Zusätzliche Risikofaktoren ergeben sich durch genetische Prädispositionen. Dabei handelt es sich um Herzfehler, die feststellbar sind, aber den Verzicht auf Leistungssport nach sich ziehen sollten (der Spiegel, 5.9.2011) Nicht zu unterschätzen sind zudem bakterielle und virale Infektionsfolgen aufgrund physischer und psychischer Überbelastungen. Man spricht hier von dem Phänomen des "open window", das bedeutet, der Körper ist mit der Verringerung der belastungsbedingten Schäden so sehr beschäftigt, dass die körpereigene Immunabwehr versagt: Viren und Bakterien finden keine Gegenwehr. Werden diese Infektionen übergangen, kann es zu schweren Herzschädigungen kommen.
Wären diese Todesfälle daher bei besserer medizinischer Betreuung der Fahrer zu verhindern gewesen? Das ist durchaus wahrscheinlich, manche Gefährdungen können mit regelmäßigen Untersuchungen wie Echokardiogrammen erkannt werden. Entsprechende Diskussionen wurden im Fall von Fabrice Salanson geführt, der in der Nacht vor dem Start der Deutschland-Tour 2003 starb. Angeblich gab es im Vorfeld Hinweise auf mögliche Herzprobleme.
Doch weshalb leiden junge Hochleistungssportler an gefährlichen Herzmuskelveränderungen? Jean-Paul Escande, Dermatologe und Krebsspezialist am Hospital Cochin-Tarnier in Paris und ehemaliger Präsident des französischen Antidopingrates CPLD (Vorgängerin der französischen Anti-Doping-Agentur) : "Ich bin verbittert über die Erklärungen zu den plötzlichen Herztoden. Es ist unerträglich zu sagen, das sei Schicksal, es handele sich um natürliche Todesursachen. Diese Tode sind das Ergebnis von Medikamenten, mit denen gedopt wurde während des Trainings und die den Organismus beachtlich verändern. Warum verweigert man Studien, in denen die Auswirkungen der Wachstumshormone auf das Sportlerherz untersucht werden? Weil man nichts wissen will." (le Monde, 1.3.2004) (Hier ein Interview mit Escande: Es ist kein Doping mehr, es sind Experimente mit Menschen, s. hierzu auch Jörg Sievers)
Prof. Werner Franke meinte im Dezember 2011 in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung:
Das Phänomen des plötzlichen Herztods lässt sich heute über die DNA prognostizieren. Betroffen sind Menschen mit einer ganz bestimmten genetischen Konstellation. Wenn so jemand gleichzeitig noch zu Dopingzwecken ein herzvergrößerndes Medikament bekommt, ist der Teufel los. Die Schäden von Doping mit anabolen Steroiden zeigen sich natürlich oft erst später. Der Todesfall von Kugelstoßer Ralf Reichenbach ist so ein Beispiel oder der plötzliche Tod von Christel Justen, der Schwimmerin aus Schwäbisch Hall. Bei den beiden – wie auch bei vielen anderen – kennt man ja die Doping-Geschichte aus ihren eigenen Aussagen recht gut.
Vermutet wurden die Zusammenhänge schon immer. Warum weiß man jetzt erst mehr?
Weil die deutsche Herzpathologie so erbärmlich schlecht ist. Ich erstelle zurzeit ein Gutachten für den ehemaligen DDR-Kugelstoßer Gerd Jacobs. Der erste belegte Fall mit beiden Schadensmöglichkeiten: Eine Mutation im Gen für das Zellverbindungseiweiß Desmoglein 2 plus Einnahme hoher Dosiermengen des DDR-Dopingmittels Oral-Turinabol. Ihm konnte vor Jahren gerade noch ein neues Herz eingesetzt werden.
Müsste sich nicht jeder Hochleistungssportler grundsätzlich dem DNA-Test unterziehen, um das Risiko des plötzlichen Herztods zu minimieren?
So ist es. Das wäre eine große Tat. Es kümmert sich aber niemand drum, obwohl es in den USA eine Firma gibt, die sehr preiswert solche Tests durchführt.
Die Sportler haben Angst vor den Folgen. Es könnte das Karriereende bedeuten.
Die Angst ist unbegründet. Man pflanzt Sensoren unter die Haut, die an Defibrillatoren gekoppelt sind. Damit kann man sogar Hochleistungssport treiben.
Auch Steroide und Corticoide können das Wachstum des Herzens beeinflussen. Eine Autopsie kann jedoch die Ursachen nur schwer herausarbeiten. Wenn die Mittel nicht direkt nachgewiesen werden, bleibt Doping unerkannt. Besonders gefährlich dürfte der Hormonmix zudem für Fahrer sein, die eine genetische Disposition zu einer Herzmuskelveränderung haben.