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Für mich fing alles an, als die amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada bekannt gab, sie werde Lance Armstrong die Tour-de-France-Titel abnehmen. Ich rief Armstrong in meinem Blog auf: Entweder mache was dagegen - oder gib es zu.
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Ich flog nach Los Angeles, hatte kurz Aufenthalt und lud mir Teile des Usada-Urteils herunter. Eidesversicherungen, Aussagen von Armstrongs Kollegen und so fort. Auf dem Weiterflug nach Sydney las ich das, und 24 Stunden später wusste ich genau, was los war. ... dann wartete ich ab, was UCI-Präsident Pat McQuaid sagen würde. Er hatte Armstrong von Anfang an verteidigt - ständig reagierte er wie ein PR-Arm des 'Teams Lance'. Ich dachte, das ist eine merkwürdige Art für einen Weltverband, mit ernsthaften Belegen umzugehen. Jetzt aber hätte ich erwartet, dass sie Kontakt zur Usada suchen: Wie können wir helfen? Was können wir tun? Lasst uns kooperieren. Aber das war nicht nur nicht der Fall - jetzt weiß ich, dass sie die Untersuchung der Usada behindert und blockiert haben. ...
Die Usada erbat zweimal Mithilfe von der UCI. Einmal ging es um finanzielle Unterstützung. Okay, aus geschäftlicher Sicht kann man sagen, wir verweigern Beiträge für euer Budget. Die Kernfrage ist die andere: Die UCI hat auch die Herausgabe von Informationen und Dokumenten verweigert, etwa zu Testresultaten von Fahrern. Warum? Die UCI behauptete, sie bräuchte dazu die Zustimmung der Fahrer. Das ist nicht richtig nach dem Code der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. ...
[Ich weiß das] von Quellen in der Usada. ... Die Verweigerung der Mithilfe ist absolut inakzeptabel für eine Organisation wie die UCI, ebenso die Parteinahme für Armstrong. Dann kamen die Belege aus dem Usada-Report dazu. Deshalb verfasste ich einen offenen Brief, den ich in Frankreichs Sporttageszeitung L"Equipe als Anzeige drucken lassen wollte. ... Ich habe gleich eine ganze Anzeigenseite gekauft. Doch dann haben sie die Anzeige in letzter Minute abgelehnt. ... Es hieß [nur informell] aus politischen Gründen.
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Zum Glück hatten wir die Anzeige auch im Sydney Morning Herald geschaltet. Der Inhalt ging dann blitzschnell durch die Medien.
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Zwei Wochen später gab McQuaid eine Erklärung ab, in der er Kronzeugen als Drecksäcke bezeichnete. ... Nachdem ich McQuaids furchtbare Erklärung hörte, rief ich die Anwälte zusammen. Wir wählten eine Sprache, die sie verstehen: Geld. Also richteten wir Schadensersatzansprüche an die UCI, an Präsident Pat McQuaid und seinen Vorgänger Hein Verbruggen.
... Erst nachdem wir einen zweiten Brief schickten, reagierten sie schließlich vergangenen Donnerstag und erklärten, sie würden ein Schlichtungstreffen mit uns wahrnehmen.
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Zwei Gründe [liegen unserer Klage zugrunde]. Erstens müssen wir Amtsvergehen von der UCI, von Verbruggen und McQuaid, im konkreten Skandal nachweisen. Wir müssen ihre schlechte Geschäftsführung nachweisen und ihre Verantwortung für das, was passierte. Wir sind sicher, dass wir das mit dem Bericht der Usada schaffen werden, zusätzlich sammeln wir selbst Material. Zweite Klagegrundlage ist der Schaden für unser Geschäft. Das wird interessant, denn anders als alle Sponsoren und Marken, die ich kenne, sind wir die Einzigen, die eine Stiftung für unsere Überzeugungen und Werte haben. Wir treten seit Jahren öffentlich für sauberen Wettkampf und die Integrität des Sports ein. Wenn wir jemanden sponsern, stellen wir sicher, dass er unsere Werte teilt.
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Unsere Rechnung ist einfach. Wenn wir in Radsport investieren, geht das über Sponsoring hinaus. Das können wir beweisen. Und die Kalkulation von Ausgaben und Einnahmen ergibt einen Verlust. Es gibt ja in der gesamten Radsport-Industrie ein gewaltiges Unbehagen darüber, wie wir vom Weltverband präsentiert werden. Aber ich hatte nicht vor, die harte juristische Tour zu fahren. Ich wollte, dass McQuaid und Verbruggen zurücktreten, die zwei, die seit 22 Jahren an der Spitze der UCI stehen. Dass sie sagen, die Sache wird zu heiß, wir hauen jetzt besser ab.
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ich war dumm. Ich hätte nie geglaubt, dass diese Leute so unglaublich schamlos sind. In jeder Organisation oder Firma, die ich kenne, würde der Vorsitzende abtreten. Umso mehr spüre ich eine Verpflichtung - weil ich jetzt die Bedeutung verstehe für die weltweite Sportverwaltung, wenn unsere Klage Erfolg hat.
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Ich nenne diese Gebilde eine krebsartige Kultur der Korruption. Im Radsport sehen wir eine Gruppe von Männern - der Managementvorstand der UCI hat 19 Männer und keine Frau -, die um die Welt jetten, in Fünf-Sterne-Hotels logieren, einander auf den Rücken klopfen und vorschwärmen, wie wundervoll sie sind. Eine signifikante Menge dieser Leute verfolgt eigene Interessen. Ich glaube nicht, dass Sport ihre oberste Priorität ist, sondern die eigene komfortable Situation. Die an der Spitze füttern die an der Basis, und die Basis füttert die an der Spitze. Manche dieser Clowns bezeichnen sich sogar als Exzellenzen, sie halten sich für Diplomaten. Aber jetzt können wir einen rechtlichen Präzedenzfall schaffen und eine Sportorganisation zur Rechenschaft ziehen. Das ist höchst attraktiv.
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Da gibt es zwei Gruppen [von Sponsoren]. Die einen sind in der Radsport-Industrie, da kriegen wir keine öffentliche Unterstützung. Diese Firmen haben furchtbare Angst, dass die UCI etwas gegen sie tun könnte. Sie brauchen Zulassungen und Freigaben der UCI für ihre Produkte, Räder, Helme. Was Sponsoren abseits der Radindustrie angeht, bin ich in Gesprächen mit einigen Vorständen.
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Ich kenne ihren [von Rabobank] Standpunkt, weiß aber nicht, was sie publik machen wollen. Auch habe ich zehn Präsidenten in der Industrie angesprochen. Zwei haben geantwortet. Einer sagte ab. Der andere hat mir die Einschüchterungstaktiken der UCI dargelegt. Überall ist das ein Thema: Einschüchterung. Das geht bis zu den Fahrern, mit denen ich auch spreche.
... Gute Fahrer, intelligente Leute. Ich hätte ihre Standpunkte gern öffentlich gehört, aber sie haben Angst vor Repression. ... Ich denke, der Armstrong-Faktor wird unwichtig für die Fahrer. Es geht um die UCI.
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Ich rede mit einer Menge Leute, viele wollen helfen, es gibt enorm viele Informationen. Das hat Wirkung auf die UCI. Man muss nur die zwei Dinge sehen, die sie jetzt probiert. Erstens: So auszuschauen wie eine Organisation, die ihren Job macht. Und zweitens: Die Schlüssel-Botschaft der Affäre zu verwässern. Die lautet: Es gibt eine krebsartige Korruptionskultur in der UCI.
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Für ein richtiges Anti-Doping-Programm müssen der UCI die Tests weggenommen werden. Das ist doch klar. Um den Verband für die Zukunft neu aufzustellen, müssen wir unbedingt wissen, was in der Vergangenheit passierte. Wer hat in der UCI wann was gewusst? Dafür braucht es eine unabhängige Ermittlung - die von der Wada geführt werden muss. Was mich gar nicht überzeugt, ist das, was jetzt passiert ist: Es wurde ein IOC-Mitglied beauftragt, einen Ausschuss zu erstellen zur Untersuchung von zwei Personen, die aufs Engste mit dem IOC verbunden sind.
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Also, Schritt eins: Lasst uns schauen, was passiert ist - ohne Angst vor der Wahrheit. Wenn wir eine Ermittlung gegen UCI-Leute haben, bei der die Ermittler an die UCI berichten oder von ihr kontrolliert werden, ist das ein klarer Interessenskonflikt. Das ist als ob man 125000 Dollar von Armstrong als sogenannte Spende kassiert - im Geist eines sauberen Sports! Das ist pervers. Zweitens: Wir müssen von den Fahrern wissen, was sie taten, wie es ablief, wer geholfen hat. Und das Wichtigste: Wie sind sie damit durchgekommen? Wir müssen den Fahrern die Chance geben, diese belastenden Informationen abzuladen. Das geht nicht über eine Hotline, wie es die UCI jetzt macht. Ein Witz. Warum nicht gleich eine Hotline direkt zu McQuaid?
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Entweder wir tun etwas, oder wir lassen es. Wir können sagen: Oje, das schaffen wir sowieso nicht. Oder wir suchen all die Leute, die sagen, wir haben die Nase voll - das muss aufhören. Also lasst es uns ändern.
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Interview: Thomas Kistner