Ist dieses Verfahren gerechter für Fahrer, die den Grenzwert von Natur aus überschreiten? Man kann die Grenzwerte individuell festlegen. Im klinischen Alltag überschreiten bis zu zehn Prozent der Patienten das Limit von fünfzig Prozent. Bei Ausdauersportlern fällt der Wert, weil durch das Training das Blutplasma zunimmt. Fünfzig Prozent ist dennoch eine relativ strenge Grenze, so daß es Fahrer gibt, die sie überschreiten können und sich deshalb regelmäßig in Lausanne vorstellen und von der UCI ein Attest ausstellen lassen.
Gibt es bei der täglich möglichen Kontrolle des Hämatokritwertes durch den Verband ein neues Prozedere? Die UCI untersucht die Werte von 47 bis 50 Prozent Hämatokrit jetzt gesondert. Diese Proben werden in Lausanne auf Reticolozyten und Hämoglobingehalt untersucht.
Folgen für den betroffenen Rennfahrer wird eine solche Untersuchung nicht haben . . . Sie dient der wissenschaftlichen Forschung. Ohne die Definition von Normen kann man Fahrer natürlich nicht von Rennen ausschließen. Aber man kann feststellen, ob ein Fahrer, der etwa bei den vierteljährlichen Untersuchungen einen Hämatokritwert von 42 Prozent hat, nun plötzlich bei 49,5 Prozent und hohen Hämoglobinwerten liegt. Dieser Fahrer würde nach Lausanne eingeladen und einer eingehenden Untersuchung zugeführt werden.
Wenn er Zeit dafür hätte! Niemand dürfte ihn doch am Start hindern . . . . . . weil er gegen kein Reglement verstoßen hat. Aber er wird weiter beobachtet. Man muß abwarten, wie das im nächsten Jahr läuft. Man muß jetzt erst einmal eine Datenbank schaffen, um beurteilen zu können, was normal und was nicht normal ist. Ein Epo-Nachweis ist nur möglich, wenn man sicher sein kann.
Der Radsport steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise. In Italien wird gegen die Ärzte Ferrari und Conconi ermittelt, von denen letzterer Mitglied der Anti-Doping-Kommission des Italienischen Olympischen Komitees war. In Frankreich war der Festina-Arzt Ryckaert in Haft, Mitglied der Anti-Doping-Kommission des belgischen Verbandes. Wenn man es solchen Leuten überträgt, Daten für die Dopingkontrollen zu erheben, macht man da nicht den Bock zum Gärtner? Wie kann man es anders machen? Wenn jemand betrügen will, dann betrügt er. Dagegen ist man nie gefeit. Der Gerichtsmediziner der UCI ist ja auch eingestellt worden, um die Ärzte zu kontrollieren.
Ich sehe keine andere Lösung, wenn man nicht die Kosten derart in die Höhe treiben wollte, daß es auch nicht gerechtfertigt ist.
Bei ausreichender krimineller Energie ist es also vorstellbar, daß der Mannschaftsarzt eines Teams in den Gesundheitspaß eines seiner Profis seine eigenen Werte oder die seiner Frau einträgt? Sicher. Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß er damit irgendwann auffällt. Die UCI macht jetzt besonders viele Blutkontrollen vor den Rennen. Und dabei würden Schwankungen auffallen, die nicht tolerabel sind. Während die Fahrer irgendwann aufhören mit ihrem Sport, sind Mediziner ja häufig länger dabei. Und so einer würde seine Glaubwürdigkeit verlieren. Das passiert gerade in Italien. Irgendwann fällt jeder auf.
Halten Sie die Epo-Menschenversuche in Australien für hilfreich? Solch eine Studie mit freiwilligen Probanden kann hilfreich sein, Erkenntnisse über die Wirkungsweise bei Sportlern zu erlangen. Die ist wissenschaftlich ja auch noch nicht nachgewiesen. In Deutschland ist das nicht möglich. Die Ergebnisse sollen 2000 vorliegen.
Was machen Sie denn eigentlich mit den 900000 Mark, die die Telekom bis 2001 nach Freiburg überweisen will, damit Sie ein Epo-Nachweisverfahren entwickeln? Das Geld geht nicht an unser Institut, sondern an den Förderkreis dopingfreier Sport. Dessen Vorsitzender ist Professor Keul.
Der Leiter Ihres Institutes an der Uni Freiburg. Im Förderkreis sitzen aus den Anti-Doping-Labors in Köln und in Kreischa Professor Schänzer und Professor Müller sowie Professor Tröger, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, und der Vorsitzende der Anti-Doping-Kommission, Professor Haas. Sie entscheiden über die Förderung von Projekten. Köln und Kreischa, mit die führenden Anti-Doping-Labors weltweit, haben bereits Projekte. Denen finanziert der Förderkreis dann zum Beispiel eine zusätzliche Laborkraft.
Werden auch Projekte in Freiburg finanziert? Die Gelder sind noch nicht da und noch nicht raus. Aber wir werden ein Projekt beantragen.
Haben Sie den Eindruck, daß sich durch den Skandal im vergangenen Jahr und durch Berichterstattung und Aufklärung seitdem die Mentalität gegenüber Doping verändert? Ich glaube schon. Das Risiko, das Sportler und Leute im Umkreis eingehen, wenn sie beim Dopen erwischt werden, ist heute größer als vor einem Jahr. Seit dem Skandal Festina ist die Sensibilisierung viel höher, das Fachwissen leider nicht. Viele Sponsoren und viele Teams haben Klauseln in ihre Verträge aufgenommen, daß gedopten Fahrern sofort gekündigt wird. Beim Team Deutsche Telekom war das schon vorher der Fall.
(Die Fragen stellte Michael Reinsch.)
|
Gazzetta durchsuchen:
|
|
|
| |