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Robert Lechner



Robert Lechner:
„Meine Medaille ist mir persönlich sehr viel wert. Allerdings begründet sich mein heutiges Leben nicht auf meiner damaligen Medaille. Für mich geht es jetzt auch darum das System aufzuzeigen, wie es damals funktioniert hat, da ich der Meinung bin, dass sich nichts oder wenig geändert hat. Das muss aber dringend anders werden in Zukunft.“
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Ende Februar 2008 gesteht Robert Lechner ohne erkennbare Not, dass er in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1988 gedopt habe. Im Deutschlandfunk spricht er am 9.3.2008 im Sportgespräch über die Hintergründe seines damaligen und heutigen Verhaltens.

 

Robert Lechner gewann im Alter von 21 Jahren bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988 im 1000m Zeitfahren auf der Bahn die Bronzemedaille. 1990 beendete er seine Bahnradkarriere. Er wechselte auf die Straße hörte aber 1992 mit dem Leistungssport auf. Heute arbeitet Robert Lechner an einem Institut für Sportarten übergreifende Trainings- und Wettkampfbetreuung. Auf dem A-Trainer-Weiterbildungslehrgang des BDR vom 7. bis 9. November 2008 in Leipzig berichtete er von seinen Erfahrungen und konnte dazu beitragen, dass die erste Leipziger Erklärung der A-Trainer des Jahres 2007 ergänzt wurde (>>> Leipziger-Erklärung 2008). Robert Lechner besitzt selbst die A-Trainer-Lizenz.

 

Im Folgenden fasse ich mir vorliegende Informationen und Aussagen zusammen.



ein schleichender Prozess

Robert Lechner begann in seiner frühen Jugend das Radfahren als Autodidakt, allein, ohne Trainer aber mit großer Unterstützung seiner Eltern. Seine Motivation half ihm sich selbst um das Training zu kümmern und dies auch durchzuziehen. Fachliteratur lenkte sein Interesse auf die Bedeutung gesunder Ernährung und guten Materials. Mit Erfolg, denn 1984 im Alter von 16 Jahren wurde er in den Juniorkader der Bahn-Nationalmannschaft des BDR aufgenommen.

 

Unter der Obhut des Junioren-Bundestrainers lernte er, dass intensives Training zwar eine Voraussetzung guter Leistungen ist, aber der Körper eines Leistungssportler dadurch Gefahr läuft, an Mangelerscheinungen zu leiden. Ein Problem sei das jedoch nicht, da man mit harmlosen Substanzen wie Eiweißpräparaten, Vitaminen, Spurenelementen und weiteren Präparaten helfend eingreifen könne. Bald musste der junge Sportler täglich die verschiedensten Aufbaumittel schlucken, und das in Mengen, die heute als kritisch angesehen werden, wie etwa täglich drei bis fünf Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht je nach Trainingseinheit. Das war und ist nicht verboten, es ist kein Doping und es wurde selbstverständlich nicht hinterfragt, schließlich half es, das für Sportler höchste Gut, die Gesundheit, zu unterstützen und Leistung zu ermöglichen. Dem jungen Mann wurde suggeriert, Gesundheit sei nicht anders zu erhalten.

 

Heute sieht Robert Lechner die damaligen Gewichtungen als sehr problematisch an: „Man wächst in ein System rein, das einem immer wieder vorspricht, man braucht leistungsfördernde Mittel um besser zu werden. Was absolut zu kurz kommt, und das ist heute immer noch so, ist, dass Leistung sich eben nicht nur aus Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten zusammensetzt, sondern eben aus Gesundheit, Ernährung und Training.“ Sein eigenes Erleben bringt er auf den Punkt, „die ohnehin unzureichende Trainingsbetreuung nahm in dem Maße ab, wie die medizinische Versorgung zunahm.“



zwar verboten, doch kein Doping

Dr. Georg Huber, seit 1972 u.a. Verbandsarzt des BDR, wurde im Mai 2007 von der Universität Freiburg suspendiert, nachdem er gestehen musste “in der Zeit von 1980 bis 1990 einzelnen U23-Straßenradfahrern (19-23 Jahre) das leistungssteigernde Hormon Testosteron verabreicht“ zu haben "um Schlimmeres zu verhüten“. Zugrunde lagen die Aussagen von Christian Henn und Jörg Müller.
(Freiburg, 29.5.2007).

Stanozolol (Stromba)-Nachweis:
Hatte Huber von dem neuen Test in Seoul auf Stromba gewusst und deshalb das Anabolikum rechtzeitig abgesetzt? Das Verfahren wurde in Köln entwickelt und erstmals in Seoul ohne Ankündigung eingesetzt.
(SZ, 24.02.2012)
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Es blieb nicht bei den harmlosen Substanzen nachdem er mit 18 Jahren in die Männer-Nationalmannschaft kam. Ab sofort wurde ihm eine intensive ärztliche Betreuung an der Freiburger Universitätsklinik durch den langjährigen Verbandsarzt Dr. Georg Huber zuteil. „Jogi“, wie dieser in der Szene liebevoll genannt wurde, hat „aufgrund mir nicht bekannter Erkenntnisse begonnen Mittel zu verschreiben oder im Behandlungszimmer direkt heraus zu geben, Eisenpräparate, Mineralstoffe, sonstige Mittel, die ich jetzt gar nicht aufzählen kann aber letztendlich gipfelte es darin, dass Ende 1987 konkret das erste Mal Anabolika gegeben wurden.“

 

Der junge Fahrer hatte nie danach verlangt und: „Ich habe nie nachgefragt. Ich erkläre es mir so, es ging in die Vorbereitung auf die Olympia-Saison und da waren natürlich alle um so mehr motiviert und vielleicht war der Mediziner auch mehr motiviert denn je und ohne Nachfrage gab es eben die Empfehlung, ich müsste meine Muskelmasse erhöhen und ich bräuchte Anabolika.“ Eine mögliche Begründung lieferte 1989 der neue BDR-Trainer Dr. Sigward Lychatz, der aus der DDR in den Westen gewechselt war: Lechners Körpermaße (1,75 m) und sein Gewicht (68 kg) entsprächen nicht der „Normvorstellung eines 1000m-Zeitfahrers“. Er nahm bis zum 8. August, bis 6 Wochen vor den Olympia-Einsatz 1988 die anabolen Steroide Stromba und Andriol und sowie das Cortisonpräparat Urbason (Szenenjargon für Andriol und Urbason „urbi et orbi“) eingebettet in einen Mix erlaubter Stoffe. Danach bis zu den Spielen wurde ihm ein Mittel gespritzt, das ihm nicht genannt wurde, über das er heute nur Vermutungen anstellen kann. Diese Vorgehensweise stellte sicher, dass während der Spiele keine positive Probe anfiel (siehe dopingalarm.de: Robert Lechner).

 

Über gesundheitliche Risiken verlor der Arzt keinen Ton. Weder wurde über Spätfolgen aufgeklärt noch berücksichtigte der Verbandsarzt den damals grenzwertig hohen Blutdruck des Sportlers, der ein Grund gewesen wäre, keine Anabolika zu verordnen. Besonders Stromba ist gefährlich und kann laut Luitpold Kistler zu erheblichen Veränderungen im Fettstoffwechsel führen, ein plötzlicher Herztod könnte die Folge sein. Huber selbst sah dies noch im Jahre 2003 anders. “Doping durch EPO oder Anabolika kann kaum eine Rolle spielen. Für Hunderttausende von nierenkranken oder krebskranken Menschen sind EPO und Anabolika lebensrettend. Es ist nicht erforscht, ob EPO oder Anabolika Langzeitschäden hinterlassen.“ die Welt, 16.11.2003



Zitate:

„Stromba ist wegen seiner chemischen Zusammensetzung sehr lebertoxisch“, sagt Hans Geyer vom Institut für Biochemie der Sporthochschule Köln. „Wir haben es Ende der 80er Jahre mehrfach bei Sechs-Tage-Profis nachgewiesen.“ (FAZ, 1.3.2008)

Luitpold Kistler: TODESFÄLLE BEI ANABOLIKAMISSBRAUCH

An der Universität Freiburg wurde  intensiv zu EPO geforscht. Das Freiburger Team gehörte zu den ersten, "die bereits 2003 über gesundheitsschädliche Effekte von Erythropoetin bei Krebspatienten berichteten." Wusste Dr. Huber nichts von diesen Forschungen und deren Ergebnissen? Im Jahr 2008 stand endgültig fest, dass EPO das Krebswachstum anregen und Patienten gefährden kann. (Universität-Klinikum Freiburg , 22.2.2008)

Im Jahr 2005 wurde Dr. Georg Huber, Mitglied in der Medizinischen Kommission der Nationalen Anti-Dopingagentur zum Sportarzt des Jahres gewählt. “„Mein größtes Interesse aber gilt den Hobby- und Jugendsportlern“, sagt Dr. Georg Huber. „Was geschieht im Körper eines Zehnjährigen, der zu laufen anfängt? Oder was passiert bei einem alten Menschen, der sich auf eine Trekking-Tour in den Himalaya begibt? Das ist wirklich spannend.“ (GOTS, 17.6.2005)



Warum hat Robert Lechner nicht nachgefragt? Er hätte ablehnen können. Hatte er kein Unrechtsbewusstsein? Nun, er war zwar nicht stolz darauf, glaubte aber an die Erklärungen des Arztes, es handele sich um geringe Dosierungen, die innerhalb eines Tages wieder abgebaut wären. Es sei kein Doping im klassischen Sinne, da es nicht nachweisbar sei. Zudem fanden keine Trainingskontrollen statt. Damit waren alle Fragen durch den Arzt beantwortet. „Sicherlich wusste ich, dass das verboten war, aber das blendet man aus,“ zudem „wem soll man denn vertrauen, wenn nicht einem hoch angesehenen Verbandsarzt?“ Die persönliche Behandlung, die erfahrene "Unterstützung", ließen bei dem jungen Athleten den Eindruck entstehen, dass man besonders vertrauenswürdig sei, „dass man jetzt zum tollen Kreis gehört“, zu den Auserwählten.

 

Mögliche Reste eines schlechten Gewissens wegen der verbotenen Mittel waren zudem schnell verflogen, als der 21jährige mit der Bronzemedaille auf dem Treppchen stand und die Nationalflagge aufgezogen wurde. „Ich war ja sauber. Es bestand überhaupt keine Gefahr positiv getestet zu werden.“ „Das Erfolgserlebnis war dermaßen überwältigend, dass man da einfach an die positiven Dinge denkt.“

Aufgrund der gefahrenen Zeiten sieht er allerdings keinen Leistungsschub, der auf Anabolika zurückzuführen wäre, im Gegenteil, eher seien sie leistungshemmend gewesen.

 

Der Arzt selbst will auch nach seinem eigenen 'Geständnis' nicht verstehen, warum seine Medikationen als Unrecht bezeichnet werden. Noch nach seiner Suspendierung 2007 besteht er darauf, “«es hat kein Doping gegeben». Er habe die verbotenen Mittel zwar verabreicht, es sei ihm dabei jedoch nicht um eine Leistungssteigerung gegangen. «Die Abgabe der Mittel hatte medizinische Gründe», sagte Huber. «Ziel war, den menschlichen Organismus vor dem totalen Verbrauch zu retten.» Die körperlich extrem belasteten Sportler seien zur Gesundung auf die Mittel angewiesen gewesen.“ (MZ, 27.11.2007)



Aufräumen

Robert Lechner spricht zu seiner Person, er beschuldigt keine anderen Fahrer oder Trainer des Dopings. In Freiburg wurde er jeweils allein behandelt und Gespräche über Doping waren tabu. Er hätte sich damals niemals an einen Rennfahrerkollegen gewandt. Zuzugeben, Dopingmittel zu nehmen, wäre als Schwäche ausgelegt worden. Sein Training wurde weiterhin von ihm selbst organisiert, der Bundestrainer war dafür nicht zuständig. Niemand, auch die Eltern nicht, waren informiert, obwohl die Medikamente in der Küche verwahrt wurden. Man dope nicht, also spricht man nicht darüber.

 

20 Jahre später gesteht er, ohne von irgend jemandem dazu aufgefordert worden zu sein. * Warum?

“Es geht mir darum, meine eigene Glaubwürdigkeit zu erhalten oder zu festigen. Das hat den Hintergrund, ich arbeite berufsmäßig tagtäglich mit Sportlern zusammen, ich kümmere mich tagtäglich um die Trainingsbetreuung vom Gesundheitssportler bis zum Profisportler, vom Nachwuchssportler bis zum erwachsenen Menschen und ich setze mich täglich damit auseinander, wie setzt sich Leistung zusammen. (…) Und auf Fragen wie braucht man leistungssteigernde Mittel, braucht man Nahrungsergänzungsmittel, was ist mit Doping, haben wir bei uns im Unternehmen einen ganz klaren Standpunkt und den möchte ich vertreten und das kann ich nur, wenn ich auch mit meiner Vergangenheit aufräume, dazu stehe, was in der Vergangenheit gelaufen ist.“

 

Auch seinen leistungssportbegeisterten Kindern hat er auf deren Frage „Papa, hast du auch gedopt?“ mit einem klaren ‚Ja’ geantwortet. Er habe dabei kein schlechtes Gewissen. Ihm ist wichtig aufzuzeigen wie die Situation damals war und wie sie seiner Ansicht noch heute ist. Dazu muss das Schweigen gebrochen werden. Doch es werde „sich unheimlich schwer damit getan, über Antidoping, über Aufklärung zu sprechen. Es wird überall mehr geschwiegen als darüber gesprochen und von daher muss ich sagen, man muss aufhören Geheimnisse zu haben. Ich appelliere an alle ehemaligen aktiven Sportler, an heute tätige Trainer, die früher selbst aktiv waren, wir müssen aufräumen mit Geheimnissen, mit Schweigen. Wir müssen offen über die Vergangenheit sprechen, nur so können wir etwas Neues schaffen.“

Wahrscheinlich, dass der Wunsch, Neues zu schaffen, noch nicht bei allen Verantwortlichen gewachsen ist. Vielleicht ist es unrealistisch, aus dem Kreis der Betroffenen selbst Änderungen zu erwarten. Lechner erkennt durchaus seit einigen Jahren in der Bevölkerung eine neue größere Sensibilität gegenüber Doping. Er differenziert allerdings: Leute, die "keine eigene Sportvergangenheit“ haben, sind dem Thema gegenüber aufgeschlossen, sie diskutieren offen und es werden Probleme erkannt. Menschen mit einer eigenen Sportvergangenheit, Leistungssportvergangenheit, denken eigentlich immer noch meistens in dem alten Schema, nach alten Weisheiten, so ewig gestrig, da ist noch zu wenig Offenheit da.“



Notwendig: präventive Maßnahmen

Robert Lechner weiß nicht, wer alles verbotene Mittel nimmt, aber er sieht, dass der Weg dahin weit offen steht. Noch immer lernen Sportler, Leistung sei nur mit unterstützenden Mitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und Ähnlichem möglich und erfahren so eine schleichende Sozialisation hin zum Doping. Darin sieht er das Hauptproblem. Er ist überzeugt, Leistung ist absolut sauber möglich.

 

Heute setzt sich der ehemalige Bahnradfahrer aktiv für Dopingpräventions-Maßnahmen ein und nimmt auch daran teil. Er weiß wovon er spricht und fühlt sich kompetent. Bereitwillig berichtete er während des A-Trainer-Weiterbildungslehrganges des BDR vom 7. bis 9. November 2008 in Leipzig seine Erfahrungen und half mit, den Präventionsgedanken fest in die Trainerausbildung und deren Wirken zu integrieren. „Ich würde mir wünschen, dass wesentlich mehr Dopingprävention betrieben wird. Dass bereits mit Nachwuchssportlern frühzeitig begonnen wird, Aufklärung zu betreiben. Dass Eltern und Sportler informiert werden über gesundes und sinnvolles Training, über Ernährung, über den Sport in den die Kinder hineinwachsen. Da findet viel zu wenig Aufklärung für die Eltern statt. Ich erlebe ja selbst, als Elternteil von zwei Söhnen, die im Wintersport aktiv sind bzw. es sein werden, dass man keine Informationen bekommt, dass keine Aufklärung stattfindet. Im Gegenteil, das Thema wird totgeschwiegen. Wenn man das Wort einmal öffentlich erhebt, Missstände versucht aufzuklären, dann wird man eher ausgegrenzt oder boykottiert oder mit Missachtung bestraft.“

(>>> Robert Lechner)



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* Kurz nach Robert Lechners Geständnis meldete sich der DOSB bei ihm und bat darum, bei der Aufklärung frühere Dopingvergehen behilflich zu sein. Er sagte, er wäre gerne bereit auszusagen, denn "mein Ziel war es meine Glaubwürdigkeit zu festigen und zu erhalten. Die Anfrage des DOSB ist schon in gewisser Weise eine Anerkennung und ich hoffe, dass eine unabhängige Kommission, so wie sie angekündigt wurde, entsteht, der ich auch gerne meine Hilfe anbiete." (9.3.2008)

 

Die konstituierende Sitzung der Doping-Kommission fand am 21.4.2008 statt. Bundesverfassungsrichter a.D. Prof. Dr. Udo Steiner übernahm den Vorsitz. "Auf der Grundlage seiner Null-Toleranz-Politik im Kampf gegen Doping sieht der DOSB die Notwendigkeit, die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit Trainern-/innen und Offiziellen, die in Doping-Vergehen verwickelt waren, zu überprüfen." (DOSB, 21.4.2008) - diese Mitteilung war die erste und letzte des DOSB hierzu. Robert Lechner wurde nicht gehört. (Stand 10.2010)



 

Quellen und Links:

Robert Lechner

Deutschlandradio, Sportgespräch: Das Dopinggeständis des Robert Lechner, mit Robert Lechner, Herbert Fischer-Solms, Ralf Meutgens, 9.3.2008

FAZ, 28.2.2008: „Ich kam mir vor wie ein Auserwählter“

FAZ, 1.3.2008: Der Heilsbringer mit der chemischen Keule

Faz, 2.3.2008: „Der BDR ist kläglich gescheitert“

 

von Monika, November 2008


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