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BRD / DDR - Vergangenheit



Doping in der BRD - 1960er Jahre



1969 Manfred Steinbach: Doping

Prof. Manfred Steinbach, Sportmediziner und Trainer, war bis 1967 selbst aktiver und erfolgreicher Leichtathlet. Von 1973 bis 1993 gehörte er dem Präsidium des Deutschen Leichtathletikverbandes DLV an.

1969 erschien in 'Bild der Wissenschaften' 6,3 ein Artikel von ihm, in der sich mit der aktuellen Dopingsituation auseinander setzte.

 

Hier einige Zitate:



Man spricht von medikamentöser Peitsche, unter der Sportler Leistungen vollbringen, die ihnen selbst bis dahin unglaublich erschienen. Die Frage ist, ob es besondere Mittel und Wege gibt, dem menschlichen Organismus Rekorde abzutrotzen, die durch Training, Willen und Begabung nicht erreichbar sind:

 

1962 wurde im italienischen Sport eine Anti-Doping-Kampagne gestartet, die niederschmetternde Ergebnisse ans Licht brachte. Bei den Radamateuren waren 50 Prozent der Untersuchten, bei den Fußballern immerhin 27 Prozent gedopt. Es gibt Stimmen, die 70 von 100 Fahrern der berühmt-berüchtigten "Tour de France" Doping nachsagen. Gerade die Radfahrer dopen sich, um die gewaltigen Ausdauerstrapazen besser durchzustehen ebenso Langstreckenläufer, Langstreckenschwimmer und Ruderer. Boxer, Fallschirmspringer, Turmspringer und Motorrennfahrer greifen zur Droge, um fehlenden Mut aufzubringen. Springer, Werfer oder Gewichtheber nehmen Medikamente ein, die eventuell eine explosivkräftige Leistung und die Reaktionsgeschwindigkeit verbessern. Das gleiche beabsichtigen vor allem auch die Hundert-Meter-Läufer.

 

In erster Linie sind es die Ausdauer erhöhende Substanzen, die gesundheits- und lebensbedrohende Konsequenzen haben können. So brach bei den Radweltmeisterschaften 1961 in Bem ein Amateur der DDR mit Vergiftungserscheinungen zusammen. Die Untersuchung erbrachte einen Nachweis eingenommener Medikamente aus der Reihe der recht gefährlichen Amphetamine, zu der auch Pervitin gehört. ... Das DopingProblem wurde in jüngster Zeit neu aktuell, als der englische Radprofi Tom Simpson auf der 13. Etappe der letzten "Tour de France" während des Anstiegs zum Gipfel des 1900 Meter hohen Mont Ventoux total erschöpft vom Rade fiel und sterbend ins Krankenhaus eingeliefert wurde. "Die Tour gewinnt man nicht mit Wasser", erklärte der dreifache Tour-Sieger Louison Bobet.



Doping-Kontrolle soll nun das Mittel gegen den Medikamentenmißbrauch im Sport sein. Allerdings muß sie unwirksam bleiben, solange nicht Veranstalter und Aktive rückhaltlos mitmachen. Statt dessen hört man von Bummelstreiks der Aktiven gegen die Doping-Kontrollen und steht fassungslos vor den geradezu lächerlichen Urteilen im Falle ertappter Sünder. Der Ruf nach einem Gesetz, das Doping im Sport verbietet, wird immer lauter, zumal Frankreich seit dem 1. 6. 1965 eine derartige Regelung getroffenist. In Deutschland kann die Staatsanwaltschaft und Polizei nicht ohne weiteres in die Doping-Kontrollen eingeschaltet werden. Doping ist zunächst nur ein Problem der Sportverbände.

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Die meisten Sportler, die Doping-Mittel verwenden, machen sich über deren Wirkungen völlig falsche Vorstellungen. Ein Untrainierter wird kaum das fehlende Training durch Doping ersetzen können, eine echte Leistungskrise dürfte durch Doping nicht zu beheben sein. Auch unter der "medikamentösen Peitsche", wie es Journalisten ausgedrückt haben, sind nur Leistungen zu erzielen, die energetisch realisierbar und damit von vorhandenen Funktionskapazitäten des Organismus aufzubringen sind. ... Danach bleiben 20 bis 30 Prozent unserer maximalen Leistungsfahigkeit außerhalb unserer Verfügung. Man bezeichnet dies als die "autonom geschützte Reserve", die im Regelfalle erst im Augenblick starker Bedrohung - unter Angst, Furcht, Schreckaber auch einmal bei hochgestimmter Erregung, Freude und Lust freigegeben wird und dann im Sinne einer "Notfallsfunktion" das Letzte herzugeben erlaubt. Man ist sich zwar darüber im klaren, daß trainierte Sportler, die eine derartige Mobilisation ja geradezu üben, dazu in der Lage sind, willentlich und emotionell gesteuerte Rückgriffe auf diese Reserven vorzunehmen. Dennoch verbleibt auch ihnen eine zunächst unzugängliche Reserve. ...

 

Doping ist danach ein Vorstoß in jene "autonom geschützte Reserve". Zugleich ergibt sich die Möglichkeit, fehlende Motivation durch Doping zu ersetzen, eine Situation, wie sie bei altgedienten Athleten, bei Wettkampfmüdigkeit und Vielstarterei, besonders der Profis, sehr häufig anzutreffen ist. ...

 

Von der Ermüdung bis zur Erschöpfung ist noch ein gehöriger Sicherheitsabstand gegeben, unter Doping aber können Ermüdungs- und Erschöpfungsgrenzen verschmelzen, der gedopte Athlet bricht bei aufkommender Ermüdung zugleich total erschöpft zusammen. Das geschieht oft ohne warnende Vorboten. In der Fachliteratur findet sich eine prägnante Definition dieses Sachverhaltes: Die subjektiven Leistungslimits werden durch Doping auf das Niveau der objektiven Leistungslimits angehoben (Battig). ... Die eingenommenen Substanzen beseitigen durch unterschiedlichste Wirkweisen nicht nur die subjektiven und objektiven Ermüdungserscheinungen und regen die Hirn- und vor allem Hirnrindenfunktionen an, sie schaffen Zustände, die als Euphorie - eine sachlich nicht gerechtfertigte Hochstimmung - bezeichnet werden, verhindern damit eine sachgerechte Orientierung und nehmen gelegentlich sogar den Charakter des Rausches oder sogar einer Umdämmerung an. Besonders die Rauschmittel bringen überdies die Gefahr der Süchtigkeit mit sich wenn der Sportler der Versuchung erliegt, auch im Intervall sportlicher Veranstaltungen und im Training zum Medikament zu greifen. Neben der Ermüdung spielt in der Doping-Praxis auch die Hemmung eine Rolle.

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Die ... Definition des Dopings nach der wir uns heute richten, ist in mancher Hinsicht auch unzulänglich, sie hat Grenzfälle und bringt Mißverständnisse. Ist ein koffeinhaltiges Schmerzmittel schon Doping? Oder bringt die Behandlung eines verletzten Athleten überhaupt die Gelegenheit zu dopen mit sich? Als Richtschnur mag gelten, daß ein kranker Athlet, der nur unter massiver medikamentöser Behandlung einsatzfähig wird, so daß sich daraus ein Doping-Tatbestand ergibt, ohnehin nicht in die sportliche Arena gehört. Die deutschen Sportärzte haben vor einigen Jahren eine Definition vorgeschlagen, die noch radikaler war als die derzeit geltende: Doping ist die Anwendung jeglicher Arznei zum Zwecke der Leistungsverbesserung. Nach unserer jetzigen Definition ist beispielsweise eine Tasse Kaffee als "physiologische Substanz" aufzufassen, denn sie ist weithin anerkannter Bestandteil unserer Ernährung. Das gilt nicht für die Koffeintablette und nicht für Kaffeeüberdosierungen, wie sie gelegentlich im Rennsport beobachtet werden. ... Sauerstoff ... Hypnose ... Viel bedeutsamer ist dagegen die suggestive Wirkung der Scheinmittel, Placebos genannt. Harmlose Kalkpräparate, als angebliche Dopingmittel ausgegeben, vermögen durch gefühlsbedingte Aktivierung beträchtliche Leistungssteigerungen hervorzurufen. Oft ist beim Doping nicht die eingenommene Substanz, sondern ihr Suggestiveffekt bedeutungsvoll.

 

Doping-Mittel lassen sich unter verschiedenen Gesichtspunkten einteilen, beispielsweise in physiologische und unphysiologische Substanzen.Wir wollen hier der Gliederung folgen, die Ariens empfohlen hat und die sich nach dem Ort ihrer Wirksamkeit richten: I. Psychisch wirksame Substanzen, unterteilt in anregende und beruhigende. 2. An Herz-Kreislauf- und Atem-System angreifende Substanzen. 3. Am Stoffwechsel angreifende Substanzen. 4. Hormonell wirksame Substanzen. Die gefährlichen Substanzen finden sich vor allem in der Gruppe I, während die übrigen Gruppen vielfach Präparate enthalten, deren Wirksamkeit als Doping zumindest zweifelhaft ist.

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Zu Gruppe 4: Die verschiedensten Hormone sind in der Doping-Praxis schon angewendet worden. Adrenalin, der Wirkstoff des Nebennierenmarks, wird bei höchster körperlicher, aber auch seelischer Belastung zur Freisetzung aller Kraftreserven in den Körper ausgeschüttet. Damit wäre Adrenalin das geeignete Dopingmittel, sein Einsatz muß im sportlichen Bereich aber als gescheitert gelten. Einmal ist die Dosierung sehr heikel, zum anderen treten zu leicht und zu oft überschießende Reaktionen auf. Schilddrüsenhormone haben sich ebensowenig bewährt wie weibliche Sexualhormone, auf deren durchblutungsrördernde Eigenschaften man zunächst hoffte.

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(*) Ausgehend von der Erfahrung, daß männliche Sexualhormone Muskelwachstum und Muskelkraft fördern - Eunuchen sind auffallend muskelschwach -, wurden diese Hormone in jüngster Zeit mit gutem Erfolg verabreicht, aber leider auch mit fatalen Nebenwirkungen in der Sexualsphäre. Vorwiegend synthetische Weiterentwicklungen auf dieser Basis - die sogenannten Anabolika sind weitgehend frei von diesen Begleiteffekten. Man versteht unter Anabolismus das Aktivieren des Eiweißstoffwechsels mit daraus resultierendem Aufbau eiweißreicher Gewebe, zu denen in erster Linie die Muskulatur gehört. In der Tat haben Versuche mit Dianabol eine nachweisbare Verbesserung der absoluten Kraft dieser Muskeln ergeben, die ja jeweils vom Querschnitt abhängt. Es ist sogar möglich, durch Gaben von Anabolika und Training nur bestimmter Gliedmaßenabschnitte Muskeln buchstäblich gezielt und isoliert zu entwickeln. Vereinzelt sind dadurch gewaltige Umformungen ins Athletische erreicht worden, manche Bestleistung der letzten Jahre mag teilweise mit auf dieses Konto gehen. Daß es sich hierbei um Doping, wenn auch ein langfristiges handelt, ist klar. Andererseits wird man einem Atleten im Juni kaum nachweisen könne, daß er im Winter davor Anabolika genossen hat. (Siehe hierzu >> Steinbachs eigene Untersuchungen mit Anabolika an Jugendlichen)



Zusammenfassend kann man sagen: Es wird vieles eingenommen, aber bei weitem nicht alles ist in gewünschter Weise wirksam. Und bei den wirksamen Substanzen treten unliebsame Nebenwirkungen ein. Im Grunde genommen verbleibt nur eine kleine Gruppe von Substanzen erwiesener und teilweise hoher Wirksamkeit, damit aber gleichzeitig hoher Gefährdung für Gesundheit und Leben.

 

Den Arzt interessiert am Dopingproblem vor allem die Gesundheitsgefährdung. Die ergibt sich einmal aus einer möglichen Süchtigkeit bei zahlreichen Präparaten, zum anderen aus der Fähigkeit dieser Substanzen, die letzten Reserven des Organismus zu mobilisieren und weitere Schutzreaktionen des Körpers zu blockieren. Treten dann im gedopten Zustand zusätzliche und unerwartete Belastungen auf, etwa besonders hohe Außenternperaturen oder hohe Luftfeuchtigkeit, dann verfügt der Gedopte nicht mehr über die rettenden Selbstschutzmechanismen und gerät in das weithin bekannte Fiasko. Seine dafür angelegten Notfallfunktionen sind bereits abgehoben.

 

Es gibt für den Arzt keine Alternative zur konsequenten Ablehnung des Doping. Neben der Aufklärung bleibt nur die unwürdige Dopingkontrolle - in erster Linie chemische Urinanalyse - das wirksamste Mittel im Kampf gegen dieses Unwesen, vorausgesetzt, die Verbände greifen im Falle der Überführung unnachsichtig durch.



(*) Prof. Dr. Manfred Steinbach, die Zeit 16.8.1968

Gegenwärtig trifft man in der Tagespresse auf die widersprüchlichsten Meinungen in der Frage, ob das jüngst „in aller Munde“ befindliche Dianabol, daß zu den sogenannten Anabolica gehört, Doping sei oder nicht. Das liegt nicht an der mehr oder weniger ausgeprägten Qualität der Befragten, als vielmehr an der noch immer nicht hinreichend präzisen Definition des Dopings.

 

Immer wieder bekommt man in diesem Zusammenhang zu hören, daß Dianabol schließlich keine Aufputschdroge sei und damit auch kein Doping. Wer sich aber mit dem Dopingproblem beschäftigt, dem kann nicht entgehen, daß die Aufputschmittel nur eine Seite dieses Komplexes darstellen. Seit langem schon werden auch langfristig könditionierende Präparate im Zusammenhang mit Doping aufgezählt und neben die kurzfristigen gestellt.

 

In der Definition des Doping, die zuletzt vom Europarat in Straßburg konzipiert wurde, ist daher auch nicht nur vom Verbot, Aufputschmittel einzunehmen, die Rede, sondern viel allgemeiner die medikamentöse Leistungsverbesserung untersagt. Geht man vom Buchstaben dieser Definition aus, dann dürfte es nicht schwerfallen, auch Dianabol als Doping zu bezeichnen. Es wird unter anderem gern mit jenen international kursierenden Listen der Dopingmittel argumentiert, in denen Dianabol nicht zu finden ist. Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß bei weitem nicht alles erlaubt ist, was in diesen Listen noch fehlt. Sie enthalten nämlich nur die nach derzeitigem Wissen häufigsten und zudem gefährlichsten Mittel, die sich selbstverständlich vorwiegend aus den Reihen der kurzfristig wirksamen rekrutieren.

 

Dianabol ist auch nicht mit Vitaminen zu vergleichen. Letztere gehören zum normalen Nahrungsbedarf und sind daher auch im Sport erlaubt, soweit sie auf normale Weise zugeführt werden. Dianabol hingegen ist ein sehr differenziertes Medikament, daß sich nachweislich zum Beispiel auf die Stickstoffbilanz auswirkt und auf diesem Wege zu Eiweißaufbau und damit Muskelansatz führt. Es sind Kontraindikationen für Anabolica zu beachten, sie werden nur bei ganz bestimmten Krankheitszuständen ärztlich verordnet.

 

Rein vom ärztlichen Standpunkt aus sind Einwände angebracht, ein so differenziertes Medikament kerngesunden Menschen zu verordnen. Aber selbst wer die Gabe der Anabolica für harmlos hält und den Dopingbegriff nur eng an jenen genannten Listen orientiert, sollte es sich als verantwortungsbewußter Arzt genauestens überlegen, hier Schleusen zu öffnen. Die Anabolica könnten nur der Anfang einer „chemischen Athleten-Produktion“ sein, und dem muß entgegengewirkt werden, auch wenn es zunächst noch unüberbrückbare Nachweisschwierigkeiten gibt. Der Sportwart des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Herr Fallak, soll, wie „Bild“ berichtete, geäußert haben, daß in Zukunft nicht der gewinnen soll, der den besten Pharmazeuten im Hintergrund hat.




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