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Born, Gebhardt, Renggli u. a.:<br>Rennbahn Oerlikon: 100 Jahre Faszination Radsport

Autor:Martin Born, Otto Gebhardt, Sepp Renggli u. a.
Titel:Rennbahn Oerlikon: 100 Jahre Faszination Radsport
Verlag:AS Verlag, Zürich (16. April 2012)
Layout:24 x 30 cm, Leinen mit Schutzumschlag, 216 Seiten
Bildband mit 288 Abbildungen
ISBN:978-3-909111-95-4
Preis:64,80 Euro


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Ein „Prachtsbuch“ wurde aus Zürich zum 100-jährigen Bestehen der offenen Rennbahn Oerlikon angekündigt. Hier liegt es vor mir, und ich stimme begeistert zu. Schon das Foto auf dem Umschlag ist sensationell: die Rennbahn von oben in der damals völlig offenen Landschaft. Die Texte und die Bilder im Buch sind erstklasssig. Zu den Fakten geben wir zunächst in Auszügen die Medienmitteilung wieder.

 

Das Buch

„Herausgegeben von Peter Schnyder im Züricher AS Verlag, enthält der großformatige Band auf 216 Seiten Beiträge zahlreicher namhafter Autoren und 288 Abbildungen. Gegliedert in sieben Kapitel und einen ausführlichen Anhang, lässt das Buch im Zeitraffer die 100-jährige Geschichte der offenen Rennbahn Oerlikon Revue passieren und berichtet von den acht Bahn-Weltmeisterschaften, die auf dem Betonoval ausgetragen worden sind. Viel Platz ist Persönlichkeiten rund um die Rennbahn gewidmet, ein eigenes Kapitel sogar dem legendären Hans Maag, dem eigentlichen Retter der Anlage.

 

Ein weiteres Kapitel zeigt Impressionen von gestern und heute. Darin wird auch mehrerer tödlicher Unfälle gedacht, die leider zur Geschichte der offenen Rennbahn Oerlikon gehören. Porträtiert werden auch 14 Schweizer Bahnweltmeister, berichtet wird von Bahn-Weltrekorden einst und jetzt. Zudem werden die Radrennbahnen vorgestellt, die in der Schweiz zwischen St. Gallen und Genf beziehungsweise Basel und Lugano existierten und noch existieren.



Der 88-jährige legendäre Radsportautor Sepp Renggli, hauptsächlicher Autor des Buches

Der radsportliche Teil des Buches wird schwergewichtig bestritten vom legendären Sportreporter und Buchautor Sepp Renggli sowie von Martin Born. Der offenen Rennbahn als eigentlichem Bauwerk sowie ihrer Planungs- und Entstehungsgeschichte ist ein eigenes Kapitel gewidmet, verfasst vom Züricher Architekten Jürg E. Vogel. Er engagiert sich als Gründungsmitglied im Vorstand der Interessengemeinschaft offene Rennbahn Oerlikon (IGOR) und trägt dazu bei, dass im Oerliker Velodrom im Sommer, jeweils dienstags bei trockenem Wetter, regelmäßig Rennen ausgetragen werden.“



Die Jubiläums-Saison

Am 17. April trafen sich rund 50 Medienschaffende und Protagonisten vor der Rennbahn, um der Buchvorstellung beizuwohnen. Es war der Tag nach dem berühmten Sechseläuten in Zürich, dessen grandioser Umzug von Kälte und Regen beeinträchtigt worden war. Doch bei der Buchvorstellung war es ziemlich sonnig. Eine offene Rennbahn ist vom Wetter abhängig. Im Jubiläumsjahr sind 32 Renntage geplant, so viele wie nie in den 100 Jahren zuvor. Da hat man schon das Problem: Höchstens an jedem zehnten Tag des Jahres kann die Rennbahn ein Ereignis bieten, und das Wetter in der Schweiz kümmert sich nicht um die Belange einer der Witterung ausgesetzten Radrennbahn.



Die Protagonisten:
von links
Werner Kraus, Christian Rocha, Peter Schnyder, Jürgen E. Vogel

Im Jahr 2012 beginnt die Saison wie üblich im Mai. An zehn Abenden sind Steherrennen geplant, zusätzlich die Europameisterschaft Ende August. Drei Mal messen Militärvelofahrer ihre Kräfte. Der Trabi- und Topolino-Club kommt zur Rennbahn, Ende Juli dröhnen die Motoren historischer Rennfahrzeuge über die Piste, und am 7. August gibt es sogar ein Harley-Davidson-Treffen. Radballer und Kunstradfahrer, Inline-Skater und die Bike Police der Stadtpolizei Zürich werden auftreten. Genaueres kann man der Seite rennbahn-oerlikon.ch entnehmen. In einem Pavillon wird es sogar eine Ausstellung geben.

 

Auf dem Podium saßen Christian Rocha, der Trainer des Schweizer Damen-Straßenteams, Verleger Peter Schnyder und drei der sieben Männer, die durch die Gründung der Interessengemeinschaft Offene Rennbahn (IGOR) die Oerlikoner Anlage vor über neun Jahren retteten: Alois Iten, Werner Kraus, Jürgen E. Vogel.



Die Geschichte

Die Rennbahn war mehrmals vom Abbruch bedroht und musste in den vergangenen 100 Jahren des öfteren gerettet werden: ein kleines Wunder, dass sie noch dasteht.



Der alte Oerlikoner Peter Schellenberg


>>> historische Fotos der Bahn

Nach der Einplanierung der Rennbahn Hardau baute man für 300.000 Franken Oerlikon, und der Chef der Tram Zürich-Oerlikon-Seebach unterstützte das Projekt, auf mehr Fahrgäste hoffend. Peter Schellenberg, ein pensionierter Fernseh-Redakteur, saß an meinem Tisch und sagte: „Ich bin ein alter Oerlikoner. 1912 war Oerlikon noch ein Dorf, erst 1934 wurde es als letzter Ort von Zürich eingemeindet. Die Züricher haben immer auf die Oerlikoner herabgesehen, die waren für sie Radfahrer und Dörfler. Später haben die Lehrer gegen die Sechstagerennen Stimmung gemacht.“

 

Nach großen Rennen und dem Krieg kaufte ein Profiringer die marode Bahn. Nach ersten Weltmeisterschaften kam der Zweite Weltkrieg, und die Rennen fielen aus. Immerhin war Ende 1939 gegenüber das Hallenstadion entstanden (übrigens mit einem schönen 250-Meter-Holzoval, das nach über 60 Jahren herausgerissen wurde), deren AG die Rennbahn mietete. 1942 kaufte sie ein Immobilienhändler, im Jahr darauf ein Drucker aus dem Aargau, der Verluste anhäufte. 1951 erwarb die Stadt Zürich die Bahn für eine knappe Million.



Eine Erinnerung an Hugo Koblet (1925–1964)

>>> Manfred Poser: Portrait Hugo Koblet
Die Memorabilien-Ecke im „Rennrad-Stübli“

1953 verbuchte man über 76.000 Zuschauer: Die 1950-er Jahre waren mit Koblet, Kübler und Bucher eine glorreiche Epoche für den Schweizer Radsport. 1960 dann betrug am Saisonende der Gewinn nur 22 Franken. 1967 wurden nur noch 1.500 Besucher gezählt. 1968 wird der Abbruch beschlossen. Aber der ehemalige Radprofi Hans Maag sammelt über 10.000 Unterschriften für den Erhalt der Oerlikoner Betonpiste. Mit einer Velo-Demonstration wird gedroht, sollte die Stadt die Initiative nicht würdigen.

 

In den 1970-er Jahren wird saniert und repariert, 1978 gibt es eineinhalb Millionen für eine Erneuerung, die schief geht, und 1982 noch einmal drei Millionen. Trotz allem zischen immer wieder Fahrer ums Oval, beklatscht von Zuschauern. Nach einem Aufschwung wieder ein Niedergang, der Innenraum wird zum Parkplatz umfunktioniert, ein Reitturnier findet statt. In dem Stil geht es weiter: Gerangel mit den Behörden, zwischendurch Veranstaltungen, natürlich die berühmten Sechstagerennen, die aber 2001 zum letzten Mal in der ursprünglichen Form stattfinden.

 

Erst 2003 zieht mit IGOR etwas Kontinuität ein.



Alois Iten von IGOR
Modell des geplanten Zeltdachs

Bislang hat die Leidenschaft einiger engagierter Radsportfreunde über die Begehrlichkeiten der Geschäftswelt gesiegt, die vermutlich gern das x-te Multicenter oder einen Baumarkt auf dem Gelände der Rennbahn errichten würde. Die Protagonisten träumen hingegen von einem Zeltdach aus textiler Membran wie in Hamburg-Stellingen, das die Bahn von der Witterung unabhängig machen würde.

 

Die offene Rennbahn Oerlikon ist, wie Jürgen Vogel schreibt, „die letzte Entwicklungsstufe der antiken Stadien und Arenen“ und ein historisches Bauwerk. Es ist der älteste Bau der Schweiz in Sichtbeton, der unverkleidet sein statisches System zeigt. Um sie zu sehen, muss man nur in Zürich die Tram 11 nehmen und beim Hallenstadion aussteigen. Noch gibt es die Rennbahn Oerlikon. Totgesagte leben länger!



Bahnfahren

Die Bahnrennen waren immer große Ereignisse. Straßenrennen sind ja auch spannend, aber die Fahrer flitzen immer nur vorbei; es ist ein Sport, der sich gut für die Fernsehübertragung eignet. Doch Bahnrennen bringen die Zuschauer um das Oval zusammen, man isst, trinkt und jubelt und ist mittendrin. Einmal in der Woche ist die offene Rennbahn noch offener: Dann kann jeder fahren. Doch dazu ist ein Schnupperkurs vonnöten. Es braucht spezielle Bahnräder, die wie „Fixies“ sind – ohne Bremsen und mit Pedalen, die sich immerzu drehen. „Du musst immer treten“, sagte Otto Gebhardt, „sonst fliegst du von der Bahn. Nicht vergessen: immer treten.“

Die Glocke ist ein wichtiges Requisit,
sie läutet
die Runden ein


Ursula Eichenberger schreibt im Buch über ihre Impressionen als Zuschauerin: „Ein Biotop voller Menschlichkeit und Kollegialität.“ So ist der Radsport (nicht immer). Martin Born hat einen besonders schönen Beitrag verfasst, der „Das Kreisen der Weisen“ heißt. Er fährt in einer Gruppe, die „Ü 73“ heißt (ein Alter, das nur einer der Fahrer erreicht hat) und zu der auch Verleger Peter Schnyder gehört, ein Fan des Bahnfahrens. Born schildert: „ ... und ganz am Schluss immer wieder dieses meditative Kreisen, während sich ganz unbemerkt die Nacht über die schönste Rennbahn der Welt legt.“ Möge es diese wunderschöne Bahn noch lange geben!



 

Text und Fotos Manfred Poser, Mai 2012


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