immer zelebriert, er hatte etwa einen Raum, in dem ungebetene Gäste links warten mussten, während gebetene rechts durchgehen durften bis zu dem Raum, dessen Eingang kleiner gestaltet war, so dass der Besucher sich zu erniedrigen hatte, um den großen Poeten sehen zu dürfen, den Freund von Mussolini. In seiner Villa ist er auch irgendwann, um 1935, beim Essen zusammengebrochen und gestorben. Ich aber lebte und fuhr hoch nach Gardone, um auf das Schiff auf die andere Seeseite zu warten. Riviera-Stimmung, Sonne, Leute mit Bier, eine Kapelle spielt Rock. In Garda lebte eine Cousine mit dem Besitzer eines Restaurants zusammen. Aber sie war nicht da, war in Bayern, der Freund Thomas gab mir ein Bier und rief mir, als ich abfuhr, noch nach: „Ich beneide dich!“ So ist das. Alle leben sesshaft, aber ein Nomade steckt trotzdem in allen drin.
Ein ruhiger Sonntag, und ich hatte mich informiert: Südlich vom See lag Solferino, 1858 Schauplatz einer Schlacht zwischen Österreichern und Franzosen. Dunant hatte dort den Einfall, das Rote Kreuz zu gründen. Übers Land fährt man ruhig. Beharrlich hing eine dunkle Wolke über Solferino, die sich aber davor hütete, sich zu öffnen. Das Museum war mir zu langweilig, aber das Beinhaus mit Hunderten Schädeln und Knochen gefiel mir. So eines gab’s auch zehn Kilometer weiter, schon auf dem Rückweg zum See, und leider war es wieder spät geworden. Ich hatte eine gute Unterhaltung mit der Verwalterin einer Museumsstätte, es ging um Verrückte, die große Dinge tun, und ich verabschiedete mich mit ihr mit dem Ruf „Viva la pazzia“ (Es lebe die Verrücktheit!) Dann musste ich noch viele Kilometer durch Desenzano am See hindurch (ein eleganter Ort), bis ich den Campingplatz erreicht hatte. Die „Pizza Roma“, für die ich mich später entschied, war armselig und karg belegt, als hätte man mir einen Erdfladen aus der flachen Region am Po auf den Teller gelegt; aber der Platz vor dem See mit den schillernden, sich auf der Wasserfläche brechenden Lichtern war sensationell. Vorher hatte ich auch im Campingplatz ein paar Glühwürmchen gesehen. Desenzano. Und gute Nacht.
Il Vittoriale, D’Annunzios Villa in Salò |
14. Mai, Montag. – Heute über Verona nach Vicenza. Und Montag: Das bedeutet Verkehr. Schnurgerade geht es hin, manchmal auch zweispurig, und dann, vor Verona, verbietet ein Schild Radfahrern die Weiterfahrt. Nun muss man findig sein; und man findet auch eine Abzweigung, fragt zwei-, drei Mal, doch wir sind in Norditalien, da weisen Schilder ins Zentrum Veronas. Ein Mann hilft mir weiter, beklagt sich etwas über die Ausländer, die man in Deutschland besser im Griff hätte, und dann umrunde ich die Arena di Verona (Arena ist lateinisch und heißt eigentlich: Sand) und fuhr auf und ab, traf einen älteren Anwalt, der mit seinem Rad unterwegs war, sah eine wunderschöne Frau und fühlte mich wohl.
Es war so, als hätte man durch ein Schlupfloch in eine andere Dimension gefunden, wo bella Italia liegt. Diese Städte verstecken sich, doch um sie herum und an ihnen vorbei führen die Autobahnen, die „Autostrade“, und da ist die Landschaft verwüstet und zertreten, nur gut zum Durchquertwerden. So hat der Mensch seine Welt gestaltet: Da gibt es die netten Ecken, wo man lebt; und da gibt es die Zonen, die man brüllend überrollt und niederplaniert und aus dem Fenster die leere Colaflasche wirft. Klar, die historischen Städte sind die gepflegten Wohnzimmer der Italiener; der öffentliche Raum interessiert sie nicht, darum soll sind sonstwer kümmern.
Auch die Straße nach Vicenza ist kein Spaß, eine breite Nationalstraße mit vielen Lastwagen, aber man will ans Ziel und nimmt das in Kauf. Vicenza soll die Stadt der vielen Villen sein, man fährt auf sie zu, nimmt Verfall und Verelendung wahr, sieht viele Afrikaner, und dann, wieder: die andere Dimension. Man rollt man durch ein Stadttor und befindet sich im tiefsten Frieden, im schönsten Wohlstand, findet Buchhandlungen und elegante Boutiquen und Kirchen. Ich frage im Touristenbüro und bekomme den Plan mit dem Weg zum Campingplatz. Der liegt da, von wo ich herkomme. Na schön. Was will ich in Vicenza? Morgen, am 15. Mai, soll hier bei einem Jazzfestival das „William Parker Quartett“ auftreten mit Amiri Baraka und Leena Conquest (beide Gesang). Sie bringen Songs von Curtis Mayfield. Ich will dieses Konzert sehen, da ich die Band im April 2004 in Rom miterlebt hatte, von Leena fasziniert war, und irgendwie trug dieses Konzert dazu bei, dass ich zwei Wochen später anfing, meinen Roman zu schreiben, der – jetzt, da wir uns in Vicenza befinden – noch nicht veröffentlicht ist, aber schon in den Startlöchern steht.
Auf dem Campingplatz treffe ich den jungen Iren Jason (ein Jason hat in meinem Roman auch seinen Auftritt), der neben mir sein Zelt aufbaut. Der Platz liegt gleich neben der Autobahn. Baumaschinen arbeiten hörbar. Zwei holländische Ehepaare sitzen reglos wie Leguane, aber anscheinend noch atmend, vor ihren Wohnmobilen. Ich versuche im Restaurant nebenan zu speisen, bekomme einen wunderbaren Tisch und die Karte, doch die Preise lassen mich schlucken. Da muss man schnell handeln, elegant aufstehen und sich empfehlen. Ich finde in Richtung Stadt eine Hamburgerbar, von zwei osteuropäischen Mädels betrieben, sitze draußen, verschlinge zwei Hamburger und trinke viel Bier dazu. Und rauche.
Die Piazza von Majolica |
15. Mai, Dienstag. – Nein, dieser Campingplatz inspiriert mich nicht. Im Touristenbüro schlägt man mir die Jugendherberge vor, gut, forever young, warum nicht. Es gibt sogar noch eine Karte für das Konzert am Abend, unglaublich, ganz ohne Reservierung. Der junge Mann in der Jugendherberge drückt mir eine Landkarte in die Hand, und so komme ich – ganz ohne Gepäck – zu einer 100-Kilometer-Rundfahrt übers Land. Bassano del Grappa sei schön, Majolica ebenso. Plattes Land, man sieht den Kirchturm des nächsten Ortes. Ich frage einen Herrn im Garten, der mich gleich in seine Wohnung führt und mich vom ersten Stock das Wahrzeichen von Bassano sehen lässt; da müsse ich hin. Da riecht es schon nach Essen, aber er lädt mich nicht ein; er hat fünf Jahre in Frankfurt gearbeitet, als Chauffeur, darum hat er sich so gefreut. Ohne Gepäck fährt man wie der Teufel. Majolica ist sensationell. Von weitem schon sieht man die Stadtmauern, die einen Berg hinaufkriechen und rechts auf der anderen Seite wieder hinab. Unten ist der berühmte Platz mit dem Schachbrett, auf dem sie einmal, im 14. Jahrhundert, einen Krieg vermieden haben, weil sie stattdessen mit echten Menschen Schach spielten, und die geschlagenen Figuren mussten noch nicht mal sterben.
Dann ist es Zeit, sich umzuziehen. Ich will Leena sprechen, ihr die Hand drücken, ihr von meinem Roman erzählen! Leider hängen nur ein paar Leute herum, ich mogle mich sogar in den Konzertsaal, setze mich: kein Musiker. Nicht mal auf der Bühne. Vor drei Jahren saß ich in der ersten Reihe, nun wiederhole ich das. Um Leena bewundern zu können. Der Saal füllt sich. Und um acht kommen die Musiker, Ms. Conquest ganz elegant im Hosenanzug, Amiri ist wie immer kurz angebunden (ich gab ihm kurz vorher die Hand, hey, good luck to you), und dann geht’s los, Parker ist ein souveräner Bassist, Hamid Drake ein gebieterischer, kraftvoller Drummer, und dann haben wir drei Bläser, und Mayfield, das ist reiner Rhythmus mit langen hypnotisch anmutenden Passagen, und Amiri spricht fast, sagt „Open the door“, „Questions and answers“, „Frankie’s dead“ und „Who made Bush president?“ – er stösst das hervor, so dass Leena, wenn sie singt, fast engelsgleich klingt. Ein wunderschönes Konzert, nur ganz am Ende unterläuft Leena ein Fauxpas. Sie will die Musiker vorstellen, aber ein Name fällt ihr nicht ein. „How’s your name? God, I’m spaced out!“ Das war süss.
Und dann stehe ich am Bühnenausgang. Eine Limousine wartet. Es nieselt. Ich habe nicht viel Hoffnung. Diese Hoffnung sinkt mit jeder Minute. Aber komisch: Alles passiert immer genau dann, wenn man die Hoffnung aufgibt – dann nämlich tut sich die Tür auf, Amiri Baraka kommt (er hieß früher LeRoi Jones, großer Beat-Poet), und hinter ihm – Leena Conquest, im Gespräch mit einer Frau! Ich bin wie elektrisiert. Plötzlich denke ich gar nichts mehr, gehe nur noch über die Straße, winke Amiri zu und frage Leena: „Can I give you my hand?“ Ja, ich darf, und ich sage, dass ich ein Buch geschrieben habe, dass ich sie in Rom gesehen hätte, fantastisch, und heute wieder, und sie denkt sich vermutlich, so ein Wirrkopf, ein echter Fan aber, verliebt vielleicht, und dann, bevor sie Amiri ins nächste Haus folgt, sagt sie mir: „Write me an e-mail!“ Yeah!! Es war 23.20 Uhr. (Auf diese Mail und eine zweite kam nie eine Antwort.)
Ich war der Sieger. Diese Radtour würde legendär werden: mit diesem Highlight zur Hälfte.
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