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Im Zweifelsfall: Abschalten?

von torte, 28.07.2006

 

Nun ist es also soweit: Die ersten Fernsehstationen denken darüber nach, sich aus Radsportübertragungen zurück zu ziehen. Gerechte Strafe für den Betrug am Publikum? Konsequentes Handeln, schließlich habe man ja die Rechte für eine Sportübertragung gekauft, und nicht für eine „Pharma-Leistungsschau“, wie es der ZDF-Intendant verlauten ließ?

 



Was gäbe es Schöneres?

Nein, das ist keine verständliche Reaktion. Eine verständliche Reaktion wäre, die Übertragungen der Realität anzupassen – nicht, die Realität auszublenden! Worüber würde sich dieser geschlossene Klüngel, der seit Jahrzehnten als „Radsportzirkus“ inzestuös vor sich hinwabert, mehr freuen als über den Rückzug der Öffentlichkeit? Was gäbe es Schöneres für die Blutsbrüderschaft aus Exprofis und Sportdirektoren, Rennveranstaltern und Soigneuren, belgischen Kälbermästern, madrilenischen Frauenärzten und italienischen Trainingsplanerstellern, als wenn für ein, zwei Monate oder auch Jahre die Mikrofone unter ihren Nasen verschwänden, die Scheinwerfer ausgingen, die Kameras abgeschaltet würden? Ideale Bedingungen, um sich wieder kuschelig zu reorganisieren, ein paar Bauern zu opfern und die Claims neu abzustecken. Und wenn dann der nächste Tourheld geboren wird, sind alle wieder da mit strahlend weißem Lächeln und Unschuldsmiene.

 



Eine verständliche Reaktion wäre es, endlich die Medienmacht für einen „sauberen“ Sport einzusetzen. Und wenn man schon vom Ausmisten schwadroniert, dann bitte doch im eigenen Stall anfangen. Schon beim flüchtigen Blick kann man all die Heppners, Wüsts, Gölz und Bölts, Altigs und Aldags kaum übersehen, die allesamt den Radsport mit seiner verstrahlten Muttermilch aufgesogen haben und sich jetzt als Experten verdingen. Wenn man das Kreuz nicht hat, um sie vor laufender Kamera mit ihrer eigenen Verwicklung in den Mief und Muff zu konfrontieren, könnte man den Weg des geringsten Widerstandes gehen und sie rausschmeißen. Und dafür Leuten die Mikros in die Hand drücken, die tatsächliches Interesse an Hintergründen, Zusammenhängen und Ursachen haben. Die Fragen stellen können, wollen und dürfen. Nichts wäre der pomadigen Selbstbeweihräucherung des Tourzirkus lästiger als Beobachtung. Also wie bisher eine achtstündige Tour-TV-Übertragung - nur von richtig scharfkantigen Journalisten produziert. Aber wahrscheinlich sind letztere so selten (oder im Medienbetrieb so chancenlos) wie saubere Fahrer im Profighetto.



Dranbleiben!

Eine verständliche Reaktion wäre es, die markigen Ankündigungen von zum Beispiel T-Mobile ernst zu nehmen und nachzurecherchieren, wie deren „Null-Toleranz-Politik“ gegen Doping aussieht. Dranzubleiben, anstatt sich im Abwenden moralisch auf die Schulter zu klopfen. Im Ernstfall eben dann auch die Magentafahrer ins Bild zu rücken, sollten sie ob ihrer „Sauberkeit“ geschlossen im Gruppetto herumdümpeln. Man muss sich ja nicht gleich so anbiedern wie die ARD beim Team Telekom in den 90ern, man muss auch nicht im Hintern von Radprofis wohnen, wie Hagen Bossdorf zu eben jener seligen Zeit. Aber warum nicht parteiisch sein – wenn man es doch so ernst damit meint, so ungern betrogen werden möchte?



Ein paar Wenige mehr

Es dürften wohl auch andere Gründe eine Rolle spielen, wenn jetzt die großen TV-Zelte abgebrochen werden. Die Ära Zabel und Ullrich dämmert immer klarer ihrem Ende entgegen, die breite Masse wandert weiter zum nächsten Spektakel, wie es sich nach der letzten Beckerfaust von Wimbledon verabschiedete. Olympia und Fussball-WM sind wohl kaum „sauberer“ als der Radsport, nur fühlt man sich hier noch so schön „ehrlich unterhalten“. Die Gelegenheit ist günstig, sich möglichst elegant von einem zukünftigen Quotensarg zu verabschieden. Es wird weiterhin die Aufgabe ein paar Weniger bleiben, den Finger in die Wunden des Zucht- und Mastphänomens zu legen, zu dem der „Leistungssport“ verkommen ist. Die lieber „Nestbeschmutzer“ sein wollen als (Profirenn-) Stallgeruch anzunehmen. Es bleibt nach dem Radsport-Jahr 2006 nur zu hoffen, dass es ein paar Wenige mehr geworden sind. Denn auf die Massenmedien ist beim Thema Doping so viel Verlass wie bisher: im Zweifelsfall keiner.


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