Beitrag von Steamboat, 22. Januar 2005
Frankreich stand im Sommer Kopf. Aber nicht die Kicker bei der Europameisterschaft in Portugal waren daran Schuld. Auch kein Olympionike in Athen versetzte das Land in eine vergleichbare kleine Begeisterung. Es war ein Elsässer mit deutsch klingendem Namen, der das sportlich interessierte französische Volk in seinen Bann riss. Thomas Voeckler ist Radsportler bei dem kleinen Team Brioches La Boulangere aus Frankreich. Er konnte bei der Tour de France weder das Gesamtklassement für sich entscheiden noch stand er auf dem Podium in Paris. Auch konnte er keine Etappe für sich entscheiden, und er erstritt sich auch nicht das Bergtrikot. Dennoch wurde er gefeiert, auch wenn er letztlich „nur“ 18. wurde. Thomas Voeckler übernahm nach der 5. Etappe am 8. Juli in Chartres das Gelbe Trikot des Gesamtführenden und verteidigte es bis zum 18. Juli, um es dann an den späteren Gesamtsieger L.A. abzugeben. Unvergessen wird bleiben, wie sich Voeckler nach LA Mongie (12. Etappe) und nach Plateau de Baille (13. Etappe) unter tatkräftiger Unterstützung seiner Teammitglieder und anderer Franzosen aufopferungsvoll hinauf kämpfte, nur um das Gelbe Trikot weitere Tage zu verteidigen.
Nachdem er dieses Trikot dann abgeben musste, bekam er das Dress des besten Jungfahrers. Man hätte es ihm gewünscht, dass er nach seinen Anstrengungen das „Weiße“ auch in Paris abschließend bekommen hätte, aber auch dieser Erfolg war ihm nicht vergönnt. Er kam in Paris als drittbester Franzose an und betrachtete die Siegerehrung im Trikot des französischen Straßenmeisters, das er am 27.06. gewinnen konnte.
Selbst wenn Brioches La Boulangere keine Touretappe gewinnen konnte, so kann man ein positives Abschlussfazit der Rundfahrt ziehen. Dazu beigetragen hatte vordergründig der Elsässer. Vergessen waren die Querelen um Joseba Beloki, der überraschend zu Saisonbeginn zum kleinen französischen Team, das bis dahin nur aus Franzosen bestand, wechselte. Er brachte seinen Bruder Gorka, den baskischen Landsmann Unai Yus und eine Menge Streitigkeiten mit. Zunächst gab es Probleme um seine Asthma-Mittel, dann gab es Zweifel ob seiner sportlichen Leistung, da er keine Ergebnisse erzielte. Schließlich trennte man sich vom potentiellen Podiumskandidaten, noch bevor die Tour überhaupt begonnen hatte. Der Versuch mit einem Star der Szene war für das Team gescheitert.. Statt seiner setzte man die Hoffnungen auf Sylvain Chavanel. Nur musste dieser seine Ziele zurückstellen, damit Voeckler das Gelbe Trikot, dass er am 8. Juli bei dem erfolgreichen Fluchtversuch einer Fünfergruppe erstritten hatte, verteidigen konnte. In diese Rolle fügte er sich ebenso wie Jerome Pineau.
Ursprünglich war das Team auch zur Teilnahme an der Vuelta eingeladen, aber nachdem Joseba Beloki ausgestiegen war, kam es nicht zu einem Start auf der iberischen Halbinsel. Diese Meldung erzeugte allerdings kaum Aufsehen. Nicht zu vergleichen mit der Posse im Jahr zuvor, als Acqua & Sapone ausgeladen werden sollte, weil Kapitän Cipollini nicht an den Start gehen wollte (gezwungermaßen trat dieser dann zur ersten Etappe an, um dann aber auch bald wieder zu verschwinden). Merkwürdig, dass zur Ausladung von Brioches La Boulangere kaum ein Ton verloren wurde.
Aber zurück zur Saison von Brioches La Boulangere. Der größte Erfolg 2004 stellt der Sieg von Didier Rous bei der GP Ouest Plouay, einem Halbklassiker, dar. Das Rennen war zwar nur mäßig besetzt, dennoch ist der Erfolg für das kleine Team nicht zu unterschätzen. Es war für Didier Rous der wichtigste Sieg 2004, der daneben auch noch je eine Etappe bei „4 Tage von Dünkirchen“ (2,1) und Tour de Limousin (2,3) gewinnen konnte.
Brioches La Boulangere hat insgesamt an 6 Weltcuprennen teilgenommen. Sie mussten immer wieder auf Wild Cards hoffen. Letztlich kann das Team vier Platzierungen vorweisen, die Punkte im Weltcuo bedeuteten. Die beste Einzelplatzierung gelang hierbei Pineau mit einem überraschenden 3. Platz bei Züri-Metzgete. Beim selben Rennen wurde der Spanier Yus 11. Er wird auch 2005 bei dem französischen Team fahren, da er sich auf Grund sportlicher Leistungen und wohl auch menschlich im Team integrieren konnte (Hingegen verließ auch Gorka Beloki das Team). Sprick belegte bei den HEW-Cyclassics den 21. Platz und Geslin wurde 18. bei Paris-Tours. Die anderen Teilnahmen an den Klassikern seien mit Erwähnung des besten Brioches La Boulangere-Fahrers der Vollständigkeit halber aufgeführt:: Mailand-San Remo (31. Pichon), Paris-Roubaix (77. Voeckler) und Lüttich-Bastogne-Lüttich (45. Pineau).
Das Team nahm an mehreren Rundfahrten der Ehrenkategorie teil. Etappensiege waren ihnen hierbei nicht vorbehalten. Es lässt sich nicht behaupten, dass das Team bei seinen Teilnahmen enttäuscht hätte, allerdings waren im Endklassement auch keine herausragenden Leistungen nachzuvollziehen, die zu übertriebenen Hoffnungen berechtigen würden. Am besten schnitt Sylvain Chavanel bei Paris-Nizza (14.) ab. Voeckler wurde bei der Dauphiné Libérè 18. Pineau wurde 20. bei Tirreno-Adriatico und bei der Baskenland-Rundfahrt wurde wieder Sylvain Chavanel 27.
Jener Chavanel war Hoffnungsträger des Teams. Diesen Erwartungen trug er Rechnung, in dem er zwei Rundfahrten – 4 Tage von Dünkirchen (2,1) und die Belgien-Tour (2,2) – gewinnen konnte. Zusätzlich konnte er auch einen Sieg bei der Polynormande (1,3) sowie zwei Etappensiegen bei der Tour du Poitou Charentes et de la Vienne (2,3) feiern. In den Gewinnerlisten taucht der Name Chavanel noch häufiger auf. Bruder Sebastien erzielte einen Etappensieg bei der Tour de la Regione Wallone sowie drei Etappensiege bei der Tour de l´Avenir (2,5).
Auf sich aufmerksam machte während der Saison erwähnter Pineau, der Paris-Bourges (1,2) und Clasica de Almeria (1,3) gewinnen konnte. Ferner sicherte sich bei der der Tour de l´Ain einen Tagesabschnitt und die Gesamtwertung. Auch Thomas Voeckler feierte weitere Erfolge. A Travers le Morbihan (1,3) entschied er für sich. Auch eine Etappe der Route du Sud (2,3) konnte er als Vorderster beenden.
Brioches La Boulangere fiel bei vielen kleineren Ein-Tages-Rennen in Frankreich durch Siege auf. So konnten neben Voeckler, Pineau und Chavanel auch Sprick (Tour du Doubs (1,3)), Geslin (Route Adélie de Vitré (1,3)) und Bouyer (Paris-Camembert Lepetit (1,2)) zum Teamerfolg beitragen. Ferner müssen noch Etappenerfolge von Bouyer (Circuit Cycliste Sarthe (2,3)), Yus (Internationale Hessen-Rundfahrt (2,3)) und Kern (Tour de l´Avenir (2,5)) erwähnt werden.
Brioches La Boulangere wird an der Pro-Tour künftig als Bouygues Telecom teilnehmen. Die Teamphilosophie wird die gleiche bleiben. Man möchte weiterhin mit Franzosen arbeiten und junge Fahrer an die Weltspitze heranführen. Für die kommende Saison wurde Laurent Brochard verpflichtet, der das Team führen kann. Auch Fedrigo fand den Weg zum Team. Mainguenaud und Drancourt konnten reaktiviert werden. Dieses ist auch nötig, da das Team in der kommenden Saison alle drei großen Rundfahrten bestreiten muss. Es könnte sich negativ bemerkbar machen, dass das Team sehr viele jüngere Fahrer in seinen Reihen hat, die den Anforderungen von GTs noch nicht gewachsen scheinen. Zudem reißt der Weggang von Chavanel eine Lücke, die erst mal geschlossen werden muss. Neuer Hoffnungsträger soll Voeckler werden. Allerdings sollte man skeptisch bleiben, wenn man von ihm bei der nächsten Tour ähnliche Wunderdinge erwartet. 2004 hatte er Glück, dass er zu einer Fluchtgruppe gehörte, die sich einen komfortablen Vorsprung erarbeiten konnten, der zum guten Gesamtergebnis des Elsässers beitrug. Jetzt muss er zeigen, dass er auch noch über andere Attribute verfügt.
Auch Jerome Pineau gerät künftig stärker in den Fokus der Beobachter. Mal sehen, wie beide mit der wachsenden Belastung umgehen werden. --> Team 2005