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von Steamboat, Dezember 2006
© Fotos: * www.velo-photos.com, ** www.capture-the-peloton.com
Naturino wollte ursprünglich mal hoch hinaus. Es wurde gemunkelt, dass sie sich für die Aufnahme in die Pro Tour interessieren. Das klappte 2006 noch nicht. Wenn man ehrlich ist, war das auch nur im Sinne der Zusammensetzung des Rennstalls, da das Potential des Kaders kaum eine Bereicherung für die Rennserie bedeutet hätte. Eher sollte diese Equipe die Chance nutzen, sich 2006 zu entwickeln. Murilo Fischer zum Beispiel, ein Brasilianer, hatte 2005 eine starke Saison. Diese galt es zu bestätigen oder gar noch zu verbessern. Also war ein weiterer frommer Wunsch die Startberechtigung für PT-Rennen.
Es wurde dann allerdings lediglich eine Wildcard für Tirreno-Adriatico. Wenn man aber das Aufgebot der Equipe mit denen von Panaria-Navigare und Selle Italia vergleicht, kann man nachvollziehen, weshalb die letztgenannten Teams bevorzugt wurden.
Naturino hatte im Kader zwar einige viel versprechende Talente wie Valerio Agnoli, Luca Ascani aber auch Alexandre Bahsenov oder eben Fischer zu bieten. Sie wurden von einigen routinierten Veteranen angelernt und geführt. Zu diesen zählten z.B. Cristian Gasperoni, Gabriele Colombo, Massimo Giunti oder Filippo Simeoni. Anhand der Zusammensetzung der Mannschaft lässt sich schnell erkennen, dass da wohl eine Einladung für eine GT illusorischer Natur sein würde.
Eine realistischere Zielsetzung für die Saison 2006 war da schon, dass man einem Akteur wie Fischer helfen musste, einige Siege und tolle Platzierungen einzufahren. Bei den PT-Rennen war die Konzentration der jungen Talente darauf gelenkt, zu lernen sich im Feld gegen die Profis zu behaupten. Ein Subziel blieb natürlich ein hervorragendes Tagesergebnis oder ein gutes Abschneiden im Klassement. Bei den wenigen PT-Rennen sollten die Fahrer ansprechende Leistungen präsentieren und die Großen ärgern, so gut es ging.
* Stefan Cohnen bei der 2. Etappe der Bayern-Rundfahrt |
Lediglich zu Tirreno-Adriatico und zu Mailand-San Remo erfolgten Einladungen. Und das Endresultat war ernüchternd. Keinem Fahrer gelang ein herausragendes Tagesergebnis. Man fand kein Mittel, die Sprintentscheidungen zu verhindern, so dass ein achter Platz von Ascani bei der zweiten Etappe schon das Optimum darstellte. Auch Massimiliano Gentili und Fischer konnten noch Etappenresultate in den Top Ten erreichen. Mehr gab es aber nicht zu bejubeln. Ascani wurde als Bester letztlich 28. in der Gesamtwertung. Bedenkt man, dass diese PT-Rundfahrt die einzige war, bei der Naturino an den Start ging, kann dieses Ergebnis nicht als zufriedenstellend gewertet werden. Zum glücklosen Kader zählten neben den genannten Personen auch Agnoli, Paul Crake, Gasperoni, Sergio Marinangeli und >b>Simeoni.
Natürlich erhielt Naturino eine Einladung zu Mailand-San Remo. Fischer konnte im Kampf gegen die Ikonen der PT-Teams aber nicht viel ausrichten und belegte den 27. Rang. Statt Crake, Marinangeli und Simeoni wurden Giunti, Leonardo Giordani und Massilmiliano Mori ins Aufgebot berufen. Eine entscheidende Wirkung hatte der Tausch aber nicht.
Die Bilanz bei den Wettbewerben der elitären Rennserie war demnach durchwachsen, kein PT-Punkt war stibitzt worden und Spuren hinterließ man auch nicht. Aber es blieben ja schließlich noch die Rennen jenseits der PT, um Visitenkarten an PT-Organisatoren zu verteilen. Dafür mussten jedoch Siege herausspringen.
** Sergio Marinangeli bei der Coppa Bernocchi |
Crake ist der Name des ersten Schützlings des Teams, der sich auf einem Podium während einer Rundfahrt wieder fand. Der Australier belegte bei zwei Etappen der Tour Down Under (2.HC) jeweils zweite Plätze. Ansonsten verlief seine Saison eher ruhig und unauffällig. Leider sorgte er aber am Saisonende für negative und traurige Schlagzeilen, da er schwer stürzte und die Gefahr besteht, dass er gelähmt bleiben wird. Man möge hoffen, dass er sprichwörtlich wieder auf die Beine kommt, auch wenn er nicht mehr Radrennen fahren sollte.
Fischer, von dem man sich eine starke Saison erhoffte, kam über dritte Ränge jeweils bei der ersten Halbetappe sowie dem vierten Tagesabschnitt der Settimana Internazionale Coppi e Bartali (2.1) nicht hinaus. Der Südamerikaner fuhr letztlich die gesamte Saison über Siegen hinterher und fand sich auch nur selten auf Podesten wieder. Mit der gleichen Platzierung endete übrigens die dritte Etappe für Giunti.
Eddy Ratti fügte der Ausbeute den zweiten Etappenplatz beim Auftakt vom Giro del Trentino (2.1) zu. Er hielt sich bei dieser Rundfahrt, die als Vorbereitung par excellence für den Giro d'Italia gilt, im Vorderfeld und begnügte sich schließlich mit dem dritten Gesamtrang. Mit dem gleichen Ergebnis beendete er den Giro dell'Appennino (1.1) und auch zwei Etappen des Circuit Lorraine (2.1). Im Gesamtklassement dieser Rundfahrt rückte er noch auf den zweiten Rang vor.
Gasperoni versuchte, eine Etappe bei der Friedensfahrt (2.1) für sich zu entscheiden, um damit den ersten Saisonsieg der Mannschaft zu erzielen. Er zählte zu einer Spitzengruppe. Schließlich übernahm er als Tageszweiter nach jener vierten Etappe die Gesamtführung, im Endklassement war er dann allerdings zwei Notierungen schlechter. Dritter am Abschlusstag wurde im übrigen Giunti. Gasperoni gelang später beim Giro di Romagna (1.1) ein Achtungserfolg, als er dieses Rennen als Vierter beendete.
Fischer schien wie bereits erwähnt in seiner Entwicklung zu stagnieren. Größere Erfolge stellten sich auch im weiteren Verlauf des Jahres nicht ein. Es gab nur einige spärliche Achtungserfolge zu vermelden. Einer davon war sein dritter Etappenplatz bei der Bayern-Rundfahrt (2.HC), den er erzielte, als er sich mit sechs anderen Fahrern abgesetzt hatte. In der entscheidenden Phase des Rennens konnte er aber Ralf Grabsch und Christian Müller nicht folgen.
Die Fahrer des Rennstalls konnten neue Erfahrungen im fernen China sammeln. Dort fand die Tour of Qinghai Lake (2.HC) statt, bei der u.a Marinangeli an den Start ging. Für ihn reichte es bei der ersten Etappe zu einem dritten Rang vor seinem Teamkollegen Stefan Cohnen.
Erneut Dritter wurde Marinangeli beim Giro del Veneto (1.HC). Er war im Finale nur dem späteren Sieger Rinaldo Nocentini sowie dem Zweiten Raffaele Ferrara unterlegen und erreichte letztlich das Podium. Gewonnen hat Marinangeli dann schließlich das Rennen GP Beghelli (1.1). Den Sieg feierte er nach dem Finish einer größeren Gruppe im Sprint. Das sollte der einzige erste Platz 2006 bleiben - das hatte man sich sicherlich anders vorgestellt.
** Filippo Simeoni |
Es war nicht doll, was die Mannschaft in der Saison anstellte und erreichte. Gerade mal einen Sieg gab es zu feiern – und den gab es erst im Herbst zu vermelden. Drei Podestplatzierungen bei Eintagesrennen stehen drei Treppchenresultaten nach Rundfahrten gegenüber. Vergeblich radelten die Fahrer folglich einem Etappensieg hinterher. Dafür können sie sich mit vier zweiten und sieben dritten Tagesplatzierungen brüsten. Das dürfte sich die Teamleitung um Manager Giovanni Longobardo und Sportdirektor Fabio Beccherini anders ausgedacht haben.
Es zeigte sich, dass die eine Gruppe an Fahrern schon zu alt war, die andere zu unerfahrene und das Aushängeschild kam nicht richtig in Form. Fischer konnte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht bestätigen. Hätte zu Saisonbeginn ihm jemand orakelt, dass er keinen Sieg erzielen würde, hätte man dem Pessimisten wohl nicht geglaubt. Es zeigte sich, dass der Rennstall einfach nicht optimal besetzt war. Kein Fahrer war in der Lage, die Sprintposition überzeugend zu bekleiden, kaum ein Akteur zeichnete sich als Fels in der Brandung bei den Eintagesrennen aus und auch für die Gesamtwertung mangelte es am entsprechenden Rundfahrtenkapitän. Den Routiniers muss man vorwerfen, dass sie die jungen Fahrer nicht führen konnten, sondern selber genug mit sich zu tun hatten.
In der UCI Mannschaftswertung sprang ein magerer 25. Platz heraus, es grenzt schon fast an ein Wunder, dass ein Schützling des Teams unter den ersten Hundert der UCI Europe auftaucht – Ratti wurde 41. Die anderen Fahrer finden sich auf deutlich schlechteren Plätzen wieder. Gasperoni (120.), Marinangeli (184.) ung Giunti (193.) sind die nächsten. Fischer wird auf einem enttäuschenden 477. Rang geführt. In der UCI Asia erreichte Cohnen zumindest einen 80. Platz. Bashenov, ein anderer Akteur, dem man eigentlich einen Sprung zutraute, fiel völlig aus dem Rahmen. Er wies gar kein vertretbares Resultat in der abgelaufenen Saison nach.
Marinageli – Ratti – Gasperoni – Ascani – Fischer – Crake – Giunti – Cohnen
• Marinangeli: Er darf sich als im Team von vielen Verlierern als Gewinner fühlen. Der einzige Saisonsieg ging auf seine Kappe.
• Ratti: Er war in diesem Team trotz einiger Schwankungen der Inbegriff von Beständigkeit. Einen Sieg verfehlte er mehrfach.
• Gasperoni: Der Routinier hat bestimmt schon bessere Zeiten erlebt, aber bei der Friedensfahrt blitzte sein Können auf.
• Ascani: Bei Tirreno-Adriatico verkaufte er sich noch am besten, obwohl er mit dem 28. Platz keine Bäume ausriss.
• Fischer: Der Brasilianer enttäuschte fast auf der ganzen Linie. Nur wenige Platzierungen deuteten sein enormes Potential an.
• Crake: In der Heimat war er erfolgreich, allerdings hat er momentan andere Sorgen, als über Siege zu philosophieren.
• Giunti: Zumindest einige Tagesergebnisse konnten sich sehen lassen. Der ehemalige Fassa-Bortolo-Fahrer ist ein besserer Helfer.
• Cohnen: In Asien wusste der Niederländer von sich reden zu machen. Er blieb aber meistens unauffällig, zumindest konnte er die Verantwortung nicht an sich reißen, womit er sich in guter Gesellschaft befand...
Keine Aufnahme fanden:
• Bashenov: Er startete für Russland bei der WM und wurde 79. Ansonsten war er sehr unauffällig und konnte nicht andeuten, dass er in Notzeiten eine Alternative sein kann.
• Simeoni: Von ihm war nur wenig zu sehen. Die Zeiten, als er sich aufsehenerregend Fluchtgruppen anschloss, sind wahrscheinlich unwiderbringlich vorbei.
• Colombo: Der einstige Gewinner von Mailand-San Remo ist in die Jahre gekommen.
* Fischer beim Einzelzeitfahren |
Die Hinterlassenschaft, welche die Fahrer von Naturino dem neuen Sponsor Aurum Hotels–Sapore di Mare mitgeben, ist nicht gerade ein Hauptgewinn im Lotto. Der Kader konnte während der vergangenen Saison kaum überzeugen. Die Akteure, die zumindest Potential andeuteten, haben mehrheitlich den Radrennstall verlassen. Fischer, der vielleicht einfach nur ein schwaches Jahr hatte, verließ zu allem Überfluss noch den Kader. Außerdem wechselten auch Gasperoni (zu Ceramica Flaminia), Mori (zu Lampre-Fondital), Giunti (zu Miche) den Brötchengeber. Voraussichtlich werden Colombo und Simeoni künftig nicht mehr mit von der Partie sein. Mit dem im Team verbliebenen Rest der Fahrer - bis dato konnte noch keine Verstärkung verpflichtet werden - muss man sich auf die neue Saison vorbereiten.
Das Maß der Dinge kann nach der verkorksten Saison 2006 nur die Teilnahme an Tirreno-Adriatico bzw. an Mailand-San Remo sein. Die Resultate des Vorjahres sichern keineswegs die Startberechtigung. Sollten wieder fünf Teams zur Rundfahrt eingeladen werden, dann sollte man davon ausgehen, dass Panaria-Navigare und Acqua & Sapone die Tickets sicher haben. Große Zweifel an einer erneuten Einladung in Bezug auf Barloworld bestehen trotz des Abgangs von Astarloa nicht. Auf Seiten des neuen Teams sollte man schon hoffen, dass Barloworld womöglich noch in die Pro Tour eingemeindet wird.
** Tempoarbeit bei der Coppa Bernocchi |
Sollten das Team Tinkoff und die fusionierte Mannschaft aus Androni Giacattoli und LPR-Resten trotz Aufnahme von Fuentes-Kunden generell bei den PT-Wettbewerben starten dürfen, steht es schon schlecht um die Chancen der Equipe. Ansonsten muss man sich gegen die Konkurrenz von Tenax, Miche und Ceramica Flaminia durchsetzen. Die Ansprüche, die z.B. bei Tirreno-Adriatico gestellt werden, erfüllen andere Teams besser. Die meisten Etappen werden im Sprint entschieden. Einen Mann für Massenankünfte, der sich auch gegen die großen Sprinter behaupten kann, hat man nicht. Bei der Fahrt zwischen den Meeren sollte man – so hat die Vergangenheit gezeigt – nicht davon ausgehen, dass eine Fluchtgruppe mal vor dem Hauptfeld die Ziellinie passieren darf.
Ein Fahrer für das Klassement ließ sich zumindest 2006 im Team nicht ausfindig machen.
Bliebe im Verlauf der Saison eine Einladung zu einem PT-Event aus, ginge der Rennstall einer ungewissen Zukunft entgegen. Es würde unter den Umständen nicht verwundern, wenn er nach der Saison verschwinden würde, da der Geldgeber sich schließlich durch sein Engagement eine öffentliche Wirkung verspricht, die nur dann erfolgt, wenn die Fahrer auch zu sehen sind.
Diese Konstellation bietet neben den Gefahren auch Vorteile. Zum einen kann das verbliebene Personal beweisen, dass mehr in ihm steckt. Es bedeutet ebenso, dass sich die Fahrer nun nicht mehr verstecken können, sondern selbst Verantwortung übernehmen müssen. Vielleicht öffnet sich aber doch noch vorab die Schatulle, um dem Team diese Arbeit durch wirkliche Verstärkungen zu erleichtern.
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