Irgendwann rückte der Start näher und es sah schon so aus, als ob ich mehrere Stunden auf Radsportentzug gesetzt werden würde, weil ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen war und die Orte entlang der Strecke für mich so nur schwer oder gar nicht zu erreichen waren. Durch eine glückliche Fügung in Person einiger Italiener mit fahrbarem Untersatz änderte sich die Situation schlagartig. Ich wurde freundlicherweise mitgenommen und unser Ziel hieß Verpflegung. Aber wer denkt, dass Italiener wie wir Deutsche die Verpflegung direkt ansteuern, der irrt. Man ja noch massenhaft Zeit und außerdem welcher Italiener kann einen Tag ohne seinen morgendlichen Espresso überstehen? Also wurde zuerst die Lage an der Verpflegung ausgekundschaftet und dann die nächstbeste Kaffeebar angesteuert um sich persönlich mit Espresso und einem Brioche (Croissant) zu verpflegen. Anschließend waren wir wieder fit für den Radsport...
An der Verpflegung (d.h. der für die Radsportler) traf ich auf den Phonak-Betreuer James, den ich vor ein paar Jahren bei der Sachsen-Rundfahrt kennengelernt hatte (ich erinnere mich noch an seine Wasserspritzattacken auf wehrlose Fans). Er schien nicht einmal überrascht zu sein, mich bei einem italienischen Rennen anstatt in Deutschland zu treffen. Gut, bei mir würde mich auch gar nichts mehr überraschen, höchstens, wenn ich zu einem Rennen nach Australien fliegen würde... Obwohl: ich habe Verwandtschaft in Australien, da könnte man ja vielleicht mal... Bevor ich zu weit abschweife: Rennen wurde auch gefahren. Wie gesagt, zeichnet sich die Coppa Agostini durch ein ziemlich hügeliges Profil aus und so war es – auch aufgrund der schwülen Hitze – nicht verwunderlich, dass viele Radprofis beschlossen, die Verpflegungsstelle, an der sie während des Rennens, fünfmal vorbei kommen sollten, zum Ende ihres Rennens zu bestimmen. So hatte Michele Scarponi wesentlich mehr Spaß mit seinen Betreuern das Rennen zu verfolgen als selbst mitzufahren. Wie ihm ging es vielen: Besonders die Gerolsteiner Fahrer schienen eine Anti- Coppa Agostini Allergie entwickelt zu haben: sieben von acht Fahrern stiegen aus, legten aber immerhin noch eine Trainingseinheit zurück nach Lissone ein. Vermutlich hätte man aber auch nicht alle Fahrer mit dem Auto zurücktransportieren können (oder man hätte sie stapeln müssen).
Nach mehreren Runden fuhr auch ich mit meinen Begleitern wieder zurück nach Lissone, das wir gerade noch rechtzeitig zur Zielankunft erreichten. Es war auch noch genug Zeit sich zum Arrivo (=Ziel) zu begeben und dort einen guten Platz zu ergattern. Das verbliebene Peloton, d.h. die Fahrer, die nicht ausgestiegen waren, war – sagen wir es mal so – sehr übersichtlich. Dank einer Aufgabequote von gut 80% erreichten gerade mal 39 Fahrer (von 189 Gestarteten) überhaupt das Ziel in Lissone. Und von diesen 39 wackereren Helden war Leonardo Bertagnolli der Oberheld, denn er gewann das Rennen und er und Saeco feierten überschwänglich, schließlich ist Bertagnolli nicht gerade als Seriensieger bekannt.