<typohead type=2>Rund um den Henninger</typohead>
In Cesenatico fing alles an. Die MS Teils machten Werbung für den Henninger. Damals hätte ich eigentlich schon wissen müssen, worauf ich mich einlasse. Als definitive Bergziege (oder wie heißt das Tier mit dem Rüssel) war mir das Jedermann-Rennen "Rund" um den Henninger geradezu auf den Leib geschneidert.
Dienstag abend, 19 Uhr, Frankfurter Eisporthalle. Überschwengliche Stimmung auf der (von Birkel gesponsorten) Nudelparty: Ein Teller pro Teilnehmer gegen Gutschein, das sichert Reserven für den nächsten Tag. Das Team RSV Frohsinn Herxheim (Tussi, MS Teil, Torsten, Michelin-Männchen) beschließt zusammen mit dem größten Radsporttalent Deutschlands seit Jan Ullrich, in die exklusiv für C4F reservierte Äpplerkneipe umzuziehen. Dort angekommen, haben wir dann immerhin 90 min Zeit, Checker davon abzuhalten, irgendwelche Frankfurter Spezialitäten (Schäufelchen, Rippchen mit Kraut ...) zu sich zu nehmen, denn er soll ja morgen brillieren und die Ehre von C4F retten.
Kurz vor 10 ist dann auch der Rest von C4F da, doch die Selberfahrer müssen natürlich früh zu Bett. Immerhin stellt sich uns der eine oder andere vor, sodass wir jetzt Gesichter zuordnen können.
<typohead type=3> </typohead>
Der nächste Morgen - Dauerregen. Miesmutig mache ich mich auf den Weg zur Eissporthalle, miesmutig stehe ich am Start, miesmutig rollt das Feld Richtung Sachsenhausen, miesmutig stehen 700 Fahrer in einer Seitenstrasse und warten eine halbe Stunde. Einzige Ablenkung ist eine Anwohnerin, die doch tatsächlich vom Balkon aus versucht, die Blasenentleerung eines Radfahrers zu verhindern. Ein kurzes Lachen aus 700 Kehlen und sie verschwindet wieder von ihrem Balkon.
Dann rollen wir endlich zum Start, Startschuß, das Feld setzt sich in Bewgeung, der Sprecher ruft noch irgend etwas Motivierendes hinterher: "Sie wollen nicht mehr Radtouristiker genannt werden!" 16 km neutrale Fahrt - eigentlich genau das richtige Tempo für mich. Wir halten nochmal vor Höchst an, langsam steigt die Nervosität im Feld, es hört auf zu regnen, viele ziehen ihre Jacken aus.
Endlich, der erlösende Start.
Nach 500 m denke ich, ganz schön schnell.
Nach 2 km denke ich, ich spüre schon die Beine.
Nach 4 km frage ich mich, wann kommt der Blutgeschmack.
Nach 6 km denke ich nichts mehr.
Dann, ein Sturz in Hofheim, Fahrer, Räder, Tachometer, Müsliriegel liegen auf der Strasse. Ich schaffe es irgendwie, an dem Chaos vorbeizukommen, doch das Feld ist durch diesen Sturz schon extrem in die Länge gezogen. Ich versuche verzweifelt Anschluß an eine Gruppe vor mir zu halten, und finde auch immer mal wieder ein Hinterrad. Torsten überholt mich. Ich versuche sein Hinterrad zu halten. Wir kommen nach Eppstein, die erste kleine Steigung, im Kopf springt ein Schalter um, ich muß abreißen lassen. Ich gehe aus dem Sattel, kämpfe, sehe vor mir die Spitzengruppe von ca. 100 Fahrern. Ein 90kg-Kerl fährt von hinten auf und ruft: "Na, 65 kg trägst Du aber auch nicht gerade den Berg hinauf". Ich will etwas entgegnen, doch dazu fehlt mir die Luft. Wir wechseln uns ein wenig in der Führungsarbeit ab, doch als es dann nach Ehrhalten hinauf geht, lasse ich auch ihn ziehen.
Immer wieder überholen mich Fahrer, kurz vor Idstein höre ich hinter mir eine Frauenstimme: "Sebastian". Tussi fährt an mir vorbei. Das kommt genau zum richtigen Zeitpunkt - Neue Motivation. Ich versuche, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen, komme auf den flacheren Stücken auch wieder heran, überhole, werde dann wieder von ihr überholt. Kurz vor der Kuppe Idstein-Kröftel ruft diesmal eine Männerstimme: "Sebastian". Ein Altherrenradler mit ¾-Mercatonehose schießt an Tussi und mir vorbei und ruft: "Ich bin Rino". Der Versuch, wenigstens zurück zu winken, scheitert.
Weiter geht die Fahrt. Wir steuern auf die Bergwertung zu, Tussi vor mir mit 42-21, doch trotz 39-25 kann ich den Abstand verringern. Am Strassenrand ruft einer: "Noch 100 Meter". Ich gehe aus dem Sattel, komme um die Ecke und sehe ein Schild "Noch 500 Meter". Welch Motivationsschub! Immer mehr Leute stehen am Strassenrand, sie feuern uns an, noch ein paar Tritte, dann ist der Scheitelpunkt geschafft.
Auf dem große Blatt stürze ich mich in die Abfahrt und kann einen Mountainbiker, der mich am Anstieg gerade überholt hat, wieder distanzieren, 90-Grad-Kurve, im Stehen über eine Kurve, und weiter. An der Verpflegungsstation schaffe ich es doch tatsächlich mir aus voller Fahrt eine Banane zu greifen, doch leider vergesse ich das Kauen und die Banane wandert unzerkleinert in den Magen.
Dann steht sie vor uns: Die Mauer von Ruppertsheim. Vor mir fährt einer auf den Fußweg, ich mache es ihm nach, noch einmal auf den 23er, ich kann schon das Ende der Rampe erkennen und fliege wie eine Schnecke hinauf.
Tussi habe ich inzwischen verloren, 100 m vor mir sehe ich eine Zweiergruppe, ein Mann, eine Frau. Ich schaffe es, mich an diese Gruppe zu hängen. Rasante Fahrt durch Kelkheim, wir biegen auf die Hauptstrasse ein. Am Strassenrand sehe ich aus dem Augenwinkel bekannte Gesichter: Meine Familie - sie wollten mich überraschen - haben mich aber dann aber doch fast übersehen.
Die Dreiergruppe läuft gut. 200 m vor uns fährt eine 10er Gruppe. Ich sage den beiden: "Kommt, die holen wir". Belgischer Kreisel zu dritt, 150 m holen wir auf, dann platzt der Kreisel und die Frau fällt zurück, doch wir schaffen es, ruhen uns 2 min am Ende der Gruppe aus. Die Frau fährt doch noch auf.
Die 13er Gruppe beginnt zu laufen, vorne ein Typ Bergziege mit ordentlichem Tritt und blauem Trikot, danach gemischt. Ich versuche, mich weiter vorne einzuordnen, der Führungsfahrer schert aus, eine Frau in gelben Trikot übernimmt die Führung, doch schon kommt von hinten im Chor: "Du kannst doch keine Frau führen lassen", also in den Wind, an ihr vorbei und mich dann davor gespannt. Nach 1 km, wird es dann den anderen zu langsam, es beteiligen sich wieder mehr Fahrer an der Führungsarbeit.
Wir durchfliegen Liederbach, Höchst, Sossenheim, Rödelheim, am Nordwestzentrum fahren wir auf eine weitere 10er Gruppe auf, dabei auch der 90kg-Mann aus Eppstein. Gemaule: "Jetzt kommen wieder so Tempomacher". Inzwischen führen nur noch der Mann im blauen Trikot, die Frau im gelben Trikot und ich in schöner Abwechslung. Die Gruppe läuft nicht mehr rund.
Wir biegen auf die Miguelallee, sehen 300 m vor uns eine weitere Gruppe, doch außer mir scheint keiner mehr an die heranfahren zu wollen. Ich beginne, eine Ahnung davon zu bekommen, was es bedeutet, auf der Ebene aus einer Gruppe heraus zu flüchten - für mich nach 80 km unmöglich. Wir fliegen die Reuterallee hinab, an den Zwillingstürmen vorbei, biegen in die Taunusanlage ein, fahren Richtung Main. Ich male mir gerade aus, daß meine Ortskenntnis in Sachsenhausen doch eigentlich einen Vorteil vor dem Schlußanstieg verschaffen sollte. Wir überqueren den Main, ich will aus dem Sattel und nochmal versuchen, von der Gruppe wegzukommen, da sehe ich zu meinem Erschrecken, daß wir direkt nach der Brücke links abbiegen müssen. Vollbremsung, die Gruppe schießt links an mir vorbei und zerplatzt in 25 Einzelteile, denn vor uns liegen ca. 500 m Kopfsteinpflaster. Am Strassenrad zwei Fahrer mit Defekt, weiter, weiter, weiter, jetzt nicht aufgeben. Wir biegen rechts ab, eine kurze Gerade, dann der Schlußanstieg, ich habe wieder Anschluß an den Rest der Gruppe, doch zum Sprint reicht es nicht mehr. Das Ziel kommt näher - noch 300 m - noch 200 m - noch 100 m - hinter der Absperrung ruft die versammelte Familie - der Zielstrich.