Am 5. November 1991 erhielt ich am späten Abend durch einen Telefonanruf Kenntnis von einem ‚real existierenden vierzig Seiten starken Trainingsplan’ über die „Analyse des Einsatzes unterstützender Mittel in den leichtathletischen Wurf- und Stoßdisziplinen und Versuch trainingsmethodischer Ableitungen und Verallgemeinerungen.“ Und um Missverständnisse aus zu schließen, hieß es auf der Seite 3 unter Fußnote:
1) Unterstützende Mittel: im weiteren nur noch UM
Als UM werden in diesem Fall ausschließlich anabole Steroide Präparate angesehen.
Den Verfasser kannte ich längst aus meiner Leichtathletik-Bibliothek: Dr. Bauersfeld.
Der DSLV erhob Einspruch gegen die fast geräuschlose Umsetzung von Mitgliedern des NOK der DDR in das neue NOK. Im Protest gegen die Einstellung von DDR-Dopingtrainern bei DLV und DSV wurden wir durch Belege aus Landesverbänden und Vereinen unterstützt. Die umfassende öffentliche Diskussion in den Medien war hilfreich für den DSLV. Wir stellten kategorisch ein Zusammenarbeit mit Spitzenverbänden in Frage, wenn sie den Empfehlungen der ‚Reiter-Kommission’ nicht folgten.
Alle diese Vorgänge sind schriftlich festgehalten und zum Teil in der Verbandszeitschrift „sportunterricht“ veröffentlicht. (Kontroverse mit DLV, Kontroverse mit DSV)
Unsere Kontakte in Europa zeigten uns, dass nirgendwo der Kontakt von Schulsport und Wettkampf-Sport so eng war wie bei uns.
Deswegen beobachtete man dort unseren Vereinigungsprozess intensiv.
Die zweite Hälfte der 90er Jahre prägten einerseits Kürzungen im Schulsport begleitet andrerseits von Forderungen nach einer Talentförderung für den Leistungssport im öffentlichen Schulwesen, DSB-Präsident Manfred von Richthofen forderte neue Kinderjugendschulen (KJS), natürlich entideologisiert.
Gleichzeitig wurde das Bild des Spitzensports in der Öffentlichkeit immer mehr mit Dopingbetrug verbunden, Krabbe/ Springstein, der Festina-Skandal und Dieter Baumann als die spektakulärsten Beispiele.
Für Schüler, Eltern, die Kollegenschaft, die Sportpädagogik wurde der Begriff ‚Sportart’ zunehmend negativ konnotiert.
Meine Kenntnis von HES spritzenden DLV-Ärzten (1995 und 1998, die bemerkenswerten Umstände um den „Dopingfall“ Dieter Baumann unmittelbar vor meiner Haustüre - mein Restvertrauen in den Spitzensport war mit Ende meiner Amtszeit als DSLV-Präsident 1999 aufgebraucht.
Ich ahnte damals schon, dass diese besondere Art der Vereinigung des deutschen Sports noch Folgen zeitigen werde.
III Epilog oder der Blick von der Galerie
Nach meiner Pensionierung im Jahr 2000 sichtete ich mein gesammeltes Material, las Bücher, die in den 90er Jahren herausgekommen waren und brachte mich elektronisch auf den neuesten Stand.
Dieser Informationsschub nach einem Leben mit und für den Sport warf und wirft Fragen auf.
Ein Schnelldurchlauf durch die erste Dekade des 21. Jahrhunderts zeigt die Probleme.
2000 Sydney: Wer ist eigentlich 100m-Olympiasiegerin;
2001 WM Lahti: Finnischer Dopingskandal im Langlauf;
2002 Salt Lake City: Mühlegg und Russinnen gedopt? Wo und wer ist Walter Mayer?
2003 Aufsehen erregende Doping-Fälle im US-Baseball;
2004 OS Athen: 27 Doping Fälle; Pantani tot; Springstein von jugendlicher Athletin des Dopings beschuldigt;
Balco-Skandal, THG; Trevor Graham, Marion Jones, Tim Montgomery, Justin Gatlin, Kelly White;
2005 Heidelberger Erklärung; Stefan Schuhmacher positiv; Armstrong wird nachträglich des Dopings beschuldigt;
2006 OS Turin: Österreich Razzia, Walter Mayers Flucht; Fuentes-Skandal; Jan Ullrich; Springstein Urteil; Giengers Dopingerklärungen
2007 Donati Report (109 S.); Sportmedizin Freiburg; George Mitchell Report US-Baseball (409 S.)
2008 Humanplasma und ganz Österreich: Susanne Pumper (Stechemesser); Lisa Hütthaler; Bernhard Kohl; Stefan Matschiner; Walter Mayer Buchautor;
Doping bei den Reitern I; Florian Busch Eishockey; IAAF sperrt russische Leichtathleten
Wer weiß noch, dass der 16jährige Fahnenträger der luxemburgischen Mannschaft, ein Schwimmer, positiv getestet wurde.
2009 Die Eltern eines 15jährigen positiv getesteten niederländischen Eisschnellläufers klagen gegen Dopingproben in diesem Alter. Morddrohungen aus Russland gegen Schwedens Biathleten; Doping bei den Reitern II; Österreichs NOK explodiert; Südafrikas LA-Präsident diskreditiert eigene Athletin (Eckart Arbeit); DLV, Trainerprobleme
Es schwelen weiter: Wien, Freiburg, die große Schleife 2008, Turin, Pechstein, Skilanglauf und Biathlon.
Diese bruchstückhafte Aufzählung macht klar, dass Doping und Spitzensport inzwischen untrennbar zusammen gehören. Das wissen die Sportfunktionäre, die Politik, das Publikum und auch die ‚Jugend der Welt’.
„Weder der DOSB noch der damalige Deutsche Sportbund nehmen allerdings eine Wächterfunktion im freiheitlichen Sportsystem ein. Es ist folglich nicht möglich, der evtl. Nichtbefolgung einer Empfehlung Sanktionen hinterher zu schicken.“
Das schrieb mir der Justitiar des DOSB Ende Juni 2009 auf meinen Offenen Brief an Schäuble, Bach und Prokop zur DLV-Trainereinstellung.
Das bedeutet, dass das freiheitliche Sportsystem machen kann, was seine Spitzenfunktionäre wollen. Sie sind nur sich selbst verantwortlich.
Und genau das, der Versuch zweier Funktionäre, die Dopingvergangenheit des Sports in Deutschland zu manipulieren, sie endgültig unter den Teppich zu kehren, hat mich im April dieses Jahres aufgebracht.
- Walter Trögers Aussage zur Dopingvergangenheit der heute noch tätigen DDR-Trainer: "Die ist irrelevant und die ist vergeben,"
ist ungeheuerlich. Sie diffamiert den Dopingkampf, die Dopingopfer und den organisierten Sport insgesamt und sie wirft ein mehr als schräges Licht auf die Institution, deren Ehrenvorsitz er heute inne hat, das ehemalige NOK von Deutschland. Die Aussage des Achtzigjährigen ist zutiefst unmoralisch. Eine Institution deren Führung so denkt, tritt die Gesetze und Regeln mit Füßen, denen sie ihre Existenz verdankt. (Antwort auf Walter Tröger)
- Clemens Prokops Appell „West-Trainer müssen Schweigen brechen“
ist eine vorsätzliche Irreführung der Öffentlichkeit, die einen besonderen Touch der Heuchelei in sich birgt.
Sie spricht ausdrücklich die West-Trainer der siebziger und achtziger Jahre an, um so eine vermeintliche ‚Dopinggleichheit’ zwischen Ost und West herzustellen.
Dieser Versuch missachtet die Souveränität des DLV, Doping in eigener Regie aufzuspüren und zu sanktionieren.
In der Befehlsstruktur des DDR-Sports war genau das nicht möglich. Deswegen berufen sich die ehemaligen DDR-Trainer auf diese Struktur und benützen sie als Entschuldigung.
Prokops Ausgleichskonstruktion ist so infam wie sinnlos und eines Verbandspräsidenten im freien deutschen Sport unwürdig. (Offener Brief an Clemens Prokop)
Die völlig misslungene Vereinigung des Sports zu Anfang der 90er Jahre ist allein der Verantwortung des Spitzenpersonals des Sports anzulasten.
Freiheit, Verantwortung, Selbstbestimmung und Vorbild sind auf der Strecke geblieben. Das beklagen inzwischen auch ehemalige Olympiasieger aus Ost und West.
Der Spitzensport, vor allem auch der in Deutschland, wird erst dann wieder ein anderes Bild abgeben, wenn sein derzeitiges Führungspersonal ausgestorben ist.
Der Sport, der seine eigenen Regeln korrumpiert, gibt er sich selbst auf. Als Zeitzeuge wehre ich mich dagegen! Vielleicht folgen mir noch einige.
DANKE
Hansjörg Kofink