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BRD / DDR - Vergangenheit



DLV-Dopingvergangenheit



Birgit Dressel - ein verlorener Kampf

Leichtathletik-Siebenkämpferin Birgit Dressel wurde knapp 27 Jahre alt. Die viermalige Deutsche Meisterin und Olympiateilnehmerin starb am 10. April 1987 in Mainz an multiplem Organversagen. Schnell wurde ihr Tod mit Doping in Verbindung gebracht. Ihr Schicksal wirkte wie ein Schock auf die deutsche Sportwelt und löste heftige Diskussionen aus. Jahrelang hatte es den Anchein als wäre der deutsche Hochleistungssport nach den Turbulenzen in den 1970er Jahren zur Ruhe gekommen. Doch Birgit Dressels Tod erzwang einige, wenn auch wenige öffentliche Blicke in westdeutsche Sportwelten, die nahe legten, dass nicht allein im Ausland die Rekordjagd auf falschen Voraussetzungen beruhten. Die Chance auf eine umfassendere Offenlegung der Dopingpraxsis wurde jedoch nicht genutzt.

 

Sportwissenschaftler und Journalist Andreas Singler stellte cycling4fans einen Text zur Veröffentlichung zur Verfügung, der in ursprünglicher Form in der Neuen Züricher Zeitung, 7./8. April 2007, S. 62 erschien. Dankeschön! Er gibt einen guten Überblick der Geschehnisse und wirft sich daraus ergebende wichtige Fragen auf.

 

Die Folgen, die sich aus dem Schicksal Birgit Dressels für >>> Prof. Armin Klümper ergaben und >>> Zitate aus der Expertenanhörung vor dem Sportausschuss des deutschen Bundestages 1987 zum Thema wurden als Hintergrundinformationen angefügt (s.u.).



Der Tod ist irreversibel

2012, zum 25. Todestag Birgit Dressels, stellt sich diese Frage erneut.
15 bekannte Dopinggegner forderten daher am 10.4.2012 von Sport und Politik endlich umfassende Aufklärung und nachhaltige Konsequenzen:

>>> Offener Brief zum Jahrestag des Todes von Birgit Dressel

FAZ, 9.4.2012: Schmerzliches Schweigen

WZ, 9.4.2012: Tod von Birgit Dressel: „Opfer der Pharmaindustrie“
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Vor 20 Jahren starb die Mainzer Siebenkämpferin Birgit Dressel – hat der Spitzensport daraus gelernt?

 

von Andreas Singler

 

Auf dem Mainzer Hauptfriedhof hatten sich 500 Menschen versammelt, die meisten von ihnen waren in Tränen aufgelöst. Ein großer Teil der Familie des bundesdeutschen Sports war neben den Angehörigen gekommen, um den Tod einer jungen Frau zu beklagen, die noch nicht einmal ihr 27. Lebensjahr vollendet hatte. Anwesende berichteten später, sie hätten noch nie so viele gestandene Männer so rückhaltlos weinen gesehen. Eine Woche zuvor, am 10. April 1987, war Birgit Dressel in der Mainzer Universitätsklinik auf rätselhafte Weise nach einem langen, von unerträglichem Schmerz begleiteten Todeskampf gestorben.

 

Zum Zeitpunkt der bewegenden Trauerfeier lagen noch keine Erkenntnisse zur genauen Todesursache vor. Wohl aber war bekannt, dass das Ableben der jungen Siebenkämpferin mit Medikamenten und mit Doping zu tun gehabt haben könnte. Unter Athleten, Trainern, Ärzten oder Funktionären ging die Angst um. Leistungssportler aus jener Zeit berichten, dass viele von ihnen den gesamten Inhalt ihrer Medikamentenschränke in die Toilette geschüttet und heruntergespült hätten, gleichgültig ob es sich dabei um harmlose Vitaminpräparate oder um die auch unter westdeutschen Sportlern wie selbstverständlich eingenommenen anabolen Steroide handelte.



multiple Medikamenteneinnahmen

Birgit Dressel, die bundesdeutsche Meisterin im Siebenkampf, hatte mehr als nur Vitamine oder – gefährlich genug – Steroide eingenommen. Über 100 verschiedene Medikamente und Präparate hatten in den Monaten vor ihrem Tod im Körper der Europameisterschafts-Vierten ihre Wirkungen und Nebenwirkungen entfaltet. Zuletzt, nachdem sie wegen starker Schmerzen im Rückenbereich einen Orthopäden vor Ort aufgesucht hatte, kamen bis zu ihrem Ableben in der Mainzer Universitätsklinik drei Tage später Unmengen an unterschiedlichsten Schmerzmitteln hinzu.

 

All dies wurde letztlich offenbar im Zusammenspiel tödlich für eine Patientin, die nach Ansicht ihres Freiburger Arztes Armin Klümper im Lauf der Jahre „eigentlich immer gesünder“ geworden sei. Sie sei an einem „komplexen toxisch-allergischen Geschehen“ verstorben, urteilten die medizinischen Gutachter. Dass dieses Geschehen bereits begonnen habe, bevor der Schmerzmittelmarathon einsetzte, vermochten sie nicht auszuschließen. Klümper, einst Guru für zahllose westdeutsche Spitzensportler, hatte sie mit „Behandlungen“ überzogen, die laut Gutachtern „erhebliche Nebenwirkungen und Allergien auslösen können“: tierische Zellpräparate, die das Immunsystem überforderten, Kombinationspräparate oder Fremdeiweißapplikationen. Und, neben vielen weiteren Mitteln, anabole Steroide. Sie könnten eine Erklärung sein für die Schmerzen, die Birgit Dressel drei Tage vor ihrem Tod zum Arztbesuch bewegt hatten. Der „schmerzhafte Muskelhartspann“ zählt zu den am häufigsten genannten schädlichen Nebenwirkungen beim Hormondoping.

 

Die gebürtige Bremerin Birgit Dressel war längst nicht mehr gesund, aber sie war paradoxerweise noch nie so gut. Nach ihrem (durch Doping begünstigten) vierten Platz bei den Europameisterschaften 1986 in Stuttgart, wo sie zum Publikumsliebling avanciert war, zählte sie zu den wenigem Medaillenhoffnungen der westdeutschen Leichtathletik für die Weltmeisterschaften in Rom 1987 und die Olympischen Spiele in Seoul 1988. Und noch am 4. Februar untermauerte sie diese Hoffnungen, als sie in ihrem neuseeländischen Trainingslager in Auckland mit 6201 Punkten eine neue Weltbestleistung im Stunden-Siebenkampf erzielte.



business as usual

Umso größer war der Schock, den ihr Tod auslöste. Die bewegenden Szenen bei der Trauerfeier auf dem Mainzer Friedhof und die ergreifenden Trauerreden zeugten davon. Man sollte annehmen, dass der Sport aus dem tragischen Todesfall gelernt hätte. Doch weit gefehlt: Die Abkehr vieler Spitzenathleten von der medikamentösen „Unterstützung“ war nur von kurzer Dauer. Die Medikamentenschränke waren bald wieder aufgefüllt. Und Funktionäre wie der damalige Chef des Bundesausschusses für Leistungssport, Helmut Meyer, versicherten, dass Birgit Dressels Tod mit Doping nichts zu tun gehabt habe. Fortschritte bei den Dopingkontrollen kamen daher erst nach der Entlarvung des kanadischen 100-Meter-Weltrekordlers Ben Johnson bei den Olympischen Spielen 1988 in Gang.

Dass das medizinische Gutachten zum Todesfall Birgit Dressel keine eindeutige Ursache identifizieren konnte, half an einen singulären Unglücksfall zu glauben. Kritische Selbstreflektion erübrigte sich damit, so jedenfalls dachte der Spitzensport. Wer aber dennoch, wie Eberhard Munzert als Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, von nun an ernsthaft gegen Doping vorgehen wollte, wurde weggemobbt. Munzert trat 1988 zurück. Vordergründig hatte man ihn wegen der prekären Haushaltslage des Verbandes kritisiert. Die Heftigkeit der Angriffe gegen ihn – der Armin Klümper selbst auf Intervention von NOK-Chef Willi Daume nicht zurück ins Olympiateam holen wollte – waren aber wohl eher seiner „leistungssportfeindlichen“ Dopinggegnerschaft geschuldet. Eberhard Munzert gehörte zu den wenigen Funktionären, die durch Birgit Dressels Tod nachhaltig aufgerüttelt worden waren.

 

Im Produktionsprozess der westdeutschen Medaillenschmieden – die im Vergleich zum Osten ohnehin immer mehr ins Hintertreffen geraten waren – lief bald alles weiter wie gehabt. Auf allen Ebenen innerhalb und außerhalb des Sports griffen die Rädchen der Dopingmaschinerie westlicher Prägung wieder ineinander. Besonders erstaunlich war, wie wenig sich öffentliche Institutionen veranlasst sahen, den Todesfall einer jungen Frau als Anlass zum Einschreiten, zum Schutz wenigstens bestehender Gesetzte zu nutzen. Die Mainzer Staastanwaltschaft befand sogar, „dass selbst eine nachweisbare Gesundheitsbeschädigung durch die Einwilligung der Verletzten gerechtfertigt gewesen wäre“.

Die im Grundgesetz festgeschriebene Autonomie des Sports garantierte eine solche Narrenfreiheit des Spitzensports zwar nicht. Falsch verstanden erschwert sie gleichwohl die Dopingbekämpfung bis heute. Der immer stärker werdende Ruf nach einem Anti-Doping-Gesetz in Deutschland ist eine Reaktion darauf. Die Staatsanwaltschaft hätte seinerzeit gegen Klümper jedoch durchaus intensiver ermitteln können, wenn nicht sogar müssen. Sie verneinte aber für den Todeszeitraum der Sportlerin eine sittenwidrige Handlung bei der ärztlichen Verabreichung von Dopingmitteln, da in der bundesdeutschen Öffentlichkeit angeblich „eine eindeutige Ablehnung von leistungssteigernden Medikamenten im Sport ... nicht mit Sicherheit“ feststellbar gewesen sei.

 

Allerdings hatte die Öffentlichkeit von solchen Vorgängen überhaupt keine Kenntnis. Doping fand selbstverständlich heimlich statt und posthum quasi „freigegeben“ durch die Mainzer Staatsanwaltschaft. Auch gegen Betrugsvorwürfe – die massenhaften Dopingrezepturen in der Bundesrepublik mussten schließlich von anderen Krankenkassenmitgliedern mitbezahlt werden – nahm die Behörde Dopingärzte geradezu in Schutz: „Zugunsten von Prof. Dr. Klümper ist nämlich nicht auszuschließen, dass er subjektiv davon ausging, die von ihm verordneten Medikamente wären zumindest auch zur Heilung und Linderung von Krankheiten zweckmäßig einzusetzen.“



Doping als Therapie

Wer im Westen dopen wollte, konnte dies ohne Rücksicht auf Verluste ungestraft tun – er musste es nur anders nennen. „Therapie“ etwa. Der Tod Birgit Dressels stellte diesen Umstand nicht in Frage, er wurde vielmehr zum Anlass für Initiativen genommen, dies noch intensiver als zuvor betreiben zu können. „Die zeitlich limitierte Gabe von Anabolika zum Wiederaufbau atrophierter Muskulatur nach Immobilisierung oder langdauernden Verletzungen stellt eine therapeutische Maßnahme dar und erfüllt nicht den Tatbestand des Dopings“, baute sich der Deutsche Sportärztebund 1988 entgegen der Dopingbestimmungen ein fragwürdiges „Therapie“-Fenster. (1)

Ärzte wie der Paderborner Heinz Liesen, der lange Zeit unter anderem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft betreute, forderten gar, „dass alle optimalen Möglichkeiten einer sportmedizinischen Betreuung eines Athleten trotz Dopingliste möglich“ werden sollten. Und zumindest der Glaube, dass man bei extremen Belastungen Dopingmittel zu quasitherapeutischen Zwecken einzusetzen hätte – etwa zur verbesserten Regeneration – hält sich hartnäckig auch im neuen Jahrtausend. Menschen mögen sterben, Überzeugungen überleben.

 

Der Mainzer Apotheker >>> Horst Klehr, damals Frauenwart des Rheinhessischen Leichtathletik-Verbandes, hatte Birgit Dressel im Jahr vor ihrem Tod zu warnen versucht. Ihm waren ihre gewachsenen Muskeln und das zunehmend aufgedunsene Gesicht aufgefallen, sie deuteten auf den Anabolika- und Medikamentenmissbrauch hin. Klehr, Jahre zuvor Verfasser der ersten bundesdeutschen Dopingliste und als Kontrolleur tätig, erläuterte der Sportlerin eindringlich die Schädigungsmöglichkeiten des hormonellen Dopings, besonders bei Frauen. „Heutzutage“, habe Birgit Dressel daraufhin entgegnet, „ist das alles reversibel“.



(1) Auf Anfrage des Autors macht der 1999 in Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) umbenannte Sportärztebund geltend, dass es bei diesem in den DLV-Nachrichten 12/1988, 7, S. 13 veröffentlichten Text „Deutscher Sportärztebund zur medikamentösen Behandlung von Sportlern“ lediglich um eine Stellungnahme einer ad-hoc-Kommission gehandelt habe und nicht um eine offizielle Stellungnahme des DSÄB. Im Anschluss an die Veröffentlichung hätte eine von Wildor Hollmann angeregte und von Wilfried Kindermann geleitete Expertenrunde der Sektion Leistungssport des DSÄB „eine Klarstellung und eine Aussage gegen die missverständliche Verlautbarung der ad-hoc-Kommission“ ausgesprochen (Schreiben von Herbert Löllgen an den Autor vom 13.04.2011 (Mitverfasser D. Clasing, D. Schnell und W. Hollmann). Zudem hätten sich de Marées, Jeschke und Weicker in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (39/1988, S. 384) gegen den Wortlaut gewendet und festgehalten: „Die deutsche Sportmedizin steht uneingeschränkt hinter der Erklärung von Lissabon (Ethische Richtlinien für Ärzte in der Sportmedizin) und lehnt eindeutig jede Anabolikagabe bei gesunden und kranken Sportlern ab, auch eine Substitution mit diesen Substanzen, sie gilt ebenfalls als Doping.“

 

Text von Andreas Singler, 2007

 



Armin Klümper und der Fall Birgit Dressel

Interview mit Armin Klümper, SDR 3 2.6.1997:
SDR: Man hat nach ihrem [Birgit Dressel] Tode ... ich glaube, 102 verschiedene Medikamente gefunden oder Substanzen ...

Klümper: Nein, die hat man nicht bei der Obduktion gefunden, sondern die hat man bei der Hausdurchsuchung gefunden und hat die dann alle im Spiegel abgebildet. Das war also schon urkomisch, wenn da also nun spezielle Mittel nicht für den gynäkologischen Bereich abgebildet werden, bloß weil sie das alles gefunden hatten. ...

SDR: Vermutlich ist bei einer solchen Zahl ... die Frage relativ unsinnig, ob darunter Doping-Mittel waren, weil, wenn man die 102 zusammenwürfelt, passiert das, was im Falle von B. D. ja passiert ist.

Klümper: Nein, das ist völlig falsch ... sie können meinetwegen 200 verschiedene, es kommt ganz darauf an, was sie nimmt, was der Inhalt entweder von Chemismus her ist oder sind es homöopathische Mittel oder sind es pflanzliche Mittel usw. und wir arbeiten z. B. in der Überzahl der Menge mit pflanzlichen und homöopathischen Mitteln und die sie von uns bekommen hat, da kann sie einfach nicht dran sterben, das ist nicht möglich."

Armin Klümper war in den 80er Jahren Arzt von Birgit Dressel. Eine exakte Ursache ihres Todes konnte zwar nicht festgestellt werden, doch als gesichert gilt, dass sie an einem durch Medikamente ausgelösten toxisch-allergischen Schock starb - über 100 verschiedene Präparate wurden bei ihr zuhause gefunden. Es besteht ein begründeter Verdacht, dass anabole Steroide für den Tod der Leichtathletin entscheidend mitverantwortlich gemacht werden können und es kann auch angenommen werden, hätten die Ärzte im Krankenhaus nach ihrer Einlieferung von den Steroiden gewusst, wäre über einen anderen Behandlungsweg der Tod vermeidbar gewesen. (Berendonk, 1992, S. 255ff, s.a. der Spiegel, 33/1987, der Spiegel, 37/1987)

 

An der im Ermittlungsverfahren festgestellten erschreckend vielfältigen und häufigen Medikation war Armin Klümper wesentlich beteiligt. Z. B. erhielt die Sportlerin ab 1986 in der Freiburger Praxis alle 4 bis 6 Wochen bis zu neun Injektionen wobei jede sich aus 5 bis 6 verschiedenen Mitteln zusammen setzten. Zusätzlich wurde sie mit weiteren Therapien wie einer speziellen Zelltherapie behandelt und bekam eine Reihe von Medikamenten verschrieben. Wie solche jahrelangen Therapien wirken können, wird in einem Gutachten der Professoren Mattern und Wagner festgestellt (der Verabreicher wird nicht genannt): "Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß es bei dem jahrelangen Zusammentreffen zwischen parenteral verabreichten tierischen Zellpräparaten (Fremdeiweiß) zwangsläufig zu ständigen Immunreaktionen im Organismus der Birgit Dressel kam, mit der Gefahr einer Überforderung ihres Immunsystems, das durch gehäufte Infekte (AS 177) zusätzlich belastet wurde."



Distanzierungen

Schnell geriet Armin Klümper in den Verdacht am Schicksal der Sportlerin wesentlich Mitschuld zu tragen. Die darüber geführten Auseinandersetzungen zogen weite Kreise. Nachdem gegen den Arzt auch polizeilich im Falle Birgit Dressel ermittelt wurde, kam es zu heftigen Differenzen zwischen DLV und dem Arzt, der daraufhin 1987 seinen Rücktritt als Verbandsarzt erklärte. Er sei "doch nicht der Hampelmann der Nation." Von ihm betreute Sportler wie Jürgen Hingsen, Klaus Tafelmeier, Dietmar Mögenburg, Carlo Thränhardt sahen dies ähnlich und protestieren, einige erwogen sogar den Boykott der WM.

Auch aus dem Bundesministerium des Inneren kam Unterstützung. Staatssekretär Karl-Dietrich Spranger soll nach Sport-Bild auf Journalistenfragen 'unvermittelt böse' reagiert und gefordert haben, Kritik "habe gefälligst zu unterbleiben." "Denn den Professor brauche der deutsche Sport schließlich noch." (Sport-Bild, 10.5.1989)

 

Als Ersatz für Klümper hatte der DLV geplant, dessen Assistenten Dr. Walter Hubmann mitzunehmen. Dazu Klümper: "das allein zeigt doch die Schizophrenie der Funktionäre. Der Hubmann arbeitet doch nach meinen Methoden." Dr. Hubmann wurde später von Diskuswerfer Alwin Wagner beschuldigt, ihm in Vorbereitung der Spiele in Los Angeles 1984 mehrfach Anabolika verschrieben zu haben. Zur WM fuhren Prof. Hartmut Krahl, Prof. Joseph Keul und Heinz Birnesser. (SWP, 26.8.1987)

Es war DLV-Präsident Eberhard Munzert, auf dessen Initiative hin sich das DLV-Präsidium nach Kenntnis des medizinischen Gutachtens geweigert hatte, Klümper als DLV-Teamarzt für die Spiele 1988 zu nominieren. Demgegenüber erklärte Helmut Meyer, 1987 leitender Direktor des BAL, ab April 1989 DLV-Präsident, 1991, dass das BAL Klümpers 'wertvolle Arbeit' zu schätzen gewusst und ihn dem NOK für die Olympia-Nominierung 1988 als Arzt vorgeschlagen habe (Meyer, 18.12.1991). Das NOK-Präsidium sei diesem Vorschlag einstimmig gefolgt. NOK-Präsident Willi Daume, selbst ein Patient der Freiburger Ärzte, muss nach Aussagen von Munzert mehrfach versucht haben, den DLV umzustimmen.

 

Der DLV revidierte danach seine Entscheidung zugunsten des beliebten Sportarztes. 1989 wird Armin Klümper laut Sport-Bild vom 10.5.1989 im DLV-Jahrbuch wieder als DLV-Arzt geführt. DLV-Präsident Helmut Meyer bekannte erneut, er kenne und schätze den Arzt seit 20 Jahren. (Dies steht im Widerspruch zu Klümpers eigener Aussage, s.u., wonach er sich seit 1987 aus der 'aktiven Betreuung' zurückgezogen habe (FAZ, 5.6.1997).)

Munzert, der auch nach seinem Rücktritt mit seiner Kritik nicht zurückhielt und einen direkten Zusammenhang zwischen dem Tod der Sportlerin und Doping herstellte, wurde dafür Ende 1990 auf der DLV-Verbandsratssitzung von Prof. Kindermann zurecht gewiesen: "Prof. Dr. Kindermann warnte Prof. Munzert nochmals, den Fall Birgit Dressel im Zusammenhang mit Doping zu nennen, da völlig andere Gründe für den tragischen Tod der Siebenkämpferin verantwortlich waren."



Gerichtliche Auseinandersetzungen

>>> Dr. Klümper gab in den Vernehmungen zu, Birgit Dressel anabole Steroide verschrieben zu haben, aber nur aus medizinischen Gründen, zur Nachbehandlung einer Kieferhöhlenentzündung. Denn "wenn meine ärztlichen Mitarbeiter oder ich Anabolika rezeptiert oder verabreicht haben, so geschah dies ausschließlich aus medizinischen Gründen, sei es auf Grund einer Diagnose, die den Einsatz eines solchen Präparates als medizinisch-indiziertes Medikament erforderten, sei es um - in äußerst seltenen Ausnahmefällen - unbelehrbare Athleten vor unkontrolliertem Konsum und gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Der Anteil der von uns behandelten oder medizinisch betreuten Athleten, denen aus einem der genannten Gründe Anabolika verabreicht oder verordnet worden sind, liegt mit absoluter Sicherheit unter 1%." (Zitiert aus einer eidesstattlichen Versicherung Klümpers vom 20.10.1991, Singler/Treutlein, Doping im Spitzensport, S. 288)

 

Diese Begründung wurde vielfach angezweifelt. Für Armin Klümper stand fest, dass für diese Vorwürfe Brigitte Berendonk und Werner Franke die Verantwortung trugen. Brigitte Berendonk hatte in ihrem Buch 'Doping-Dokumente' verschiedene schwere Vorwürfe ihm gegenüber erhoben, auch Birgit Dressel betreffend. Klümper reagierte schnell auf diese Veröffentlichung mit einer Klage. Der Arzt unterlag, allerdings wurde ihm darin Recht gegeben, dass es keine Dokumente gäbe, wonach er Birgit Dressel Anabolika zu Dopingzwecken verschrieben hätte. Entsprechend wies er auch später immer wieder jegliche Schuld an dem Tod der Sportlerin zurück. Dem Ehepaar lagen zwischenzeitlich jedoch Prozessunterlagen vor, aus denen hervor ging, dass Klümper durchaus eine gewisse Schuld treffen könnte. Daher hatte 1994 Brigitte Franke-Berendonk bereits eine Anzeige erstattet, in der Klümper die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides vorgeworfen wurde. Dieses Verfahren wurde im September 1995 eingestellt. Woraufhin Klümper in einem Interview mit der Sport-Bild vom 4. 10. 1995 Berendonk und Franke erneut angriff und damit wieder gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Ehepaar Berendonk und Franke provozierte.

 

In einer Berendonk-Stellungnahme zu diesem Klümper-Interview, in der sie von der Redaktion der Zeitung die Klarstellung einiger Fakten verlangte, heißt es u.a. in Bezug auf die Ermittlungsakten im Fall Dressel der Staatsanwaltschaft Mainz:

"Und dort findet man genau das, was ich in meinem Buch gemeint hatte: ein Dopingdrogen-Versorgungsweg mit unvorschriftsmäßig ausgefüllten Rezepten, wie er auch schon durch die mutigen Aussagen Wagners bekannt war. Wegen der Bedeutung dieser Aussagen Kohlbachers [Trainer und Lebenspartner von B. Dressel] zitiere ich wörtlich aus diesen Protokollen, die Rezepte auf das Anabolikum mit Namen Stromba betreffend (Wirkstoff Stanozolol, den auch der kanadische Sprinter Ben Johnson nahm):

"Frage: Hat ein Arzt die Mittel verordnet?

Antwort: Diese Substanz wurde von Prof. Dr. Klümper verordnet; dies erfolgte auf einem Rezept, auf dem sich nur der Substanzname, der Präparatname, befand. Der Name von Birgit Dressel erschien auf diesem Rezept nicht. ...

So also gelangte Birgit Dressel an jene Mittel, die bei ihr die häufigste Nebenwirkung des Anabolika-Doping auslösten, den schmerzhaften Muskelhartspann (...) der sie zur Einnahme von Schmerzmitteln veranlaßte und so am Anfang der Entwicklung zum Tode stand. Kausalität und Schuld beim Tode Birgit Dressels wurden schließlich für niemanden fest- und die Ermittlungen eingestellt, wie das eben häufig so endet."



SDR 3, 2.3.1997:
SDR: ... Gut zehn Jahre ist es her als sie [Birgit Dressel] starb. Sie war ihre Patientin. Wenn ich sagen würde, Konjunktiv, ihr Name ihre Person stünde im Zusammenhang mit dem Tod von B. D., würden sie mich verklagen?

Klümper:: Ja, mit Sicherheit.

SDR: Haben sie etwas ähnliches schon gemacht?

Klümper: Ja, ich habe etwas ähnliches schon gemacht. Vor einem Jahr gegen den Sportinformationsdienst und gegen die FAZ und habe in beiden Fällen gewonnen.

SDR: Die haben was behauptet?

Klümper: Daß ich eben in irgendeiner Form mit in diesen Tod verwickelt sei. ...

Weitere Ausschnitte aus diesem Interview s. u. auf dieser Seite.

Armin Klümper selbst reagierte gegenüber Werner Franke, nachdem dieser auf einem Doping-Symposium im November 1995 von eben dieser Aussage Kohlbachers berichtet hatte, mit einer einstweiligen Verfügung. Franke gewann, er konnte weiterhin behaupten, "es steht nach den Aussagen des Dressel-Trainers und Doping-Gehilfen Thomas Kohlbacher ohne Zweifel fest, daß Birgit Dressel Dopingmittel, unter anderem durch Rezept mit der Unterschrift Professor Klümpers und dem Präparat namens Stromba, besorgt wurden. Unklar ist nach wie vor, wie Birgit Dressel an solche Rezepte gekommen ist." Klümper hatte einwenden lassen, er sei nicht beteiligt gewesen, aber in der Öffentlichkeit sei dieser Eindruck entstanden. Was Richter Huthmacher zu der Bemerkung bewog: "Diese Schlußfolgerung ist ja auch nicht ganz abwegig." (FAZ, 22.12.1995)

Die Blanko-Rezepte waren bereits 1990 von Alwin Wagner (s.u.) bestätigt worden, der angegeben hatte, von Klümper seit 1980 Anabolika-Rezepte mit dessen Unterschrift aber ohne Namen und Adresse erhalten zu haben.

 

Insgesamt blieben zu Birgit Dressels Tod viele Fragen ungeklärt auch dank der ungenauen Aussagen des Trainers Kohlbacher während dessen zweiter Vernehmung. Kohlbacher hatte u. A. behauptet, dass das Rezept, welches er bei Birgit Dressel gesehen habe, zu den Blanko-Rezepten gehört habe, die aus der Praxis Klümpers verschwunden seien. Die dahinter stehende Begründung von Seiten Klümpers lautete: Aus den Behandlungsräumen der Freiburger Klinik hätten Sportler und Sportlerinnen wiederholt Leer-Rezepte mit Prof. Klümpers Unterschrift gegen den Willen der Ärzte entwendet, diese dann selbst ausgefüllt oder ausfüllen lassen.

Brigitte Franke-Berendonk wollte diese offenen Fragen mit Hilfe ihres Anwalts Lehnert prüfen lassen. Diese Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung vom 5.10.1995 und eine damit verbundenen Klage wegen falscher Versicherung an Eides statt durch Armin Klümper wurde jedoch von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe zurückgewiesen u. a. weil die Ermittlungen ergeben hätten, dass ein Diebstahl von Blanko-Rezepten nicht auszuschließen gewesen sei.



Sportausschuss, Öffentliche Anhörung 'Humanität im Spitzensport'

Der Tod Birgit Dressels rückte das Thema Doping in der Bundesrepüblik wieder in den öffentlichen Fokus und damit auch allgemeinere Fragen über den Stellenwert, über Sinn und Unsinn und die Entwicklung des Hochleistungssportes. 10 Jahre nach den Dopingturbulenzen der Jahre 1976/1977 sahen sich auch Politiker wieder gefordert, das Thema aufzugreifen.

 

Dass Doping sich weltweit gesehen zu einem immer größeren Problem entwickelt hatte, wurde in Deutschland nicht geleugnet. Doch die Situation im eigenen Land war erfolgreich unter den Teppich gekehrt worden, obwohl sich im Rahmen des auch im Sport ausgetragenen Ost-West-Konflikts die beiden deutschen Staaten ein gefährliches Duell lieferten.

 

Neben den Dopinggeschehnissen trat in den 80er Jahren allgemeine Fragen nach der Stellung des Spitzensports, nach den Bedingungen, denen er ausgesetzt ist in den Mittelpunkt. Immer jünger wurden die Sportler und Sportlerinnen, immer rigider die Trainingsbedingungen, immer schärfer der kommerzielle Druck. Der Dualismus Amateur-Professional weichte auf.

 

Vor diesem Hintergrund reichten am 3.6.1987 CDU/CSU und FDP eine Kleine Anfrage 'Humanität im Leistungssport' ein, die am 23.6.1987 beantwortet wurde:

>>> Kleine Anfrage 'Humanität im Leistungssport'

 

Eine Fortsetzung der Diskussion erfolgte am 14. Oktober 1987 im Sportausschuss des Deutschen Bundestages mit einer Sachverständigen-Anhörung. Das Thema Doping und die Frage der ärztlichen Kontrolle und deren Rolle wurde dabei vor allem im zweiten Teil, nach der Mittagspause erörtert. Die Frage der Substitution nimmt darin breiten Raum ein.





Diskussion zu Birgit Dressel

Vorsitzender Ferdi Tillmann (CDU/CSU):

"Wir wollen uns heute schwerpunktmäßig mit dem Thema der medizinischen und sozialen Betreuung befassen. Dies tun wir nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des tragischen Todes der jungen, begabten Leichtathletin Birgit Dressel. Unsere heutige Sitzung sollten wir jedenfalls nicht so verstehen, daß wir zusammengekommen sind, um Vorwürfe zu erheben und gegenseitige Schuldzuweisungen zu erteilen. Vielmehr sollten wir vielleicht eine gemeinsame Bestandsaufnahme vornehmen, diese kritisch werten und daraus dann für die Praxis die entsprechenden Schlußfolgerungen ziehen."

 

Abgeordneter Schmidt (SPD):

"Im Frühjahr haben wir gemeinsam im Ausschuß darüber gesprochen, ob es nicht doch sinnvoll wäre, den Spitzensport - auch unter dem Gesichtspunkt der politischen Verantwortung, die damit verbunden ist - unter die Lupe zu nehmen. Durch den von Ihnen angesprochenen Fall der Leichtathletin Birgit Dressel kam es - wenn man so will - zu einer Verschärfung der Situation, die sich auch für uns im politischen Raum so darstellte. Von daher gab es einfach die Notwendigkeit, aus dem politischen Raum Verantwortungsbewußtsein mit einzubringen. Ich unterstreiche allerdings, daß der Sport zunächst selbst Lösungen für die Weiterentwicklung des Spitzensports - aber auch aller anderen Bereiche - zu finden hat. Aber wir haben unseren Teil dazu beizutragen."



Durch den Tod von Birgit Dressel und den damit verbundenen Dopinghintergrund mit Verbindungen zu Arzt Prof. Armin Klümper, geriet wieder einmal die deutsche Sportmedizin generell in den Verdacht mit medikamentöser Leistungssteigerung sehr großzügig umzugehen.

 

Der Tod Birgit Dressels und die Expertenanhörung fiel in die Zeit, in der Forschungsvorhaben zur Frage der Wirkungen von Testosteron, ein verbotenes Dopingmittel, bei Sportlern liefen. Beteiligt waren führende Sportmediziner wie Prof. Keul und Prof. Liesen und finanziert wurden sie mit öffentlichen Geldern, bewilligt vom Bundesinnenministerium. Diese Forschung wurde aber erst 1991 öffentlich diskutiert und scharf kritisiert:

>>> Testosteronforschung 1985 bis 1990

 

Gerechtferigt wurden diese Vorhaben mit Wissensdefiziten in Fragen der Regeneration und notwendiger Substitution bei Hochleistungssportlern. Eine fragwürdige Erklärung wie sich zeigte. Gerade was die Substitutionstheorie anbelangte galt dies schon lange bei den Dopingkritikern als Rechtfertigungsstrategie für medikamentöse Leistungsteigerung ohne wissenschaftliche Sinnhaftigkeit.

 

>>> Prof. Heinz Liesen äußerte sich in der Expertenanhörung ausführlich und eindeutig zu der Substitutionsfrage, insbesondere zur Gabe von anabolen Steroiden. Er verteidigt diese Haltung wie auch noch in späteren Jahren. Konkret bezogen auf Birgit Dressel geht er allerdings auf Distanz und lehnt eine Verantwortung der Sportmedizin für den tragischen Tod der Sportlerin rundweg ab:

"Die Anabolika sind Hormone, die in der Öffentlichkeit und sicher auch für die meisten von Ihnen einen sehr negativen Beigeschmack haben. ... Das sind lebensnotwendige und wichtige Hormone. Wir brauchen sie in der Entwicklung, auch die Jugendlichen in ihrer Entwicklung, und wir brauchen sie im Sport zur Regeneration. Um eine erhöhte sportliche Leistung überhaupt aufbauen zu können, muß ein Athlet so trainiert werden, daß er die Fähigkeit besitzt, mehr anabole Hormone zu produieren. Da fängt das große Problem schon an, daß vielfach im Training - und darin sehe ich die Hauptprobleme - aus sportmedizinischer Sicht erhebliche Fehler gemacht werden. ... Ich bin der Meinung, daß wir heutzutage im Hochleistungssport, je differenzierter wir im absoluten Spitzensport arbeiten und Untersuchungen machen und Analytik betreiben können, immer häufiger Defizite bei Hochleistungssportlern feststellen.

...

Es wurde hier sehr oft der Fall Dressel erwähnt: Der Fall Dressel und der tragische Tod dieser jungen Sportlerin haben aus meiner Sicht - und ich habe auch das gesamte Gutachten gelesen - gar nichts mit der Sportmedizin zu tun, das ist ein ganz anderes Problem, das liegt ganz anders irgendwo. Wenn Sie das ernsthaft lesen, dann werden Sie feststellen, daß es sich hier um ein klinisches Problem der Behandlung eines Patienten handelt und nicht um ein sportmedizinisches. In diesem Bereich, in dem es kritisch wurde, haben gar keine Sportmediziner die Finger im Spiel gehabt. Das muß man einfach einmal so sehen, das ist Realität. Da müssen Sie das wirklich auch einmal mit Verstand lesen, dann kommen Sie auch zu diesem Ergebnis. Das hat wirklich nichts mit der Sportmedizin zu tun."

 

Heidi Schüller, ehemalige Leistungssportlerin und Ärztin widerspricht den überweigend medizinisch begründeten Argumenten Liesens hinsichtlich Substitution und führt angesichts der Medikamentenliste von Birgit Dressel weitere Argumente auf, die in dieser Diskussion zu beachten seien:

"Ich habe die Erfahrung gemacht, daß nach dem im "Spiegel" veröffentlichten Artikel, in dem in langer Reihe sämtliche Medikamente aufgezeigt sind, die im Laufe der Gesamtentwicklung Birgit Dressel irgendwann einmal genommen hat, einige Athleten ankamen, mit dem Finger draufzeigten und sagten: Dieses kenne ich, dieses kenne ich noch nicht, was ist das? Das ist eigentlich eine etwas paradoxe Wirkung. Bei der Mentalität der Athleten und bei dem, was mir bekannt ist und was auch Professor Donike als "grauen Markt" bezeichnet - den es gibt, der existiert sehe ich auch die Gefahr, daß einige Präparate, und das ist offensichtlich und auch nachgewiesen im Fall Dressel so gewesen, nicht einmal über den offiziellen medizinischen Weg, zumindest nicht nachweisbar über den medizinischen Weg, gelaufen sind, sondern über den freien Markt. Sie sind per Post oder wie auch immer zugeschickt worden, wie mysteriös man das auch immer beurteilen mag. Aber sie sind verabreicht und genommen worden.

...

Was mich ein bißchen irritiert hat im Laufe der ganzen Diskussion, daß diese Thematik auch von mir vor vielen Jahren schon einmal angesprochen wurde, offensichtlich aber nicht den richtigen Nährboden fand. Es war sicherlich im Moment nach dem Fall von Birgit Dressel ein anderer Resonanzboden dafür da. Und ich bin nicht unglücklich darüber, daß die Diskussion in dieser Form zur Zeit geführt wird. Mich wundert ein bißchen, daß von seiten der Sportler nicht mehr positive Befürwortung zu dieser Diskussion kommt, denn ich sehe das ein bißchen auch unter dem Aspekt des Schützens."



Multimedikation

"Schieres Entsetzen, so einer der Gutachter im privaten Kreis, habe ihn gepackt über die Polypragmasie, das Nebeneinander von bis zu 20 Präparaten und die offenkundige Unkenntnis der Ärzte über die pharmakologischen Wirkungen und Interaktionen von großzügig verabreichten Medikamenten. Unverantwortlich in toto, aber dingfest zu machen ist niemand. Kein Wunder, wenn mehrere Ärzte unabhängig voneinander am Patienten herumwursteln."
(Heidi Schüller, 10.8.1987)

Die über 100 verschiedenen Medikamente, die bei Birgit Dressel gefunden wurden, geben einen Ahnung davon, welche absurden Folgen mit dem Gedanken der Substitution verbunden sein können. Synergieeffekte noch dazu vor dem Hintergrund geringen Wissens über die Wirkungsweise einzelner Substanzen, schienen wenig diskutiert worden zu sein. In der hier zitierten Anhörung wurden entsprechende Fragen gestellt, doch nicht beantwortet:

 

Abgeordneter Schmidt (SPD):

"Wie kommen wir dem Problem, das offensichtlich dem Fall Dressel zugrunde gelegen hat, bei, nämlich dem, daB die Wirkung der kombinierten Anwendung vieler solcher Mittel nicht ausreichend erkannt ist? Das scheint auch bei vielen Medizinern so zu sein, natürlich aber vor allem bei den Laien, die diese Mittel anwenden. Dies scheint mir ein zentrales Problem auch bei der nebeneinanderstehenden Liste, die Herr Prof. Donike hier geschildert hat, zu sein."

 

Abgeordneter Brauer (Grüne):

"Mich hat auch Ihr [Prof. Liesen] Weltbild von der Machbarkeit eines Sportlers erschreckt. Sie haben gesagt: Wir entwickeln den Sportler, und anschließend machen wir ihn mündig, oder so ähnlich -" um ihn mündig zu machen", ich habe das jetzt hier gefunden. Da steckt bei Ihnen ein Weltbild dahinter und auch der Glaube, medizinisch alles unter Kontrolle zu haben, der Glaube, zu wissen, wie der Körper ganzheitlich reagiert, der Glaube, zu wissen, welche Synergismen bei den ganz verschiedenartigen Mitteln dann eintreten. Das ist eine wahnsinnige Überschätzung. ...

Er [Prof. Keul] sagte, das Phänomen des Dopings sei viel zu hochgehängt. Ich stimme dem zu. Ich würde meinen, daß das wahnsinnig schlimme Phänomen im Höchstleistungssport die Dauermedikation insgesamt ist, wobei man nicht mehr genau weiß, welche Reaktionen in der Summe auftreten. Dafür ist auch der Fall Birgit Dressel ein Beispiel. Ich möchte also noch einmal fragen, ob das vom medizinischen Sachverstand auch so bewertet wird, daß nicht das harte Dopingproblem das wichtige Problem ist, sondern die ständige Dauermedikation mit ihren unüberblickbaren Wirkungen."

 

Anmerkung: Auch im Fußball war diese Praxis verbreitet. Allerdings kein Wunder, da die Ärzte der Topsportler verschiedenster Sportarten dieselben waren. 1987 schildert Toni Schumacher die ärztliche Versorgung der Nationalmannschaft 1986 in Mexico. Er spricht von einer ärztlichen Überversorgung mit Nebenwirkungen wie Durchfall. "Jeden Mittag schluckten wir zu unserem Elekrtrolytgesöff haufenweise Tabletten: Eisen, Magnesium, Vitamin B in Höchstdosis, Vitamin E, ein paar Hormönchen für die Höhenanpassung..." ... "Außer den Pillen hagelte es Spritzen. Professor Liesen selbst hat davon 3 000 gespritzt. Da war alles mögliche drin: Pflanzenextrakte zur Stärkung des körpereigenen Abwehrsystems, die Vitamine C und B 12 in hohen Dosen, Bienenhonigextrakt, um Herz und Kreislauf zu stützen, Kälberblutextrakt [Actovegin] gegen die Folgen der Höhenluft. Und dazu noch Vitamin-E-Tabletten. ... Die vermaledeite Schlaftablettenschluckerei lehnte ich noch energischer ab." (Doping im Fußball (BRD))

 



 

Monika, Juli 2011


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