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etc. PP - Posers Prosa

Ernstes, Lustiges, Skurriles von Manfred Poser, futura9



IVCA-Rallye 2007

Bericht und Fotos von Manfred Poser, April 2008





Unterwegs mit „oude Fietsen“ in Brabant

Oude fietsen ist Holländisch und bedeutet alte Fahrräder, das fiets ist das Rad, und „fietsen“ heißt radfahren. Wer jedoch außerhalb der Niederlanden eine Frau fragen würde, ob sie mit ihm „fietsen“ wolle, könnte dafür eine Ohrfeige kassieren. Alte und schöne Fahrräder konzentrierten sich an drei Tagen im Juni 2007 in dem Ort Oirschot bei Eindhoven, und das ist 50 Kilometer von Mönchengladbach entfernt. Jedes Jahr treffen sich die Mitglieder der International Veteran Cycle Association in einem Land ihrer Wahl, 2006 war das Kanada, im Mai 2008 wird es die Südküste Englands, Beaulieu (typisch englischer Name) sein. Es wird das 28. Veteranen-Treffen der Vereinigung sein.



Drei 'oude Brabanter'? Nein - drei junge Ostschweizer, alle aus dem Ort Rehetobel bei St. Gallen: Victor, Elsbeth und Hansueli (von links nach rechts) in Appenzeller Tracht und guter Laune auf dem Marktplatz von Oirschot.


Das Century

Gleich hinein ins Geschehen: Mittelpunkt der vier Tage ist traditionell das „Century“, eine Ausfahrt von Sonnenaufgang bis längstens Sonnenuntergang, um 100 Meilen zu absolvieren. Der Klassiker. Vor der Reithalle in Oirschot, dem Schauplatz des Kongresses, kamen kurz vor fünf Uhr zwölf Radfahrer zusammen. Die Runde war acht Kilometer lang und führte um den Ort herum, durch schöne Villengegenden mit Gärten so schmuck, als gäbe es einen Preis für den gepflegtesten zu gewinnen. Beim „Century“ winkte nur ein Diplom, und man konnte sich auch mit fünf Runden oder zehn (50 Meilen) begnügen. Doch die zwölf wollten mehr. Nach einer Einführungsrunde hinter dem zweirädrigen Safety Car des Organisators ging es los. Es war noch neblig und kühl, die Sonne kämpfte sich langsam durch den Dunst, die Richtungspfeile auf rotem Grund waren gut zu erkennen, und die Fahrt begann.



Der Autor - 'The Copy of Coppi' - mit seinem 'roten rennerfiets'.

Es ist kein Rennen, aber man will eine gute Figur machen, sein Rad und sich präsentieren. Ich hatte ein Schweizer Tebag-Rad von 1935 (auf einem solchen fuhr Ferdi „National“ Kübler 1950 seinen Tour-de-France-Sieg und 1954 den zweiten Platz heraus) und trug ein Trikot mit dem Schweizer Kreuz: ich, der Bayer. Meine sieben Appenzeller Begleiter hatten nichts dagegen. Nach Runde vier von zwanzig schimmerte weit vor mir noch das gelbe Trikot eines eisernen Belgiers, der ein fast sechzig Jahre altes Rennrad fuhr, und flankiert wurde er von dem Ungarn Sandor, der die Pedale seines Hochrads bewegte wie ein Besessener (kein Wunder, er war früher Triathlet). In Runde fünf hatte ich die beiden, wir fuhren nebeneinander her bis der Belgier verschwand. Es wurde warm, er wollte sich umziehen. Noch den Ungarn überholen, dann wäre ich Nummer eins. Doch schon eierte das Hinterrad, und der Verdacht bestätigte sich gleich: Der Reifen hinten war platt. Also absteigen und schieben, und so kamen um sieben Uhr alle an mir vorbei, die später ins Rennen gegangen waren. Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen. Ich schob mein Rennrad vier Kilometer, bekam meinen Stempel für Runde sechs auf das Formular, dann schob ich mein Rad in die Herberge und ging frühstücken.



Um neun dann griff ich mir das Westschweizer „Condor“ von 1910, mit dem ich schon in Friedrichshafen geradelt war und machte weiter. Nun mehr Menschen im Zielraum, viele Spätaufsteher machten nun mit, und so dreht man Runde um Runde. 100 Meilen sind 20 Runden, also 160 Kilometer, und das ist kein Pappenstiel. Man fährt immer an denselben Häusern vorbei, rast immer wieder auf denselben weiblichen Streckenposten zu, der einen fröhlich nach links durchwinkt, und dann war auf einem Campingstuhl am Straßenrand noch ein Fan, der immer lächelte, wenn ich mein Rad vorüberwuchtete. So ein Brooks-Sattel ist schön für gemütliche Stadtfahrten, aber auf langen Ausfahrten quält er das Hinterteil. Mittags um zwölf, um eins, um zwei drehte ich in der Schwüle meine Runden, als wäre ich allein auf der Strecke aber die anderen waren wohl auf der anderen Seite der „Ronde“ unterwegs, so dass ich sie nicht sah. Die letzten fünf Runden dehnten sich endlos, doch dann sagte der Organisator bei einem Stempel „three laps to go“, und um halb drei war ich durch. Abends gab es beim Dinner die Diplome. 60 Fahrer waren ins Rennen gegangen, 16 hatten die „hondert mijl“ geschafft. Auch Sandor der Ungar hatte sein altes Hochrad 20 Runden lang mit seinem infernalischem Pedalrhythmus bewegen können. Zum Glück gab es ein Buffet mit tollem chinesischen Essen, und derart hoch beladene Teller hatte man selten gesehen. Das war der Donnerstag.

Die Stempelstelle beim Century-Rennen. Wir haben es geschafft.
Links der Kanadier mit dem Slowakei-Shirt, rechts der Bayern-Schweizer.


Missverständnisse

Wo viele Menschen aus vielen Nationen zusammentreffen, muss es wohl Missverständnisse geben. Der 80-jährige Verwalter unseres imposanten Wohnheims, das einem französischen Schloss glich, war ein rüstiger, unentwegt rauchender Priester, der kurz angebunden war und meist schlecht gelaunt. Als er dann durch unseren Viktor begriff, dass wir Schweizer waren (bis auf mich), wurde er eines Mitternachts redselig, konnte plötzlich fließend Deutsch und erzählte eine Stunde lang von sich. Die Deutschen sind eben der ungeliebte, große, arrogante Nachbar (auch für die Schweizer), und den Überfall 1940 wird der Priester nicht vergessen haben. Damals war er schon 13 Jahre alt. Ein junger sympathischer Nordeuropäer erzählte mir auf dem Rad von seinen Plänen, im Sommer durch ganz Schweden zu radeln. Prompt kramte ich bei einem Frühstück heraus, was mir über Schweden bekannt war, Wallander zum Beispiel. Darauf beschied er mich: „Ich bin nicht Schwede, ich bin Däne.“ Nun gut. Ich bin ja auch Bayer, nicht Schweizer.



Dann traf ich auf der Strecke Michael Grützner mit seiner englischen Frau, und beide saßen in einem braunen Straßenfloh, der nach Seifenkiste aussah und durch Muskelkraft bewegt wurde, ein französisches Fabrikat des Liegeraderfinders. Französisch! Gleich gab ich mir Mühe und legte der netten Frau auf Französisch dar, dass ich einen kennen würde, der Liegeräder baue, in München, worauf sie mich berichtigte, sie sei Engländerin, nur ihr Fahrzeug sei französisch. Der englische Künstler, der ein wenig wie Joe Cocker aussah, war auch nicht Engländer, sondern Kanadier. Ein anderer echter Kanadier, der ein Trikot mit der Aufschrift „Slovenia“ trug, erzählte mir, er sei irrtümlich gegen die Fahrtrichtung gefahren auf dem Century, das ergebe neue Perspektiven, neue Gerüche, und man sehe zum ersten Mal die Fahrer, mit denen man unterwegs sei.

"Lachende Gesichter trotz Regen: Michael Grützner mit seiner englischen Frau im französischen Seifenkist'l, dem ein Dach nicht geschadet hätte."


Hansueli aus der Schweiz kam auch einmal von der Strecke ab, war plötzlich, wie er erzählte, in der Nähe des Autobahnzubringers, fand aber den Weg zurück. Und dann erklärte Lionel Ferris (was für ein Typ! Baumlang, rotes Gesicht, Glatze, weißer Rauschebart) Viktor, er habe einen schönen Hinterreifen (tyre) für das alte Bantam-Rad, den er uns überlassen wolle, aber plötzlich hielt ich das für unmöglich, obwohl ich es doch gehört hatte; ich war nun sicher, er habe „tie“ gesagt und wolle uns eine Krawatte schenken. Er hatte aber tatsächlich den tyre gemeint. Irgendwie war ich in diesen Tagen überlastet und nicht ganz auf dem Damm. Es waren auch zuviele Menschen, zuviele Gespräche.



Teilemarkt

Ein wichtiger Programmpunkt ist immer der Teilemarkt. Auf einer Sandfläche jenseits der Reithalle waren die Stände derer, die etwas anzubieten hatten. Da gibt es alle Ersatzteile für alte Fahrräder der Welt, aber auch intakte alte Räder (bei den Tschechen für 90 bis 150 Euro; ihnen hätte man für 2500 Euro gleich den ganzen Stand abkaufen können), Trikots und Bilder zuzüglich die Hunderte Teile, die man so braucht. Es gibt viele Hersteller, das Fahrrad hat ja eine fast 190-jährige Geschichte, und da kommen reichlich Teile und Typen zusammen. Typen: Es waren rund 200 Menschen zusammengekommen, unter ihnen drei Dutzend Tschechen, Niederländer und Engländer, zwei Dutzend Belgier und Deutsche, acht Schweizer, ein paar Amis aus den Staaten, Kanadier, Australier, Franzosen, Russen und Ungarn. Wo war Asien? Und wo Afrika? Es gab auch keinen Eskimo und keinen Indianer.

 

Wunderschöne alte Räder von 1886 bis 2005 (denn es werden viele „Replikas“ gebaut und gefahren) standen da. „Safeties“ sind übrigens die Normalräder, „Ordinaries“ die Hochräder, und um das alles richtig zu benennen, muss man Jahre in der Szene sein; es wird ungeheuer gefachsimpelt, es gibt Spezialisten für Triumph und Sunbeam und Bantam. Wenn man wie ich nur selten Gast ist, kann man schwer sagen, was das für Leute sind. Sie lieben alte Fahrräder, lieben die alte Technik, fahren gern diese Räder, verkleiden sich gern, leben vielleicht gern in der Vergangenheit und sind vielleicht auch ein wenig eitel, weil sie mit ihren Rädern natürlich Aufsehen erregen. Sie haben nicht viel Geld, sonst würden sie vielleicht Oldtimer-Treffen besuchen. Sonst trinken sie gern wie alle, erzählen Witze und lachen; man sieht viele Schnauzbärte, weiße Rauschebärte, überhaupt viel weißes Haar (wenige sind unter 30), viele eigenwillige Gesichter und Charakterköpfe; die Männer machen sich wichtig, die Frauen begleiten sie und sind meist dicker als die Männer.



François Cauderay, 2006

Wenn Männer ein Hobby haben, werden sie zu Kindern, ihre Augen leuchten, sie sind nicht mehr ganz bei sich und brauchen jemanden mit Realitätssinn an ihrer Seite: eine Mama.

 

François Cauderay, der Schweizer Delegationsleiter, gab einige Geschichten zum Besten von dem Engländer (ist es etwa Ferris?), der in seiner Wohnung wegen der vielen Räder nur einen schmalen Pfad zur Verfügung hatte, andere Räder standen in Garagen und Seitenräumen; und dann sein Erlebnis, als er vor längerer Zeit mit einem gemieteten Fiat 500 eine Veranstaltung der Alträderfreunde in England besuchte und vor Begeisterung gleich fünf Fahrräder einkaufte, vergessend, dass er mit dem Flugzeug gekommen war und nur ein kleines Auto hatte. Ich weiß jetzt auch nicht mehr, wie er es dann doch geschafft hat, das Material erst in den kleinen Fiat und dann noch in die Schweiz zu bringen. Ich glaube, British Airways war generös.

 

Nach dem Teilemarkt und der Übernahme der Essenspakete konnte man in diversen Schwärmen Museen besuchen. Ich kam so ins Museum der Norton-Motorräder, in dem auch ein paar Fahrrad-Kleinode standen. So ein englisches Militärrad mit Aufsatz auf dem Lenker für die Schusswaffe, Ledertasche am Rahmen (Schweiz), Holzkiste für die Munition (aus Deutschland) und am Lenker angehängten Helm (Belgien): sozusagen ein NATO-Fahrrad. Oben im ersten Stock stand ein Feuerwehrfahrrad mit dem genialen Rundrahmen, damit der Schlauch dazwischenpasste. Eine verblüffende Lösung.



Das Feuerwehr-Fahrrad im Norton-Museum bei Oirschot.


Der Teiletag war easy, man konnte auch noch ein paar Biere (wir bevorzugten das dunkle Trappistenbier, das aber ungeheuer müde machte) in der Innenstadt konsumieren. Die Orte der Region Brabant sind schön. Nachts werden die Cafés und alten Häuser orangegelb beleuchtet, die dunklen Holzflächen glänzen wie eingeölt, und zur ganzen Stunde erklingen vom hohen Kirchturm Melodien aus der Oper „Carmen“.



Kostümausfahrt

Die Schwüle hatte in der Nacht vor dem letzten Tag zu einem heftigen Gewitter geführt. Auch Samstag früh, als sich die Teilnehmer in ihren schönsten Kleidern vor der Reithalle zur ersten Kostümausfahrt aufgebaut hatten, regnete es. Die alten schwarzen Trachten, die Zylinder und netten Rennleibchen wurden allmählich durchnässt. Dann ließ der Regen nach, doch nach dem Mittagessen, als wir um zwei Uhr zur zweiten Kostümfahrt Richtung Stadt starten wollten, nahm er wieder zu. Es half nichts. Doch wieder beruhigte sich der Regen, und bei trockenem Wetter näherten wir uns dem Stadtzentrum Oirschots. So viele Radler unterwegs, vornweg die Musikkapelle das wurde immer langsamer, und am Ende schoben die meisten ihre Räder, die eigentlich nicht zum Schieben da sind. Die vielen Räder: Wanderer und Achilles, Eska start (1937), Kangourou (1884), BSA (1920), La Perle (1909), Opel (1928), Diamant Nr. 84 (1936), Alder Dreirad (1889), Clumbia Gents (1894), Singer Apollo (1888), Crypto bantam (1895), Raleigh ladies (1912) ...

Kostümausfahrt. Vorn der Schweizer Delegationsleiter Francois Cauderay, diesmal nicht auf einem Hochrad.


Vor der Kirche stand im Kreis eine Mauer Menschen, und in den Kreis fahren sollten die einzelnen Nationen, die ein Sprecher mit Mikrofon vorstellte. Ich verpasste fast unseren Auftritt, meine Schweizer waren schon im Kreis, als ich mit dem roten Tebag-Renner ihnen nachschoss und ein paar Schlenker vollführte, und der Sprecher sagte, da käme „de rote rennerfiets“, und überhaupt hatte mich eine Engländerin, die schon 1948 auf einem Rad gesessen hatte, als „Fausto Coppi“ tituliert, was mich sehr stolz machte. Das war eigentlich zuviel, darum fing ich an, mich „The copy of Coppi“ zu nennen, auch nicht schlecht. Und dann tranken wir in einer Kneipe, dem „wilden Mann“, noch ein paar Bier, während draußen ein paar Hochradfahrer Kunststücke zeigten, auch die Sonne sich zeigte und alles einfach perfekt war.



Dann duschen und hinein in den Abschlussabend, wieder Büfett mit leckerer Nachspeise, dann das Vereinsprozedere mit Ehrungen für „many many years“ und „many many miles“, allgemeine Fröhlichkeit, die sogar (bei Damen) zu etwas wie Ausgelassenheit wurde, als die vielköpfige Blaskapelle tanzbare Titel von sich gab. Das beeinträchtigte die nötige Kontaktpflege unter den Teilnehmern etwas, und ein Schweizer kommentierte das hinterher mit den Worten: „S’isch huurelaut gsy“ (Es ist wahnsinnig laut gewesen). Neben mir saßen die Ungarn Ferencz und Sandor, die zwei Flaschen Tokajer öffneten, und dann kam sogar noch der Präsident, Gary Sanders, zu ihnen und gab ihnen seine Visitenkarte und sagte, man müsse über die Zukunft reden. Warum nicht einmal ein Radlertreffen in Ungarn oder in der Tschechischen Republik? Auch die Veteranradler müssen die Osteuropäer integrieren, und, wer weiß, wenn einmal ein Afrikaner oder ein Asiate auftauchen, gibt es künftig auch Century, Teilemarkt und Kostümausfahrten in Ougadougou oder Khartum, in Hanoi oder Manila.

Die Welt steht Radlern offen.


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