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Doping-Prävention / Antidoping



Prävention: Radsport Team Lübeck



"Die Misere des Radsports ist in den Geldbörsen der Eltern angekommen"

– Ein Nachmittag beim Radsport Team Lübeck



An einem nicht allzu schönen, windigen Samstag werde ich auf dem Gelände der Uni Lübeck abgesetzt und suche Gebäude 61, EG Raum 24. Ich bin mit Gert Hillringhaus verabredet, der dort mit einigen seiner Fahrer Leistungstests durchführen wird. Vor einer Tür, die aussieht wie alle Unitüren Deutschlands, die nach 1970 entstanden sind, steht ein Mann der nicht aussieht, als würde ich ihn suchen. Obwohl ich mir vorher noch einmal ein Foto aus der 'tour' angesehen habe, erkenne ich Hillringhaus nicht wirklich und gehe an ihm vorbei in das richtige Gebäude. Wo ich denn hin wolle, fragt er mich, und ich nenne mein Ziel. "Dann sind wir verabredet!" sagt er und streckt mir seine Hand zum Gruß hin.



ohne PC geht nichts

Wenig später betreten wir zusammen einen schlichten Laborraum, in dem sich neben einer Tafel und ein paar Schränken und Tischen ein ergometerähnliches Fahrrad und ein…merkwürdiger Stuhl befinden. Wie sich herausstellt, hat der nichts mit uns zu tun und dient der Universität Lübeck - auch wenn er nicht so aussieht - in seiner Arbeitszeit nicht etwa zur Erforschung von Foltermethoden, sondern zu vollkommen seriösen Experimenten. Neben dem Ergometer mit Rennlenker stehen ein antiquierter Computer und einige Reagenzfläschchen und weitere Utensilien. Insgesamt macht alles einen sehr wissenschaftlichen Eindruck, und ich fühle mich entfernt an Besuche meiner Kindheit erinnert, als ich meinen Vater in diverse psychologische Fakultäten des Landes begleitete und manchmal selbst auf die Knöpfchen drücken durfte.

 

Eigenen Aussagen zum Trotz, nach denen er ein "46-jähriger alter Sack" ist, der selbst "sehr schlecht auf dem Rad sitzt", sieht Hillringhaus durchaus so sportlich aus, wie man sich einen Radsporttrainer vorstellt. Ebenso locker und offen ist auch die Art, mit der er auf andere zugeht. Hillringhaus redet gerne und hat viel zu erzählen. Ich fühle mich freundlich aufgenommen und werde hilfsbereit mit Aufnahmegerät und Digitalkamera versorgt. Ich bin auch nicht überrascht, als Hillringhaus später sagt, dass er keine Geheimnisse habe und auch seine Trainingsweisheiten mit anderen teile. Man kauft es ihm sofort ab, dass es ihm an der Sache liegt – sein Anliegen ist nichts Geringeres als den Radsport für junge Menschen wieder zu öffnen, und wenn er dafür seine Methoden preisgeben muss, so ist dies nur eine logische Konsequenz. Auch wenn es bedeutet, dass vielleicht einmal einer seiner Fahrer abwandert und seine Trainingsgeheimnisse mitnimmt – weil sie eben dies nicht sind: Geheimnisse.



Während wir auf Lasse warten, der als erster heute zum Leistungstest antritt, beginnt Hillringhaus, mir die Grundlagen seines Trainingskonzeptes zu erklären. Dies klingt nicht nur grundverschieden von den Rezepten, die man allerorten gepredigt bekommt, sondern vor allem auch genial einfach. So einfach, dass es fast jeder – auch ein Jugendlicher - mit ein paar Handgriffen seinem Alltag anpassen kann, ohne sich elaborierte Trainingspläne schreiben lassen zu müssen. Fast zu gut, um wahr zu sein.

 

Dass sich auch mit dem besten Trainingskonzept Motivationslöcher nicht so leicht bekämpfen lassen, zeigt sich dann bei Lasse: Dank des flexiblen Konzeptes lässt sich sein Training zwar an die neue Herausforderung "Konfirmandenunterricht" anpassen – davon macht es ihm aber auch nicht mehr Spaß, im Winter alleine zu fahren. Hier ist Hillringhaus, der Macher und Organisator, gefordert. Mit gezielten Nachfragen stellt er fest, wo das Problem liegt und was zu tun ist, um es zu lösen. Dabei wird deutlich, dass seine Ansicht darüber, dass seine jungen Athleten in einem Wettbewerb fahren, der den verniedlichenden Namen "Kids Cup" trägt, nicht bloße Attitüde ist. Er nimmt die Sportlerinnen und Sportler ernst und bringt ihnen Respekt entgegen und nennt das Ganze daher lieber „Schleswig-Holstein Junior Cup“. Dieser Respekt bedeutet, dass er ihre Meinung hört und achtet – das bedeutet aber auch, dass sie lernen, Eigenverantwortung zu tragen.





Und das Konzept geht auf. Ich habe selten so selbstbewußte und gleichzeitig unaufgeregt sichere und authentische junge Menschen gesehen wie die, die ich an diesem Nachmittag in Lübeck treffen durfte. Jammerschade ist es daher, dass gerade dieser Sport, der Jugendlichen soviel fürs Leben mitgeben kann, sich selbst in ein derart schlechtes Licht stellt.

 

Bereits im Vorgespräch am Telefon hatte Hillringhaus erwähnt, dass seine Suche nach neuen Sponsoren für 2008 bisher erfolglos war. Die Trikots, für die die Sportler an diesem Nachmittag Probemodelle anprobieren, werden außer dem Schriftzug des RST keinen Aufdruck tragen. Und dass, so Hillringhaus, obwohl man sich kaum einen besseren Werbeplatz vorstellen kann, wenn man bedenkt, wie viele Tausend Kilometer die Athleten im Training zurücklegen und dabei eine Werbefläche auf Augenhöhe für Autofahrer transportieren. Keine Sponsoren - das heißt, die Kosten für die Trikots werden von den Eltern getragen, und Radsport ist kein besonders preiswerter Sport. Hillringhaus bringt es auf den Punkt: "Die Misere des Radsports ist in den Geldbörsen der Eltern angekommen."

 

Außer Björn, dem ehemaligen Freiwilligen im sozialen Jahr (FSJ), der 2005/6 beim RST seinen Dienst leistete, schauen noch ein paar andere Fahrer vorbei: Philipp, der wegen einer abklingenden Krankheit den Test nicht wie geplant ablegen kann, und ein Teamkollege vom RST, der den Test nicht absolvieren kann, weil er es verschwitzt hat, am Vortag das Training ausfallen zu lassen, und ein befreundeter Fahrer von einem anderen Team. Sie bilden das dankbare Publikum für Björns Leistungstest, bei dem er anfänglich noch locker palavert und meine Fragen beantwortet. Alle paar Minuten unterbricht er sein Pedalieren, um von Hillringhaus einen kleinen Tropfen Blut aus dem Ohrläppchen entnommen zu bekommen.

und Spritzen
müssen sein...


Am Ende, bei 380 Watt und 200 Puls, hält er immer noch eine unglaubliche Trittfrequenz von fast 100 U/min. Der Schweiß rinnt ihm in Bächen vom rot angelaufenen Gesicht und er schnauft wie eine Dampflok. Angenehmerweise bleiben Macho-Sprüche jeglicher Art aus – stattdessen feuern die Jungs ihren Kumpel an, fast als wäre es ein richtiges Rennen und zeigen angemessene Ehrfurcht vor Björns Leistung, der die anderen nicht ganz das Wasser reichen können – denn: „Treten kann er!"



Was gefällt dir am Radsport?
Ich habe gestern noch mit einem Freund drüber gesprochen, und wir denken beide, wenn es das Team im Radsport, diesen Teamgeist, nicht gäbe, hätten wir beide schon vor zwei oder drei Jahren aufgehört. Man fährt im Winter bei Scheißwetter vier, fünf Stunden und fragt sich, wieso macht man das? Und dann fährt man im Sommer mit dem Team das Wochenende nach Berlin und fährt Rennen und dann denkt man, dafür hat sich das echt gelohnt. Oder man fährt irgendwo im Rennen gut, als erster über die Ziellinie, das sind so die Momente.
Und wenn du dir vorstellst gegen jemanden zu fahren, gegen den du keine Chance hast, weil er etwas nimmt, wie würdest du dich da fühlen?
Ich denke, das ist für mich immer noch ein Hobby und ein Sport, das ist nicht mein Beruf – sollen die anderen sich spritzen. Dann gewinnen sie halt mal ein Rennen. Ich habe andere Qualitäten. Das ist mein Hobby, das habe ich nicht nötig.

>>> Gespräch mit Philipp

Als ich zwischendurch Gelegenheit habe, Philipp ein paar Fragen zu stellen, bin ich beeindruckt von der Reife des 20-Jährigen. Wieviele Athleten seines Alters antworten wohl auf die Frage, ob sie sich durch dopende Konkurrenten betrogen fühlten, dass das deren Sache sei, sie selbst hätten andere Qualitäten? Soviel Abgeklärtheit braucht es wohl, um der Versuchung Doping widerstehen zu können. Wenn sich der Profiradsport irgendwie verändern lässt, dann wohl dadurch, dass von unten herauf Sportler mit solch einer Einstellung nachwachsen. Umso trauriger – für den Profiradsport – ist es, dass gerade ein solch junger Athlet viel eher der Wahrheit ins Auge blicken wird, dass er im Radsport, wie er jetzt ist, ohne Doping nicht wird mithalten können und sich gegen eine Profikarriere entscheidet. Ob sich dieses Dilemma durch eine Arbeit wie die von Hillringhaus wird auflösen können, wird sich mit der Zeit erweisen.

 

Während Björn sich umzieht und Hillringhaus die eben gewonnen Daten sichert, diskutieren die Jungs die Saisonplanung und die viel akutere Partyplanung, denn schließlich ist es Samstag. Und wer gut trainiert, darf auch gut feiern…

 

Bei einsetzendem Regen warte ich in Hillringhaus' Auto auf meine Fahrgelegenheit und rede noch ein wenig mit ihm über die Misere des Radsports. Sehr bald wird er sich mit anderen Ideengebern der Dopingprävention in Deutschland* zusammenschließen, um die Arbeit zu bündeln, zu koordinieren und sich auszutauschen. Hillringhaus, der Jugendleiter und Trainingsmethodiker, gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er davon erzählt. In der Tat scheint eine solche Zusammenarbeit vielversprechend und eher geeignet, Enthusiasmus hervorzurufen als das meiste, was derzeit im deutschen Radsport passiert. Man möchte ihnen einen langen Atem und vor allem eine unermüdliche Motivation wünschen. Hillringhaus hat die beste, die es gibt: "Die jungen Menschen, für die ich mich engagiere, könnten meine Kinder sein."

 

 

* Dies sind u.a.: Ralf Meutgens (Autor von "Doping im Radsport"), Dr. Sascha Severin (ehemals Nationalmannschaftsfahrer, heute Sporthochschule Köln), Dr. Michael Sauer (Dopinglabor in Köln, Initiator von Präventionsmaßnahmen im Kölner Raum), Thomas Dressler (Friedrichshafen- Präventionsmaßnahmen im Radsport in Württemberg), Manuel Ruep (Mitarbeiter im Heidelberger Zentrum), Prof. Dr. Gerhard Treutlein (Heidelberger Zentrum), Dr. Astrid Offer (Präventionsprojekt "Falscher Einwurf" in NRW), Dr. Achim Schmidt (Sporthochschule Köln), Hilmar Hessler (Jugendkoordinator des BDR) und Peter Lautenbach (dsj)

 

von Kati (le coq sportif), Januar 2008

 

 


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