Die Wellen schlagen hoch in den Sportredaktionen, wenn wieder einmal ein prominenter Sportler des Dopings überführt wurde, doch schnell gehen alle wieder zur Tagesordnung über, auf eine gründliche Bearbeitung des Doping-Themas warten wir vergebens.
In "message" - Internationale Fachzeitschrift für Journalismus - veröffentlichte Ralf Meutgens im März 2002 einen Beitrag, in dem er kritisch das Verhältnis Sport-Sportjournalisten beleuchtete.
Der Autor erlaubte c4f die Veröffentlichung, danke.
<typohead type=3>„Doping - Warum Sportreporter immer wieder die falschen Fragen stellen - und deshalb die falschen Antworten bekommen“ </typohead>
Der Sport steckt im Dopingsumpf. Und der Sportjournalismus: Deckt er auf? Viele Reporter resignieren. Sie sind im sportlichen Wettbewerb viel lieber Mitspieler als unbequemer Gegner.
Doping ist allgegenwärtig, das wurde beim diesjährigen Giro d´Italia wieder einmal deutlich. Die italienische Polizei erwischte diesmal unter anderem den Vorjahressieger und den Sieger von 2000. Erstmals entdeckte man auch im Radsport ein Medikament, das bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City Nachweis-Premiere hatte.
Dort hatte man dem Skilangläufer Johann Mühlegg in der A-Probe der Dopingkontrolle die Einnahme des Medikaments „Darbepoetin“ nachgewiesen. Das dazu nötige Analyseverfahren wird bislang nur von wenigen Labors durchgeführt. Es ist bekannt, dass dieses Medikament nur gespritzt werden kann.
Offene Fragen
Mühlegg gab in der Zeit danach einige Interviews. Auch Norbert König, Sportreporter beim ZDF, konnte dem Sportler außer einem Augenzwinkern und der stereotypen Antwort, er „wolle erst die B-Probe abwarten“, nichts Substanzielles entlocken - außer vielleicht, dass ihn in der Nacht zuvor ein Durchfall geplagt habe. König gab sich damit zufrieden. Er hätte natürlich auch nachhaken können. Er hätte beispielsweise fragen können:
„Sie wissen sicher, dass es so gut wie nie Abweichungen einer B-Probe zu einem klaren Analyseergebnis der A-Probe gab? Und wenn, dann nur, weil die B-Probe aus formalen Gründen nicht zugelassen wurde.“
„Wissen Sie, dass dieses Medikament, das man bei Ihnen gefunden hat, nur in Spritzenform angewandt werden kann?“
„Haben Sie sich dieses Medikament vor dem Wettkampf selbst gespritzt oder hat das ein anderer getan?“
„Haben Sie sich selbst irgend eine Spritze gesetzt oder ein anderer bei Ihnen?“
„Gibt es die Möglichkeit, dass Sie nicht wussten, was Sie sich selbst oder ein anderer Ihnen gespritzt hat?“
„Kann es sein, dass jemand Ihnen eine Spritze gesetzt hat, ohne dass Sie es gemerkt haben?“
Vielleicht hätte Johann Mühlegg auf einige der Fragen sogar eine Antwort gewusst. Nicht jeder reagiert auf insistierende Journalisten so wie der Tour de France Sieger Bjarne Riis als Manager eines Profi-Radsportteams. Er brach vor laufender Kamera ein Interview ab und verschwand mit den Worten „Ich bin hier, um Sport zu treiben und für allen anderen Scheiß habe ich kein Interesse.“ (auslandsjournal vom 19.7.2001)
Unglaubliche Geschichten
Meistens jedoch lassen sich Sportreporter, aber auch die Sportverbände, mit den unglaublichsten Geschichten abspeisen:
„Ich hatte meine Tage“ (diverse überführte Sportlerinnen),
„Ich habe meine Anti-Baby-Pille abgesetzt“ (Marathon-Läuferin Uta Pippig),
„Ich hatte in der Nacht zuvor exzessiven Sex und einige Bier `auf ex´“ (US-Sprinter Dennis Mitchell),
„Das war ein Anschlag“ (hierzu sind verschiedene Versionen bekannt, u.a. Weitspringerin Susen Tiedtke),
„Ich hatte Durchfall“ (zuletzt Skilangläufer Johann Mühlegg),
„Ich wollte Vater werden und habe ein homöopathisches Hausmittel meiner Schwiegermutter eingenommen“ (Radprofi Christian Henn, der auch zum zweiten Mal Vater wurde),
„Die kleine Tochter hat die Appetitzügler meine Frau mit meinen Vitamintabletten vertauscht“ (Radprofi Andreas Kappes),
„Das waren die Tabletten meiner Frau, die schwanger ist“ (Radprofi Fabio Sacchi),
„Das Medikament war für meinen kranken Hund“ ( Radprofi Frank Vandenbroucke) und und und.
Man kann davon ausgehen, dass viele Sportreporter genau wissen, was Sache ist. Doch das geben sie höchstens in persönlichen Gesprächen preis. Manch einer ist der Meinung, dass dieses Thema die Zuschauer und Leser nicht interessiere und man es daher ausblenden könne. Andere plädieren öffentlich für die Freigabe von Doping. Wieder andere erzählen im engsten Kreis gern einige Doping-Anekdoten aus ihrer eigenen Leistungssportvergangenheit.
Fachleute sind selten gefragt
Und was können die wenigen kritischen und unabhängigen Journalisten zur Lösung der Doping-Problematik beisteuern? In der Regel kommen sie erst dann zu Wort, wenn der Skandal schon da ist. Die sensibilisierte Öffentlichkeit und die Quote vor Augen, erinnert man sich dann an die oft unbequemen Fachleute. Einige Kollegen übertreiben allerdings ihr journalistisches Engagement: Sie fühlen sich zum Dopingjäger berufen und durchsuchen Taschen und Hotelzimmer von Sportlern, wie bei Radsportveranstaltungen schon geschehen.
Hier sehen Dopingexperten auch die Schwierigkeit: Eine Lösung für das Problem kann es ihrer Meinung nach nur strukturell, nicht personell geben. Die Sport-Medien berichten aber lieber personalisiert.
Sportredaktionen nicht beteiligt
Wirklich kritische Fernsehbeiträge werden nur selten von den Sportredaktionen gemacht. Hier springen dann politische Magazine ein, oder das Wissenschafts-, Kultur- oder Auslandsressort befasst sich mit dem Thema - oft genug von freien Autoren unterstützt. Es gibt einige positive Beispiele im deutschen Fernsehen.
1998 befragte Sabine Christiansen in ihrer Talkshow ihre Gäste unter dem Titel ‘Der Sport im Dopingsumpf?´. Im gleichen Jahr sorgte die Sendung ‘Monitor´ des WDR mit einem Beitrag über Doping im Radsport für Aufsehen. Mehrere verdeckte Informanten berichteten über den Medikamentenmissbrauch im deutschen Radsport. Auf ‘Arte´ lief 1999 ein 30-Minuten-Beitrag mit dem Titel „Die Dopingfahnder“.
Das Magazin Frontal21 des ZDF konstatierte im vorigen Jahr nach dem Doping-Skandal des Giro d´Italia ‘Mit Doping auf den Gipfel´.
Sportredaktionen waren an all diesen Sendungen nicht beteiligt. Dennoch fühlen sie sich zuständig. Wer beispielsweise einen sportfachlichen Beitrag für ein politisches Magazin erstellt ohne Rücksprache mit der Sportredaktion, kann Ärger bekommen. Dann versucht die Sportredaktion vielleicht vor der Veröffentlichung des Beitrags, das Thema im eigenen Hause als „olle Kamelle“ herunterzuspielen.
Wenn sich die „ollen Kamellen“ dann als Skandal erweisen, ist das den Sportreportern natürlich auch nicht recht: Die Entrüstung ist groß, weil man fürchtet, nun von den Sportstars mit einer Auszeit belegt zu werden.
Der innerste Zirkel
Nachdem ein kritischer Artikel von mir im „Sportjournalist“ publiziert worden war, fühlte sich ein nach eigenen Angaben erfahrener Radsportjournalist zu einem Leserbrief berufen. Er warf mir vor, ich habe mich vor der Veröffentlichung nicht an die Pressestelle des betreffenden Radsportteams gewandt. In dem Artikel stellte ich die Äußerungen eines Radprofis zum Thema Doping in Frage. Der Kollege war der Meinung, die Pressestelle hätte mir die strittigen Punkte erklären können. Ich schrieb zurück, dass man mit einer solchen Vorgehensweise wohl nicht allzuviel Neues erfahre, vielleicht aber immerhin auf Mallorca lande.
Aufs Feinste beherbergt und beköstigt - natürlich auf Kosten des besagten Radsportteams. In Wahrheit reicht ein Anruf bei der Pressestelle natürlich nicht aus, um in diesen innersten Zirkel von Sportreportern zu gelangen. Es ist vielleicht ein Anfang, wenn man demnächst von den Sponsoren der Teams zu deren Auslandseinsätzen geflogen werden möchte. Und vielleicht kann man sich dann auch bald an einer schönen Radreise erfreuen. Offenbar ist diese Art der Nähe nötig, um überhaupt noch als Interviewer zugelassen zu werden.
Journalistische Sorgfalt reicht nicht
Aber was ist für erfolgreiche Recherchen innerhalb der Doping-Thematik erforderlich? Zeit und Geld sind keine Erfolgsgaranten. Sportwissenschaftliches Knoh-how ist unentbehrlich. Gute Kontakte sind äußerst hilfreich. Mittlerweile reicht es aber nicht einmal, journalistische Sorgfalt walten zu lassen. Angesichts der enormen Summen, die im Sport verdient werden, muss eine „Enthüllungsstory“, die Namen nennt, auch vor Gericht bestehen. Je nach Sponsor wird einem nämlich schnell eine Unterlassungsklage eines renommierten Medien-Anwalts ins Haus geschickt. Wie beispielsweise im Falle der Berichterstattung über die Entlassung von Rolf Wolfshohl als Sportlicher Leiter des Radrennens „Rund um Köln“.
Das Kölner Radidol hatte sich in einem Interview kritisch mit Jan Ullrichs Trainingsplanung auseinander gesetzt. Bei soviel Ambivalenz hilft eigentlich nur noch Abstinenz. Die aber sollten in erster Linie die Sportler anstreben, anstatt sich nach dem Motto „Brot und Spiele“ oder „Fast Food und Fernsehsport“ ohne Rücksicht auf Gesundheit vor den Marken- und Marketingkarren anderer spannen zu lassen. Es gibt ein Leben nach dem Leistungssport. Und das sollte man auch im Besitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte nutzen können. Die Sportjournalisten sollten sich an ihre ureigenste Aufgabe erinnern: Distanzierte und kompetente Berichterstattung, um die Öffentlichkeit für Missstände zu sensibilisieren.
Wer in diesen Tagen die Tour de France im Fernsehen sieht, fragt sich allerdings, wie unabhängig ARD-Reporter einen Radprofi interviewen können, wenn auf dessen Trikot das Loge der Sendeanstalt ARD prangt.
Von Ralf Meutgens
message 3/2002
Ralf Meutgens ist Freier Journalist (Themen Sport, Medizin, Gesundheit) und war Amateur-Radrennfahrer bis Mitte der Achtziger Jahre und Vorsitzender eines Radsportvereins. Er ist Inhaber der Trainer-A-Lizenz und Honorartrainer im Radsportverband Nordrhein-Westfalen zudem Referent innerhalb der Trainerausbildung im Bund Deutscher Radfahrer.
Beitrag von maki