Prof. Dr. Gerhard Treutlein, Zentrum für Dopingprävention in Heidelberg, ist verantwortlich für das Doping-Präventionsprojekt Juniorbotschafter der Deutschen Sportjugend dsj.
Im vorliegenden Artikel vom August 2014 gibt er eine Zusammenfassung der theoretischen Grundlagen und der ersten ermutigenden Ergebnisse des Projektes.
Junge Sportlerinnen und Sportler stehen Rede und Antwort zu Fragen der Prävention von Medikamenten- und Nahrungsergänzungsmittelmissbrauch sowie Doping; sie sind näher an der Lebenswirklichkeit junger Menschen und können als Lernbegleiter jungen Menschen wichtige Impulse geben, keine Dopingmentalität zu entwickeln. Dieser Ansatz erweist sich als hochwirksam, stellt aber das traditionelle Bild des Lehrens und Lernens im Sport auf den Kopf. Noch immer herrscht das Bild vor, dass „wissende“ und erfahrene erwachsene Trainer Kinder und Jugendliche im Sport anleiten müssen, wenn sich Erfolge einstellen sollen. Die über 120 engagierten jungen Leute, die zwischen 2010 und 2014 an Präventionsseminaren der deutschen Sportjugend teilgenommen haben und zu „Juniorbotschafter/-innen für Dopingprävention ernannt wurden, stellen dazu ein Gegenmodell dar: Lernen mit und durch Gleichaltrige statt durch Vorschriften/Vorgaben durch Ältere.
Bei diesem „peer education-Ansatz“ werden junge Sportler/-innen an einem verlängerten Wochenende zum Thema Dopingprävention ausgebildet, mit dem Ziel, als Wortführer die Auseinandersetzung anderer Gleichaltriger oder etwas Jüngerer mit diesem Thema anzuregen und zu begleiten. Diese wiederum beeinflussen dann ihrerseits weitere Jugendliche. Die Erfahrung zeigt, dass Jugendliche Gleichaltrigen gegenüber offener sind und leichter etwas annehmen als von wesentlich älteren Personen. An dem Ausbildungswochenende werden sowohl Sach- wie auch Lehrkompetenzen angesprochen, aber auch die Wertvorstellungen eines pädagogisch orientierten Leistungssports. Zudem werden bei diesem Prozess die Juniorbotschafter/-innen zu Modellen für andere Sportler/-innen, dazu der Juniorbotschafter Chris Voigt: „Wir wurden für die Thematik sensibilisiert und angeregt, uns selber Gedanken zu machen und Ideen einzubringen, uns selber fortzubilden (bspw. mit den erhaltenen Materialien), uns auch über das verlängerte Wochenende untereinander auszutauschen, mit geöffneten Augen durchs Leben zu gehen und eine Vorbildrolle einzunehmen."
Die ursprüngliche Intention der dsj-Maßnahmen war, dass die beteiligten jungen Sportler/-innen als „Juniorbotschafter/-innen für Dopingprävention“ in ihren Peer Groups (Elternhaus, Verein/Verband, Schule/Klasse, Freundeskreis) als Wortführer oder Multiplikatoren auftreten sollten. Überraschenderweise hat sich daraus wesentlich mehr entwickelt: In den drei Jahren seit 2010 haben sich viele der Juniorbotschafter/-innen nicht auf die Wortführerrolle in einer Peer-Group beschränkt und nicht nur Maßnahmen in ihren Strukturen angeregt, sie sind darüber hinaus aktiv geworden, mehr als 40 von ihnen haben insgesamt mehr als 150 eigene Maßnahmen durchgeführt. Dieses überraschende Ergebnis zeigt, dass eine zeitlich wenig umfangreiche Maßnahme mit dem Schwerpunkt „Entwickeln von Problembewusstsein“ für engagierte und problembewusste junge Menschen bereits einen kräftigen Impuls für eigene Aktivitäten darstellt. „Leuchttürme“ des Engagements sind z.B. Moritz Belmann (im Alter von 21 Jahren schon federführend für Dopingprävention im Judobund NRW), Lukas Monnerjahn (im Alter von 23 Jahren Impulsgeber und aktiv in der Prävention der DJK auf Bundesebene), Naima Wieczorreck (mit 19 Jahren schon Antidopingbeauftragte des BDR Schleswig-Holstein) oder Helen Diederich/Lea Sauer (brachten mit 22/23 Jahren im Rahmen des Hochschulsports Mannheim 2013 ca. 120, 2014 ca. 400 Läufer/-innen beim Mannheim-Marathon an den Start, inklusive Lauftraining und Präventionsveranstaltungen in der Vorbereitung).
Bei den dsj-Seminaren wird an der Entwicklung von Schutzfaktoren und Kompetenzen gearbeitet, die das Auftreten von nicht regelkonformem und unsinnigem Verhalten (Doping, Missbrauch von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln) vermindern können. Angesichts des relativ geringen Ausbildungsumfangs müssen für die Entwicklung von Ressourcen Schwerpunkte gesetzt werden: das sind vor allem die Entwicklung von Problembewusstsein, Entscheidungs- und Problemlösefähigkeit. Es werden Grundlagen gelegt, die die Teilnehmenden aus eigenem Interesse und dem Motiv heraus, anderen etwas vermitteln zu wollen, eigenständig aufarbeiten und weiterentwickeln.
Verhaltens- und Verhältnisprävention: "In Bezug auf die Interventionsebene wird in personenorientierte und systemorientierte Maßnahmen unterschieden, also zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention. Steht bei ersterer das Individuum im Mittelpunkt, richten sich Maßnahmen der Verhältnisprävention an strukturellen Beeinflussungen der sozialen, ökologischen und kulturellen Umwelt ... aus."
Verhältnisprävention: "Erfolgreiche Prävention hat sich nicht nur an Individuen, sondern auch an deren soziale Umwelt zu richten. Wer das Verhalten von Menschen beeinflussen will, darf die soziale Umwelt nicht außer Acht lassen. ... Verhältnisprävention ist somit ein unverzichtbarer Bestandteil von Präventionsbemühungen."
Folgende zwei Ansätze zählen hierzu:
Der Setting-Ansatz:„geht von der begründeten Annahme aus, dass Gesundheit unter den komplexen Bedingungen des Lebens, Lernens und Arbeitens nur dann nachhaltig gefördert werden kann, wenn die jeweiligen Handlungsräume mit all ihren Akteuren selbst Thema von planvollem, gesundheitsorientierten Handeln werden: Schulen, Kindergärten, Betriebe und Krankenhäuser, Gemeinden, Städte und Regionen. … Im Setting-Ansatz werden Einzelkämpfer zu Teams, Betroffene zu Beteiligten, Experten zu Netzwerkern, Projekte zu Prozessen“ (Knörzer und Steen 2006, 139). Zitate aus Singler: Dopingprävention in Rheinland-Pfalz
der Beratungsansatz: "Im Beratungsansatz werden die Adressaten der Beratung als selbstverantwortliche Personen angesehen, die zu rationalen Entscheidungen fähig und grundsätzlich be-reit sind, woraus Singler/Treutlein (2001, 194) die Forderung nach einer Vorbereitung auf reflektiertes Entscheiden und Handeln in Versuchungssituationen (z. B. Verletzungen, Leistungsrückgang, Verbesserung von Konkurrenten) ableiten. Solche Krisenmomente antizipieren zu können und Handlungsalternativen zum Doping zu kennen, zählt zu den Kompetenzen, die ungedopte Sportler auszeichnen." Zitat aus G. Treutlein: Dopingprävention in Deutschland – ein stark unterentwickeltes Pflänzchen
Da es seit langem in den Sportstrukturen große Widerstände gibt, den Bereich der Verhältnisprävention anzugehen, bleibt die Beschäftigung mit dem Setting- und dem Beratungsansatz eine Beschäftigung für die fernere Zukunft; im Vordergrund steht zunächst die Verhaltensprävention.
In den Seminaren werden erste Kenntnisse zur Methodik moderner Dopingprävention vermittelt. Zentral ist dabei das Postulat der Interaktivität, da aus verschiedenen Untersuchungen bekannt ist, dass reine Wissensvermittlung, Aufklärung und Information etwa zu Regeln und Nebenwirkungen (fast immer in Vortragsform praktiziert) zwar notwendig, aber als alleinige Maßnahmen ebenso wenig erfolgversprechend sind wie Plakataktionen: Die jungen Sportlerinnen und Sportler sollen aktiv so einbezogen werden, dass sie Wissen und Kenntnisse nicht nur selbst erleben, sondern so verarbeiten, dass sie dies auch an andere weitergeben können. Im Mittelpunkt stehen Rollenspiele, Brainstorming, Kommunikation, Problemlösungsarbeit und Gruppendiskussion.
Ziel ist nicht die Vermittlung der fertigen Lösung: Verzicht auf Doping. Die Botschaft der Seminare lautet: „Wir versuchen Dich zum Informieren, Reflektieren, Argumentieren/kompetenten Diskutieren, Suchen von Handlungsmöglichkeiten, Unterscheiden zwischen kurz- und langfristigen Zielen (Wertorientierung) und kompetenten Entscheiden anzuleiten. Wir geben aber nicht vor, wie Du Dich entscheiden sollst – wir nehmen Dich als reflexionsfähiges Subjekt ernst. Wie immer Du Dich entscheiden wirst – Du musst wissen, dass Du selbst für Deine Entscheidungen verantwortlich bist.“ Leistung und Erfolg dürfen nicht die einzigen Zielgrößen des jugendlichen Leistungssports sein, z.B. sind das Einüben von Fairness und Regeltreue, kooperativem Verhalten oder Solidarität genauso wichtig – Sporttreiben allein führt nicht automatisch zur gewünschten Wertorientierung und Persönlichkeitsentwicklung.
Eine zentrale Aufgabe ist Sensibilisierung für das Problem der Entwicklung von Dopingmentalität: sie fängt nicht erst an, wenn Sportlerinnen und Sportler zu Dopingmitteln und –methoden greifen oder sich dazu verführen lassen. Dopingmentalität entwickelt sich oft ab dem frühesten Kindesalter, wenn z.B. Eltern meinen, durch Pillengabe die Förderung und Entwicklungsfähigkeit ihres Kindes „optimal“ beeinflussen zu können, statt dies „nur“ mit einer ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensführung zu versuchen. Die frühe Verwendung von Pillen fördert die Bereitschaft des Griffs zu Mitteln zur Leistungssteigerung. Längerfristig verschwimmt so die Grenze zwischen erlaubten und verbotenen Mitteln. Deshalb darf sich moderne Dopingprävention nicht auf die Verbotsliste der WADA konzentrieren sondern muss zentral das Problem der Dopingmentalität bearbeiten. Zum Vermeiden der Entwicklung von Dopingmentalität gehören mentale Stärke (Fähigkeit, in Versuchungssituationen nein sagen zu können), Wissen und Reflexionsfähigkeit. Die Arbeit an diesen Ressourcen muss ab dem frühesten Kindesalter beginnen; sie ist Aufgabe der Eltern, der Schule sowie der Strukturen des Kinder- und Jugendsports. Ein Beginn erst nach Kaderzugehörigkeit (Aufgabenbereich der NADA) ist eindeutig zu spät – eine intensive Kooperation zwischen NADA und dsj wäre absolut notwendig!
Ein Hindernis auf diesem Weg ist ein mangelndes Problembewusstsein fast aller Erwachsenen im Leistungssport für das Problem der Dopingmentalität; auf allen Ebenen wird das Dopingproblem in der Regel auf der Ebene der Spitzenverbände (auf Bundesebene) und der Kaderzugehörigen (A und B) verortet (Zuständigkeitsbereich der NADA); dass schon auf dem Weg dahin Einstellungen und Verhalten entwickelt werden, wird dabei übersehen. Fazit: Die Hauptaufgabe der Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping liegt bei der Basis, bei Eltern, Vereins- und Landesverbands-Trainern und –Funktionären, die Konzentration der Förderung von Präventionsmaßnahmen auf die NADA, die vor allem Kaderangehörige zur Zielgruppe haben, ist der falsche Weg: Wenn man Dopingprävention entsprechend den Anforderungen moderner Präventionstheorie als komplexen kontinuierlichen und dezentralisierten Prozess konzipiert, der eng mit anderen Aktivitäten zur Persönlichkeitsentwicklung im Sport verknüpft ist, ist die Dopingprävention in Deutschland sowieso total unterfinanziert und personell viel zu gering ausgestattet.
Dass der Ansatz zur eigenen Aktivität ermuntert, zeigen Äußerungen von Juniorbotschafter/-innen wie etwa: „Für mich ist der Juniorbotschafteransatz eine Chance, selbst für das aktiv zu werden, was mich begeistert und mit dem ich mich voll und ganz identifiziere - der saubere und faire Sport. Durch mein Studium in der Sportwissenschaft und meine Trainertätigkeit in einem leistungssportorientierten Verein kenne ich die Probleme und Gefahren des Nachwuchsleistungssports. Der Juniorbotschafteransatz kann helfen, junge Athleten mit mentaler Stärke auszustatten und ihnen eine zusätzliche soziale Ressource zu bieten, auf die sie in schwierigen Situationen zurückgreifen können.“ (Nico Walter). Der Ansatz regt zum Nachdenken an: „Durch das Programm der Juniorbotschafter habe ich einen neuen Blick auf die Sportwelt erhalten. Dabei habe ich auch meine eigenen Erfahrungen im aktiven Sport damit verglichen. Durch die Seminare gehe ich ganz anders an sportliche Ziele und Herausforderungen heran. Während der Seminare und meiner Arbeit im Judoverband habe ich durchweg positive Erfahrungen gemacht. Ein tolles Gefühl und eine hervorragende Motivation für das weitere Handeln.“ (Moritz Belmann)
Juniorbotschafter/-innen engagieren sich für Dopingprävention, “weil wir von einem fairen und dopingfreien Sport überzeugt sind.“, verbunden mit der Hoffnung, „dass weniger Jugendliche zu leistungssteigernden – erlaubten und verbotenen - Mitteln greifen und gründlich darüber nachdenken, bevor sie etwas tun, was sie später bereuen könnten.“ (Sophia Hubert-Reh) Als Vorbilder wollen sie zeigen, „dass Sport auch ohne Manipulation funktionieren und Spaß machen kann; die wahren Idole sind jene, die die Bürde des Dopingverzichts auf sich nehmen. Erreichen wollen wir ein Problembewusstsein im Umgang mit Sport und Medikamenten: Mündige Sportler/-innen sind unser Ziel!“ (Lukas Monnerjahn)