27. September 2014An alle, die den Wettkampfsport und sich selber noch ernst nehmen!
Eine kleine zufällige Auslese der letzten 8 Wochen über Sport!
Wo sind wir eigentlich? Reichen Doping und Korruption nicht? Was sagen die Parteien, die Medaillenzähler und die Sportethiker (..noch immer nicht im Grundgesetz!...) dazu?
Ich glaube, langsam reicht nicht nur das Material aus, es reicht überhaupt!
ohne Worte!
Hansjörg Kofink 28.9.2014 25. September 2014
Der folgende Text aus Unterlagen von 2013 ist ein Beleg für deutsche Sportgeschichte en famille.
21. August 2014Botschaft per Siegerehrung?
Die wohl spektakulärste Message per Siegerehrung dürfte der Black Power Salute der 200-Sprinter bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko gewesen sein. Auch eine Botschaft, vor allem an die Offiziellen der Leichtathletik-EM im Züricher Letzigrund, war das Abrücken des neuen Europameisters über 3000m Hindernis Yoann Kowal vom drittplatzierten Spanier Ángel Mullera nach der Ehrung; der spanische Verband hatte Protest wegen der wenig sportlichen barbusigen Jubelpose des eigentlichen Siegers Mahiedine Mekhissi-Benabbad eingelegt.
Was aber ist die Botschaft, wenn Werner Günthör(* 1. Juni 1961) den Kugelstoßerinnen um Christina Schwanitz die EM-Medaillen 2014 überreicht? Die ZDF-Sprecher stellte ihn als Weltklasse-Kugelstoßer aus den 80er Jahren vor (1).
Günthör (BL 22,75/1988), Fünfter(!) der ewigen Weltrangliste, dreimaliger Weltmeister (1987, 1991, 1993) Europameister (1986) und Bronzemedaillengewinner in Seoul (1988) war Anlass und ein wesentliches Thema der im September 1992 durch die informelle Arbeitsgruppe „Sport Schweiz“ eingesetzten Doping-Untersuchungskommission. Nach Ansicht der drei Mitglieder der DUK, Prof. Dr. med. Max Hess, Bern (Vorsitz), Dr. jur. Hans Bodmer, Zürich und PD Dr. Med. Gérald Theintz, Genf, verstieß die „therapeutische“ Verabreichung von Anabolika vor 1989 gegen die damals gültigen nationalen und internationalen Bestimmungen, da diese keinerlei Ausnahmegenehmigungen hinsichtlich der Verabreichung der verbotenen Substanzen vorsahen. Dr. Segesser, Günthörs Arzt, hatte in den Jahren 1984 bis 1988 drei- bis viermal Anabolika-Behandlungen verordnet.
Günthör arbeitet heute zu 50% beim Bundesamt für Sport (BASPO) und berät Spitzensportler beim Training oder in der Laufbahnplanung, so auch Valerie Adams (NZ), die derzeit weltbeste Kugelstoßerin.
Christina Schwanitz (* 24. Dezember 1985) (BL 20,41/2013), Fünfzigste(!) der ewigen Weltrangliste, forderte 2013 eine ‚lebenslange Sperre für alle Doping-Sünder‘ (SZ 25.05.2013). Im Juni 2013 beim Diamond-League-Meeting gewann sie das Kugelstoßen mit 20,10m vor ihrer Teamkollegin Nadine Kleinert (18,17) in einem Wettkampf, bei dem nur fünf der geforderten acht Teilnehmerinnen antraten – Fünfte Kristin Sundsteigen (NOR) mit 14,48m. Die beiden Deutschen rügten die Veranstalter wegen der dürftigen Besetzung des Wettkampfes: Das ist ein Armutszeugnis. FAZ-Kommentar „Ausgekugelt“: Wenn keiner mehr Kugelstoßen Frauen sehen will, wollen irgendwann auch keine Frauen mehr Kugeln stoßen. (14.06.2013) „Ohne Bundeswehr bekäme ich Hartz IV“ ließ sich Schwanitz im April 2014 vernehmen (2). Im Monat zuvor diskutierte sie ihre Situation im Deutschlandfunk unter dem Thema Druck, Doping, Depressionen mit Kollegen unter dem Eindruck der Studie der Sporthilfe.
Christinas Weg im Spitzensport wurde Ende 2009, als sie ihren Heimatverein Neckarsulm verließ, in der Regionalpresse ausführlich beleuchtet (3). Daraus lässt sich Exemplarisches für die Situation des Spitzensports in der deutschen Leichtathletik ablesen.
Was war die Botschaft dieser Siegerehrung? Kann man Zukunft schaffen, wenn man Vergangenheit ausblendet? Die Rekorde der 80er Jahre werden immer von dieser Vergangenheit berichten.
In Deutschland liegen die Ergebnisse von ‚Doping-Studien‘ auf dem Tisch, die Sportinstitution und Staat als die entscheidend Verantwortlichen für den Doping-Betrug nach dem Zweiten Weltkrieg in unserem Land ausgemacht haben. Bis heute gibt es keine Reaktion der beiden Verantwortlichen.
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5. August 2014Manchmal braucht es einen kleinen Anstoß, um Bekanntes in neuem Licht erscheinen zu lassen. Das Vergehen von Zeit etwa, das Abtauchen in die Historie. Die Frankfurter Rundschau erinnert im aktuellen Kalenderblatt für den 5. August 2014:
Vor einem Jahr exakt schwappte ein Tsunami ‚Doping in Deutschland‘ in die bundesdeutsche Urlaubszeit, ausgelöst von zwei regionalen Zeitungen, die das monatelange Gezerfe über die Halbmillionen-Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ satt hatten und sich im Bundesarchiv selbst schlau machten. Doping war drei Monate lang ein Thema wie einst zur Vereinigung Anfang der 90er Jahre.
Postwendend berief der DOSB eine Experten-Kommission ein, um wieder auf Kurs zu kommen. Sechs Experten unter dem kommissionserprobten Verfassungsrichter a.D. Steiner erstellten in fünf Sitzungen unter Anhörung weiterer Experten einen Bericht als Beratungsmaterial für den DOSB in der Causa ‚Dopingstudie‘.
Zu Beginn der Fußball-WM im Juni dieses Jahres ging das Ergebnis dieser Expertenarbeit, ein 74seitiger Bericht, in der Öffentlichkeit aus gegebenem Anlass etwas unter.
Wenn nun die FR ein Jahr nach dem Doping-Tsunami in Deutschland per Kalenderblatt an eine klitzekleine Kleinigkeit aus einer vom BISp veröffentlichten ‚Doping-Studie‘ erinnert, dann wird sonnenklar, dass ‚Doping in Deutschland‘, dass die ganze Halbmillionen-Studie Geschichte, Vergangenheit sind. Alles ist abgelegt im Aktenschrank der Sportgeschichte.
Ist auch besser so, denn welchen Honig will der DOSB aus solchen Kernsätzen des Kommissionsbericht saugen?
Die Frankfurter Rundschau liegt mit ihrem Kalenderblatt vom 5. August 2014 schon richtig. Hansjörg Kofink 5.8.14
23. Februar 2014Olympia - ein deutsches Desaster ?
So titelt die FAS, allerdings ohne Fragezeichen. Warum eigentlich, und warum nicht ein Desaster für die Bundeswehr, schließlich sind unter den 153 deutschen Sportlern in Sotchi 75 Sportsoldatinnen und Soldaten? Das zielt unmittelbar auf die zentrale Frage, wieviel Staat, wieviel Bundesrepublik Deutschland stecken im deutschen Hochleistungssport? Sind Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften Angelegenheit des Staates?
Der deutsche Staat bezahlt den Hochleistungssport. Und die Bezahlung erfolgt nach Leistung: Geld für Medaillen. Die Vereinbarungen dazu zwischen der autonomen Sportinstitution und dem Bundesministerium des Innern waren bis vor kurzem geheim. Durch richterliches Urteil öffentlich geworden sind sie nun auch nach Sotchi eine Lachnummer. Sport und Staat legen für die Geldleistungen nach der Prognose eine „sportliche“ Bilanz vor, die keiner Prüfung standhält. Und der Steuerzahler zahlt.
Wer ist für dieses Desaster verantwortlich?
Seit 1952, den ersten Olympischen Spielen, an denen die Bundesrepublik Deutschland wieder teilnehmen durfte - im Gegensatz zur DDR - bezahlt der Staat die Teilnahme an solchen Veranstaltungen. Der Partner im Sport war damals das Nationale Olympische Komitee für Deutschland, das 2006 in den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) eingegliedert wurde. Die Zusammenarbeit mit den Verbänden und dem zuständigen Bundesministerium oblag seit dem 28. Januar 1965, dem Tag der Gründung des „Bundesausschusses zur Förderung des Leistungssports“, dem Deutschen Sportbund.
Das Geld kam vom Staat, der Sport war über seine Gremien verantwortlich für die Entsendungen.
Diese Konstellation wurde ab 1956, dem Beginn der „gemeinsamen“ deutschen Mannschaften bei Weltsportereignissen, noch mehr ab 1966 als München vom IOC zum Austragungsort der OS 1972 gewählt worden war, mit dem ‚Kalten Krieg‘ konfrontiert. Dem staatlichen Auftrag der DDR, durch sportliche Höchstleistung der Welt die Überlegenheit des sozialistischen Systems zu demonstrieren, sahen sich Staat und Sport in der BRD ideenlos ausgesetzt. Deswegen ließen sie sich darauf ein.
Was daraus wurde, belegt trotz wissenschaftlicher Bearbeitung das bis heute offene Kapitel ‚Doping in Deutschland‘. Die Vereinigung des deutschen Sports 1990 war auch eine Vereinigung von Doping Ost und Doping West. Doping in der Bundesrepublik wurde lange als Einzeltäterphänomen abgetan. Die einzigartige Möglichkeit am Ende des ‚Kalten Krieges‘ mit der gemeinsamen Dopingvergangenheit zu brechen, wurde aus Scham und Furcht vor der Vergangenheit und aus Gier nach zukünftigen Erfolgen, die sich im Sport immer mehr finanziell auszahlten, schmählich vertan.
Die autonome Sportorganisation und eine zunehmend an Sporterfolgen partizipierende Politik setzten die Dopinggeschichte des deutschen Sports mit spektakulären Fällen fort.
Was bewegt die Politik der Bundesrepublik Deutschland in Sporterfolgen eigene Erfolge zu sehen? Verbessern Olympiasieger und Weltmeisterinnen die Situation des deutschen Staates? Seit Doping und Spitzensport wie Topf und Deckel aufeinanderpassen, ist Glaubwürdigkeit und Vorbildwirkung weg. Die Nachwuchszahlen im deutschen Sport zeigen das deutlich.
Wenn deutsche Politiker der Meinung sind, dass herausragende Leistungen deutscher Sportler eine Präsentation unseres Staates sind, müssten sie sich auch Gedanken zur Zukunft dieser Repräsentanten nach dem Sport machen. Sind Bundeswehr, Polizei und Zoll die Perspektiven, die den Spitzensport repräsentieren. Ist für die Darstellung unseres Landes nicht das Auswärtige Amt zuständig? Was spricht gegen eintausend Stellen beim AA, die gleichzeitig mit Ausbildungen verbunden sind, die nach der aktiven Zeit vielfältige berufliche Möglichkeiten zulassen? Würden solche Stellen und ihre Perspektiven sowohl die Inhaber wie auch den Arbeitgeber nicht politisch überzeugender legitimieren für die Darstellung des deutschen Hochleistungssports in der Welt als das wenig schmeichelhafte ‚Beamtensportler‘, das uns unsere Nachbarn verpassten?
Kann die Riesenorganisation des DOSB, die föderal und nach Sportarten auf mehreren Ebenen organisiert ist und die im Wettkampfbereich von der Kreisklasse bis zur Weltklasse mit dem gleichen Instrumentarium, aber für jede Sportart unterschiedlich agiert, dafür garantieren, dass sportliche Vergleichbarkeit herrscht? Wer entscheidet Akkreditierungen von Heimtrainern, Ehemännern, Mentaltrainern und sonstigem Personal? Braucht die Nachwuchsarbeit für den Spitzensport eine breite Basis oder Eliteschulen des Sports (EdS)? Letztere sind in der BRD sehr ungleich verteilt. Ihre Finanzierung (Länderfinanzausgleich!) und die der Olympiastützpunkte sind Mischfinanzierungen. Von wem und nach welchen Kriterien werden dort Konflikte der autonomen Fachverbände austariert? Wie geht man mit wissenschaftlicher Kritik an den EdS um?
Es gab dort positive Dopingfälle in den letzten Jahren, von denen auch Minderjährige betroffen waren. Wer ist zuständig, der Fachverband, der DOSB und/oder das Kultusministerium?
Es ist hohe Zeit, dass die autonome Sportorganisation auf allen Ebenen ihrer hohen Verantwortung nachkommt. Denn es gibt nicht nur den Spitzensport, dessen Renommee, nicht zuletzt seiner sich selbst kontrollierenden Funktionäre wegen, erheblich gelitten hat. Vielfalt und Breite brauchen Ehrenamt und Geld, Spitzensport braucht Geld, doch Ehre tut auch ihm gut. Vor über 40 Jahren war ich als Schul-Verbandsvertreter daran beteiligt, dass aus den schulischen Leibesübungen Schulsport wurde. Damals erhofften wir uns durch München 72 einen Schub für dieses Fach. Die Entwicklung bis heute, vor allem meine ‚Lehrzeit‘ als Bundestrainer Kugelstoßen Frauen für München 1972, lassen mich heute diese Entscheidung bedauern.
Der Schulsport leidet, der Spitzensport betrügt sich und sein Umfeld und die Politik hilft mit.
Hansjörg Kofink 23. Februar 2014
Januar 2014Generalverdacht – WARUM?
Es gibt heute in Deutschland einige Tausend Spitzenathlet(inn)en in Ost und West, die zwischen 1960 und 1990 nicht gedopt haben und vielleicht deshalb nicht im Rampenlicht standen. Aber auch sie stehen heute unter Generalverdacht wie der gesamte Hochleistungssport insgesamt. [1]
Gedopt haben seit 1960 wahrscheinlich viele Tausende von Spitzensportlern in beiden Deutschlands. Dazu bekannt haben sich nur wenige; wenn man das Doping-fordernde oder –unterstützende Umfeld hinzunimmt, dann sind es wahrscheinlich weit über 10.000, die Insider waren. Sie sind heute, zwischen 90 und 40 Jahre alt, geachtete Bürger der Bundesrepublik, die Anteil an diesem Staat haben und seinen Weg mitbestimmen: Wie gehen sie mit ihrer Dopingvergangenheit um? Kann man ideellen Betrug aussitzen? Verjährt er?
Was sagen wir jungen Athlet(inn)en, die heute im Wettkampf stehen und gewinnen wollen? Sie verdanken den Generalverdacht ihres Sports dem Betrug ihrer „erfolgreichen“ Kolleg(inn)en der letzten 50 Jahre und ihrem Umfeld, den verantwortlichen Funktionären, Ärzten und Politikern, aber auch Eltern.
Generalverdacht entsteht immer dann, wenn Vergangenheit nicht bewältigt sondern vertuscht wird. Er trifft alle, Athleten, Funktionäre, den Wettkampfsport, aber auch die Politik und eine Ärzteschaft, die ‚Substitution‘ und das ‚Therapiefenster‘ als Beitrag zur Dopingbekämpfung ins Spiel gebracht hat. Sie trifft den gesamten Hochleistungssport der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Ist der Unterschied zwischen unterstützenden Mitteln (= u.M.) und Substitution nur ein sprachlicher?
Das bis heute gültige Auswahlkriterium ‚Endkampfchance‘ für die deutsche Beschickung von internationalen Meisterschaften ist kein sportliches sondern ein politisches Wettkampfkriterium, von dem die staatliche Förderung abhängt. Eine staatliche Förderung und Bezuschussung unter dieser Prämisse ermuntert Athlet(inn)en zum Betrug, zu Doping. Sie macht aus Sportärzten Komplizen, nimmt Sportverbänden ihre Autonomie und missbraucht den Hochleistungssport als staatliches Repräsentationsprodukt: Wäre es da nicht kostengünstiger und effizienter, der Staat übernähme und überwachte den Hochleistungssport, d.h. die Spitzenathlet(inn)en, das notwendige Umfeld mit Training, Medizin und Planung, die gegenwärtige und die spätere (Alters)Versorgung dieser gesamten Institution ebenso wie ihren Auf- und Ausbau. Die Umwege über Fachverbände, Dachverbände, NOK, Sporthilfe entfielen, ebenso wie Pseudostellen bei Bundeswehr, Polizei und Zoll?
Lässt diese kritische Zusammenfassung der Halbmillionen-Studie einen anderen Schluss zu?
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[1] Leichtathletik: Ich habe nie gedopt, und fühle mich verdächtigt zeitonline 22. August 2013 [2] Dopingskandale in der alten Bundesrepublik, Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen. bpb 30.05.12, Deutschland-Archiv
6. Januar 2014Zum neuen Jahr, Helmut Digel
„Verlorener Kampf“ (1) bilanziert einmal wieder Sporterfahrungen des letzten halben Jahrhunderts. DIE WELT zum Jahreswechsel: „Deutschlands größter Mahner kapituliert im Antidopingkampf“
Es lohnt sich, die Stationen des Antidopingkämpfers Digel näher zu betrachten. Helmut Digel hatte das Privileg die Dopingprobleme des (west)deutschen Sports nicht nur aus der Presse zu erfahren. Als Mitglied und Zuarbeiter der DSB-Kommission, die nach den OS 1976 eingerichtet worden war, um die durch die ‚Kolbespritze‘ und ‚aufgeblasene Därme‘ aufgeschreckte Öffentlichkeit zu beruhigen, erfuhr er aus erster Hand und „vertraulich“ wie bereits damals die Dopingszene der BRD aussah. "1976 war ich geschockt von dem, was in manchen Sportarten üblich war. Gravierend war es im Gewichtheben, im Schwimmen, in der Leichtathletik und im Radsport. Für die Leichtathletik fanden wir immer mehr Zeugen, die von Doping bis in Leistungsklassen berichteten, in denen man nicht einmal an deutschen Meisterschaften teilnahm." (FAZ 21.11.2012)
Vor 1976 hat er nach eigenen Aussagen davon nichts wahrgenommen. Bild vom 2. Juni 1976:
Mit diesem Wissen war er zur Zeit der Vereinigung eine der Lichtgestalten des deutschen Sports. Das belegen viele seiner Presseartikel,
aber auch ein satirisch-bissiger Essays aus dem Jahr 1992:
Mit diesen Voraussetzungen war er prädestiniert dem wiedervereinten Sport neue Orientierung zugeben, was augenblicklich in Buchform geschah:
Dass ausgerechnet dieses Buch die einzige 80m-Speerwerferin der Welt zierte, Petra Felke, war die Schuld des Verlags: er besaß die Rechte für dieses Bild!
Dass ein „neuer Hochleistungssport auf ethischer Grundlage“ machbar sei, war Digels Credo, und das machte ihn zum neuen Medienstar der Sportwissenschaft. 1993 ließ er sich als Newcomer ohne Stallgeruch zum Präsidenten des auf dem Tiefstand seiner Geschichte angekommenen Deutschen Leichtathletikverbandes wählen, ein „sozialer Aufsteiger, und das sind wohl die meisten Sportfunktionäre (für mich trifft dies zumindest zu), wie er in den Römischen Zeiten schreibt. „Was treibt diesen Menschen zu solch scheinbar unsinniger Tat, wenn es nicht nur Karriere, der unaufhaltsame soziale Aufstieg ist?" Kommentar von Josef-Otto Freudenreich, einem der kritischsten Sportjournalisten jener Tage (StZ ‚Der geschmeidige Rebell‘ 26.4.93)!
Bereits im Juli gab der neue DLV-Präsident der Zeitschrift ‚Die Woche’ (8.7.93) ein Interview über Medien, Spitzensportfunktionäre und Doping. Zuvor hatte er ernsthaft erwogen, sich zusätzlich um die Nachfolge Hans Hansens als DSB-Präsident zu bewerben. Zitate daraus:
In der Rolle des pragmatischen Spitzenfunktionärs – auch von Eitelkeit ist in diesem beachtlichen Interview die Rede – versuchte Digel die Vergangenheit des deutschen Spitzensports mit seiner Zukunft zu verbinden. – Mit diesen Folgen:
Bei den EM 1998 in Budapest ließen sich die Athleten Stephane Franke und Damian Kallabis von DLV-Ärzten den Blutplasma-Expander HES spritzen lassen. Dabei kam heraus, dass Franke sich bereits bei der WM 1995 in Göteborg HES vom damaligen DLV-Chefarzt Prof. Kindermann spritzen ließ. Obwohl damals nicht verboten stand ein Verfahren wegen Medikamentenmissbrauchs im DLV-Präsidium zur Diskussion. HES ist ein wichtiges Mittel, um die Fließeigenschaften des Blutes zu verbessern; natürlich auch beim Gebrauch von EPO.
Am 31. Juli 1998 schrieb DLV-Präsident Digel einen Artikel in der FAZ zur Festina-Affäre bei der Tour de France über den Einsatz der französischen Polizei. „…In Deutschland wäre dies derzeit wohl nicht denkbar. Ansonsten war und ist alles bekannt gewesen: Anabolikadoping, Blutdoping, Epo-Doping. Im Radsport, und nicht nur in dieser olympischen Sportart, haben einige Funktionäre viele Jahre großzügig darüber hinweg gesehen. … ! (FAZ 31. Juli 1998 ‚Das Ärgerlichste ist die hoffnungslose Suche nach Opfern und Tätern‘)
Wer könnte auf die Idee kommen, dass HES beim DLV und EPO bei der Tour de France etwas miteinander zu tun haben könnten? Honni soit qui mal y pense! Die Wiedereinstellung von Skandaltrainer Thomas Springstein (sid) 1999, die nur zufällig öffentlich wurde und offenbar auf einstimmigem Beschluss des DLV-Präsidiums beruhte, nahm keine Kenntnis von der Vernehmung der ehemaligen Sprinterin Frauke Tuttas 1997. Sie gab der Berliner Staatsanwaltschaft zu Protokoll, dass sie als Sechzehnjährige von Springstein mit Oral-Turinabol gedopt worden sei, ein Vorgang, der nicht nur sportrechtlich und auch in der DDR strafbar war.
Alle Präsidentenwechsel im Deutschen Leichtathletik Verband seit 1989 haben immer mit Doping zu tun gehabt. Eberhard Munzert wurde 1988 aus dem Amt gemobbt, weil er Konsequenzen aus dem tödlichen Dopingfall Birgit Dressel einforderte und durchsetzte. Sein Nachfolger, der langjährige BAL-Chef Helmut Meyer – ‚Leistungs-Meyer‘ – stolperte über den ersten spektakulären Dopingfall nach der Vereinigung Thomas Springstein mit seinen Sprinterinnen, einmal mit identischen Urinproben und zum anderen mit dem Kälbermastmittel Clenbuterol. Helmut Digel, der staatsanwaltliche Protokolle aus dem ZERV-Prozess ignorierte und deshalb 1999 Springstein ‚resozialisierte‘, verfing sich noch im gleichen Jahr in der Zahnpasta-Affäre des Dieter Baumann.
Clemens Prokop erlebte 2002 Thomas Springstein zunächst als ‚Trainer des Jahres‘, dann 2006 als geständigen Minderjährigen-Doper, weil damit alle weitergehenden Untersuchungen entfielen, so der Deal mit dem Amtsgericht Magdeburg. Prokop sah in dem ihm seit 2004 bekannten ‚Fall Elbe‘ keine Möglichkeit für ein eigenes sportrechtliches Vorgehen: "Die Verfahrensherrschaft liegt bei den Justizbehörden. Wir können jetzt nur abwarten, wie sich die Beweislage entwickelt." 20. März 2006 Das Amtsgericht Magdeburg hat den Leichtathletiktrainer Thomas Springstein wegen Dopings der minderjährigen Hürdensprinterin Anne-Kathrin Elbe am Montag zu einem Jahr und vier Monaten Haft verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Oberstaatsanwalt Wolfram Klein hatte, bevor er auf eine Haftstrafe von 18 Monaten plädierte, die Einstellung des Verfahrens in sieben weiteren Fällen beantragt sowie die Einstellung von Ermittlungen in weiteren Dopingfällen versprochen. Der Trainer werde lediglich für eine einzige Tat - die Weitergabe des Testosteronproduktes Andriol an die damals 16 Jahre alte Leichtathletin Anne-Kathrin Elbe im Trainingslager in Zinnowitz - belangt, sagte Anklagevertreter Klein. „Aber das ist die absolute Spitze eines Eisberges”, fuhr er fort. „Der Angeklagte ist im wahrsten Sinne des Wortes als Dopingmitteldealer aufgetreten, und zwar über einen längeren Zeitraum.” (FAZ, 21.3.2006
Die Geschichte des Dopingbetruges und des Antidopingkampfes hat Wissenschaft, Sportpolitik und die Organisation des ‚freien Sports’ in Deutschland nie interessiert, außer wenn es galt öffentlich gewordenes Ungemach zu beseitigen.
Hansjörg Kofink, Digel zum Siebzigsten, 6. Januar 2014
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(1) Helmut Digel, Verlorener Kampf, Dezember 2013
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