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BRD / DDR - Vergangenheit









Kapitel 5: Widerstände und Verantwortung, Teil 2



3. Die Aufklärung in Freiburg

Warum ist die vollständige Aufklärung gescheitert, warum konnten zwei Kommisionen nur bedingt ihre an sie gestellten Aufgaben erfüllen?

„Die Gründe dafür, dass die beiden Kommissionen zwischen 2007 und 2016 nur einen Teil des Puzzles zusammenfügen konnten, sind auch in der Geschichte der Kommissionen und in ihren Beziehungen zur Universität Freiburg selbst zu suchen.



3.1. Die Gründung der Kommissionen

Für eine gelingende Aufklärungsarbeit fehlte von Beginn an bis gegen Ende auf beiden Seiten die notwendige Unabhängigkeit.

„ »Unabhängigkeit« ist ein zentraler Aspekt der ganzen Aufklärungsgeschichte. Die Universität und ihre Klinik nannten ihre beiden Kommissionen im Jahr 2007 »unabhängig«. Die Wortwahl sollte ihnen zusätzliche Legitimation verschaffen und auf die Öffentlichkeit wirken. Wirklich unabhängig waren die anfangs ausgewählten Wissenschaftler aber nicht. Das zeigte sich bereits in der Gründungsphase. Schon die Konstruktion des ganzen Projekts schuf eine Reihe von Abhängigkeiten organisatorischer und im Fall von Andreas Singler auch finanzieller Natur. Universität und Klinikum waren auch die falschen Auftraggeber, da sie für die Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland nicht verantwortlich sind. Freiburg war aber der Ort der Handlung. In Freiburg hatten die Dopingärzte und die Konstrukteure der sportmedizinischen Bastion ihre stärksten Unterstützer und dankbare Patienten bis hinauf in die höchsten Kreise. Patienten der Einrichtungen an der Uniklinik und im Mooswald liefen vom ersten Tag der Aufklärungsarbeit an Sturm gegen jeden, der sich genauer mit der Vergangenheit der Ärzte befasste. Im Gemeinderat, im Rathaus, in den universitären Gremien, bei der Staatsanwaltschaft, ja selbst im Erzbischöflichen Ordinariat und den wichtigsten Sportvereinen hatten die Ärzte sich Loyalitäten geschaffen.“

„Die Universität und ihr Klinikum waren tief verankert im Geflecht Freiburger Beziehungen. Auch sie handelten nicht »unabhängig«. Es ging um ihren Ruf und im Fall der Klinik auch um mögliche Verstrickungen anderer Abteilungen, womöglich gar der Führungsetage.“

Es war vor allem dem Druck der Medien ARD, ZDF, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Deutschlandfunk geschuldet, dass 2007 nach den ersten Enthüllungen über das Doping im Team Telekom sich die Universität Freiburg genötigt sah, Untersuchungen einzuleiten.

„Der damalige Klinikums-Chef Matthias Brandis und Alt-Rektor Wolfgang Jäger schienen im Mai 2007 aus allen Wolken zu fallen, als sie mit den Enthüllungen der Medien konfrontiert wurden. Namentlich Jäger schien aber auch bereit zu harten Schritten. Er versprach eine »Politik der rigorosen Aufklärung«, stoppte die medizinische Betreuung aller deutschen Athleten im Klinikum und sorgte für die Entlassung der beiden Universitätsärzte Schmid und Heinrich (Universität Freiburg, 2007). Es hatte den Anschein, als seien Universität und Klinikum bereit, sich ihrer Doping-Geschichte zu stellen. Das Klinikum machte den Anfang. Es installierte noch im Mai 2007 eine dreiköpfige Kommission, im Folgenden »kleine Kommission « genannt. Unter der Leitung des früheren Sozialrichters Hans Joachim Schäfer aus Nürtingen sollte sie sich mit der Doping-Vergangenheit der Radrennfahrer bei Telekom/T-Mobile befassen.“

Kurz darauf wurde eine zweite Kommission, „große“ Kommission oder Evaluierungskommission“ genannt, eingerichtet. Deren Leitung wurde ebenfalls H.-J. Schäfer anvertraut. Umfang und Definition ihres Aufgabenbereiches enthielten jedoch viele Unklarheiten und führten in der Zukunft zu heftigen Auseinandersetzungen und Zerwürfnissen zwischen Universität und Kommission.

„Am 6. Juni 2007 billigte [das Rektorat der Universität] das Konzept der Klinik. Es votierte einstimmig dafür, »die Freiburger Sportmedizin in den vergangenen 50 Jahren« zu untersuchen (Unabhängige Gutachterkommission, 2013a). Die Aufgabenstellung wurde allerdings schon vor dem 14. August 2007, dem Tag der Gründungssitzung der »großen« Kommission, merkwürdigerweise verkürzt. Nach Rücksprache mit Rektor Jäger schrieb der Universitätssprecher Rudolf-Werner Dreier in seiner Pressemitteilung vom 22. Juni 2007 nicht von der »gesamten Sportmedizin«, sondern nur noch von der »Abteilung Sportmedizin« – also der von Keul geführten Abteilung. Klümper, der 1976 seine eigene »Sportmedizinische Spezialambulanz« in den Räumen der Klinik eröffnet und sechs Jahre später in den Mooswald ausgelagert hatte, hätte damit nicht zum Untersuchungsauftrag gehört. Kein anderer Sportmediziner in Freiburg war so häufig mit Doping in Verbindung gebracht worden wie Klümper. Wussten die Verantwortlichen von Universität und Klinikum mehr, als sie im Frühjahr und Sommer 2007 öffentlich zugaben und war möglicherweise der Druck von außen so groß? Was genau war eigentlich unter dem Begriff »Evaluierung« zu verstehen? Sollte es nur noch um eine Analyse der wissenschaftlichen Leistungen gehen, nicht aber um die Doping-Vergangenheit?

Genau über diese Fragen sollte später zunächst im Briefwechsel zwischen der Kommissionsvorsitzenden Paoli und Rektor Schiewer zu Beginn des Jahres 2013 dann auch öffentlich erbittert gestritten werden.“



3.2. Die Zusammensetzung der Kommissionen

Die erste Kommission setzte sich zusammen aus dem früheren Sozialrichters Hans Joachim Schäfer aus Nürtingen, Professor Dr. Wilhelm Schänzer (Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln) und Professor Dr. Ulrich Schwabe (Professor für Pharmakologie und Toxikologie am Pharmakologischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg). Untersuchungsthema waren nicht die Doping-Historie und Doping-Strukturen der Freiburger Sportmedizin, sondern im Mittelpunkt standen die in die Kritik geratenen Ärzte Schmid und Heinrich.

„Schäfer legte im März 2008 zunächst einen Aufsehen erregenden Zwischenbericht vor. Die Zahl der verdächtigen Ärzte am Universitätsklinikum hatte sich durch die Untersuchungen dieser Kommission von zwei auf fünf erhöht. Die Schäfer-Kommission wies nach, dass diese Sportmediziner systematisch Patientenakten gefälscht hatten.“ (>>> Zwischenbericht Dopingkommission 2008)

Der Abschlussbericht der Expertenkommission im Mai 2009 befasste sich dann aber nur mit den Ärzten Schmid und Heinrich. „Die anderen Ärzte hingegen wurden ausdrücklich von jedem Verdacht freigesprochen.“

Es blieb bei der Einzelfallthese, die langjährig vorhandenen Strukturen und Vernetzungen wurden nicht erfasst. (>>> Abschlussbericht Dopingkommission 2009)

Schäfer sah sich mit der Zeit aus gesundheitlichen Gründen gezwungen die Kommissionstätigkeiten nieder zu legen, stand aber auch unter Zeitdruck der Universitätsleitung, die ein Ende der Kommissionsarbeit einforderte.

„Hinzu kam auch der Druck der Klinikums-Verantwortlichen. Sie drängten auf einen Abschluss – was sich mit dem Versprechen der »Unabhängigkeit« eigentlich nicht vereinbaren ließ. In den letzten Monaten seiner Tätigkeit wuchs auch Schäfers Misstrauen gegenüber seinem Auftraggeber. Öffentlich wollte er sich dazu freilich nicht äußern. Er wechselte den Sitz der Geschäftsstelle der kleinen Kommission von der Universität Freiburg zur Sporthochschule Köln, wo ein anderes Mitglied, Prof. Schänzer, tätig war (Expertenkommission, 2009). Die drei Kommissionsmitglieder verwarfen angeblich auch den Entwurf des Abschlussberichtes, den die Leiterin der Geschäftsstelle, Dr. Ursula Seelhorst, für sie vorbereitet hatte, und schrieben einen neuen Text.“

Für Schäfer war es nicht möglich beide Kommissionen mit gleichem Nachdruck zu unterstützen, so dass die Arbeit der großen stockte, zumal deren Arbeit von Beginn an wenig Unterstützung seitens der Universität und anderer Involvierten erfuhr.

„Der gegen massiven Widerstand aus Freiburg von Wissenschaftsminister Frankenberg ins Boot der Aufklärer geholte Anti-Doping-Kämpfer Prof. Dr. Werner Franke drängte und schimpfte über die Untätigkeit. Er war aber angesichts des Fehlens von Akten, Unterlagen und eines wirklich effizienten Auftrags sowie insbesondere der fehlenden Möglichkeit Zeugenbefragung genauso machtlos wie die anderen Mitglieder, selbst wenn diese eine Beschleunigung angestrebt haben.“

„Warum zog sich die Arbeit der »großen« Kommission über quälende zehn Jahre lang hin? Mal verließen Wissenschaftler und Fachleute die Kommission, mal kamen neue hinzu. … Fest steht: Erst die in der Schlusszusammensetzung der Jahre 2015 und 2016 mit Paoli, Mahler, Treutlein, Simon, Sörgel und Hoppeler zogen alle Kommissionsmitglieder wirklich an einem Strang.“

2009 legte Schäfer den Vorsitz der Evaluierungskommission aus gesundheitlichen Gründen nieder. Die Leitung übernahm jetzt Prof. Dr. Letizia Paoli, Kriminologin, Mafia- und Doping-Expertin der Universität Leuven (Belgien).



3.3. Die ersten Jahre der Evaluierungskommission unter der Leitung von Letizia Paoli

Von Beginn an sah sich Letizia Paoli ebenfalls zeitlichem Druck ausgesetzt und behindert. Die Arbeit sollte zügig beendet werden aber nötige Rechercheunterlagen fehlten bzw. wurden nicht zur Verfügung gestellt. Ergebnisse der Kommissionsarbeit der vorangegangenen Jahre lagen nicht vor.

„Schiewer erklärte Paoli auch, das Thema Doping dürfe nicht den Schwerpunkt des Kommissionsberichts bilden. Das irritierte Paoli, da sie doch eigens als Doping-Expertin und Kriminologin in die Kommission berufen worden war und ihr die Universität ausdrücklich »Unabhängigkeit« zugesichert hatte.“

„Anfangs marschierten Universität und Kommission noch Hand in Hand. Im September 2011 organisierte Rektor Schiewer zusammen mit Paoli und mit der Unterstützung des Wissenschaftsministeriums in Stuttgart sogar eigens einen Kongress über »Sportmedizin und Doping in Europa«. Zum ersten Mal überhaupt durften Wissenschaftler in Freiburg öffentlich über Doping diskutieren, und das im Epizentrum des Betrugs. Den Vortrag zu Klümper hielt Treutlein. Der Vorstand des Landessportverbands Baden-Württemberg war vollständig anwesend. Er hatte in einer Vorstandssitzung am Vorabend diskutiert, wie man gegen Treutlein vorgehen könne (persönliche Mitteilung von einem Zeugen an Treutlein, 2016). Es kam jedenfalls nach dem Vortrag zu heftigen Diskussionen.

Dann schwanden die Gemeinsamkeiten.“

Der Kommission wurde ein Arbeitsauftrag vorgelegt, der in Widerspruch stand zu dem ursprünglich vorgelegten. Die Kommission sollte sich auf Josef Keul konzentrieren, Armin Klümper war ausgeschlossen und Zeitzeugenbefragungen waren nicht vorgesehen. Notwendige Unterlagen und Akten wurden nicht zur Verfügung gestellt.

Der [ursprüngliche] Arbeitsauftrag der Kommission umfasste – nach Beschluss des Klinikums, des medizinischen Fakultätsvorstands sowie des Rektorats – »die Freiburger Sportmedizin in ihren gesamten Aktivitäten während der vergangenen 50 Jahre auf den Prüfstand« zu stellen. Mit dieser Formulierung war sichergestellt, dass nicht nur Teile, sondern tatsächlich die gesamte Freiburger Sportmedizin in ihrer personellen und institutionellen Ausprägung seit den 1950er Jahren (1955 Extraordinariat Sportmedizin für Prof. Dr. Herbert Reindell, 1974 Abteilung Sportmedizin für Prof. Dr. Joseph Keul, 1976 Sportmedizinische Spezialambulanz für Prof. Dr. Armin Klümper), einschließlich der Doping-Problematik Untersuchungsgegenstand waren. Dennoch beschränkte Rektor Jäger in seiner Pressemitteilung vom 22. Juni 2007 den Arbeitsauftrag unter Ausschluss des Dopingthemas auf die Evaluierung der Patientenversorgung und der Forschung der 1974 für Prof. Keul eingerichteten Abteilung Sportmedizin. Der tatsächliche Umfang des ursprünglichen Arbeitsauftrags konnte durch die Kommission erst 2012 aufgedeckt werden.

Paoli machte die Konflikte mit der Universität und Alt-Rektor Wolfgang Jäger 2012/2013 im Namen der Kommissionsmitglieder öffentlich. Sie legte einen 88 Seiten umfassenden Bericht vor in dem sie Jäger vorwarf, den Arbeitsauftrag schon 2007 manipulativ entscheidend gekürzt zu haben. (>>> Paoli, Stellungnahme und Dokumenmtation 2013).

„Die ursprünglichen Beschlüsse von Klinikumsvorstand, Medizinischer Fakultät und Rektorat wurden erst nach expliziter Anfrage von Frau Paoli 2012 der Kommission mitgeteilt. Nach der Entdeckung dieser bindenden Beschlüsse und eigenen Recherchen argumentierten einstimmig die sieben damaligen Kommissionsmitglieder 2013, dass Klümper niemals aus dem Evaluierungsauftrag hätte ausgeschlossen werden dürfen.“

2012 gelang es nach zähen Verhandlungen durchzusetzen, dass der ursprüngliche Umfang des Arbeitsauftrages von der Universitätsleitung zugelassen wurde. A. Klümper konnte in die Untersuchungen einbezogen und Zeitzeugen konnten befragt werden. Der Druck endlich mit den Untersuchungen abzuschließen und die Behinderungen durch fehlende Akten und sonstige Unterlagen blieben bestehen.

„Der Winter 2012/2013 war der Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Paoli-Gruppe und der Universität. Indem die Kommission die Integrität der Forschungseinrichtung infrage stellte, nährte sie auch in der Öffentlichkeit den Verdacht, dass das Versprechen aus dem Jahr 2007, »rigoros aufzuklären « (Universität Freiburg, 2007), spätestens zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch von Teilen von Universität und Klinikum getragen wurde. Paoli musste sich von nun an selbst einer Reihe von Angriffen erwehren, deren Ziel es war, ihre eigene Integrität infrage zu stellen. Es wurde eine Schmutzkampagne gegen sie eröffnet. Der Tenor lautete schon bald: »Paoli muss weg.«

Paoli wehrte sich, insbesondere ihr selbst entgegengebrachte Kritik und Anfeindungen mit insgesamt drei sogenannten Rechenschaftsberichten, in denen sie ihre Arbeit und die Widerstände gegen die Kommissionsarbeit dokumentierte (...). Die Kriminologin hatte sich von Anfang an für ein zweigleisiges Vorgehen entschieden. Erstens versuchte sie, das zu tun, was sie als ihre Aufgabe ansah; das wahre Gesicht der Freiburger Sportmedizin zu rekonstruieren. Zweitens aber notierte sie akribisch, wer ihr das Vorgehen erschwerte. Besonders eindrücklich lässt sich der Widerstand gegen ihre Aufklärungsarbeit am Beispiel von verschwundenen Akten und Dokumenten beschreiben.“



verschwundene und zurück gehaltene Akten

Im Folgenden Abschnitt wird auf ausführliche Darstellungen der Vielzahl von Hindernissen, die die Kommissionsmitglieder zu überwinden hatten, verzichtet.

Hier empfiehlt es sich, die detailierten Ausführungen im Buch nachzulesen und/oder in den Presseartikeln der damaligen Zeit zu stöbern.

>>> Evaluierungskommission Chronik der Ereignisse

 

Im Falle der Ärzte J. Keul und A. Klümper  geben die Gutachten deutliche Auskunft.

Im Buch beschrieben werden folgende Vorkommnisse:



4. Verschwundene Akten

Die Keul-Akten

Die Jakob-Akten (Sportmediziner Ernst Jakob)

„Jakob stellte der Kommission gleich nach deren Gründung 2007 drei seiner Aktenordner, die Unterlagen zur Testosteron-Studie enthielten, zur Verfügung. Sie wanderten in die Obhut der Justiziarin Seelhorst. Dort sollen sie bis Ende 2011 geblieben sein. Seelhorst habe sich geweigert, die Akten der Kommission zu übergeben beziehungsweise an Jakob zurückzuführen. Der Kampf um die Freigabe der Akten habe sich fast zwei Jahre lang hingezogen.“

Die Stober-Akten.

„Der Mediziner Dr. Carl Friedrich (Fredy für die Freunde) Stober war nach dem Zweiten Weltkrieg der Mitbegründer des Badischen Sportbunds und langjähriger Präsident des Skiverbands Schwarzwald. Er starb 2010 im Alter von 100 Jahren. Stober war der Patriarch des Sports in der Region.“

Die Akten der Stadt Freiburg (Bezug Mooswaldklinik Armin Klümper)

„Auch hier musste lange insistiert werden; erst Ende 2014, mit zweieinhalb Jahren Verspätung, durfte die Kommission die 53 angefragten Aktenbände schließlich einsehen.“  

Ministeriumsakten in Stuttgart

Die Klümper-Akten

Das verschwundene Verfahren (2002 Verfahren gegen Klümper)



5.1-3. Das Ende der Aufklärungsarbeit

Je tiefer die Kommissionsmitglieder in die Vergangenheit Einblick gewannen, desto breiter gefächert wurden die Untersuchungen. Ein Ende der Recherchen war nicht abzusehen. Daraus erwuchsen zunehmend Widerstände aus der Universität aber auch seitens des Baden-Württemberger Wissenschaftsministeriums wuchsen die Vorbehalte.

„Je intensiver sich einzelne Mitglieder der Kommission mit der »Evaluation« der wissenschaftlichen Leistungen der Abteilung Sportmedizin an der Uni-Klinik beschäftigten, desto mehr Abgründe taten sich auf. Zuerst ging es um Plagiate in sportmedizinischen Arbeiten, später auch um andere Formen von Wissenschaftsbetrug. Zugleich musste sich Paoli gegenüber der Universitätsleitung immer wieder rechtfertigen. Zeitweilig war sie beim Versuch, sich gegen die Angriffe zu wehren, mehr mit dem Schreiben von Pressemitteilungen und Rechenschaftsberichten als mit der eigentlichen Aufklärungsarbeit beschäftigt.“

Doch nicht nur zwischen Kommission und Auftraggebern knirschte es heftig, auch innerhalb der Kommission nahmen die Konflikte zu. Werner Franke, später Andreas Singler (2015) und Heinz Schöch (2015) verließen die Kommission bzw. mussten sie verlassen, z. T. wegen Eigenmächtigkeiten in ihrer Gutachtertätigkeit und unüberbrückbaren persönlichen Kontroversen.

Neue Mitglieder kamen hinzu, hoch motiviert aber auch sie sahen nach einem Jahr keine Zukunft mehr.

„Paoli, Treutlein und Mahler kämpften zusammen mit ihren neuen Mitstreitern Simon, Sörgel und Hoppeler, gegen deren Berufung sich Singler ausgesprochen hatte, noch ein knappes Jahr weiter, bevor die Kommission im Februar 2016 zum Schluss kam, dass ein Abschluss der Arbeit mit der Universität Freiburg nicht mehr zu verwirklichen war. Am 1. März 2016 trat das Gremium zurück.“

„Wörtlich erklärten Treutlein, Mahler, Simon, Sörgel und Hoppeler: »Im Sinne einer wahrhaftigen Aufklärung können wir keine Kompromisse bei der uns garantierten uneingeschränkten Unabhängigkeit der Kommission eingehen.«“

Letizia Paoli konnte aus Gründen des bestehenden Vertrages mit der Universität Leuven diese Erklärung nicht mitunterschreiben. 

„Die Zahlungen der Universität Freiburg für die Arbeit von Letizia Paoli flossen nämlich in einen Forschungsfonds des Vertragspartners Universität Leuven und sie wurde für ihre Arbeit ab Juli 2012 bis zum Kommissionsende im März 2016 von der Universität Freiburg nicht mehr bezahlt. Paoli drängte damit ebenfalls auf Auflösung der Kommission.“

Doch auch Andreas Singler, der zuvor eine enge Beziehung zur Universität aufgebaut hatte, musste sich schnell Widerständen seitens der Universität stellen. Das gute Verhältnis zwischen Universität und Singler, welches mit ein Grund seines Ausscheidens aus der Kommission war, zerbrach kurz nach seinem Ausscheiden aus der Kommission.

„Es ist sein Verdienst, dass er diese Brüche schonungslos öffentlich machte. Praktisch zeitgleich mit dem Rücktritt der Kommission entdeckte er etwas, was er skandalös fand. Rektor Schiewer hatte 2015 den Freiburger Anwalt Wolfgang Schmid damit beauftragt, das Gutachten über Klümper juristisch zu überprüfen. Ausgerechnet den Anwalt Schmid, der den »Doc« und Top-Doper des deutschen Sports in den 1990er Jahren anwaltlich beraten und so manches Gefecht für ihn gekämpft hatte (Aumüller/ Kistner, 2016b). Schmid sollte also das Gutachten und damit die dahinterstehende Kommissionstätigkeit juristisch durchleuchten. Singler machte diesen Vorgang unmittelbar nach dem Rücktritt der Evaluierungskommission öffentlich und setzte Uni-Rektor Schiewer damit so sehr unter Druck, dass dieser sich für die Wahl des Anwalts entschuldigen und Schmid von seiner Mission entbinden musste (Homann, 2016).“

Die Auseinandersetzungen zwischen Singler und Schiewer eskalierten soweit, dass Singler die Veröffentlichung der beiden von ihm hauptsächlich zu verantwortenden Gutachten zu Keul und Klümper nicht veröffentlichen sollte.

„Im Frühjahr 2017 publizierte Singler die zwei Hauptgutachten zu Keul und Klümper auf seiner Internetseite, wie ursprünglich vereinbart und aus Urheberrechtsgründen nicht anders möglich mit Treutlein als Co-Autor. Am Ende publizierte auch die Universität – mit einer Ausnahme – die Gutachten gegen Singlers erklärten Willen. Singler versuchte noch, sich mit mehreren Strafanträgen zu wehren – erfolglos (Singler, 2017a und c). Nur der von Singler ohne Kommissionauftrag und gegen die Absprachen mit Co-Autor Gerhard Treutlein erarbeitete Text zum Thema Doping im Profi-Fußball und Radsport wurde von der Universität nicht veröffentlicht. Für die Universität war dieser Text nicht veröffentlichungsfähig, weil Singler die erheblichen, von der externen Rechtsprüfung empfohlenen Änderungen nicht komplett berücksichtigen wollte (Schwarzwälder Bote, 2017b). Singler brachte im Laufe des Jahres 2017 diesen Text über seine eigene Internetseite an die Öffentlichkeit.“

A. Singlers Konflikte mit den anderen Kommissionsmitgliedern beruhten weitgehend auf seinen Alleingängen.  

„Singler verteidigte seinen Alleingang mit dem, rückwirkend durchaus schlüssigem Argument, die Kommission müsse Ergebnisse auch nach außen präsentieren, statt nur zu sammeln und intern zu analysieren. Paolis Plan war es gewesen, die Aufklärungsarbeit am Ende und auf einen Schlag zu veröffentlichen. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler. Es wäre vermutlich klüger gewesen, regelmäßig Zwischenberichte zu präsentieren, damit der Vorwurf, sie sei untätig, ins Leere gelaufen wäre.“



5.4. Fazit

„Die Kommissionen machten Fehler, die Universität und ihr Klinikum machten Fehler, die Journalisten machten Fehler. Das alles ist aber nur ein Teil der Geschichte. Der deutsche Sport und die Sportöffentlichkeit hatten gar kein Interesse an einer Aufklärung. Viele Sportpolitiker vergnügen sich lieber in der VIP-Lounge eines Champions-League-Spiels oder einer Weltmeisterschaft, als dass sie ihrer Verantwortung, für einen sauberen und ehrlichen Sport zu kämpfen, gerecht werden.“

...

Die Aufklärung „blieb auch stecken, weil Doping-Ärzte besser fahren, wenn sie weiterhin schweigen. Sie blieb stecken, weil die Zahl der Doping-Aufklärer klein ist, die Zahl der Doping-Profiteure aber groß. … Man sich aber mit der Aufklärung von Doping-Netzwerken und Doping-Strukturen lediglich Ärger einhandeln kann. Viele Kenner unsauberer Aspekte der Freiburger Sportgeschichte bekleiden noch immer verantwortliche Positionen im deutschen Sport, in deutschen Behörden und Ministerien und an sportmedizinischen Schlüsselstellen. Interesse an einer Aufklärung wird bestenfalls wortreich deklariert.“

„Es gelang zwar, die Kommission um Paoli zu bremsen. Es gelang aber nicht, sie völlig zu sprengen und mundtot zu machen. Das Ende der Kommissionsarbeit ist nicht das Ende der Aufklärung in Freiburg.

Längst nicht alles ist bisher aufgeklärt worden. An vielen Stellen stecken hinter angeblichen »Einzelfällen« und Einzeltätern lokale, regionale und nationale Interessen und Netzwerke. Auch wenn die Arbeit der Evaluierungskommission formell nicht abgeschlossen werden konnte, haben die Kommissionsmitglieder einen bedeutsamen Beitrag zur Aufklärung und Sichtbarmachung eben dieser Netzwerke geleistet.“


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