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Dopingpraxis, ausgewählte Beispiele



Doping des Armen - Doping bei Amateuren

In den letzten Jahren gab es in Frankreich einige Doping-Prozesse (s. hier), in denen Amateure wegen Handels mit Dopingprodukten, meistens Amphetaminen oder dem Gemisch Pot belge, angeklagt und verurteilt wurden. Waren das nur Ausnahmefälle oder die Spitze des Eisberges?

 

Es scheint die Spitze des Eisberges zu sein, glaubt man den Ausagen von fünf Amateur-Radfahrern, die Le Monde dazu überreden konnte, das szeneübliche Schweigen zu brechen.

Der Artikel erschien in Le Monde am 20. Oktober 2006.

 

Weitere Informationen zum Thema Doping im Freizeit- und Amateurbereich sind auf C4F >>> hier zu finden.

 



Das Doping des Armen

"Sie nehmen das Wort nie in den Mund. Sprechen höchstens von “seltsamen Sachen“,  „komischen Dingen“, von „Tralala“. Sie sind Techniker, Arbeiter, Postangestellte. Ihre Leidenschaft: Radfahren, als Amateure. Es sind diejenigen, die sonntags bei den Rennen in den Dörfern der Ruhm lockt, angefeuert von der Familie und den Nachbarn und von Lambadarythmen. Ihr Tabu: Doping. Es ist dasselbe Krebsgeschwür wie bei den Profis, nur weit weg von Sponsoren und Medien. Einige sprechen hinter vorgehaltener Hand vom Doping für Arme. Das Phänomen betrifft vor allem die Kategorien ‚National’ und ‚Elite’, diese Vorzimmer der Profiwelt, wo trainiert wird wie bei den Idolen, 3 bis 5 Stunden täglich, bei Regen und Schnee. Und wo fast alles erlaubt ist.

 

In Frankreich wurden hierfür ca. 2500 Lizenzen vergeben. Nach mehreren Treffen willigten 5 Fahrer, zwischen 27 und 35 Jahre alt, Amateure der Region Pays de la Loire, ein, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen, allerdings anonym. Die meisten von ihnen sind verheiratet und Familienväter und desillussioniert."



Beschaffung

Am Anfang hatte ich einen Trainer. Er half mir beim Aufstellen des Traingsplans“, erzählt Hervé, 29 Jahre alt, Elektromechaniker. “Aber als ich in die National-Klasse aufstieg, meinte er: ‚Wenn du noch weiter kommen möchtest, kann ich nichts mehr für dich tun. Klares Wasser reicht jetzt nicht mehr.'" Hervé  verstand schnell. Auf diesem Niveau herrscht das Gesetz des Jungels, „die Mafias haben alles in der Hand,“ erklärt er. Mafias, die sich zusammensetzen aus kleinen Konsumenten – anrüchigen Radsportlern –  und deren Umfeld: Aus korrumpierten Ärzten, ehrgeizigen Clubmanagern.

 

Am einfachsten ist es über Verschreibungen an die Mittel zu kommen. „Es ist sehr einfach“, erklärt Hervé. „Selbst ohne willfähigen Arzt, es genügt sich den Hintern mit Sandpapier zu reiben um eine Reizung vorzutäuschen oder im Frühling zu erscheinen und anzugeben, man sei gegen Pollen allergisch.“ Eine andere gängige Praxis ist, sich mit Apothekenlaboranten oder Leuten aus ähnlichen Berufsgruppen anzufreunden. Die ‚Süchtigen’ haben dann noch ihre jährlichen Reisen nach Spanien oder an die belgische Grenze, wo es zahlreiche Produkte freiverkäuflich gibt. Die ideale Zeit dafür ist Januar oder Februar, kurz bevor die Saison beginnt.

 

Der Allgemeinmediziener Yves Faure, der 2003  wegen Gefälligkeitsverschreibungen zu einer Strafe von 5 000 Euro und 4 Monaten Berufsverbot verurteilt wurde, verteidigte sich: „Ich heilte, das ist alles. Mein Patient hatte immer Knieschmerzen, also war ich verpflichtet, ihm Cortison zu verschreiben. Dafür kann das jeder bekommen.“ Er hat heute immer noch seine  Praxis und ist Mitglied der Medizinischen Kommission der Fußball-Amateur-Liga von Isère. "Bei einigen lesen sich die Verschreibungen wie Einkaufslisten bei Leclerc (Supermarktkette)“, meint Gérald, 28 Jahre, Arbeiter, ironisch.

 

EPO? Ist zu teuer: 7 000 Euros mindestens alle 4 Monate, das bleibt den Profis reserviert. Die Grundmedikation der Amateure sind die Corticoide. Besonders gut lindern Injektionen die Schmerzen. “Mit einer Cortison-Spritze läuft das einen Monat lang bestens“, erklärt Gérald. Auch Koffein zur Anregung, Lasilix zum Abnehmen, Schmerzmittel zur besseren Erholung, Amphetamine um bei Laune zu bleiben. Eine Mischung aus erlaubten und verbotenen Mitteln, die man sich zuhause in der Küche nach eigenem Gutdünken zusammenstellt, mit den Beipackzetteln als alleinigem medizinischen Rat. 



Verteilung

Während der letzten 10 Jahre wurden in Frankreich sechs Dopingnetzwerke aufgedeckt, zuletzt 2005 in Cahors, wo es um den Handel mit dem Pot belge (einer Mischung aus Amphetaminen, Kokain und Heroin) ging (s.hier). Am 3. Juli, verurteilte das Gericht in Bordeaux den Hauptschuldigen Freddy Sergeant, einen ehemaligen belgischen Pfleger, zu vier Jahren Gefängnis.

 

Dieser Verteilertyp ist aber nicht sehr häufig. Die Hauptversorgungsquellen sind kleine lokale Handelsbeziehungen. Lokale Verbindungen, zwischen Freunden, innerhalb der Clubs, wo man sich die Namen der Mediziner und der guten Mittel zuraunt und wo der am besten informierte, der am besten versorgte als Verkäufer fungiert.

 

In diesem System fallen immer wieder ehemalige Profirennfahrer auf. Oft müssen sie sich in Prozessen verantworten und sie stehen für das, was Fachleute als „Produkte-Kultur“ bezeichnen. Dorian Martinez, Gründer des Zentrums écoute SOS-Dopage, einer kostenlosen Doping-Hotline (s. hier), erzählt: „Uns rufen regelmäßig Amateure an, denen von ehemaligen Profis an Tagen, an denen sie nicht so gut in Form waren, Mittel angeboten wurden, beim ersten Mal auch oft gratis.“ „Einige willigen ein, andere nicht. In allen Fällen riefen die Amateure deshalb bei uns an, weil sie wissen wollten, was sie machen sollten.“

 

Immer gibt SOS-dopage die Nummer der Drogenpolizei in Paris weiter. „Es steht den Anrufern frei, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten,“ präzisiert Dorian Martinez. Das ist nicht leicht, denn es sind dieselben ehemaligen Profis, die einen Posten als Trainer oder als Clubpräsident anstreben. In letzter Zeit werden auch immer mehr Dopingprodukte via Internet bezogen. Besonders in den USA ist das beliebt, es handelt sich dabei nicht um eine Schwerpunktadresse, sondern um Foren für Amateure, vor allem englischsprachige, über die sich der Handel organisiert. Es geschieht im Hintergrund über den Austausch von email-Adressen. 



Begründung

Warum riskieren Amateure so viel? Die meisten haben keine Ahnung von den Gefahren, denen sie sich aussetzen – Nieren- und Magenprobleme, oder auf lange Sicht Hepatitis, Tumore, Arterienrisse usw. . Einigen genügt als Rechtfertigung die simple Aussicht mit einem Schwarz-Weiß-Foto, 5x6 cm, nach einem Sieg in der regionalen Tageszeitung abgedruckt zu werden. Montags, bei der Arbeit, sind sie die Könige. Das Preisgeld spielt auch eine Rolle. "Diejenigen, die nichts anderes machen, können den gesetzlichen Mindestlohn pro Monat erreichen,“ erklärt Didier, 35 Jahre, Maurer. Zumindest kommen über die Siegprämien die Fahrtkosten wieder herein. Neben dem Doping findet man auch noch regelmäßig abgesprochene Rennen: Das geschieht einvernehmlich im Peloton oder per Geld, unter der Hand am Ziel. Das sind Absprachen, die unter Fahrern oder direkt zwischen den Clubs getroffen werden.



Schweigen

Offiziell jedoch sind die Präsidenten der Clubs und die Trainer „gegen Doping“. Tatsächlich verschließen alle die Augen mangels Beweisen. In den Vorzimmern der Profiwelt gibt es so gut wie keine Dopingkontrollen. In der Region Pays de la Loire werden Hunderte von Rennen für Fahrer der Kategorien ‚Elite’ oder ‚National’ organisiert, doch im Durchschnitt müssen nur 10 Fahrer jedes Jahr zur Kontrolle. Mit dem Ergebnis, dass seit 2003 nur 3 Fahrer positiv getestet wurden. Im Landesdurchschnitt ist es dasselbe.

 

Der Verbreitung des Dopings bei den Amateuren beruht zum großen Teil, ähnlich wie bei den Profis, auf dem Gesetz des Schweigens. „Man kennt die Leute, die dabei sind“, erklärt Mathieu, 27 Jahre, Beamter. „Aber man spricht nicht darüber“, fügt er hinzu. "Der Typ, der sich lädt, kann sterben oder vom Rad fallen. Und wenn man ihn besiegt, ist man tierisch stolz“, verteidigt er sich. Wer spricht, setzt sich Repressalien aus. „Wenn man weiter fahren möchte, sollte man nicht zuviele Fragen stellen. Ansonsten weiß man, dass man infolge eines 'Sturzes' in der ersten Kurve im Graben landen kann. Es gibt oft ‚organisierte’ Stürze“, ergänzt er.



Leugnen

Geschwiegen wird auch deshalb, weil die Organisatoren und das Publikum sich wenig Gedanke machen um das was im Hintergrund geschieht. „Es gibt vielleicht Unausgesprochenes, das auf dem Rad geregelt wird“, gibt Christian Fleury zu, Bürgermeister von Bonnetable (4 000 Einwohner), wo jedes Jahr ein nationales Rennen stattfindet. „Aber diese Rennen lassen die Dörfer leben“. Weiter oben in der Hierarchie, wiegelt man ab. „Es ist  falsch, grundfalsch zu sagen, diese Praktiken seien weit verbreitet“, ereifert sich Stéphane Heulot, zuständig für den Amateurradsport im französischen Radsportverband (FFC). „Diejenigen, die dopen, sind die Schwachen“, schändlich, nach der Meinung von Stéphane Guay, Technischer Direktor des Departement-Radsportkommittees von Sarthe. Beide sind ehemalige Profiradsportler. „Wir sagen den Jungen heute, dass sie niemals bei den Profis eine Chance haben werden, wenn sie bei den Amateuren mit dem Dopen anfangen,“ präzisiert Stéphane Guay.

 

Doch nach den 5 Amateuren, die le Monde befragt hat, sind diejenigen, die das Profiniveau erreicht haben, ohne jemals etwas angerührt zu haben, ‚Überlebende’. Die Karrieren fast aller 5 Zeugen brachen an dem Tag ab, als sie sich weigerten, den ‚Rubikon zu überschreiten’. So auch bei Christophe, 31 Jahre, Ladeninhaber. Als er jünger war, weigerte er sich, sich ‘Remineralisieren’ zu lassen, was aber Vorraussetzung war für die Aufnahme in ein großes spanisches Team. „Ich weiß nicht, was das genau bedeutete, aber ich bin sicher, dass es für meine Gesundheit nicht gut war“, erzählt er. Radfahren oder Leben.  Im Jahr 2000 hat Christophe zwei Freunde verloren. Zwei Amateure im Alter von 24 und 25 Jahren, deren Eltern still trauern.

 

Heute fahren die fünf befragten Amateure weiter. Sie trainieren zwischen Job, gesetzlicher Mindestarbeitszeit und Babysitten. „Aber vor allem um Spass zu haben“, sagen sie, auch „um die Kumpel zu sehen“.  "Und um die Wochenenden zu füllen“, manchmal. „Und auch ein wenig, um bei den Mädels Eindruck zu schinden…“.

 

von Elise Vincent

 

 

Maki, Oktober 2006


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