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Jacques Faizant: Albina und das Fahrrad

Titel: Albina und das Fahrrad
Autor: Jacques Faizant
Verlag:Covadonga Verlag, 2011
ISBN: 978-3-936973-66-2
Preis: 12,80 EURO
Art des Buches: (humorister) Roman
LayoutBroschur; 270 Seiten
aus dem Französischen
Originaltitel: Albina Et La Bicyclette


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Passion ist französisch und heißt Leidenschaft. Doch Leiden bedeutet das Wort auch: Wir kennen die Passionsgeschichte Christi. Beides gehört anscheinend zusammen. Den passionierten Radfahrer interessiert nichts als das Objekt seiner Begierde, und er bringt ihm gerne Opfer. Der französische Karikaturist und Schriftsteller Jacques Faizant hat in einem Buch charmant von seiner Mission erzählt, die junge Amerikanerin Albina zum „Vélo“ zu bekehren.



„Es ist eine Religion“

Ein 50-jähriger Franzose trifft eine junge, blonde, verspielte Amerikanerin und macht es sich zur Aufgabe, sie zum Fahrradfahren zu bekehren. Das gibt dem Buch seine Spannung und seine Handlung. Wird es glücken? Der Missionar gibt alles. Und bald bemerkt der Leser, dass er sich ein religiöses Buch vorgenommen hat, geschrieben aus dem Geist des Ordens der Velizopedisten. Schon zu Beginn sagt der Erzähler seiner Elevin: „Ich habe es Ihnen schon gesagt, es ist eine Religion. Wir Radsportler sind im Besitz der Wahrheit, was uns flinke Beine, fröhliche Augen, eine weite Lunge verschafft und uns eine große Jugend des Herzens schenkt, ein Privileg, das wir mit den Unschuldigen, den Rugbyspielern und den ersten Christen teilen.“



Albina als bereits Bekehrte. Es macht ihr Spaß. (Abbildung aus dem besprochenen Band.)

Beide besuchen eine Fahrrad-Messe. Ich „betrachtete die ausgestellten Fahrräder, was mich immer mit gleichsam mystischer Verzückung erfüllt“. Albina erfährt, dass das Fahrrad eine „Schule der Demut“ ist. Sie begibt sich, angeleitet durch ihren gestrengen Meister, auf den steinigen und dornigen Weg der Wahrheit, und in eingestreuten Episoden von anderen Fahrern hören wir immer wieder von Bekehrungen, von Erleuchtungen. Der Bekehrte war in der jüdischen Religion übrigens der Proselyt (S. 56 oben).

 

Der „Blitzstrahl der Gnade“ traf etwa Sébastièn, der Radfahren immer für langweilig gehalten hatte, bis, er eines Tages, nachzulesen unter „Die Bekehrung des Sébastièn“, sich Beine machte. Ein „kleiner Mann“, dem Radfahren stets abhold, entdeckt das Rad und wird dessen glühender Anhänger. François erwirbt sich nach 173 Kilometern die Hochachtung einer Gruppe Autotouristen, und dann schnappt er „sich sein Velo und schiebt es gelassen schlendernd, noch eine letzte Zigarette im Mundwinkel, die kleine Anhöhe hinauf ...“ Die ‚Gauloise’ im Mundwinkel, typisch französisch! (Der Autor übrigens raucht Pfeife, wie sein jetziger deutscher Rezensent.)



Das ist Radfahren: Bei wolkenlosem Himmel unterwegs zum Pass
(Foto: Horst Heller)

Bei einer Rundfahrt für den Fahrradpionier Vélocio (Paul de Vivie, 1853–1930) erhebt sich ein alter Mann mit einem Druidengesicht und spricht. „’Zu jener Zeit begab es sich’, beginnt er, ‚dass Vélocio zu seinen Jüngern sprach.’ Und während die Stimme des Druiden sich erhebt und das Gesetz verkündet, schweigt das Volk auf der Lichtung, und sie alle – Männer, Frauen und Kinder und die Fahrräder – lauschen voller Andacht.“ Wer die Botschaft in sich aufnimmt, bei dem kann es sein, dass er „zu einem anderen Menschen wird“.

 

Jacques Faizant erklärt: „Wenn der liebe Gott Radfahrer ist (was er sicherlich ist, da er die Weisheit in Person ist), habe ich, wie ich glaube, einen sicheren Platz im Paradies.“ Wir glauben es. Der 1918 geborene Autor, der 1935 sein erstes Rad bekam, schrieb Romane, schuf 40 Jahre lang Karikaturen für die Tageszeitung „Le Figaro“ und starb 2006. Mit Genugtuung wird er aus höheren Regionen zur Kenntnis nehmen, dass sein anmutiger Roman nun auch in Deutschland gelesen wird. Seine Botschaft: „Welchen Pfad im Leben auch immer ein Mensch einschlägt, und sei auch Eitelkeit sein Motiv, so ist dieser Weg doch von vornherein geheiligt, sobald er nur zum Velo führt. Gehet hin in Frieden, meine Brüder! Gedeiht und vermehrt Euch!“



Albina, gerüstet für eine Fahrt bei minus acht Grad.
(Abbildung aus dem besprochenen Band.)

Albina und die anderen

Faizant hat es klug angestellt: Je ein Kapitel mit Albinas unaufhaltsamem Weg zum Fahrrad wechselt mit einem ab, in dem die Erlebnisse eines ganz gewöhnlichen Radlers geschildert (Michel, Bernard, Sébastièn) oder allgemeine Betrachtungen angestellt werden. Alles zusammen ergibt das Kaleidoskop einer Passion, und nahezu alles wird angesprochen – die „Schrauber“, die kleinen Hotels, die arroganten Automobilisten, Fahren im strömenden Regen, zu wenig Kalorienzufuhr –, und wer selber gern Rad fährt, nickt und freut sich.

 

Manchmal lacht man auch laut auf. Das ist mir vier- oder fünf Mal passiert, und das kommt bei jemandem, der vielleicht 100 Bücher im Jahr liest, nicht oft vor. Denn Jacques Faizant verfügt über die hohe Kunst der Prosa und der Satire; er schreibt behutsam, geschmeidig und humorvoll. Albina hat ein Fahrrad gekauft und trainiert im Bois de Boulogne. Ein Pfiff ertönt: ein Polizist! Sie sei freihändig gefahren, sagt der Schutzmann, der irgendwie auf dem Boden liegt. „’Wenn Sie so freundlich wären, das Fahrrad von meinem Bauch herunterzunehmen’, fängt der Schutzmann wieder an, ‚wäre es möglich aufzustehen.’“ Das ist komisch.



Auch das ist Radfahren: auf einer Hochfläche der Abruzzen im kühlen März
(Foto: Klaus Werner)

Natürlich muss man etwas Geduld mitbringen, denn Satire funktioniert über die Sprache, lebt von Nuancen und feinen Wendungen. Manchmal geht der Gaul (oder das Rad) mit ihm durch, dann schreibt er auch einen bizarren Satz hin, und diese Lockerheit hat man eben, wenn man Radfahrer ist und Worte aufs Papier zu zaubern versteht. Am Ende der Kapitel gelingt es Faizant oft, wunderschöne Pointen zu setzen. Chapeau! möchte man sagen: Hut ab! Das Buch ist erstmals 1968 erschienen und hat viele Auflagen erlebt. Das Alter schadet ihm nicht; dennoch hielt es der Verlag für nötig, ein erläuterndes Schlusskapitel anzufügen.

 

Gut, es spielt in den 1960-er Jahren, als noch nicht einmal Merckx aufgetreten war, als man in Frankreich im Bann des Duells zwischen Anquetil und Poulidor stand. Man hatte die Riemenpedale und fühlte sich von Motorroller und Motorrad in die Enge getrieben. Aber so viel hat sich nicht verändert. (Es gibt mehr Autos, das schon.) Faizants Buch ist wirklich eine „zeitlos schöne Ode an das Fahrrad“.

 

Ein Buch für den „Randonneur“

Man bekommt gleich Lust, selber zu fahren. Weit zu fahren vor allem. Beim Lesen spürt man, dass doch etwas anders geworden ist in den fast 50 Jahren seither. Denn die Zweirad-Helden bei Faizant sind harte Sportler mit einem Hang zum galanten Untertreiben, für die 170 Kilometer am Tag das Minimum darstellen. Immer wieder werden die Pässe Télégraphe, Aubisque und Galibier (2600 Meter hoch) erwähnt, und Albina tut mit. Und das alles mit dem Material aus der Zeit vor 50 Jahren! Noch einmal: chapeau! Es ist ein rechtes Buch für den „Randonneur“, den Radtouristen mit höheren Ansprüchen.



Die Kehren hoch zum Galibier.
Rechts ein blonder Radtourist
auf dem Galibier.
(Fotos: Helmut Krämer)
Nicht Albina – sondern der Autor, vor 16 Jahren.

Ich wiederhole es: Dieses Buch macht Lust aufs Radfahren. Gleich will man los. „Ich schwöre, dass ich aus Albina eine gute Radfahrerin machen werde“, sagt der Erzähler. Es gelingt ihm. Die junge Amerikanerin ist sympathisch und bringt Energie in die Sache. Ja, das Radfahren. Albina sagt: „Wenn ich nur daran denke, verschlägt es mir den Atem.“ So geht es uns allen. Albina gehört nun zu uns. Thank God.

 



 

Rezension von Manfred Poser, Januar 2012


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