Beitrag von Steamboat, 12. Februar 2005
„Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund“. Es ist nicht bekannt, ob Gilberto Simoni dieses Lied der deutschen Schlagersängerin Nicole kennt. Es gilt aber nicht als sehr wahrscheinlich, dass ihm diese Strophen vor der Saison 2004 bereits gegenwärtig waren. Sein Ziel 2004 war es, sowohl den Giro zu gewinnen als auch bei der Tour auf dem höchsten Podium zu stehen. Bereits im Vorjahr gab er diese Zielsetzung aus. 2003 gelang ihm schließlich auch der Erfolg beim Giro. Bei der Tour schaffte er zumindest einen Etappensieg, sonst war die Ausbeute nicht so gehaltvoll.
Simoni ging davon aus, dass er seinen Leistungszenit im vergangenen Jahr erst Mitte des Giros habe, dann könne er diesen so zu sagen mit halber Kraft diesen gewinnen, um dann bei der Tour Armstrong herauszufordern. So wollte Simoni an die Sache herangehen. Es entstand der Eindruck, dass er den Giro bereits als „gewonnen“ abhakte, als er dann die Gefahr bemerkte, die aufzog. Simoni offenbarte, dass er die Bergetappen nicht in gewohnter Weise zelebrieren konnte. Zunächst gelang ihm noch ein Etappensieg von Pontremoli nach Corne alle Scale. Er siegte vor seinem Teamkollegen Cunego und übernahm das Rosa Trikot. Cunego hatte tags zu vor die Etappe von Nove Ligure nach Pontremoli gewonnen und deutete an, dass er eine sehr starke Rundfahrt fahren würde.
Nach Montevergine di Mercogliano (7. Etappe) versuchte Simoni am Anstieg seinen Widersachern zu entkommen, als dieses nicht gelang, wurde die Teamorder so verändert, dass Cunego den Sieg erspurtete. Damit übernahm der Youngster das Trikot des Führenden von seinem Chef. Auffällig war bereits bei diesem Rennverlauf, dass Simoni offensichtlich jene Spritzigkeit fehlte, um entscheidend wegzukommen. Im Team bekräftigte man, dass Simoni trotzdem der Leader sei und Cunego lediglich vorübergehend im maglia rosa fährt.
Dann folgte die 16. Etappe. Das Trikot war zwischenzeitlich zu Popovych gewandert. Cunego attackierte auf dem Weg nach Falzes und kam weg. Er nahm seinem Teamkameraden Simoni viel Zeit ab und erzielte seinen dritten Etappensieg. Anschließend hatte er die Gesamtführung wieder inne. Nach wie vor endeten die Treueschwüre nicht, dass Mann natürlich für Simoni fahre. Aber allen war klar, dass nach diesem eindrucksvollen Sieg Cunego zum Hauptkonkurrenten von Simoni aufgestiegen war, dem der eben nicht in Bestform befindliche Simoni kaum noch Herr werden konnte. Auf der 18. Etappe versuchte es der Altmeister noch einmal. Wieder kam er nicht weg. Cunego genoss es, dass die Fahrer anderer Teams ihn an Simoni wieder heranführten. Wieder siegte er im Finish. Simoni konnte sich seine Verärgerung nur schwer verkneifen. Es wird kolportiert, dass er alles andere als glücklich über den Verlauf des Giros war und sich abfällig über seinen jungen Teamkameraden äußerte.
Simoni konnte die 19. Etappe etwas freundlicher für sich gestalten, als er gemeinsam mit Garzelli um den Sieg fuhr, aber im Sprint unterlegen war. Aber auch der Mortirolo hatte keine Wendung mehr ins Geschehen gebracht. Cunego verteidigte seine Führung und gewann schließlich den Giro. Simoni konnte sich glücklich schätzen, den dritten Platz erreicht zu haben. Gejubelt haben beide zusammen dennoch, weil Saeco auch die Mannschaftswertung für sich entschied.
Nach dem der erste Teil des Vorhabens sich nicht optimal umsetzen ließ, wollte Simoni es bei der Tour besser machen. Aber auch hier zeigte sich, dass seine Taktik der „halben Kraft“ nicht griff. Den Giro hatte er deswegen verloren, bei der Tour bekam er kein Bein an Deck. Im Gegensatz zum Vorjahr gab es auch keinen Etappensieg zu bejubeln, bestenfalls einen längeren Fluchtversuch. Enttäuscht kehrte der Italiener als 17. wieder in sein Heimatland zurück. Zumindest ist er um die Erkenntnis reicher, dass es besser ist, bei seinen Leisten zu bleiben.
Für Cunego war die Saison aber noch keineswegs beendet. Er startete ohne wirkliche Podiumsambitionen bei der Vuelta und kehrte mit einem 16. Platz zurück. Anschließend fuhr er beider WM in Verona mit, um schließlich beim Weltcuprennen in der Lombardei erneut zu triumphieren. Nun war sein Stern vollends aufgegangen. Er belegte am Ende der Saison den 1. Rang der UCI-Weltrangliste. Beigetragen haben neben den genannten Ergebnissen der Gesamtsieg beim Giro del Trentino (2,2) sowie zwei Etappensiege (auch hier landete er vor Simoni), die Siege beim Giro dell´Apennino (1,2), beim GP Industria Artigianato (1,2), GP Fred Mengoni (1,3) und beim GP Nobili Rubinetterie (1,3). Außerdem belegte er bei einer Vuelta-Etappe den 3. Platz. Weltcuppunkte fuhr er noch in San Sebastian ein (23.)
Die Bilanz des Gilberto Simonis nimmt sich im Vergleich bescheidener aus. Er feierte beim Giro del Veneto (1,1) noch einen weiteren Saisonsieg. Beim HC-Klassiker Giro del Lazio wurde er noch Zweiter. Diese Saison ist für den mit hohen Erwatungen gespickten Simoni zwar kein Waterloo aber auch nicht der erhoffte Erfolg. Er hat daraus gelernt. 2005 will er nur noch beim Giro starten. Bei Cunego gilt die Teilnahme nicht als sicher, da er wahrscheinlich die Tour fahren wird.
Die Entwicklungen der beiden Fahrer im Team war natürlich interessant zu beobachten. Auf der einen Seite der Fahrer, der bereits die großen Erfolge eingefahren hatte. Er wollte in dieser Saison eigentlich den ganz großen Erfolg seiner Karriere erzielen, nämlich das Double aus Giro und Tour. In der Realität musste er aber feststellen, dass es bessere gibt. Noch tragischer, es gibt sogar bessere aus heimischen Landen und – das setzt dem ganzen dann die Krone auf – sogar im eigenen Team. Cunego leitete mit seinem Sieg die Wachablösung ein. Ein junger Fahrer (23), dem die ganze Radwelt noch offen steht, verdrängt binnen kürzester Zeit den Star. Dass diese Entwicklung nicht spurlos an Simoni vorbei geht, kann man nachvollziehen, wenn man die Extrovertiertheit von ihm kennt. Ob dieser Konflikt der Radsportgenerationen schon ausgestanden ist, wird die Zukunft zeigen.
Aber Saeco beschäftigte weitere Fahrer. Bisher war die Nummer 2 im Team Danilo di Luca hinter Simoni. Seine Erfolge waren in der Saison 2004 nicht so aufsehen erregend. Er gewann die Brixia Tour (2,2) und siegte bei der Trofeo Matteotti. Weiterhin sicherte er sich einen Tagesabschnitt bei der Murcia Rundfahrt (2,3). Nachdem er bei der Tour wegen laufender Dopingermittlungen nicht erwünscht war, fuhr er noch bei der Vuelta mit. Immerhin kam er in auf der Etappe von Olivenza nach Caceres als Dritter an. Mehr Aufmerksamkeit erzielte er aber durch ein starkes Abschneiden beim Fleche Wallone als Zweiter. In anderen Weltcuprennen sammelte er einige Punkte durch einen guten 4. Platz beim Amstel Gold Race sowie durch den 23. Platz bei den HEW-Cyclassics. Ferner startete er bei zwei HC-Rundfahrten, die er als jeweils bester seines Teams (25. bei Tirreno-Adriatico, 12. bei der Baskenland-Rundfahrt) beendete.
Der Mann für die Weltcuprennen bei Saeco war Mirko Celestino. Er belegte am Ende den 9. Gesamtrang. Begünstigt wurde diese Platzierung durch die Abschneiden beim Amstel Gold Race (9.), bei Mailand-San Remo (12.), HEW-Cyclassics (12.), Züri-Metzgete (17.), Klasika San Sebastian (18.), Paris-Tours (21.) und durch den 24. Rang bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. Celestino siegte bei einer Etappe der Settimana Ciclista Internazionale „Coppi e Bartali“ (2,3). Ansonsten kann er 2004 keine Siege vorweisen.
Das verhält sich bei Leonardo Bertagnolli anders. Er gewann die Coppa Placci (1,1), die Coppa Agostini (1,2) und die Trofeo dell´Etna (1,3). Zudem fiel er im Team durch eine konsequente Unterstützung der Kapitäne beim Giro auf. Diesen Verdienst kann auch Eddy Mazzoleni für sich in Anspruch nehmen, der durch gelungene Führungsarbeit häufiger in den Top Ten des Giros ankam und als 21. die GT beendete. Mazzoeni glänzte ferner bei einigen Klassikern: Paris-Tours (10.), Lüttich-Bastogne-Lüttich (13.), Amstel Gold Race (17.). Zu einem Saisonsieg reichte es nicht. Als bestes Ergebnis muss da der zweite Platz bei Mailand-Turin (1,1) herhalten.
Andere Fahrer im Team traten deutlich weniger in Erscheinung. Der Russe Petrov belegte als bester seines Teams den 5. Platz bei der Tour de Suisse. Der Pole Szmyd kann einen 13. Platz bei der Tour de Romandie vorweisen.
Einige Fahrer schafften bei kleineren Rundfahrten Etappensiege. Bucciero siegte bei der 1. Etappe der Bayern-Rundfahrt (2,3). Der Österreicher Glomser fuhr keine brillante Saison. Lediglich eine Etappe bei der Österreich-Rundfahrt konnte er gewinnen – und die vor seinem Landsmann und Teamkollegen Matzbacher. Der Schweizer Lossli siegte bei einem Tagesabschnitt der Friedensfahrt (2,2).
Nicht begeistern und nicht zufrieden stellen konnten Commesso und Pieri. Von Pieri hatte man sich doch den einen oder anderen Erfolg bei einem Klassiker gewünscht. Aber er trat 2004 nicht sonderlich in Erscheinung. Das hing vielleicht auch mit einer Verletzung zusammen.
Auch ein deutscher Radler stand im Kader der Italiener. Jörg Ludewig unterstützte Simoni wieder während der Tour de France. Dabei trat er nicht so deutlich in Erscheinung wie noch 2003. Er konnte den 14. Platz bei der Flandern-Rundfahrt belegen, womit das Team auch dort Weltcuppunke einstrich. Saeco belegte in der Teamwertung des Weltcups den 6. Platz und konnte den Vorjahressieg nicht wiederholen. Ludewig versuchte auch bei Paris-Roubaix sein Glück, kam aber nur auf den 27. Platz.
Für ihn wird künftig im neuen Team kein Platz mehr sein.
Das neue Team ist eine Fusion von Lampre und Saeco zu Lampre-Caffitta. Nicht alle Mitglieder von Saeco finden sich in dem neuen Team wieder. Di Luca wechselte zu Liquigas-Bianchi, Bertagnolli greift künftig in den Trikots von Cofidis an. Gemeinsam mit Ludewig ging Celestino zu Domina Vacanze. --> Team 2005
Lampre brachte in die Ehe nicht die Topfahrer ein, so dass ein gewisser Qualitätsverlust im Vergleich zum vorigen Saeco-Kader festzustellen ist. Wohl auch deswegen wurde noch Figueras von Panaria verpflichtet. Er, der durchaus auf das Gesamtklassement fahren kann, wird eigene Ziele zurückstellen müssen, um Cunego und Simoni zu helfen. Zudem kam noch der italienische Sprinter Bennati von Phonak, der aber in der Saison 2004 nicht begeistern konnte.
Ein Sieg bei einer GT liegt im Rahmen des Machbaren. Ob Cunego tatsächlich Armstrong herausfordern und bezwingen kann, steht noch in den Sternen. Meines Erachtens zeigen besonders die Italiener, dass sie beim heimischen Giro alles von sich fordern. Bei der Tour fehlt das häufig das letzte Quäntchen. Zudem sollte man auch sehen, dass immer wieder Herausforderer von Lance ausgerufen werden, die an dieser Aufgabe aber meistens scheitern. Cunego sollte man noch ein paar Jahre geben. Es könnte noch zu früh sein.
Simoni wird die Gunst der Stunde versuchen zu nutzen. Wenn Cunego fehlen sollte, hat er gute Karten in der Hand. Er sollte aber gewarnt sein. Es tritt u.a. Basso beim Giro an, der Simoni gut einheizen kann.
Ob nebenbei auch wieder ein Klassiker im Rahmen des Machbaren ist, das wird sich zeigen.