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Einstieg Mortirolo |
Dimaro, 7:00 Uhr. Alle Campingplatzbewohner schlummern friedlich in ihren Zelten bzw. Wohnmobilen. Alle Campingplatzbewohner? Nein, die vier unbeugsamen Radsportfreaks aus Dresden / Berlin sind schon wieder auf den Beinen. Schleppen sich zum Waschraum, bauen die Zelte ab, räumen das Auto ein – alles mehr schlafend als wach. Zum Glück sind wir mittlerweile ein eingespieltes Team und verstehen uns blind, sonst müssten wir ja noch die Augen richtig öffnen oder sogar miteinander sprechen. Dafür reicht die Kraft aber nicht mehr
Endlich flacher auf der Profistrecke |
Vom Passo d'Aprica sausen wir erstmal hinunter ins Valtellina. Hinter Tirano müssen wir gleich eine fiese Steigung überwinden – ich dachte, das hier ist ein Tal! Wir nähern uns Mazzo, und Basti gibt zu Protokoll, dass er wohl gleich vom Rad fällt. Zumindest geht es ihm wirklich nicht gut, das drückend-schwüle Klima hier im Tal scheint ihm nicht zu bekommen. Keine sehr guten Voraussetzungen, um den Mortirolo zu bezwingen…
Mazzo ist erreicht, und ein leicht kribbelndes Gefühl in der Magengegend stellt sich ein. Zunächst werden wir aber mal von der original Giro-Strecke umgeleitet, was eine unfreiwillige Besichtigung des ganz und gar unspektakulären Dorfes Mazzo zur Folge hat. Nach einer kleinen Rampe am Ortsausgang empfängt uns ein Schild "Passo del Mortirolo aperto/open/offen/ouvert" (sicher ist sicher ). Dahinter die Strasse – hmm, sieht sehr steil aus! Corny muss sich vor lauter Schreck erstmal ein Brötchen zurechtmachen. Während der kleinen Pause beobachten wir die ankommenden Rennradler. Zu den meisten von ihnen scheint noch nicht durchgedrungen zu sein, dass es mittlerweile Kompaktkurbeln und Ritzel jenseits von 25 Zähnen gibt. Viel Spaß! In Italien scheint das Rad-Machotum noch deutlich ausgeprägter zu sein als in Deutschland…
Sehr motivierend |
Während Corny sein zweites Brötchen vertilgt (die 25 Kilometer bis hierher, davon die Hälfte bergab, müssen ja unglaublich viel Energie gekostet haben! ), werde ich langsam ungeduldig. Die ganzen Leute nehmen den Mortirolo in Angriff, ich will auch! Basti und ich lassen Corny dann auch in Ruhe überlegen, was er noch essen will, und fahren los. Null Meter Einrollphase, die Strasse wird sofort zur Raketenstartrampe. 18%, vielleicht sogar mehr (Basti wird später von max. 21% berichten, die sein Radcomputer angezeigt hat). Himmel, wie brutal ist das denn?! Nach wenigen hundert Metern bin ich schon am Kämpfen. Ich vergesse meinen ganzen Stolz und lege 32:34 auf ;) . Tempo fällt zeitweise unter 7 km/h. Immerhin: den ganzen Rennradmachos geht es noch dreckiger als mir – sie übersäuern hoffnungslos beim Versuch, ihre Kurbeln irgendwie in Bewegung zu halten. Und die ersten schieben schon nach nicht einmal einem Kilometer.
Basso im Training |
Nach gefühlten zwei Stunden sind die vermutlich längsten 1,5 Kilometer meines Lebens (geschätzte Durchschnittssteigung: mind. 15%) überwunden. Ein kleines Flachstück bietet Gelegenheit zur Erholung. Am Ende der Flachpassage mündet die Strasse nun doch auf die Originalstrecke des Giro - exakt dort, wo die ersten wirklich steilen Rampen beginnen. Diese können uns aber nun nicht mehr erschüttern – wir haben das Schlimmste schon hinter uns. Die Profis hätten diesen "Hobbyfahrer-Aufstieg" bestimmt ausgiebig bestreikt
Cunego kämpft |
Lude wird geschoben |
Traumblick am Mortirolo |
Bevor es an unserem beschaulichen Plätzchen zu gemütlich wird, kommen die Fahrer. Vorn Basso und Simoni *gähn*, etwa eine Minute dahinter Gutierrez und Piepoli, kurz danach Cunego solo. Ein Spektakel: Jeder kämpft für sich allein, ab Position 50 wird fast jeder Fahrer geschoben. Auch wir beteiligen uns daran. Aber, hey: Wenn die Herren ganz nach rechts an den Strassenrand fahren, dich mit dem gequältesten aller Dackelblicke anschauen und "Springere!" ("Schieben!") winseln – wer kann da widerstehen? Mirco Lorenzetto von Milram bedankt sich hundertmal für die fünf Sekunden, die ich ihn schiebe – wow, die müssen ja wirklich am Ende sein! Außer Benoit Joachim – ich vermute, bei ihm ist das auch Kalkül. Der beherrscht den sterbenden Schwan einfach zu perfekt!
Trubel am Pass |
Ein großer Spaß war es, der zudem noch 45 Minuten dauerte (was uns zu gewisser Sorge um einige Fahrer – z.B. Frösi - wg. des Zeitlimits veranlasste). Die restlichen reichlich zwei Kilometer zu Gipfel konnten uns dann nicht mehr schrecken. Auf den letzten 1000 Metern wurde es merklich flacher, der Wald wich einer freien Fläche, und – Mann! Ist das schön hier! Blauer Himmel, schönster Sonnenschein, tolle Fernsicht, die Strasse vollgepinselt – oben am Pass machen wir noch mal eine ausgiebige Pause und genießen das gesamte Drumherum. Der Mortirolo ist wirklich ein Highlight und mehr als ein würdiger Abschluss unseres Giro-'06-Abenteuers . Noch ein letztes Mal genießen wir eine grenzwertige Abfahrt , die uns zurück nach Edolo bringt. Und das Beste: als wir auf dem Campingplatz ankommen, hat Gotzi schon den Grill angeworfen. Und wir können den Tag – endlich einmal – gemütlich ausklingen lassen. Ich denke, das haben wir uns auch verdient .
Fazit: Es war geil! Lediglich auf die italienischen Stehklos kann ich sehr gut verzichten . Und damit spreche ich wohl für alle Teilnehmer unseres verrückten Trips . So, wo geht es nächstes Jahr hin? …
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