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Auf die Idee, zum Giro zu fahren, bin ich nicht selbst gekommen - nein, sie wurde mir aufgezwungen.
Während einer kleinen Prahlerei über unseren wunderbaren Urlaub in Garda, der nur aufgrund meiner "hervorragenden Connections" möglich war, wurde ich von meinen aufmerksamen Radsportfreunden mit Fragen konfrontiert. In der Reihenfolge "Garda?" - "Das liegt doch in Italien?" - "Da ist doch der Giro sicher in der Nähe?" - "Da fahren wir doch hin?" wurde mein Schicksal besiegelt.
Ich mutierte zum Reiseleiter einer vierköpfigen Hydra...
Zwei Tage nach dem Knall der Fuentes-Bombe (Fuentes und Saiz verhaftet) und einen Tag nach der verregneten Kronplatzetappe machten wir uns auf den Weg. Wider Erwarten war die Stimmung trotzdem prächtig . Bis auf die ein bis zwei Stunden Stau ab der italienischen Grenze ging es in Dirks neuem, großen Auto gut vorwärts.
Nachdem wir in unser extrem preisgünstiges Quartier ( Lara & Rajesh) eingecheckt hatten, gingen wir sofort zum heimlichen Hauptanliegen der Reise über: mangiare.
Dank meines Insiderwissens umschifften wir die Gefahren der Touristenfallen und ernährten uns nur vom Feinsten. Kein Wunder, dass Freund Qui schon bald mit der Frage "Wieso fahr' ich Idiot eigentlich immer nach Norwegen?" glänzen durfte...
Früh aufstehen war angesagt, halb vier - schließlich mussten wir vor um sechs über den Pass sein - danach wäre der dicht, hatten wir erfahren.
Pünktlich kurz nach halb sechs waren wir dann auch am Fuße des Passes (natürlich aus der "verkehrten" Richtung kommend). Als wir nach oben fuhren, begannen für mich ein paar bange Minuten der Ungewissheit: Müsste jetzt nicht irgendwann mal irgendetwas nach "Giro" aussehen? Da! Auf einmal: überall Zelte, Wohnwagen, ein paar Hotels, eine Zielllinie - wir waren richtig und der Ausblick fantastisch .
Schnell kullerten wir noch ein bisschen die Strecke hangabwärts bis zu einem uns günstig erscheinenden Parkplatz ungefähr 500 Meter vor dem Ziel. Ein paar freundliche Carabinieri machten uns darauf aufmerksam, das der angehäufte Sand-Kies-Hügel, aus dem unten in kleinen Bächen Wasser sickerte, kein geeigneter Standort für ein Fahrzeug sei. Das fanden wir nett, parkten auf der anderen Straßenseite und stellten unseren Tisch dorthin, wo eben noch das Auto stand.
Langsam kam auch die Sonne raus, und wir tippelten bergan, um uns in Zielnähe nochmal ein bißchen umzuschauen. Dabei stach mir etwas ins Auge, dass mich an Checker denken ließ:
Auf dem Weg zurück zu unserem Tisch gurkten wir ein wenig kreuz und quer, um uns die verschiedenen Stellplätze der Wohnmobile und deren Aussicht anzuschauen. Dabei rannten wir Luca und Alberto in die Arme, sympathischen Zeitgenossen, die wissen wollten, wo wir herkommen. "Lipsia, Tedesco" radebrechten wir ehrlich. Sie ahnten wohl, dass wir Deutsche sind - und reagierten mit vier Halbliterbüchsen Bier. Naja, war ja schon kurz vor um sieben. Prost!
Nach dem Alkoholgenuss fielen sämtliche Hemmungen von mir ab - Zeit, die Waffen auszupacken. Es handelte sich um eine furchterregende 20 cm-Farbrolle und einen 10 l-weiße-Farbe-Eimer. Als erster kleiner Test gefiel mir das Wort "ULLE", weil es schön kurz war. Schüchtern quetschte ich mein Idol an den Straßenrand:
Bei genauerem Hingucken stellte ich fest, dass mir mein Werk gefiel . Auch das aufmunternde Schulterklopfen meiner Crew bestärkte mich darin, mich 'kreuzworträstel'artig im patentierten Zickzack übers Pflaster zu ullen. Anschliessend schrieb ich noch "il Kaiser" darüber, damit meine italienischen Freunde auch wussten, wer gemeint war. Die Reaktionen waren enorm: Ganze Rudel Einheimischer blieben stehen und diskutierten, anerkennende Blicke in meine Richtung und mehrere Gespräche zum Thema "Ulle" folgten.
Merkwürdigerweise machten die Tifosi bei diesem Stichwort immer große Augen, riefen "Gazzetta", "Oggi" und deuteten die "Spritze-in-Armbeuge-Geste" an. "Ulle? Doping? - Niemals!" lachte ich in Unkenntnis der Entwicklungen der nächsten Monate . Durch diese Neider ließ ich mich nicht in meinem Tatendrang bremsen. "Go Checker Go", "C4F", "Tourgott" und "JAN ULLRICH " folgten - ich malte mich in einen Rausch!
Hach, wie die Zeit vergeht. Inzwischen war es Mittag. Ich hatte mich, ohne es zu merken, mehrerer Schichten meiner Kleidung entledigt, da es inzwischen doch hübsch warm gworden war. Die anderen drei wollten unbedingt per Seilbahn auf den Col de Margherita (auf dem zweiten Foto im Hintergrund zu sehen) - ich bot mich an, auf unser Zeug aufzupassen, weil ich nunmal "Kumpel wie Sau" bin.
Die wahren Gründe waren natürlich andere:
1. war ich knülle (Bier + Sonne + Arbeit = ), 2. Höhenangst , 3. hätte ich in der Gondel sicher die ganze Zeit an Flugzeuge, Hubschrauber und andere störende Dinge gedacht.
Während also die Jungs Gipfelfotos schossen - z.B.:
... beobachtete ich die Massen, die sich zu Fuß oder mit dem Rad den Berg hinauf quälten. Ein grandioser Anblick. Eine Völkerwanderung auf'm Rad. Erstmals bereute ich, selber keins mitgenommen zu haben . Ich verbrachte eine Weile damit, statistische Erhebungen über die meistgefahrene Radmarke anzustellen. Ergebnis: ganz eindeutig "Wilier". Neid durchflutete mein Herz - ich wollte auch eins, sofort ! !
Kurz bevor ich hätte beatmet werden müssen, war die Gipfelgruppe zurück. Zeit, sich um Grill und TV-Gerät zu kümmern. Ja, wir hatten wirklich alles dabei - in Dirks schönem großem Auto, dass wie wir feststellten, ziemlich genau 600 Meter vor dem Ziel stand.
Falls mal jemand einen Messebauer braucht:
Als erstes versuchten wir uns am TV. Schlau, wie wir waren, testeten wir das große Gerät erstmal im Auto, bevor wir es an unseren Tisch geschleppt hätten. Tja, irgendwie war die Antenne zu klein... oder so... Jedenfalls hatten wir kein Bild . Hektisch begannen wir, den Schuldigen für die Antennenfehlplanung auszudiskutieren - als unser Blick auf Einheimische mit dem selben Problem fiel. Diese wanderten mit winzigen Bildschirmen und meterlangen Antennen den Hang hoch und runter - ohne Erfolg. Wir buchten das unter "Höhere Gewalt" ab und wandten uns dem Grill zu. Der gehorchte aufs Wort und schon bald veranstalteten wir ein Festmahl mit allem Drum und Dran inklusive bergbach-gekühltem Weißwein - unter reger Anteilnahme unserer Zaungäste, wirklich ein sehr kommunikatives Völkchen, speziell, wenns ums Essen geht.
Anschließend schlenderten wir ein bißchen bergab, und erspähten dort den Robert-Förster-Fanclub, der aber keinen sehr begeisterungsfähigen Eindruck auf uns machte :
Wieder zurück an unserem Platz, harrten wir der Dinge, die da kommen mochten. Am liebsten ja Fahrer. Zum Beispiel ein Giro-Feld. Oder auch ein mir bisher unbekannter Hobby-Radler, der mir sicher jeden Augenblick auf die Schulter klopfen würde. Die (unspektakuläre) Werbekarawane war inzwischen - so gegen 17 Uhr - durch und die Straße wurde von Carabinieri in ihrer schönsten Paradeuniform gesperrt. Mit brutaler italienischer Strenge setzten die sich durch: Jetzt waren höchstens noch ein Viertel so viele Leute auf der Straße!
Am Ticker-Telefon überschlugen sich die Ereignisse: Voigte sollte in der Spitzengruppe sein, Ulle am Ende des Feldes? Voigte - wieso hatte ich den im Farbrausch vergessen? Ich Trottel! Doch es kam noch dicker. Nächste Tickermeldung: "Ulle 10 km vor Ziel ausgestiegen" .
Leider blieb mir keine Zeit, mich heulend auf dem Boden zu wälzen, denn da waren sie!!
Als erstes Garate und Voigt:
Wenig später lächelte sich Basso eins über di Luca. Nun, inzwischen wissen wir ja, warum...
Dann die Gruppe mit Piepoli:
Ein wenig später war ungefähr ein Viertel der Fahrer durch, und seltsamerweise die meisten der Zuschauer verschwunden - nachdem sie den ganzen Tag gewartet hatten. Was war da los? Ein Waldbrand, von dem wir nix wussten? Unbegreiflich
Die ersten Flüchtenden wagten sich sogar auf die Fahrbahn.
Finde die sieben Fehler:
Wenig später, bei Mori, war dann die Meute der Fans schon seeehr übersichtlich:
Nun setzte komplettes Chaos ein. Die Straße teilte sich jetzt:
- Fahrer, die wieder auf dem Weg bergab (Hotel) waren
- Grupettos bergauf
- Zuschauer zu Fuß (beide Richtungen)
- Radtouristen
- Autos
- Polizisten, die so taten, als ob sie das nichts anginge
Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, musste ich (der ich von Ulle und Checker verschmäht worden war ) mit ansehen, wie die Frösi-Chicks für ihr Treiben belohnt wurden:
Wie sich jeder vorstellen kann, kommt bei einer Bergetappe nach einem ins Hotel rollenden Förster nicht mehr viel und deshalb hopsten wir bald darauf ins Auto. Dort entdeckten wir dann, wo die Massen hingeeilt waren. Sie hatten uns zu Ehren einen massiven Stau gebildet . Ich war gottseidank knülle genug, um einfach wegzupennen .
Fazit:
Es war ein herrlicher Tag in fantastischer Umgebung. Ein Erlebnis mit bleibenden Erinnerungen und absolut zur Nachahmung zu empfehlen. Eventuell könnte man noch das Rad mitnehmen, ansonsten wars wirklich einfach perfekt.
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