Prof. Dr. Gerhard Treutlein im Interview zur Doping-Prävention, Strategien und Präventionsansätze
Frage: Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema „Dopingprävention“?
Gerhard Treutlein: Zum einen waren da die Erfahrungen und Diskussionen bei der Teilnahme an vielen Universiaden sowie im eigenen Sportverein. Zum anderen wegen meiner engen Kontakte nach Frankreich. Hier vor allem zu Patrick Laure (Nancy) und Patrick Magaloff, (CNOSF) sowie zur Dopinghotline
„Ecoute Dopage“ in Montpellier (Dorian Martinez). Frankeich war spätestens ab 1998 Vorreiter bei der Entwicklung der Dopingprävention. Zum Dritten animiert durch Ergebnisse meiner Forschungen zur Dopinggeschichte: Als Professor an einer Pädagogischen Hochschule verspürte ich die Verpflichtung, nicht bei der Forschung stehen zu bleiben, sondern mich auch für die Umsetzung der Erkenntnisse in die Theorie und Praxis der Dopingprävention zu engagieren.
Ein erstes Ergebnis war das 2001 erschienene Buch „Doping – von der Analyse zur Prävention“, ein zweites die Durchführung der Tagung in Heidelberg im Januar 2005 zu „Dopingprävention in Europa“ mit rund 70 Teilnehmern aus 10 Ländern.
Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Da es kaum Vorerfahrungen gab, erfolgte die Herangehensweise vor allem durch das Vorbild der Maßnahmen in anderen Ländern wie Frankreich. Dazu kamen meine Erkenntnisse durch eigene Forschungsprojekte zum Thema „Veränderung von Lehrer- und Trainerverhalten“ sowie durch praktische Präventions-Erfahrungen beim Vorgehen nach dem Prinzip „Learning by doing“. Bald haben wir gemerkt, dass die Bedürfnisse der jungen Sportlerinnen und Sportler weniger bei der eigentlichen Prävention (Anleitung zum Reflektieren, Argumentieren, Entscheidungsfähigkeit und sinnvollem Entscheiden und Übernehmen von Verantwortung für seine Entscheidungen) lagen, sondern dass die Bedürfnisse nach Informationen zu Dopingregeln, Rechte und Pflichten bei Kontrollen im Vordergrund standen, ein Anlass zum Produzieren des Athletenflyers der dsj.
Im Prinzip fehlte das Problembewusstsein, dass Dopingprävention mehr sein muss als nur die Befriedigung des Informationsbedürfnisses; also musste bei Seminaren das Vermitteln von Problembewusstsein ein erster Schwerpunkt sein. Eine weitere Erfahrung bei deutsch-französischen Jugendlagern für die Deutsche Sportjugend (dsj) zum Thema Dopingprävention mit 14- bis 17-Jährigenwar, dass es sinnvoller ist, solche Maßnahmen für 18- bis 26-jährige zu planen, damit vor allem für die Zeit eines weitergehenden Reflexionsvermögens nach dem Ende der Pubertät.
Als Konsequenz haben wir in der Folge versucht, den Schwerpunkt auf Informationsvermittlung als notwendiger Basis sowie auf die Entwicklung von Problembewusstsein zu legen. Dies alles verbunden mit den Schwerpunktsetzungen auf interaktive Vorgehensweise sowie Kommunikation. Das war und ist verbunden mit der Hoffnung, dass sich die Juniorbotschafter für Dopingprävention, wie die TeilnehmerInnen der Jugendlager und Seminare sich nennen durften, mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Materialien selbständig weiterbilden würden.
Wie kann man ein derartiges Problembewusstsein wecken?
Lernen erfolgt vor allem durch das Erkennen von Gegensätzen. Also werden Vor- und Nachteile einer Konzentration des Leistungssports zum einen auf Erfolg und Medaillenproduktion (1. Pol) und andererseits auf Leistungssport als Möglichkeit des Auslotens der eigenen Grenzen, der Persönlichkeitsentwicklung und des Erlernens von Regeln (2. Pol) gegenüber gestellt und unter dem Aspekt der Freude am Sportreiben herausgearbeitet. Interessanterweise siedeln sich die meisten jugendlichen TeilnehmerInnen eher beim zweiten Pol an. Die Alltagsrealität sieht aber oft schon in den Vereinen anders aus, die Begriffe „schuften“ und Arbeit“ in Verbindung mit Training haben Konjunktur. Je höher das Leistungsniveau wird, desto mehr verschiebt sich der Schwerpunkt hin zu Erfolg und Medaillenproduktion. Hier sei nur an die vor kurzem geäußerte Forderung der (Sport)Politik nach 30 Prozent mehr Medaillen bei den nächsten Olympischen Sommerspielen 2020 erinnert.
Wichtig ist, ob die persönlichkeits- und wertorientierten Ziele eher mit einem funktionalen oder einem intentionalen Ansatz angegangen und vermittelt werden. Funktional bedeutet: Treibe Sport und die erstrebten Ziele stellen sich von allein ein. Intentional bedeutet: Die Ziele werden bewusst angestrebt. Ersteres führt nur unzureichend zu den gewünschten persönlichkeitsorientierten Zielen.
Gibt es Widerstände gegen die Dopingprävention?
Vor allem Erwachsene sehen die Relevanz des Themas für ihren eigenen Lebens- und Sportbereich oft nicht. Hier herrscht die Meinung vor, „Doping sei etwas in anderen Sportarten, aber doch nicht in meiner“, oder „auf unserem Leistungsniveau gibt es das nicht“ oder „jetzt sollen wir uns auch noch damit beschäftigen, wir haben doch schon ausreichend zu tun“. Die Liebe zur eigenen Sportart macht oft blind und Kritik unfähig. Widerstände gibt es auch bei Verwendung von Beispielen aus der jeweils eigenen Sportart, wie z .B bei Fortbildungen für Trainer im Radsport. Hier heißt es dann etwa., „Immer wird auf dem Radsport herumgehackt, nehmt doch Beispiele aus anderen Sportarten“.
Wie steht es um das Zusammenspiel von Verhaltens- und Verhältnisprävention?
Dopingprävention sollte sich aus Verhaltens- und Verhältnisprävention zusammensetzen: Gegen Maßnahmen zur Verhaltensprävention, die am Sportler ansetzen (1. Ebene), gibt es weit weniger Widerstände als gegen Verhältnisprävention (2. bis 5. Ebene), die an den Strukturen und ihrer Veränderung ansetzt. Deswegen wird bei Dopingfällen die `Sündenbocktheorie´ eingesetzt: Es seien nur einzelne schwarze Schafe, die deviant werden. Wenn man diese eliminiere, dann sei alles wieder gut, an den Strukturen (2. - 5. Ebene) müsse man deshalb nichts verändern. Diese Meinung ist aber grundlegend falsch.
Gibt es potentielle Kooperationspartner?
Personen, die pro Doping sozialisiert wurden, wie frühere Spitzensportler unter der `Obhut´ dopingfreundlicher Trainer und Funktionäre, werden nicht umgehend zu engagierten Partnern für Dopingpräventionsmaßnahmen. Die Hoffnung ist, dass junge Sportlerinnen und Sportler sich im Sinne des Juniorbotschafteransatzes und der peer education in ihren Vereinen und Verbänden für Dopingprävention einsetzen. Sie können Maßnahmen fordern, sich selbst einbringen oder auch nur wissen wollen, ob etwas zu diesem Themenbereich geplant ist. Oft hilft bereits das, um Diskussionsprozesse und
Entwicklungen anzustoßen.
Sinnvoll ist es, sich Anregungen über Präventionsprogramme zu anderen Themen wie Sucht, Nikotin, Alkohol zu holen, aber auch bei Vorbildern im Ausland, da diese viel älter und weiterentwickelt sind als die Dopingprävention in Deutschland. Vorbildwirkung können auch übergreifende Präventionsprogramme wie zu gesunder Lebensführung entfachen.
In den Lehrplänen der Provinz Ontario in Kanada sind solche Ansätze enthalten: Schulen müssen sich des Themas „Doping und Alltagsdoping“ annehmen.