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BRD / DDR - Vergangenheit









Kapitel 6: Fazit

„Das vorliegende Buch versucht, die in der Kommissionsarbeit erhobenen Befunde so objektiv wie möglich zusammenzufassen und darzustellen. Es wird damit der Versuch gemacht, ein zwielichtiges Kapitel der Geschichte der Universität Freiburg zu rekonstruieren und vor dem Vergessen zu bewahren. Wir hoffen, dass die dafür mitverantwortlichen Institutionen – die Universität Freiburg sowie die regionalen, nationalen und internationalen öffentlichen Sport- und Antidoping-Organisationen – aus dem Aufstieg und Rückgang der Freiburger Sportmedizin Schlussfolgerungen ziehen und auf dieser Grundlage notwendige Reformen implementieren.“

 

„In diesem Kapitel wird das unheilvolle Zusammenwirken von Personen und Umständen dargestellt, welches letztlich für den schwerwiegenden Bruch mit dem akademischen, sportethischen und medizinischen Verhaltenskodex an der größten universitären sportmedizinischen Einrichtung Deutschlands verantwortlich war. Es geht dabei um eine möglichst objektive Darstellung von Mechanismen und nicht um Schuldzuweisungen.“



Einflussfaktoren des Geschehens an der Sportmedizin Freiburg

Sportmedizin:

„„Die problematischen Entwicklungen in der Sportmedizin Freiburg müssen im Zusammenhang mit dem staatlichen Auftrag der sportmedizinischen Versorgung von Spitzenkadern gesehen werden. Staatlich geförderte Forschung zu den Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit und deren Beeinflussung wurde von wissenschaftlichen und ärztlichen Kadern in unheilvoller Nähe und mit gleichzeitiger, medizinischer Verantwortung für die Leistung von deutschen Spitzenathleten durchgeführt.“

 

Leistungsmessung:

„Die wissenschaftliche Erfassung menschlicher Leistungsfähigkeit ist eine Kernkompetenz der akademischen Sportmedizin. Die damit verbundene Frage nach den Mechanismen, welche diese Leistungsfähigkeit begrenzen, sind legitime wissenschaftliche Fragestellungen. …

Für die wissenschaftliche Überprüfung von Hypothesen zu leistungslimitierenden Faktoren spielt es dabei im Prinzip keine Rolle, ob die verwendeten experimentellen Interventionen trainingsbedingt, d.h. legitim, oder durch »Doping« induziert sind. In diesem Sinne sind die frühen wissenschaftlichen Arbeiten von Reindell und Keul zu verstehen, welche in den 60er Jahren die Grundlagen für das Verständnis der menschlichen Dauerleistungsfähigkeit und deren Limitierung lieferten. Es war naheliegend, die gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch zum Vorteil der eigenen und vom Institut betreuten Athleten zu nutzen. …

Die Freiburger Sportmedizin hatte zusammen mit der Sporthochschule Köln unter Wildor Hollmann einen wesentlichen Anteil am Paradigmenwechsel der kardialen Rehabilitation und generell am gezielten Einsatz körperlicher Aktivität in der klinischen Therapie.“

 

Keul:

„Prof. Josef Keul Keul der charismatische akademische Leiter der für ihn 1973 gegründeten »Abteilung Sport- und Leistungsmedizin« der Universität Freiburg, die er bis zu seinem Tode im Jahr 2000 leitete. Für ihn war fraglos die Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit die Hauptaufgabe sportmedizinischer Tätigkeit. Er war während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit darum bemüht, sportethische Bedenken im Zusammenhang mit der pharmakologischen Beeinflussung sportlicher Leistungsfähigkeit zu widerlegen oder zu diskreditieren, obwohl er selbst diese Substanzen selten verabreichte und rezeptierte. …

Mit der Übernahme der Betreuung des Teams Telekom im Rahmen des »Arbeitskreises dopingfreier Sport« konnte Keul die sich anbahnenden finanziellen Probleme vorerst lösen. Aufgrund der Dopingkultur im professionellen Radsport wurde damit aber auch die Verwicklung in einen Dopingskandal nur noch zu einer Frage der Zeit. Da Keul im Jahr 2000 verstarb, erlebte er den Skandal (und den Zusammenbruch seines Dopingsystems) nicht mehr mit.“

 

Klümper:

„Die dopingpermissive Haltung von Prof. Keul muss als Voraussetzung für die langjährige Tätigkeit von Prof. Armin Klümper an der Universität Freiburg gesehen werden. Wie umfassend belegt, hat Klümper in eigenmächtiger Selbstüberschätzung und gegen alle Regeln des Sportes und der medizinischen Ethik Scharen von Sportlern beraten und mit Dopingmitteln versorgt. …

Klümper musste sich dann 1998 nach Südafrika zurückziehen, nachdem er in Freiburg wegen verschiedenster Dopingvorwürfe öffentlich unter massiven Druck gekommen war. Es wäre Keul und damit letztlich der Universität jederzeit möglich gewesen, der medizinisch und ethisch unverantwortbaren Tätigkeit von Klümper frühzeitig ein Ende zu setzen. Beides scheint aus opportunistischen Gründen nie stattgefunden zu haben.“

 

Doping:

„Über die gesamte Zeit der weltweit stattfindenden Sensibilisierung für Dopingpraktiken im Sport setzte sich vorerst Reindell – und später Keul dezidiert – für den kontrollierten Einsatz von Anabolika im Hochleistungssport ein. Die öffentliche Gutheißung und Verharmlosung des Gebrauchs von Anabolika und androgenen Steroiden im Leistungssport war begleitet von Studienarbeiten, welche diese Substanzen auch an Athletenpopulationen systematisch untersuchten. Diese Studien wurden zum Teil durch öffentliche und kompetitiv vergebene Mittel des BISp finanziert … . Die erwähnten Studien fanden dabei zu einem Zeitpunkt statt, als anabole Steroide bereits auf der Dopingliste des IOC standen. In Freiburg war es lange Zeit Klümper, der die Rolle des sportmedizinischen Gurus innehatte und die Versorgung der betreuten Sportler mit Dopingmitteln sicherstellte.“

 

Blutdoping:

„Der Dopingskandal des Teams Telekom von 2007 muss dabei als unrühmlicher Endpunkt einer Fehlentwicklung gesehen werden, die von der Universität Freiburg viel früher und dezidiert hätte bekämpft werden können. Es sind die in diesem Buch dargestellten Umstände, die selbst zu solchen Absurditäten wie Blutdoping an einer universitären Einrichtung geführt haben.“

 

Sportfunktionäre:

„Prof. Keul lieferte [als Arzt und Sportfunktionär] allen denjenigen eine Legitimation, welche sportliche Erfolge zum Eigennutz oder im Sinne politischer Opportunität nutzten. Es sind zum Beispiel die Sportfunktionäre jeden Ranges, welche sich durch sportliche Erfolge »ihrer« Athleten legitimieren und handfeste Vorteile als Betreuer bei Großanlässen entgegennehmen. Ohne Rücksicht auf Verluste zählt für diese Betreuer nur die Leistung und nicht ihr Zustandekommen. Das Risiko beim Doping entdeckt zu werden, muss dabei von den Sportlern getragen werden.“  verschwunden.

 

Politik:

„Wir finden dieses Verhalten auch bei Politikern, die sich direkt und indirekt durch den Sport profilieren. Solange die Vorbereitung und möglichst erfolgreiche Teilnahme an Olympischen Spielen ein legitim deklariertes Ziel zur finanziellen Unterstützung des Sports ist, wird sich daran auch nichts ändern. … [ebenso daran, dass sie sich häufig die Popularität erfolgreicher Sportler] zu Nutze machen. Ob diese gedopt sind oder nicht, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Wird zu einem späteren Zeitpunkt ein Dopingvergehen öffentlich, kann auch dies zur medienwirksamen Entrüstung genutzt werden.

Eine unmoralische Win-win-Situation.“

 

Altius-citius-fortius:

„Seit dem Gründungskongress des Internationalen Olympischen Komitees in 1894 ist altius-citius-fortius das Motto der olympischen Bewegung. Zusammen mit den fünf Ringen bildet dieses Motto seit 1946 das Emblem und exklusive, geschützte Eigentum des IOC. Altius-citius-fortius ist eine bedingungslose Forderung nach maximaler Leistung. …

Der Anspruch des IOC, die absoluten Höchstleistungen in jeder Sportart im Rahmen von gigantischen Events öffentlich zu erbringen, ist die Plattform für die kommerzielle Nutzung der gebotenen sportlichen Leistungen in allen teilnehmenden Disziplinen. Aus der Sicht aller Sportler ist ein Gewinn bei den Olympischen Spielen die höchstmögliche erreichbare Anerkennung. Es ist damit auch naheliegend, dass nahezu alle Mittel, allenfalls auch unerlaubte, zum Erreichen eines olympischen Titels eingesetzt werden. …

Seit 1999 … hat [die WADA] die undankbare Aufgabe übernommen, Doping zu verhindern (J. Rogge 2005). Dies erlaubt es dem IOC weiterhin mit Regierungen zu verhandeln, die eine staatliche Förderung der Sportler auch mit Mitteln des Dopings betreiben, solange Doping nicht allzu offensichtlich praktiziert wird. …

Die Fiktion eines reinen Sports ist nicht zuletzt deswegen so wichtig, weil sie nötig ist, die politische Unterstützung für olympischen Sport und für Sport ganz allgemein zu erhalten. …

Altius-citius-fortius, und damit das IOC, steht für ein einseitig leistungsorientiertes Verständnis sportlicher Tätigkeit. Das IOC selbst ist damit ein Haupttreiber der verbotenen leistungssteigernden Maßnahmen.

 

Akademische Verfehlungen:

„Das unkritische leistungsorientierte Selbstverständnis, welches an der Sportmedizin Freiburg unter Keul praktiziert wurde, hatte, wie wir im Kapitel 4 darstellten, auch mittelbar Folgen für den akademischen Betrieb, die Forschung und für Promotionen. Sowohl die Aussagen von Zeitzeugen als auch die Datenlage weisen darauf hin, dass eine Maximierung des Publikationsvolumens betrieben wurde, wobei wenig Rücksicht auf das Urheberrecht der an der Forschung Beteiligten genommen wurde. Davon ist sicher Einiges einem unkritischen Zeitgeist im Umgang mit akademischer Urheberschaft und Publikationstätigkeit zuzuschreiben. Die der Universität im Dezember 2015 vorgelegten Hinweise auf mannigfache Verstöße gegen die ORed wurden offensichtlich von der zuständigen Untersuchungskommission geprüft, aber von dieser als fast vollständig irrelevant beurteilt.“

 

Rolle der Universität:

„Es ist offensichtlich, dass seitens der Universität nie ein aufrichtiges Interesse an der Aufarbeitung des Verhaltens und der Tätigkeit der Sportmedizin Freiburg bestanden hat [siehe Kap. 5]. Im Gegenteil, die Kommissionsarbeit unter Letizia Paoli wurde passiv und aktiv immer wieder behindert. Dies betrifft sowohl die Aufklärung der Dopingvergehen, die in der Sportmedizin oder im Umfeld der Sportmedizin begangen wurden, als auch die Zögerlichkeit und Blindheit der Universität in Bezug auf die möglichen Verfehlungen im Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit der Sportmedizin.

Wir bedauern, dass eine international anerkannte akademische Institution im Range einer staatlichen Universität nicht nur ethisch unhaltbare Tätigkeiten ihrer eigenen Organe schützt, sondern auch, dass dieselbe Universität eine Aufklärung und Hinterfragung der Umstände über Jahre hintertreibt. Dies hat dazu geführt, dass die Kommission in ihrer Arbeit aufs Schwerste behindert und hintergangen wurde und ihre Mitglieder vor Beendigung ihrer Arbeit zum Rücktritt gezwungen wurden.“


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