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Saisonbilanz Ag2r Prévoyance

Text von Steamboat, Januar 2007

Layout & Bildredaktion: MrsFlax

&copy Fotos: * www.velo-photos.com, ** www.capture-the-peloton.com, *** www.cyclingimages.com, **** Mani Wollner, ***** MrsFlax



Der Rennstall Ag2r Prévoyance genießt das Privileg, wenn es denn eines verkörpert, erster Neuling in der Pro Tour (PT) zu sein. Vielleicht bleibt er auch der einzige, der die Berechtigung zur Teilnahme an allen für ein PT Team ursprünglich vorgesehenen Veranstaltungen erhielt.

 

Die Begeisterung der Fans und Fachleute war über die Integration eines weiteren französischen Teams in die Rennserie geteilt und meist nicht gerade euphorisch. Fünf gallische Teams in der Top Liga des Radsports spiegelten nicht die wahren Kräfteverhältnisse wider. Zu sehr hinkten allgemein die Franzosen hinter dem Peloton her. Nur selten stachen Fahrer der Mannschaften der Grande Nation hervor, wenn die großen Tage des Rennkalenders anstanden. Verdeutlicht wird dieser Eindruck durch eine Bestandaufnahme der Saison 2005. Von insgesamt drei Podiumsplatzierungen von Fahrern französischer Teams im Endklassement aller PT-Veranstaltungen, entfiel eine – nämlich die beste – auf das Professional Team Ag2r. Es war der zweite Rang von Alexandre Usov beim GP Ouest-France-Plouay. Dieses Resultat spielte übrigens bei den Beurteilungskriterien zur PT-Aufnahme keine Rolle. Die Befürchtungen, dass Ag2r ein weiteres Team wäre, das in der PT nicht auffallen würde, schienen nicht unbegründet.



* Überzeugte 2005: Alexandre Usov

Dabei schien das Potential an vorhandenen Akteuren durchaus nicht uninteressant zu sein. Usov oder Samuel Dumoulin, Etappensieger bei der Dauphine Libéré, ragten mit ihren Leistungen in der Saison 2005 heraus. Aber auch Simon Gerrans wusste Akzente durch einen dritten Etappenplatz bei der Tour de France sowie durch den Gewinn der Herald Sun Tour (2.1) zu setzen. Ferner wiesen Ludovic Turpin, Tomas Vaitkus, Jean-Patrick Nazon und Philip Deignan durch einige Siege bei zum Teil recht bedeutsamen Rennen ihre Leistungsfähigkeit nach.

 

Dennoch war die sportliche Leitung um Teammanager Vincent Lavenu der Ansicht, dass man auf dem Transfermarkt tätig werden musste, sofern man den Anforderungen nicht nur in der Quantität sondern auch in der Qualität gerecht werden wollte. Deshalb wurde Francisco Mancebo, Vierter der Tour de France 2005 und Dritter der Vuelta 2005, unter der Prämisse verpflichtet, als GT-Kapitän seine Equipe adäquat zu vertreten. Er brachte seine Entourage, bestehend aus José Luis Arrieta und David Navas, mit. Zudem wurde von Crédit Agricole der beste französische Fahrer für das Klassement der GTs, Christophe Moreau, verpflichtet. Durch diese Aktionen schien man für die Erfordernisse gerüstet zu sein. Ein personeller Schwachpunkt war allerdings im Bereich der Klassiker zu erkennen; für die Fülle an Rennverpflichtungen fehlte es an wirklichen Leadern.



Die Funktionäre bewiesen dennoch ein glückliches Händchen. Dieses Urteil muss man im Bewusstsein der Tatsache treffen, dass Mancebo in der Affäre um den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes eine undurchsichtige Rolle spielte. Als sich die Anzeichen verdichteten, dass er zu den Kunden / Patienten des Arztes zählte, beendete er umgehend seine Karriere – um wenig später freilich den Rücktritt vom Rücktritt zu erklären. Allerdings war er zu diesem Zeitpunkt bei Ag2r in Ungnade gefallen und entlassen worden. Diese Reaktion und eine Äußerung wie "Wenn Leblanc (Direktor der Tour de France) einen sauberen Radsport will, fährt er alleine", muss man eigentlich schon als Schuldeingeständnis verstehen. Da sich die Leitung des Rennstalls offensichtlich ihrer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und dem Sponsor bewusst war, verzichtete man auf einen Fahrer, der zwar nicht des Dopings überführt wurde, aber auch nicht den Anschein erweckte, seine Hände in Unschuld zu waschen.

 

Ag2r machte aus der Not eine Tugend. Der als Teil der angedachten Doppelspitze für die Grande Boucle Moreau wurde zum alleinigen Kapitän erklärt. Auch wenn sich Mancebo und Moreau (M&M) bis zum Zeitpunkt der Offenlegung der Ereignisse sich gut assistierten, so dass beide eine wirkungsvolle Mehrzweckwaffe für die Siegesambitionen bei Rundfahrten wurden, war der Ausschluss von Mancebo nur folge- und goldrichtig. Die Trauer über den Verlust hielt sich Grenzen. Denn neben Moreau stachen noch zwei andere Akteure durch gut GT-Leistungen hervor: Cyril Dessel und John Gadret.



Pro Tour

Der Start des Teams in die PT verlief im Gegensatz zum Saisonbeginn bei den sonstigen Rennen verhalten. Die ersten Austragungen förderten keine berauschenden Resultate zu Tage. Eher entwickelte sich Ag2r zu einem weiteren wenig erfolgreichen Rennstall, der so recht nur außerhalb der PT etwas gewinnen würde, aber innerhalb bestenfalls als Füllmaterial an den Start ging.



*** Leiden... Calzati
... am ... Chaurreau
... Mortirolo: Naibo


 

Klassiker

 

Dem Esten Erki Pütsep war es beim fünften Event der PT vorbehalten, die ersten PT-Zähler einzustreichen. Bei Gent-Wevelgem belegte er den achten Rang. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die anderen 19 Teams mindestens einen Fahrer, der bereits Zähler gesammelt hatte.



* Erki Pütsep bei der Tour de Suisse

Danach setzte sich die punktearme Zeit jedoch fort. Bei keinem weiteren Klassiker in der ersten Jahreshälfte gelang es, eine Top Twenty Platzierung vorzuweisen. Mancebos 23. Platz beim Fleche Wallone war nach dem Resultat von Pütsep in Wevelgem schon das Beste.

 

Die zweite Saisonhälfte der Klassiker begann mit den Vattenfall Cyclassics kurz nach der Tour de France. Dumoulin nahm den Schwung aus der Frankreich-Rundfahrt mit nach Hamburg und erreichte einen guten siebten Rang. Pütsep schaffte immerhin noch den 19. Platz.



Das Vorjahresergebnis in der Bretagne ließ sich beim GP Ouest-France-Plouay nicht wiederholen. Gerrans belegte als bester Teamfahrer den 18. Rang. Der Weißrusse Usov wählte dieses Mal aber nicht diesen Klassiker für ein nennenswertes Resultat. Beim Herbstklassiker Paris-Tours, dem sogenannten Rennen der Windhunde, musste er zusehen, wie zwei Ausreißer den Sieg unter sich ausmachten. Er wurde immerhin Fünfter und sorgte damit für das beste Resultat aus der Sicht der Mannschaft bei einem Eintagesrennen.



 

Rundfahrten

 

Es dauerte bis zur sechsten Giro-Etappe von Busseto nach Forli, bis ein Fahrer des Kaders PT-Punkte nach dem Resultat von Pütsep einstrich. Erneut war ein Balte dafür zuständig. Der Litauer Vaitkus hatte bei der Massenankunft den Sprint eröffnet. Er fuhr lange im Wind, was ihm letztlich den dritten Rang einbrachte, da er noch von Robbie McEwen und Olaf Pollack passiert wurde.



** Hubert Dupont: "Ich würd' dir ja in die Augen schauen, Kleines, aber ich hab' keine Lust, die Brille abzunehmen..."

Bei der neunten Etappe von Francavilla al Mare nach Termoli schlug aber erneut seine Stunde. Im Finish bot er Paolo Bettini und Pollack ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem er die Oberhand behielt. Dieser Erfolg war mehr, als man von der Formation bei deren Expedition erwarten konnte. Dieser Sieg war ein erstes großes Highlight der Saison. Bei dem Versuch einen weiteren Podiumsrang für Ag2r zu sichern, scheiterte Hubert Dupont bei der Folgeetappe von Termoli nach Peschici denkbar knapp und belegte den vierten Rang.



Auch Gadret ließ erstmals sein Können aufflackern, als er Siebter bei der schweren 13. Etappe von Alessandria nach La Thuile wurde. Was sich danach beim Giro ereignete, lässt sich treffend wie folgt ausführen:

 

"War in Italien der Franzose zu sehen, dem im Gegensatz zu vielen seiner pedalierenden Landsleute nicht nur das Prädikat 'hoffnungsvoller Fahrer mit Perspektive' anhaftet, sondern der diese Umschreibung auch mit Inhalt füllen kann? Trug der Mann, der dem französischen Radsport wieder den so ersehnten Auftrieb geben kann, die Farben von Ag2r Prévoyance? Kann der Fahrer, dem hoffentlich erspart bleibt, als neuer Bernard Hinault vergöttert zu werden, um dann bei Misserfolgen in die Schluchten der Verderbnis vertrieben zu werden und um vielleicht als König der Provinz kleinere Rennen zu gewinnen, dem Anspruch genügen, um bei den großen Rundfahrten wieder einen Teil der einstigen französischen Vorherrschaft zurückzuerobern?"



*** Monsieur Dion unterwegs auf italienischen Straßen

Man weiß es nicht, aber die Art und Weise wie er den Monte Bondone (16. Etappe) als Fünfter und den Kronplatz (17. Etappe) als Sechster ansteuerte, macht sicherlich dem Radsport seines Landes Mut. Und auch bei der 13. Etappe hatte er angedeutet, dass er die Favoriten, die zu Beginn des Giro fast als übergroße Anführer von Raumschiffpatrouillen angesehen werden wollten und sich längst in die wenig beeindruckenden Unteroffiziere der Radwege zurückverwandelt hatten, nicht zu fürchten brauchte. Es besteht für die Zukunft die berechtigte Hoffnung, dass der ehemalige Mountainbiker dauerhaft auf diesem Niveau verweilt, während hingegen andere französische Sternchen mit dem Glück gesegnet schienen, die richtige Ausreißergruppe erwischt zu haben und die damit von dem Rampenlicht zehrten, einen komfortablen Vorsprung zu haben, der ihnen das schillernde Leadertrikot auf die Schulter legte, ehe der Abstand zu den Ikonen der Szenerie zerschmolzen war. Die Zukunft wird die Belege bringen, ob er diese Leistung bestätigen kann oder ob in seiner Biographie zu lesen sein wird: "Er tanzte nur einen Sommer, äh Frühling …".



**** Fieses Wetter beim... Moreau auf...
...... Amstel Gold Race: ... der Flucht


Ihm scheint allerdings noch eine gewisse Konstanz zu fehlen, da er sich bis zu seinem Ausscheiden (Sturz) in der Gesamtwertung nicht unter den ersten 20 des Klassements eingefunden hatte. Teambester wurde übrigens Dupont als Zweiunddreißigster. Unter dem Strich hatte sich die Delegation gut beim Giro geschlagen. Vaitkus offenbarte seine exzellenten Sprinterfähigkeiten und Gadret ist ein Pfand für die Zukunft im Klassement.

 

Aber zurück zu den anderen Rundfahrten im Frühjahr.



M & M

 

Die Hoffnungen bei der Mehrzahl der PT-Rundfahrten ruhten vornehmlich auf Moreau und Mancebo. Da sich beide hauptsächlich auf Tour und Vuelta vorbereiteten, konnten sich andere Protagonisten früher im Jahr in den Rollen als Kapitäne ausprobieren. Diese Experimente waren nicht immer von durchschlagendem Erfolg begleitet. Beim ersten Höhepunkt des Jahres, Paris-Nizza, fiel das Team demnach nicht sonderlich auf. Der 18. Rang von Dessel war kein wirklich überzeugender Auftritt. Die ersten Ergebnisse führten dazu, dass die Kritiker der Entscheidung, Ag2r in die Rennserie aufzunehmen, nicht verstummten.



**** Das verbliebene "M" der "M&M"-Connection

Erst bei der Tour de Romandie bekam der Zuschauer einen Eindruck von der Präsenz des Teams. Gadret belegte den 14. Rang direkt vor Mancebo. Moreau landete nicht im Vorderfeld, gehörte aber der Spitzengruppe bei der Königsetappe in und um Sion an. Als sein ehemaliger Stallgefährte Andrej Kashechkin attackierte und der Gruppe entkam, band sich Moreau federführend in die Verfolgungsarbeit ein. Dabei schien er weniger seine eigenen Chancen im Blick zu haben, als dass es ihm vielmehr darum ging, eine offensichtliche Fehde mit dem Kasachen auszutragen, die wohl von der letztjährigen Austragung der Tour de France herrührte, als der Kasache eigene Wege ging und nicht immer dabei die Ziele seines Kapitäns bei Crédit Agricole im Blick hatte. Kurz vor dem Ziel wurde Kashechkin gestellt. Dieser bedankte sich noch während der Etappe bei Moreau für dessen Missgunst durch einen unsportlichen Gruß.



Bei der Volta a Catalunya trat Moreau erneut in Erscheinung. Dieses Mal allerdings war seine Motivation, auf dem sportlichen Wege zu glänzen. Bei der vierten Etappe der Katalonien-Rundfahrt konnte er den Sieg des Solisten Carlos Castano nicht verhindern, aber der zweite Platz kann sich sehen lassen. Im Gesamtklassement reichte es für den Routinier zum dritten Platz. Mancebo ließ es etwas ruhiger angehen. Er zog aber auch in die Top Ten als Siebter der Rundfahrt ein.



** Mancebo und Arrieta im Juni in Eindhoven

Moreau und Mancebo schienen das Duo zu sein, das sich gesucht und gefunden hatte. Bei der Dauphine Libéré zählten beide zu den Favoriten im Klassement. Sie wurden diesem Anspruch weitgehend gerecht - auch wenn der Gesamtsieg Levy Leipheimer zufiel. Mancebo und Moreau nutzten ihre Möglichkeiten. Stets enteilte einer der beiden Fahrer und die Gegnerschaft beschäftigte sich mit der Arbeit, den jeweiligen Ausreißer zu stellen. Gemeinsam mit einem sehr starken Team präsentierte sich Ag2r im Vorderfeld der Dauphine. Viele gute Etappenresultate sowie ein starkes Gesamtergebnis ließen die Aktienkurse des Teams mit Blickrichtung Grande Boucle nach oben schnellen.



Moreau war bei der Dauphine der effektivste Teamfahrer. Er belegte den zweiten Platz in der Gesamtwertung, dieser wurde besonders durch den zweiten Tagesplatz auf dem Weg zum Mont Ventoux und einen dritten Etappenplatz nach La Toussuire untermauert. Mancebo gelangte durch einen starken Auftritt auf den fünften Rang, nachdem er den dritten Rang bei der fünften Etappe erreichte.



**** Calzati schnittig beim Giro-Prolog

Damit gab sich Ag2r jedoch noch nicht zufrieden. Bei jener fünften Etappe entkam Turpin frühzeitig zusammen mit Jerome Pineau und Thor Hushovd dem Hauptfeld. Er überstand im Gegensatz zu seinen Begleitern die Strapazen, überquerte nicht nur den Col d'Izoard als Erster, sondern kam mit einem Vorsprung von 26 Sekunden ins Ziel. Damit feierte Turpin den größten Erfolg seiner Laufbahn. Diese Freude wurde aber durch Sturzpech in den nächsten Tagen getrübt, so dass er ausstieg und bei der Tour de France verletzungsbedingt auf eine Teilnahme verzichtete. Zudem gab es noch einen vierten Fahrer, der bei der Dauphine Libéré ein Tagespodium erreichte. Dieses war DuMoulin, der bei der zweiten und bei der letzten Etappe jeweils zweite Ränge feierte.



Im Gegensatz zum Heimspiel bei der Dauphine enthielten sich die Akteure bei der Tour de Suisse ruhmreicher Nachrichten, wobei Calzati ein respektables Resultat mit dem 18. Rang einfuhr.

 

Kurz vor Beginn der Tour de France wurde aber das Duo Mancebo & Moreau geschieden. Mancebo geriet wie bereits in der Einführung näher erläutert unter Verdacht, auch in die Affäre um den Dopingarzt Fuentes involviert zu sein, weshalb ihn das Team umgehend suspendierte. In dem Glauben, ihres Topfavoriten für die Tour beraubt zu sein, setzte sich die Equipe Team neue Ziele. Zum einen blieb die Karte Moreau für die Gesamtwertung, aber zum anderen vermutete man im Kader genügend Potential für Tagessiege. Man ahnte noch nicht, dass Moreau nur zweitbester Franzose im Klassement werden sollte, aber der beste ebenfalls das Dress von Ag2r tragen würde.



**** Unterwegs bei unfreundlicher Witterung:
Thomas Vaitkus bei Paris-Roubaix


Deswegen platzierte Ag2r in Fluchtgruppen gerne einen Fahrer, um eine Etappe zu gewinnen. Bei der achten Etappe nach Lorient an der Atlantikküste schloss sich Sylvain Calzati einer Ausreißergruppe an. Ca. 35 km vor dem Ziel attackierte er und erarbeitete sich einen kontinuierlich wachsenden Vorsprung vor seinen temporären Mitstreitern. Da diese Gruppe ihn nicht stellen konnte und das nicht weit entfernte Hauptfeld uneins ob einer gemeinsamen Verfolgungsstrategie war, verteidigte er seine Führung. Er sicherte sich am 9. Juli den Tagessieg, welches viele Landsleute als gutes Omen für den Abend werteten. Da sollte nämlich die Equipe Tricolore gegen Italien das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft bestreiten. Calzati blieb an diesem Tag allerdings der einzige Sieger der Grande Nation.



** Cyril Dessel zu Beginn der Tour de France - noch kein Nationalheld

Dessel wollte es Calzati gleich tun. Bei der zehnten Etappe von Cambo-les Bains nach Pau strebte er gemeinsam mit Juan Miguel Mercado dem Zielort entgegen. Da sich beide genügend Vorsprung erarbeiteten hatten, war klar, dass Dessel ins Gelbe Trikot gefahren war und darüber hinaus die Führung in der Bergwertung übernommen hatte. Mercado beanspruchte seinerseits aufgrund einer ungeschriebenen Regel – Juristen sprechen von Gewohnheitsrecht - den Etappensieg. Dessel jedoch kam es nicht in den Sinn, diesen kampflos herzugeben, so dass er etwas raffgierig wirkend im Finale dem Spanier unterlag.

 

Dessel hielt sowohl in den Pyrenäen als auch in den Alpen seine Platzierung im Vorderfeld, auch wenn er das Gelbe Trikot abgab. Er kämpfte aufopferungsvoll und selbst ein Sturz während der 17. Etappe nach Morzine hinderte ihn nicht dran, seinen Top Ten Rang zu sichern. Ebenso hielt auf dem Weg nach Morzine Moreau Kurs auf ein entsprechendes Resultat. Er erreichte nach einem harten Fight den dritten Rang.



*** Dion informiert sich über die Vortags-Etappe


Beide verteidigten quasi einträchtig beim Zeitfahren ihre Platzierungen im Endklassement. Dessel wurde überraschend aber verdient Siebter und war damit bester Franzose. Verschweigen sollte man aber nicht, dass dieses Resultat durch die Flucht bei der 10. Etappe begünstigt wurde. Ungefähr sieben Minuten konnte er gegenüber den Klassementfahrern gutmachen. So steht sein passables Abschneiden zum Teil unter dem Aspekt, die richtige Gruppe erwischt zu haben. Moreau folgte bereits auf der achten Position in der Abschlusswertung. Arrieta landete auf dem 27. Platz. Insgesamt kann bei Ag2r trotz des Ausschlusses von Mancebo ein positives Resümee bezüglich der Tour de France gezogen werden. Ein Etappensieg, zwei Top Ten Platzierungen und ein Tag im Gelben Trikot. Selbst der vierte Platz in der Mannschaftswertung kann sich sehen lassen.



Neben PT-Zählern sammelten die Fahrer auch andere Preise. Dupont sicherte sich bei der Baskenland-Rundfahrt z.B. den Sieg in der Bergwertung, wie auch Moreau in Katalonien und bei der Dauphine Libéré. Bei dieser Rundfahrt in Frankreich sorgte Mancebo für den Sieg in der Punktwertung.

 

Bei der Vuelta drängte sich Nazon, der bis zu diesem Zeitpunkt in der PT nicht in Erscheinung getreten war, bei der vierten Etappe ins Gemenge bei der Sprintankunft. Gewonnen hat er den Abschnitt nach Caceres nicht, aber der dritte Platz war ihm nicht zu nehmen. Arrieta rettete die magere Bilanz der Equipe bei der 19. Vuelta-Etappe von Jaen nach Ciudad Real. Als Mitglied einer achtköpfigen Ausreißergruppe sorgte er maßgeblich für einen beruhigenden Vorsprung gegenüber dem Feld. Im Finale zählte er zum Quartett, das den Sieg unter sich ausmachte. Der Baske behielt die Nerven und setzte sich durch. Sein Landsmann Inigo Chaurreau belegte als Teambester in der Endabrechnung Platz 26.



Outside Pro Tour

Der "Neuling" in der PT-Rennserie startete aktiv die neue Saison. Man hatte den Eindruck, dass sich das Team für die kritisch beäugte Eingliederung in die erste Liga des Radsports rechtfertigen wollte.



* Gut unterwegs: Simon Gerrans


Gerrans sorgte früh im Jahr für das erste Highlight. Er beendete die Tour Down Under (2.HC) als Sieger. Als Sahnehäubchen fügte er seinem Triumph einen Etappengewinn hinzu. Zum Saisonende startete er bei der Herald Sun Tour (2.1) erneut in seiner Heimat. Dort musste er sich nur mit dem dritten Rang bei der Abschlussetappe als bestem Tagesergebnis begnügen. Aber dieses Resultat reichte aus, um ihn noch im letzten Augenblick durch die Zeitgutschrift zum Gesamtsieg zu verhelfen.

 

Die Exotik aus Sicht des Radsports hatte für Ag2r offenkundig einen besonderen Reiz, da Laurent Mangel in einem der entlegensten Winkel der Radsportwelt, bei der Tour de Langkawi (2.HC), einen Etappensieg erzielte. Pütsep konnte im Rahmen der Rundfahrt bei einer anderen Etappe den zweiten Rang belegen.

 

Die Serie guter Ergebnisse außerhalb der PT riss zunächst nicht. Dessel jubilierte neben einem Etappensieg bei der Mittelmeer-Rundfahrt (2.1) auch über den Erfolg im Klassement. Nach der Tour de France lief er noch einmal zu großer Form, als er die Tour de l'Ain (2.1) gewann. Bereits die erste Etappe entschied er für sich und verteidigte seine Führung durch jeweils einen zweiten und dritten Tagesplatz.



**** Teamzeitfahren in Eindhoven:
Immer wieder eine Augenweide!


Ebenso teuer wollte sich die Equipe bei Eintagesrennen verkaufen, dementsprechend erklären sich die beiden Siege im März. Renaud Dion freute sich über den Erfolg bei GP Samyn (1.1). Dumoulin holte sich den Sieg bei der Route Adélie de Vitre (1.1). Bei der Tour de Picardie (2.1) musste er sich aber Sebastien Hinault im Finale der Abschlussetappe beugen.

 

Nazon trug sich aber bei der Auftaktetappe des Circuit Lorraine (2.1) in die Siegerliste ein, als er sich im Sprint durchsetzte. Sein Mannschaftskamerad Christophe Riblon tat es ihm gleich und errang den Sieg bei der Abschlussetappe. Nazon gelang noch ein weiterer Sieg 2006. Diesen erzielte er bei einer Etappe der Route du Sud (2.1).



** Sprinter Jean Patrick Nazon mit fieser Brille beim Criterium International


Daneben gerieten andere Resultate in den Hintergrund, so z.B., dass Lloyd Mondory die Teamfarben bei Dwars door Vlaanderen (1.1) hochhielt; immerhin erreichte er dort den dritten Rang. Dumoulin errang beim GP Plumelec Morhiban (1.1) ebenso den dritten Platz.

 

Beim Tro Bro Leon (1.1) musste ein Ag2r-Trio, bestehend aus Usov, Nazon und Mondory, dem Australier Mark Renshaw den Vortritt lassen, so dass nur die Ränge zwei bis vier für sie übrig blieben. Usov probierte sich bei Paris-Bourges (1.1). Dort langte es ebenfalls nur zum zweiten Platz, obwohl er den Sprint des Feldes gewann, dem aber Thomas Voeckler entkommen war.

 

Das Können von Stephane Goubert blitzte nur selten in der Saison auf. Bei der zweiten Etappe der Tour du Limousin (2.1) reichte es für den zweiten Platz hinter Noan Lelarge (Bretagne Jean Floc´h). Den Sieg konnte er dem ehemaligen Bonjour-Fahrer nicht streitig machen.

 

Bei der achten Etappe der Tour de l'Avenir (2.1) versuchte Deignan, eine Etappe zu gewinnen. Allerdings musste er sich Remy Di Gregorio geschlagen geben, der im Finish die Nase vorn hatte.



Nationale Meisterschaften

Yuriy Krivtsov ging in seiner ukrainischen Heimat in der Rubrik Zeitfahren an den Start. Er wurde aber nicht Titelträger, sondern belegte den zweiten Platz. Besser machte es da schon Pütsep, der sich in seiner estnischen Heimat gegen die Konkurrenz im Straßenrennen durchsetzte.



Zwischen die Speichen gesehen...

Für ein französisches Team war Ag2r in der PT ausgesprochen erfolgreich. Die guten Resultate wurden mitunter auch durch Franzosen eingefahren. Diese wichtige Erkenntnis dürfte in der großen Radsportnation für Erleichterung gesorgt haben. Es besteht ernsthaft die Aussicht, dass der Radsport die Talsohle durchschritten hat. Ein wesentlicher Beitrag stammt hierbei von Ag2r Prévoyance.



**** Im Schatten der Windmühlen in Eindhoven


Immerhin drei Rundfahrten, wenn auch nicht gerade die renommiertesten, wurden von diesem Rennstall gewonnen. Dem gegenüber stehen zwei Siege bei Eintagesrennen. Bei den PT-Rundfahrten sind immerhin ein zweiter und ein dritter Gesamtplatz zu bestaunen. Beide gelangen Moreau. Zudem gab es sechs Top Ten-Platzierungen in der PT zu notieren – diese allerdings nur bei drei Rundfahrten.



Die Ausbeute bei den Eintagesrennen ist als dürftig zu bezeichnen. In der PT gelangten nur drei Fahrer in die Top Ten Ränge. Diesbezüglich fehlten dem Aufgebot mehrere Klassikerfahrer, die in den Ardennen, auf dem Kopfsteinpflaster oder bei anderen wichtigen Eintagesrennen die Teamfarben effektiver vertreten könnten.

 

Immerhin vier PT-Etappen wurden gewonnen. Kurios daran ist, dass bei jeder GT eine Etappe siegreich gestaltet wurde. Einmal glänzte ein Sprinter (Vaitkus), bei der Tour vollendete Calzati einen Soloritt und Arrieta gewann mit taktischer Raffinesse. Insgesamt wurde bei 13 PT-Etappen ein Platz unter den ersten Drei realisiert.

 

Diese vier Siege bei den PT-Etappenrennen machen 25 % der gesamten Jahressiege des Rennstalls aus. Folglich wurden weitere sieben Etappen noch gewonnen. Die meisten dieser Siege feierte Dessel.



** Thomas Vaitkus: "Platz 122 in der GT-Wertung? Und weiter?!"


In der PT belegte der Rennstall in der Teamwertung mit 219 Punkten den 15. Platz. Das kann sich in der Tat für einen Aufsteiger sehen lassen, zumal zwei Konkurrenten aus dem Inland weniger erfolgreich agierten. Die kumulierten Punkte der Fahrer, immerhin 280 erbrachten im Vergleich zu den anderen Teams den 15. Platz ein. Elf Fahrer (einschließlich Mancebo) konnten Zähler für die Einzelwertung sammeln. Die meisten bekam Moreau, der in der PT-Gesamtwertung den 11. Platz belegte. Er geht allmählich in den Herbst seiner Karriere über, so dass die Leaderrolle in geraumer Zeit neu überdacht werden muss. Man könnte für die Tour mit Dessel, der in der PT 52. wurde, planen, allerdings bleibt es fraglich, ob er in der Lage ist, sein Ergebnis im nächsten Jahr zu wiederholen. Möglicherweise kann aber auch Gadret diese Rolle übernehmen.

 

Mehr als die Hälfte der in der GT-Wertung platzierten Akteure sind Franzosen. Dumoulin (119.), Calzati (122.), Turpin (175.) und Nazon (186.) ergänzen Moreau und Dessel zu einem Sextett. Bester Legionär ist Mancebo als 63. Usov (108.) und Vaitkus (122.) sowie Arrieta (133.) und Pütsep (149.) vervollständigen die große Anzahl an Rennfahrern in der Wertung.



Defizite ließen sich natürlich auch ausmachen. Es hapert neben einem Klassikerfahrer auch an einem endschnellen Mann, der dauerhaft in das Sprintgeschehen eingreifen kann. Nazon war 2006 zu unbeständig und Dumoulin gilt bei den Massenankünften eher als Verlegenheitslösung. Vaitkus' Sieg beim Giro war sensationell, Beständigkeit wies er in der Saison nicht nach, da kein weiterer erster Platz gelang. Für die Zukunft ist er zudem auch keine Alternative, da er aus dem Kader für 2007 ausschied.

 

Zum Schluss soll natürlich auch die löbliche Haltung in der Dopingbekämpfung hervorgehoben werden. Ag2r wusste sich 2006 als Equipe zu verkaufen, die den verbotenen Substanzen keine Chance geben wollte. Natürlich verhielten sie sich bei der Abstimmung, ob Discovery Channel in der ICPT gehalten werden soll, ablehnend. Eine Haltung, die ja bekanntlich acht andere Teams nicht offenbarten.



Top Acht

Moreau – Dessel – Calzati – Vaitkus – Arrieta – Dumoulin – Usov – Gadret

 

1. Moreau: Der am beste platzierte Franzose in der PT-Wertung kam mit dem Tapetenwechsel von Crédit Agricole zu Ag2r gut zurecht. Zweiter in Katalonien, Dritter bei der Dauphine dann noch Achter bei der Tour de France – das kann sich sehen lassen. Es fällt gar nicht auf, dass er in der Saison ohne Sieg blieb.

2. Dessel: Franzose und ein Tag in Gelb bei der Grand Boucle. Außerdem bester Einheimischer bei der Tour de France. Dazu kommen noch zwei Rundfahrtssiege. Insgesamt mit vier Siegen erfolgreichster Fahrer.

3. Calzati: Der Franzose schaffte einen beeindruckenden Etappensieg bei der Tour.

4. Vaitkus: Der Litauer bot den Spezialisten beim Giro die Stirn und gewann selbst überraschend eine Etappe.

5. Arrieta: Auf seine alten Tagen gewann er nach überlegter Fahrweise eine Vuelta- Etappe.

6. Dumoulin: Ein gutes Ergebnis bei einem PT-Klassiker der Mannschaft. Außerdem noch ein Sieg bei einem französischen Eintagesrennen komplettiert eine gute Saison.

7. Usov: In der Saison blieb es lange ruhig um ihn. Erst bei Paris-Tours glänzte er mit einem fünften Platz.

8. Gadret: Nur ein Sturz und eine Verletzung konnten ihn beim Giro stoppen. Man darf gespannt sein, ob der Franzose 2007 noch einmal seine Leistung wiederholen kann.



** Beim... Scanlon
... Prolog... Krivtsov
... des Giro: Naibo


Keine Aufnahme fanden

Mancebo: Er steht auf der Dopingliste von Fuentes und fiel mit merkwürdigen Bemerkungen auf, die darauf schließen lassen, dass er unerlaubterweise leistungsförderliche Mittelchen benutzte.

Goubert: Bei der Vuelta schürte er kurzzeitig Hoffnungen, dass er es besser kann, als er es sonst 2006 zeigte. Es blieb aber ein Strohfeuer.

Nazon: Nur bei kleineren französischen Radrennen trat er in Erscheinung. Dabei hätte sein Team ihn auch im Sprint bei der Pro Tour gebraucht – sein 3. Etappenplatz bei der Vuelta war etwas wenig.

Krivtsov: Der Ukrainer hing diese Saison eher durch und blieb blass.



Ausblick

2006 hat man sich in der ersten PT-Saison gut verkauft. So lautet das abschließende Fazit der Equipe. Es ist zwar nicht so, dass alles Gold ist, was glänzt, dennoch lässt sich auf die Resultate aufbauen. Ag2r kann sich den Kritikern stellen. Sie widerlegten ihre Skeptiker mit teils sehr beachtlichen Resultaten und geschlossenem Auftreten.



***** Quält sich zwar La Toussuire hoch - für die "Top Acht" hat es dennoch nicht gereicht: Goubert


Deutlich gesprochen: Gut als Klassementfahrer haben Moreau, Dessel und auch Gadret gefallen. Sie dürften als Rundfahrtkapitäne auch 2007 gesetzt sein. Besonders Routinier Moreau hat gezeigt, dass er zu exzellenten Ergebnissen fähig ist. Womöglich war es ein Fehler von Crédit Agricole, ihn an Ag2r abzugeben. Es ist von Vorteil, einen erfahrenen Akteur wie Moreau zu haben, der mit dem Druck der gesteigerten Erwartungshaltung fertig werden wird. Verzichten müssen die Rundfahrer auf die baskischen Vettern Mikel Astarloza und Chaurreau, die beide meist als Domestiken tätig waren und den Rennstall verlassen haben.

 

Von den Sprintern war nur partiell etwas zu sehen, wobei Vaitkus am meisten begeisterte. Er allerdings verließ die Equipe Richtung Discovery Channel. So wird Nazon nun die Hauptlast bei den Massenankünften tragen, wobei er nur als unzureichender Ersatz gilt.



**** Franzosen unter sich bei Lüttich-Bastogne-Lüttich


Wie bereits gesagt, bestehen Defizite bei den Klassikern. Zwar konnten Usov, Dumoulin und Pütsep in diesem Segment Resultate vorweisen, dennoch ist die Ergebnislage als dünn zu bezeichnen. Sofern man nicht teamintern (z.B. Dupont) für Stärkung sorgen kann, müssen Martin Elmiger, der von Phonak kommt, und Renaldo Nocentini, der im Trikot von Acqua & Sapone den zweiten Platz in der UCI Europe belegte, Abhilfe schaffen. Wer nach dem Abgang von Pütsep nun bei den Kopfsteinpflasterklassikern die Verantwortung übernommen soll, ist indes noch nicht klar.

 

Eine ausgesprochene Stärke entwickelte die Equipe in der Besetzung von Fluchtgruppen. Besonders sollte das Augenmerk Calzati, Dumoulin, Turpin, Arrieta und / oder Dessel gelten. Mal sehen, ob ihnen künftig weiter so viel Freiraum zugestanden wird. Ansonsten kann aus den eigenen Teamreihen ein Akteur entspringen, der sich hinter den Leistungen der fünf genannten Fahrer nicht verstecken muss.

 

Ag2r 2007 – man darf gespannt sein.


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