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Teil 2: Todesfälle im Radsport und Doping - gibt es einen Zusammenhang?





Der plötzliche Herztod

In den letzten Jahren häuften sich die Todesfälle von Sportlern, die an plötzlichem Herzversagen verstarben. Handelt es sich dabei um ein beunruhigendes, anwachsendes Phänomen oder um ein 'normales', bekanntes Risiko?

In Frankreich wurde hierzu 2005 eine Studie begonnen, die bis 2009 angelegt ist. Erste Ergebnisse zeigen auf, dass jährlich zwischen 200 und 400 Personen während der Ausübung ihres Sports am plötzlichen Herztod sterben. Davon sind 36 % jünger als 40 Jahre, 76 % jünger als 60 Jahre. 95 % sind Männer, in 63 % der Fälle sterben die Menschen während des Trainings. Am schlimmsten betroffen sind Radsportler (33%) vor Läufern (21%) und Fußballern (14%). In drei Viertel der Fälle konnte keine Herzanomalie festgestellt werden. "Das bedeutet, dass man weitergehende Untersuchungen als bisher vornehmen muss." 2012 meinte Jouven zu dieser UNtersuchung, dass diese Häufungen lediglich damit zu tun hätten, dass diese Sportarten am häufigsten praktiziert würden, am Sport selbst würde es nicht liegen. (Xavier Jouven: le Monde, 3.11.2006, le figaro, 16.4.2012)

 

Allein zwischen Juni 2003 und Februar 2004 starben acht junge Sportler (soweit bekannt) an Herzversagen – vier Radsportler, drei Fußballer und ein Basketballer. Auch die Abschiede von Marco Pantani und José Maria Jiménez fielen in diese Zeit. Etliche Radsportler mussten daneben ihre Karriere wegen Herzproblemen beenden.

 

Sechs entsprechende Todesfälle von jungen Radfahrern sind mir danach bis März 2007, drei weitere werfen Fragen auf, namentlich bekannt geworden. Danach stehen mindestens 7 Todesfälle junger Fahrer bis Februar 2011 in Zusammenhang mit plötzlichen Herztod. Dass diese Todesfälle mit Doping in Verbindung stehen könnten, wird vermutet, offiziell sprechen die Obduktionsergebnisse (soweit bekannt) von 'natürlichen Ursachen' wie angeborenen Herzfehlern und Herzmuskelerkrankungen wie der hypertrophen Kardiomyopathie (Verdickung des Herzmuskels). Sportler seien vor allem dann gefährdet, wird argumentiert, wenn zwischen hohen Belastungs- und Ruhephasen kein fließender Übergang eingehalten werde.

Mallorca, idealer Ort für Sportler - nicht nur zum Abtrainieren
© Mani Wollner


Zusätzliche Risikofaktoren ergeben sich durch genetische Prädispositionen. Dabei handelt es sich um Herzfehler, die feststellbar sind, aber den Verzicht auf Leistungssport nach sich ziehen sollten (der Spiegel, 5.9.2011) Nicht zu unterschätzen sind zudem bakterielle und virale Infektionsfolgen aufgrund physischer und psychischer Überbelastungen. Man spricht hier von dem Phänomen des "open window", das bedeutet, der Körper ist mit der Verringerung der belastungsbedingten Schäden so sehr beschäftigt, dass die körpereigene Immunabwehr versagt: Viren und Bakterien finden keine Gegenwehr. Werden diese Infektionen übergangen, kann es zu schweren Herzschädigungen kommen.

 

Wären diese Todesfälle daher bei besserer medizinischer Betreuung der Fahrer zu verhindern gewesen? Das ist durchaus wahrscheinlich, manche Gefährdungen können mit regelmäßigen Untersuchungen wie Echokardiogrammen erkannt werden. Entsprechende Diskussionen wurden im Fall von Fabrice Salanson geführt, der in der Nacht vor dem Start der Deutschland-Tour 2003 starb. Angeblich gab es im Vorfeld Hinweise auf mögliche Herzprobleme.

 

Doch weshalb leiden junge Hochleistungssportler an gefährlichen Herzmuskelveränderungen? Jean-Paul Escande, Dermatologe und Krebsspezialist am Hospital Cochin-Tarnier in Paris und ehemaliger Präsident des französischen Antidopingrates CPLD (Vorgängerin der französischen Anti-Doping-Agentur) : "Ich bin verbittert über die Erklärungen zu den plötzlichen Herztoden. Es ist unerträglich zu sagen, das sei Schicksal, es handele sich um natürliche Todesursachen. Diese Tode sind das Ergebnis von Medikamenten, mit denen gedopt wurde während des Trainings und die den Organismus beachtlich verändern. Warum verweigert man Studien, in denen die Auswirkungen der Wachstumshormone auf das Sportlerherz untersucht werden? Weil man nichts wissen will." (le Monde, 1.3.2004) (Hier ein Interview mit Escande: Es ist kein Doping mehr, es sind Experimente mit Menschen, s. hierzu auch Jörg Sievers)

 

Prof. Werner Franke meinte im Dezember 2011 in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung:

Das Phänomen des plötzlichen Herztods lässt sich heute über die DNA prognostizieren. Betroffen sind Menschen mit einer ganz bestimmten genetischen Konstellation. Wenn so jemand gleichzeitig noch zu Dopingzwecken ein herzvergrößerndes Medikament bekommt, ist der Teufel los. Die Schäden von Doping mit anabolen Steroiden zeigen sich natürlich oft erst später. Der Todesfall von Kugelstoßer Ralf Reichenbach ist so ein Beispiel oder der plötzliche Tod von Christel Justen, der Schwimmerin aus Schwäbisch Hall. Bei den beiden – wie auch bei vielen anderen – kennt man ja die Doping-Geschichte aus ihren eigenen Aussagen recht gut.

 

Vermutet wurden die Zusammenhänge schon immer. Warum weiß man jetzt erst mehr?

Weil die deutsche Herzpathologie so erbärmlich schlecht ist. Ich erstelle zurzeit ein Gutachten für den ehemaligen DDR-Kugelstoßer Gerd Jacobs. Der erste belegte Fall mit beiden Schadensmöglichkeiten: Eine Mutation im Gen für das Zellverbindungseiweiß Desmoglein 2 plus Einnahme hoher Dosiermengen des DDR-Dopingmittels Oral-Turinabol. Ihm konnte vor Jahren gerade noch ein neues Herz eingesetzt werden.

 

Müsste sich nicht jeder Hochleistungssportler grundsätzlich dem DNA-Test unterziehen, um das Risiko des plötzlichen Herztods zu minimieren?

So ist es. Das wäre eine große Tat. Es kümmert sich aber niemand drum, obwohl es in den USA eine Firma gibt, die sehr preiswert solche Tests durchführt.

 

Die Sportler haben Angst vor den Folgen. Es könnte das Karriereende bedeuten.

Die Angst ist unbegründet. Man pflanzt Sensoren unter die Haut, die an Defibrillatoren gekoppelt sind. Damit kann man sogar Hochleistungssport treiben.

 

Auch Steroide und Corticoide können das Wachstum des Herzens beeinflussen. Eine Autopsie kann jedoch die Ursachen nur schwer herausarbeiten. Wenn die Mittel nicht direkt nachgewiesen werden, bleibt Doping unerkannt. Besonders gefährlich dürfte der Hormonmix zudem für Fahrer sein, die eine genetische Disposition zu einer Herzmuskelveränderung haben.

Endlichkeit...
© Mani Wollner



Schmerzmittelkonsum und plötzlicher Herztod

Dänische Forscher stellten 2016 einen Zusammenhang her zwischen Medikamenteneinnahmen und plötzlichem Herztod.

In 58% der 1.363 dokumentierten Fälle nahm die betroffene Person innerhalb der 90 Tage vor dem Ereignis verschreibungspflichtige Medikamente ein (?1). Am häufigsten fanden sich darunter Schmerzmittel (18%), Blutdrucksenker (17%) und Antibiotika (16%).

Dies muss wahrlich nicht bedeuten, dass die entsprechende Substanz mit dem Ereignis in Verbindung steht. So ließ sich in 26% der Fälle in der Autopsie eine koronare Herzerkrankung als Ursache des plötzlichen Herztodes feststellen. Bei mehr als einem Drittel der Fälle (36%) war der Befund allerdings pathologisch unauffällig („sudden arrhythmic death syndrome“, SADS). (kardiologie.org, 15.6.2017, >ssmann, 3.4.2017)

 

Die Studie wies insbesondere für die Einnahme von Ibuprofen und Diclofenac ein erhöhtes Risiko nach. Angesichts des hohen und immer weiter steigenden Missbrauchs von Schmerzmittel unter Sportlern, wäre hierzu eine Studie wünschenswert. (siehe u.a. PILLENKICK Schmerzmittelmissbrauch im Fußball)

 



Herztod nach der Leistungsphase

Herzkrankheiten bei ehemaligen Leistungsportlern sind nicht selten, oft sind sie gepaart mit Übergewicht. Eine mögliche Ursache ist, dass die ehemaligen Athleten ihre Essgewohnheiten aus der aktiven Zeit in etwa beibehalten. Der gesamte Stoffwechsel kann ins Schleudern kommen, hämatologische und hormonelle Umstellungen finden statt und können einer Koronarsklerose Vorschub leisten.

 

Auch ohne Doping wächst das Herz eines Leistungssportlers. Reduziert er seinen Trainingsumfang innerhalb kurzer Zeit erheblich, kann sich das Herz zu schnell verkleinern. Es erschlafft und Herzrhythmusstörungen sind die Folge. In der ÄRZTE WOCHE (16. Jg., Nr. 35, 2002) wird eine Studie zitiert, wonach ehemalige Athleten, die den Sport weitgehend aufgaben, ein höheres Herztodrisiko hatten als Menschen, die überhaupt keinen Sport ausübten.

 

2012 stellte Prof. K.-D. Schlüter von der Universität Gießen eine Studie vor, wonach Leichtathleten, Radfahrer und Schwerathleten überdurchschnittlich oft an Herzproblemen sterben und eine geringere Lebenserwartung aufwiesen als Sportler anderer Disziplinen. "Die Lebenserwartung dieser Gruppe lag der Gießener Analyse zufolge in den Jahren 2000 bis 2011 bei nur 70,4 Jahren, verglichen mit 76,2 Jahren in der Gesamtbevölkerung. Die Werte für Ruderer, Kanuten, Schwimmer und Turner liegen für diesen Zeitraum hingegen bei 82,6 Jahren." Schlüter hält fest: „Tod durch kardiale Ursachen trägt überdurchschnittlich zum Versterben von Leistungssportlern aus dopingverdächtigen Sportarten bei, und dies trägt zu einer geringeren Gesamtlebenserwartung dieser Gruppe bei“ (DGK, 14.4.2012). Ohne genauere Angaben erweisen sich diese Zahlen aber als nicht sehr aussagekräftig. Interessant wäre zu wissen, inwieweit die festgestellten Altersdurchschnitte von einer Häufung früher Tode zustande kamen und in welchen Jahren diese Sportler aktiv waren. So stehen diese Angaben womöglich in Widerspruch zu den Ergebnissen, der französischen Studien (s. h. zitiert), wonach Exradsportler zwar ein erhöhtes Risiko hätten am Herz zu erkranken, aber dennoch eine höhere Lebenserwartung hätten, als die Durchschnittsbevölkerung. Hier wäre es hilfreich die Studien vorliegen zu haben und vergleichen zu können.

 

Es stellt sich erneut die Frage: Inwieweit wurden körperliche Veränderungen durch Medikamenten- und Drogenmissbrauch verstärkt? Inwieweit wurde das Herztodrisiko durch Doping erhöht? Auch wenn es aufgrund der vorliegenden öffentlichen Daten kaum möglich ist, den Herztod einiger Sportler zweifelsfrei mit Doping in Verbindung zu bringen: Zweifel an Erklärungen, die Doping ganz ausschließen, sind angebracht.




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