Cycling4fans HOME | LESERPOST | SITEMAP | KONTAKT | ÜBER C4F












 

Bahn DM 2005: Neuland XXL...

Text: Sven; Fotos: cycling4fans

 



Ja, auch ich war bei der Bahn-DM - und zwar weniger wegen Flutschfingern oder dem Enttarnen neugieriger Busen-Bestauner, sondern wegen… naja, der Bahn-DM halt.

Der Samstag erschien mir am attraktivsten und ich war doch ein wenig aufgeregt vor meinem Bahn-Debüt. Die Aufregung legte sich schnell, da sich die mittägliche Currywurst mit integriertem Knorpelschaden umso schneller in die Untiefen meiner ohnehin schon geschädigten Magengegend legte. Nicht nur die Wurst war zäh, der Start in den Renntag auch:

 



Madison: Ein Rätsel, das es zu lösen gilt...

Reich' mir deine Hand, mein Freund

Christoph Meschenmoser und sein mir unbekannter Hofbräu-Kollege übten die ganz spezielle Bahnradsport-Disziplin „Madison“. Warum die beiden dies taten, wissen wohl nur sie selbst, denn Madison für Erwachsene stand heute nicht auf der Tageskarte. Anzunehmen ist daher einfach der Spaß an der Freud’, sich jeweils alle zwei Runden die Hände zu reichen, um dem anderen die Geschwindigkeit mitzugeben. Sozusagen handelt es sich beim „Madison“ um einen Hand-in-Hand-Event. Aber was zum Teufel soll das Ganze? Die Frage kann ich weder mir, geschweige denn euch wirklich exakt beantworten, aber ein Augenwink in die Historie verleitet womöglich Aufklärung:



„Dem Herrgott sei Dank. Aus Respekt vor ihm dürfen die Helden, die im Madison Square Garden auf ihren Velocipedes unentwegt ihre Runden drehen, am siebten Tage ruh'n. Viele, die den Gladiatoren dabei zuschauen, bedauern das, aller Christenethik zum Trotz. Das Leben ist nicht leicht kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert. Und so mögen es die Leute, wenn es andern noch dreckiger geht als ihnen.

Die Gestalten, die seit über 100 Stunden ohne Pause auf der Bahn in Manhattan kreisen, sehen erbärmlich aus. Der Blick in den grauen Gesichtern ist starr, der Geist wirr. Zu den Gepeinigten gehört auch Marshall Walter Taylor, ein 19jähriger Schwarzer. Taylor ist vorsichtig. Alle acht Stunden gönnt er sich eine stündige Pause.

Das Publikum mag solche Verweichlichung nicht. Doch in der fünften Nacht erobert der "fliegende Neger", wie er später als Sprinter-Weltmeister genannt werden wird, die herzen der Zuschauer im Madison Square Garden. Nach einem Sturz bleibt er liegen und schläft friedlich ein. Die Schreie aus 12 000 Kehlen vermögen ihn nicht aufzuwecken. Erst als ihn sein Betreuer schüttelt, kommt Taylor zu sich. Er wird zum Publikumsliebling und beendet das erste offiziel anerkannte Sechstagerennen als Achter, 279 Kilometer hinter dem Sieger Teddy Hale, der nach 144 Stunden so kaputt ist, dass er den Pistolenschuss, mit dem das Rennen beendet wird überhört und weiterfährt.

Im Bürgermeister von New York regt sich beim Anblick der radelnden Zombies so etwas wie Mitgefühl. Deshalb lässt er drei Jahre später, 1899, die makabre Show verbieten. Dem New Yorker Sechstagerennen droht das Aus. Doch dann wird ein Kompromiss gefunden. Ab sofort sollten sich zwei Fahrer die Strapazen teilen. "Madison" wird diese Art, Rennen zu fahren, deshalb später in Europa genannt werden, und weil das doch sehr fremd klingt und die Velosprache Französisch ist, wird man sie schlicht in "Course à l'américaine" umtaufen.“

Quelle: www.bahnradsport.ch/track_cycling_history.htm



Bahnaction
XXL-Schrank


Lassen wir das mal so stehen und überspringen ganz galant weitere einschläfernde Madison-Wettbewerbe. Zumindest jener der Junioren fand nämlich noch statt. Zugeschaut habe ich - den Durchblick jedoch hatte ich nur bedingt. Umso prägnanter war hingegen das Funkemariechen-Tonband auf Endschlosschleife, das parallel zu den Junioren-Wettbewerben aus den Lautsprechern schallte. Zwischendurch beobachteten Hanna und ich Jens Fiedler, Ex-Bahni und mehrfacher Olympiasieger, Weltmeister, Deutscher Meister, usw. usf., dessen Bekanntheitsgrad aber offenbar unter seinem Karriereende gelitten haben muss, erkannte ihn Hanna doch erst gar nicht, und auch sonst konnte er sich seelenruhig und ungestört mit seinem Handy durch die Weltgeschichte bewegen.



Von Schränken und Klavieren

Schränklein auf der Stange

Nach einer einstündigen Pause harrten wir erstmal der Dinge, was da nun kommen mochte. Das Rasenmäher-Geräusch verriet uns: „Aha! Keirin!“ – somit waren nun also die „fetten Sprinter“ an der Reihe, die am Vormittag bereits ihren Dreier-Teamsprint mit dem Sieg des RSV-Berlin-Trios vor Jens Fiedlers Schützlingen vom Erdgas-XXL-Team absolvierten. „XXL“ als Bezeichnung empfand ich bei der Betrachtung der Staturen dieser Muskelmonster noch äußerst untertrieben, auch wenn es mit Ex-Weltmeister Jan van Eijden auch kleinere Exemplare – breit wie hoch - dieser durchaus sonderlichen Gattung Radfahrer gibt. Man darf daher nicht alle Sprinter gleich als „Schrank“ abstempeln. Auf solche, wie eben jener van Eijden, passt gegebenenfalls auch „Klavier“. Den „perfekten Namen“ besitzt in diesem Kontext übrigens eine Dame: Susann Panzer.



XXL-Armada

Beeindruckend war es allemal, wie die Sprintbolzen auf den beiden entscheidenden Keirin-Runden die Hamburger-Beton-Bahn noch mal zusätzlich planierten. Der Sound der Scheibenräder in der Steilkurve bei über 60 km/h hat was…

Mit XXL-Olympiasieger Stefan Nimke aus Schwerin setzte sich erwartungsgemäß der Top-Favorit durch. Da mit dem Klavier ein weiterer ehemaliger Weltmeister als Zweiter auf dem Treppchen stand, kam der neutrale Betrachter nicht drum herum, auch wirklich von einem Weltklasse-Event zu sprechen. Bei den deutschen Sprintmädels sieht es seit Jahren jeher etwas mauer aus – da nützt auch Susanns gepanzerter Nachname nichts.

 



Punktefahren der Männer

Andreas Müller und Stefan Steinweg während des Punktefahrens

Beim Punktefahren der Männer geht es ähnlich durcheinander wie beim Madison zu. Es wird jedoch auf das chronische Handshaking verzichtet und so muss man einfach „nur“ die Punkte und eventuelle Rundengewinne zählen. Gerade hier tummelte sich doch sehr viel nationale radsportliche Prominenz, die sich in den vergangenen Jahren vorwiegend einen Namen als Verfolger gemacht hat. Die Liste der Teilnehmer umfasste unter anderem Robert Bartko, Stefan Steinweg, Guido Fulst, Christian Bach/Lademann, und viele viele mehr.



Lach doch mal! Ein von der Hymne genervter Andreas Müller.

Ohne mir großartige Bahnkenntnisse zusprechen zu wollen, würde ich doch mal behaupten, dass der klare Sieg von Andreas Müller (KED-Bianchi-Team) mit 44 Punkten vor Stefan Steinweg mit 32 Punkten ein wenig überraschend kam. „Geplant“, wenn man das so sagen kann, war er aber offenbar bereits im Vorfeld, denn speziell seine beiden Bianchi-Teamkollegen Robert Bengsch (The Exorcist) und Henning Bommel (The ……….) versuchten ihn während des Rennens immer wieder geschickt in eine vordere Position um die Punkteprämien zu bringen, was mehr als erfolgreich gelang.



unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Lacht doch mal! Von der Hymne genervte Bahnsprinter: Jan van Eijden (links) und Stefan Nimke.

Der Tag neigte sich dem Ende entgegen und wurde mit einigen Sprint-Halbfinals sportlich abgerundet. Darauf geachtet hab ich aber irgendwie nicht mehr – naja, die Masse und Menge an XXL-Erdgas-Schränken und –Klavieren wird das schon unter sich ausgemacht haben. Die paar hundert verlorenen Seelen, die sich den ganzen Tag über um die Bahn versammelt hatten, wurden offenbar auch langsam müde und verflüchtigten sich zusehends. Die Keirin-Siegerehrung um Stefan Nimke interessierte jedenfalls nur noch Fotografen, Freunde und Veranstalter. Auf der Gegentribüne war beim Erklingen der Nationalhymne jedenfalls kein Mensch mehr. Naja, andererseits hing einem trotz aller Vaterlandsliebe die zum schätzungsweise zehnten Mal eingespielte Nationalhymne dann doch zum Halse raus.



Fazit

Max von Sydow (rechts) exorziert Robert Bengsch. ;)

Zu guter letzt möcht ich unspektakulär resümieren: Bahn-Veranstaltungen können recht langatmig sein, doch in jedem Falle wurde mein Horizont erweitert.


Gazzetta durchsuchen:
 
 
 


Rennerlebnisse

2010
2007
2006
2004
2003
2002
2000 - 2001
 
 
Cycling4Fans-Forum Cycling4Fans-Forum