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Operation Aderlass





Interview mit Kai Gräber, Staatsanwalt am Landgericht München II

Kai Gräber war der leitende Staatsanwalt im Verfahren gegen Arzt Mark Schmidt und einige seiner Helfer am Landgericht München II. Er leitete die Ermittlungen und vertrat die Anklage. Die Urteile erfolgten am 15.1.2021.

 

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte ein Interview mit ihm am 26.1.2021.Im Folgenden können einige einige Auszüge nachgelesen werden.

 



 

Mark S. ist vor dem Bundesgerichtshof in Revision gegangen gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 15. Januar, das vier Jahre und zehn Monate Haft sowie drei Jahre Berufsverbot umfasst. Wie wird die Staatsanwaltschaft reagieren?

Mit ein wenig Abstand dazu kann ich sagen, dass die Staatsanwaltschaft nicht in Revision gehen wird. ...

 

Sie haben ein umfangreiches Netzwerk von Mark S. aufdecken können, auch seine Arbeitsweise. Trotzdem behauptet sein Anwalt, im Verfahren sei die Chance vertan worden, tiefer in die Abgründe des Dopings zu schauen. Spielt er auf die fehlende Kronzeugenregelung im Anti-Doping-Gesetz (ADG) an?

Die Verteidigung hat immer im wieder behauptet, dass Doping systemimmanent sei im Sport. Aber sie ist jeden Beleg dafür schuldig geblieben. Die Zeugen, mit deren Angaben sie das belegen wollte, die Unterstützer und Lieferanten Nemec oder Atanasov, wie auch die früheren Athleten, Hondo oder Kollmann-Forstner, hatten nicht viel zu bieten. Frau Kollmann-Forstner etwa sprach von neun Athletinnen unter den Top Ten, die im Mountainbikesport gedopt seien. Wenn man die Zeugen jedoch konkret gefragt hat, ... kam nichts weiter dazu. ... Mark S. hat insoweit nicht zur Erhellung beigetragen. Obwohl er es offenbar gekonnt hätte. Es gibt eine Nachricht auf seinem Handy, aus der man schließen kann, dass man sich unter mehreren Ärzten verständigt hätte, weil ein bestimmtes Doping-Mittel in den Kontrolllaboren nachgewiesen werden konnte, und auf Grund des gemeinsamen Gesprächs übereingekommen war, dieses Doping-Mittel nicht weiter zu verwenden und die Information zu verbreiten. Aber auf ausdrückliche Frage hat er die Ärzte nicht benannt, mit denen er kommuniziert haben will.

 

Hätte eine Kronzeugenregelung, im ADG fehlt sie, weitergeholfen?

Der ganze Komplex der Operation Aderlass ist auf die Angaben des früheren Skilangläufers Johannes Dürr zurückzuführen, der deshalb kein Kronzeuge ist, weil er sich keiner Strafbarkeit ausgesetzt hat. Er hat über das Doping in 2013, 2014 berichtet, also zu einer Zeit, als Doping für ihn als Sportler nicht strafbar war. Eine Kronzeugenregelung halten wir aber dennoch für unverzichtbar. Es gab etliche Sportler, die vernommen worden sind oder hätten vernommen werden sollen. ...

 

Haben Sie einen Lernprozess feststellen können bei Mark S. im Laufe des Prozesses?

... Ich habe eher eine Persönlichkeit wahrgenommen, die mehrmals früher mit dem Blutdoping hätte aufhören können und mehrmals Warnsignale in den Wind geschlagen hat. Etwa im Februar 2014, als Johannes Dürr im Rahmen der Olympischen Spiele positiv auf Epo getestet worden ist. Das Epo stammte zwar nicht von Mark S., aber Johannes Dürr war zu dieser Zeit auch sein Blutdoping-Patient. ... Ein Jahr später, 2015, wurde Mark S. in Erfurt als Beschuldigter vernommen, im Rechtshilfeweg auf Ersuchen der österreichischen Behörden. Weil auf dem Handy von Dürr eine Kommunikation zwischen ihm und Mark S. festgestellt werden konnte, die sehr konspirativ auf Treffen, unter anderem in Oberhof auf einem Parkplatz, hingedeutet hat. Damals wurde Mark S. übrigens von seinem Vater verteidigt, der ja auch Angeklagter unseres Verfahrens war. Auch damals hätte er sagen können: Jetzt ist Schluss mit der Geschichte. ...

Und nach dem ARD-Beitrag am 17. Januar 2019 über den Skilangläufer Dürr hätten beim Hauptangeklagten Alarmglocken schrillen müssen. Er hat dann zwar ein bisschen Unterlagen geschreddert, und er hat die Blutbeutel, die Dürr zuzuordnen waren, vernichtet. Aber die anderen Blutbeutel, die sich in demselben Kühlschrank befunden haben, hat er weiterhin aufbewahrt, entscheidet sich also bewusst, mit den anderen Sportlern weiterzumachen.

... Ich habe eine Distanzierung nicht wahrgenommen. Das Gericht hat ja auch bei der Frage des Berufsverbotes die Wiederholungsgefahr bejaht, mit genau dieser Argumentation: Das Berufsverbot ist nötig, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass er sich von ähnlichen deliktischen Handlungen distanziert hat und nicht weitermachen wird.

 

Mark S. und die Beteiligten sind mit einer enormen Dreistigkeit vorgegangen. Der Blutaustausch auf dem Parkplatz, an der Autobahnraststätte – das ist nicht so professionell konspirativ, wie man das erwarten könnte in einer Szene, die seit vielen Jahren unter Beobachtung steht. Ist die Gefahr für diese Leute nicht groß genug, enttarnt zu werden?

Was den Hauptangeklagten betrifft, so hat dieses Verhalten meines Erachtens mit seiner Vorstellung von sich als Arzt zu tun. Die Ereignisse 2014 und 2015 und 2019 deuten auf ein Gefühl der Unangreifbarkeit bei Mark S. hin: „Ich bin davongekommen, ich komme immer wieder davon.“ ...

 

Warum gehen Athleten so hohe Risiken ein, etwa auf der Autobahnraststätte oder auf dem Rücksitz eines Autos einen Blutaustausch vornehmen zu lassen?

Man fragt sich schon, warum sich Sportler Blutbehandlungen angedeihen lassen, wenn sie wissen, dass der, der da kommt, gar keine medizinische Ausbildung hat. Da kommt ein Hausmeister, ein Jurist a. D. (Vater von Mark S./d. Red.), der dann die Venen verunstaltet. Aber in nahezu allen Fällen haben die Athleten ausgesagt, dass sie diesen Personen vertraut haben. Wenn für sie die Einstichstelle um die Ellenbeuge steril war, war alles gut. ...

 

Erstaunlich, wie das angeblich so engmaschige Anti-Doping-Netz solche Dreistigkeit erlaubt.

Die Doper haben die Gegebenheiten vor Ort mit einer erheblichen kriminellen Energie ausgenutzt. Die Zwei-Stunden-Grenze nach dem Wettkampf für Doping-Kontrollen, in der man zugunsten der Athleten aus gesundheitlichen Gründen sagt, dass sie da runterkommen, regenerieren sollen, öffnete der Manipulation eine Chance. (Die Lücke im Fall von Bluttests ist laut Anti-Doping-Regeln beseitigt/d. Red.) ... Was die Athleten nicht gesehen haben: Mark S. hat immer gesagt, er will ein besseres Doping bieten als das, was es ansonsten gebe. ...

 

Sie haben viel erlebt bei der Fahndung nach Dopern im Spitzensport. Hat Sie etwas überrascht, verwundert im Laufe der „Operation Aderlass“?

Als wir das Verfahren begannen, hatten wir nur Informationen über Verstöße aus dem Jahr 2013, 2014. Das lag weit vor Inkrafttreten des Anti-Doping-Gesetzes Ende 2015. Wenn diese Fälle an der Verjährungsgrenze kratzen, dann ist man trotz aller Professionalität unsicher, was daraus entstehen kann. Ich dachte mir, das ist fünf, sechs Jahre her, die werden mit dem Doping inzwischen aufgehört haben. Aber dann wurden wir schon während der ersten Maßnahmen hellhörig: „Die machen ja heute noch was.“ Dass wir innerhalb von sechs Wochen nach Einleitung des Verfahrens bei der Weltmeisterschaft in Seefeld zugreifen konnten, war nicht zu erwarten. Ich habe aber auch bedrückende Momente erlebt.

 

Welche?

Die Situation im Apartment in Seefeld im Moment unseres Zugriffs. Zu sehen, wie der Skilangläufer Max Hauke an der Nadel hing, mit seinem Blutbeutel am Arm. ...

Schockierend fand ich den Fall Kollmann-Forstner. Der Arzt Mark S., der sich dem hippokratischen Eid verpflichtet hat, hat dieser Athletin ein Präparat verabreicht, das ausdrücklich für „Research and Development“ also für Forschung und Entwicklung vorbehalten war. Das fand ich schockierend und entlarvend. S. hat während des Prozesses immer wieder von seiner Liebe zum Sport gesprochen. Dabei hat er in Gegenwart des Mannes der Sportlerin gesagt, falls dieses Präparat funktioniere, dann sei „es der Tod des Sports“.

 

Mark S. hat Athleten gedopt, die teils zur zweiten, dritten Leistungsgruppe im Spitzensport gehören. Schließen Sie daraus, dass in der ersten Klasse, wo es um große Siege und Einnahmen geht, noch intensiver manipuliert wird?

Nein, das Verfahren lässt diesen Schluss nicht zu. S. hat in früherer Zeit auch Topathleten wie die Radprofis Petacci und Hondo betreut. Johannes Dürr, der als Jahrhunderttalent galt, gehörte zum Kreis der Doper, die mit der Operation Aderlass erfasst wurden. Warum er sich auch auf Doping mit zweitklassigen Sportlern, die auf den Plätzen 50 bis 60 landeten, eingelassen hat, ist verwunderlich. Es zeigt aber, dass es auch hier nicht um die von S. behauptete Liebe zum Sport gegangen sein kann. Dieses Verhalten deutet eher auf ein finanzielles Interesse als Teil der Motivation hin.

 

Dopende deutsche Ärzte sind, selbst wenn sie überführt wurden, so gut wie nie von ihren Standesorganisationen zur Rechenschaft gezogen, geschweige denn bestraft worden. Müsste die Landesärztekammer Thüringen im Fall S. aktiv werden?

Das halte ich für zwingend. Die Approbationsbehörden müssen aus meiner Sicht entsprechende Maßnahmen prüfen.

 

Bevor das Anti-Doping-Gesetz 2015 in Kraft trat, gab es viel Kritik daran, vor allem aus dem organisierten Sport. Ist sie widerlegt durch den Prozess?

Ich glaube, dass mit dem Ergebnis des Verfahrens die Kritik verstummt ist. Sie bezog sich unter anderem auf das Nebeneinander von Sportgerichtsbarkeit und Strafgerichtsbarkeit. Wieso soll jemand, der sportgerichtlich bereits sanktioniert wurde, nochmals zur Rechenschaft gezogen werden? Das Anti-Doping-Gesetz hat sich auch in dieser Frage bewährt. Man hat mit dem Signal, das 2015 gesendet wurde, insbesondere der Anhebung des besonders schweren Falls zum Verbrechen mit entsprechender Auswirkung auf die Verjährungsregelung und der ausdrücklichen Erwähnung von verbotenen Methoden, einen großen Beitrag geleistet dafür, dass dieses Verfahren möglich geworden ist.

 

Studien belegen, dass es zwischen der verschwindend geringen Zahl positiv getesteter Athleten und der Doping-Dunkelziffer eine enorme Diskrepanz gibt. Es gibt selbst bei vorsichtiger Schätzung potentiellen Spielraum für weitere Verfahren. Was muss geschehen, dass es dazu kommt?

Es wäre hilfreich, wenn der Sport, die Verbände, jeder, der etwas erfährt, darüber nachdenkt, ob er Informationen an uns preisgibt. ...

 

In ganz Deutschland gibt es drei Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften Doping. Reicht das?

Es gibt drei in drei Bundesländern (in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz/d. Red.). Ich würde es begrüßen, wenn jedes Bundesland eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft Doping einrichtete. Dann ist eine Spezialisierung möglich. Sie ist nötig, um medizinische, pharmazeutische und andere Aspekte zu erfassen, sie gäbe Spielraum, verdeckte Ermittlungen zu organisieren. Dass es zehn Jahre gedauert hat, bis ein durchschlagendes Verfahren möglich war, lag in diesem Fall aber nicht an einer fehlenden Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft, sondern an der Informationsgewinnung. Ohne Hinweise aus der Szene kann man zwar gute Arbeit bei der Bekämpfung von Doping im Fitness- und Kraftsport leisten, aber das funktioniert im Spitzensport nicht.

 

Das Gespräch führten Christoph Becker und Anno Hecker.

 

 

 


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