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etc. PP - Posers Prosa

Ernstes, Lustiges, Skurriles von Manfred Poser, futura9



Retro Velo Classica III

Bericht und Fotos von Manfred Poser, August 2011



Nun hat es die Retro Velo Classica in Badenweiler also zu ihrer dritten Austragung geschafft. Wir blicken zurück: Für die Tour de France war das dritte Mal im Jahr 1905 entscheidend. Nach Betrügereien, Absprachen und tätlichen Angriffen auf die Fahrer im Jahr davor stand das Rennen auf der Kippe. Maurice Garin, zweimaliger Sieger, großer Rotweintrinker und Zigarrenraucher, wurde gesperrt. 1905 starteten nur 60 Fahrer, von denen 24 durchkamen – weniger als bei der Retro Velo Classica.



Und auch dieses Mal – am zweiten Wochenende im August, wie gewöhnlich – ist es ein lebhafter, charmanter Anlass in den alten Kellern des Radhotels Siegle gewesen, ein Stelldichein von guten Bekannten: ein Familientreffen fast schon. Michel und Steffi, Hauke und Christine, Brigitte und Reinhard, Thomas und Christl, Frank und Ulrike, Bernd und Hans, Walter und Roland ... Es sind fast 20 Freunde alter Rennräder, die alle drei Male zugegen waren. Die Retro Velo Classica rotiert um eine sympathische badisch-schwäbische Achse und trägt damit nicht wenig zur Völkerverständigung bei.

Fast das Symbol der Retro Velo Classica:
das Brennabor-Rad von Reinhard Grauer aus Möhringen.

Mit Mütze
und ohne Mütze,
die die Trinkflasche verbarg.


Der harte Kern, angereist aus dem näheren Nordosten – Tübingen, Reutlingen, Stuttgart –, versteht zu feiern und sich zu freuen. Ein paar Hessen aus Frankfurt und Marbach halten Badenweiler ebenfalls die Treue, zwei Versprengte aus Konstanz waren dabei, und der Eifer der einheimischen Fahrer und Helfer zumal lassen auf ein weiteres Mal hoffen. „Bis zum nächsten Jahr“, heißt es immer beim Abschied, und es ist fast ein Versprechen. Ich werde nächstes Jahr dabei sein, und während ich das schreibe, rauche ich eine Constellation-Zigarre, die mir Reinhard geschenkt hat. Ein Genuss. Die alten Fahrer vor hundert Jahren rauchten vor den Start gern eine Zigarre, was ihre Lungen freimachen sollte. Und man trank Rotwein, um das Blut besser fließen zu lassen. Das waren Zeiten!

 

Organisator Martin Bünz kommt nach eigenen Angaben finanziell immer „mit zwei blauen Augen“ davon, denn wenn man derart exzellente italienische Kost serviert (verantwortlich: Michele aus Sizilien) mit Weinen und Bier „à discretion“ sowie die Verpflegung bei der Ausfahrt und Siegerpreise zur Verfügung stellt, hat man hohe Ausgaben. Die Teilnahmegebühren liegen mit 40 Euro sehr günstig. Ein paar Teilnehmer zusätzlich wären wünschenswert, aber mehr als 50 sollten es auch nicht sein, dann wird es unübersichtlich. Jedenfalls war die Retro Velo Classica der glückbringende Einfall eines Treffens von Freunden alter Rennrädern in begnadeter Landschaft, wobei nicht der Wettbewerb im Mittelpunkt steht, sondern das Zusammensein. In diesem Jahr gab es statt eines Rennens eine lange Ausfahrt, gespickt mit zwei Prüfungen, da Rennradfahrer sich auch miteinander messen wollen.

Das schönste Bild. Die Truppe bereitet sich vor dem Transparent der Retro Velo Classica zur Ausfahrt vor.


Die Ausfahrt

Kurz vor dem Start.
Ulrike blickt sehnsüchtig, und in der Bildmitte Brigitte und Reinhard Grauer.

Zur Ausfahrt standen nun 28 Fahrerinnen und Fahrer am Schlossplatz in Badenweiler, den der Autor René Schickele (1883–1940), der um 1930 hier lebte, „Römerbad“ nannte nach dem besten Hotel am Platz. In dem Buch „Maria Capponi“, 1925 erschienen, schreibt er über den Ort: „Die Römer haben ihn gegründet, und die warmen Quellen, in denen sie gebadet, fließen noch immer. Die Ruine ihres einfachen, aber höchst eleganten Bades liegt hinter dem neuen Marmorbad [die heutige Cassiopeia-Therme] in einem schönen, ein Jahrhundert alten Garten, den die badischen Großherzöge angelegt haben und der jetzt der Kurpark ist. Während der schönen Jahreszeit ist der Ort sehr belebt, der Winter, obwohl mild, verschließt ihn der Außenwelt. Dann liegen die vielen Hotels und Villen in anmutigem Verfall, ein Tag gleicht dem anderen, keiner wird gezählt.“ Schickeles Grab liegt im nahen Lipburg.

 



Von hinten Michael Faiß mit dem Peugeot-Trikot.
Der älteste Teilnehmer, der Veteran Hans Grether (71)

Der Startschuss ertönte – und gleich bewegten sich die Veteranen mit Elan den Berg hinan in Richtung Kandern. Vor ihnen lag eine angenehme Strecke von 90 Kilometern im Rheintal mit insgesamt 500 Höhenmetern. Es ist immer schön, mit anderen zusammen dahinzujagen, und die historischen Wolltrikots der Fahrer vor sich zu sehen mit Aufschriften wie Molteni und Peugeot macht Spaß. Wie oft sind doch an Wochenenden Schweizer Automobilklubs mit Oldtimern unterwegs – da werden die Radfahrer wohl auch ihre schönsten Exemplare vorzeigen dürfen.



Drei Teilnehmer vor dem Speedtest bei einer dringend nötigen Verrichtung.
Von links Frank Seif, Bernd Krüger, Hauke König.

Man hat von Schliengen auf der Fahrt in südlicher Richtung zur Linken am Horizont den schönen Schwung der blauen Vogesen und zur Rechten die Hänge des Schwarzwalds mit dem Hochblauen (1165 Meter). Es geht am alten zerklüfteten Kaliberg Buggingens vorbei, den manche Monte Kaolino nennen und andere Kalimandscharo. Von Seefelden führte ein Speedtest oder, wie ich es nannte, ein Mini-Bergzeitfahren durch den stillen Ort Betberg über 5 Kilometer durch blühendes Rebland, auf einer harmonisch sich dahinwindenden Straße. Das Feld fuhr an den Flanken des Castellbergs entlang (444 Meter – übrigens mein „Hausberg“, den ich von meinem Balkon aus täglich sehe), auf dem vor 2000 Jahren römische Soldaten Ausschau nach herandrängenden Barbaren hielten, und durch das leicht erhöht gelegene Ballrechten näherte sich die Gruppe Staufen. Die Sonne war herausgekommen, und als Bewohner des Markgräflerlands, wie diese Region heißt, sagt man zu sich: ein schönes Land!



Am Marktplatz herrschte Markt und Trubel, Martin Bünz erläuterte den Fahrern die Probleme der Stadt (eine unglückliche Tiefenbohrung führte zu einer allgemeinen Hebung und zu Rissen in den historischen Gebäuden), und ein Brautpaar ließ sich mit alten Rädern fotografieren. In Bad Krozingen erwartete eine Ausstellung mit alten Rädern, Trikots und Transparenten bei Radsport Werber – ein 1909 gegründetes Geschäft – die Teilnehmer, bevor es zurückging ins Hügelland. Obwohl da schon 100 Kilometer gemacht waren, ließen es sich sechs Unermüdliche nicht nehmen, die etwa 600 Höhenmeter hinauf zum Hochblauen zu überwinden, mit Zeitnahme, um den schnellsten sowie den am regelmäßigsten fahrenden Athleten zu ermitteln.

Martin Bünz spricht in Staufen über Staufen. Dann steht er
als lächelnder guter Geist hinter dem Brautpaar, und Rainer Braun sieht zu.


Die Ehrung

Die Siegerehrung folgte Samstag abend, und hier sollen die Namen fallen. Die 5 Kilometer Zeitfahren entschied Walter Hurst für sich in 7:37 Minuten (ich startete als Letzter, und er zischte an mir vorbei wie eine Kanonenkugel) vor Stefan Schaefter (8:27), Dirk Müller (8:41), Frank Seif (8:47) und Bernd Krüger in 8:52 Minuten, der mit 68 Jahren der zweitälteste Teilnehmer war. Am gleichmäßigsten fuhr Frank Seif aus Weilheim bei Tübingen hoch zum blauen Berg, wobei seine Abweichung bei den drei Etappen nur 23 Sekunden betrug. Frank war übrigens am Tag zuvor mit seinem alten Rennrad aus Tübingen angereist, mindestens 180 Kilometer! Rainer Braun fuhr in 37:20 Minuten am schnellsten hoch, gefolgt von Thomas Bruns (45:46) und Martin Bünz (yeah!) in 46:03 Minuten.


Walter Hurst,
der Schnellste
beim Speedtest.
Fünf entspannte Veteranenradler, der Zweite von rechts mit den seltsamen Handschuhen ist Martin Bünz


Da wollte ich es auch wissen und meine eigene Zeit nehmen, um Klarheit zu haben: aber mit dem 8 Kilo leichten Carbonrenner Mortirolo von Wilier Triestina. Und meine Zeit, genommen drei Tage nach der Retro Velo Classica? Es waren 46 Minuten. Ich gab jedem Pedaltritt Power, fuhr wie um mein Leben und rettete so meine Ehre.



Die Staufener Burg

Unten dehnte sich die Ebene bis zu den Vogesen hin, unter veilchenblauem Dunst liegend und gekrönt mit Wölkchen. Wie schreibt Novalis in seinem Bergmannslied? „Sie mögen sich erwürgen / am Fuß um Gut und Geld / Er bleibt auf den Gebirgen / Der frohe Herr der Welt.“



Siegerehrung. Es wird gegessen und getrunken, als Siegerpreise gibt es guten Wein. Da Reinhard Grauer immer das älteste Rennrad hat (Brennabor, 1898), wird die älteste Schaltung prämiert, die seine Frau Brigitte besitzt. Walter Hurst macht Musik, die Tübinger machen Späße, es wird getanzt, und die alten Räder sind nur Anlass und Vorwand dafür, dass sich Menschen froh begegnen können. Man müsste fast Charles Dickens bemühen, der in seinen Pickwick Papers so unvergleichlich das Weihnachtsfest beschrieb, dieses innige und nur einmal im Jahr wiederholbare Wunder. So ungefähr ist die Retro Velo Classica. Der Vollmond stand am Himmel, als ich nach Mitternacht heimfuhr durch die stillen Orte Britzingen und Laufen, und man kann nur hoffen, dass wir alle uns auch nächstes Jahr gut gelaunt und gesund in Badenweiler wiedertreffen.


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